Rezension

Dirk Kummer: Alles nur aus Zuckersand

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Alles nur aus Zuckersand Dirk Kummer Carlsen Erschienen am: 30.08.2019 Seiten: 139 ISBN: 978-3-551-55390-4

Inhalt:
FĂŒr Fred und seinen besten Freund Jonas ist jeder Tag ein Abenteuer. Am liebsten spielen sie in der verlassenen Fabrik, ganz in der NĂ€he der Grenze zu West-Berlin. Doch als bekannt wird, dass Jonas‘ Mutter einen Ausreiseantrag gestellt hat, werden die beiden aus ihrem unbeschwerten Alltag gerissen.

Ab sofort dĂŒrfen sie sich nicht mehr treffen. Aber die Freunde haben einen Plan: Heimlich fangen sie an, einen Tunnel in den Brandenburger Sand zu graben. Auch wenn Jonas die DDR verlĂ€sst, werden sie sich wiedersehen. Ganz sicher. (Klappentext)

Rezension:
Das Leben könnte so einfach sein, wenn die Erwachsenen nicht immer so kompliziert wĂ€ren. Und wenn dann noch die blöde Politik dazu kommt, ist alles aus. Was also tun? Auf diese Formel könnte man diesens Kleinod der jĂŒngeren Kinderliteratur aus dem Carlsen-Verlag herunterbrechen, die von zwei Jungen erzĂ€hlt, die um ihre Freundschaft kĂ€mpfen. Identifikationsfiguren sind Jonas und Ernst, beste Freunde, die alles zusammen unternehmen.

Man stromert durch die Gegend, auf den Schulhof und durchlebt einen wunderschönen Sommer, bis zu dem Tag, an den fĂŒr Ernst die Welt zusammenbricht. Jonas‘ Mutter hat doch tatsĂ€chlich einen Ausreiseantrag gestellt. Was das heißt, begreift Jonas sofort.

Nie wieder werden sie zusammen spielen können, denn Ende der 1970er Jahre ist die Welt noch in zwei Teile getrennt, durch ZĂ€une, Mauern, Stacheldraht. Doch die beiden Freunde entwickeln einen Plan, man mĂŒsste nur einen Tunnel graben, dann könnte man sich treffen. In der zwischenzeit könnte man es ja per Telepathie versuchen, wie die Ureinwohner in Australien. Daran wĂŒrden Ernst auch nicht seine systemtreuen Eltern oder die Sportschule hindern. Gesagt, getan.

Man beginnt zu graben. Unweit der Grenze, in einem verlassenen FabrikgebÀude. Doch, nicht nur der brandenburgische Sand bereit den beiden Jungen Probleme.

So viel zum Inhalt, der allen bekannt sein dĂŒrfte, die den Film „Zuckersand“ 2017 im Fernsehen geschaut haben. Der Film war gut, die Schauspieler noch besser und so stellt man sich die Jungen gleich einmal bildlich vor, wie sie da fassungslos vor der Entscheidungsgewalt der Erwachsenen stehen und einer Politik, die sie noch niht verstehen.

Warum sollte man ausgerechnet ihnen die Freundschaft zueinander verbieten? Warum fallen nachts manchmal SchĂŒsse an der Grenze und wie erhĂ€lt man eine Freundschaft, die auseinander gerissen wird? Fragende Kinderaugen inklusive.

Dirk Kummer hat als Regisseur des Filmes gezeigt was er kann und dies in einer fĂŒr gerade jĂŒngere Kinder freundlicheren Variante abgewandelt nun zwischen zwei Buchdeckeln verpackt. Trotzdem oder gerade deswegen funktioniert dieser kleine Roman gerade fĂŒr die Zielgruppe sehr gut, da hier Werte wie Freundschaft, Mut und Zusammenhalt dem gegenĂŒber gestellt werden, was man durchaus als Erwachsenenverhalten bezeichnen kann, sich unbedingt zu einer Seite bekennen zu mĂŒssen. Erwachsene machen die Welt kompliziert. So einfach ist das.

EinfĂŒhlsam baut Dirk Kummer mit wenigen SĂ€tzen, das Werk ist nicht sehr umfangreich, die Charaktere auf, die man sofort mag. FĂŒr Kinder bieten beide Jungen Identifikationsfiguren und so ganz nebenbei erklĂ€rt man ein aus Kinderaugen sicherlich unverstĂ€ndliches StĂŒck Geschichte. Dicht ist der Schreibstil, temporeich die ErzĂ€hlweise, auch wenn Ernsts Gedanken mal wieder zu den Aborigines nach Australien reisen.

Dort kann Jonas ja bald sein, er selbst mĂŒsste entweder Reisekader des Olympiateams werden oder spĂ€ter Rentner. Interessenten sei empfohlen, jedoch nicht so lange zu warten. Ihr solltet das Buch gleich lesen. Vielleicht nachdem ihr den Film gesehen habt. Aufgrund der Erarbeitung des Stoffes funktioniert das auch.

Autor:
Dirk Kummer wurde 1966 geboren und ist ein deutscher Regisseur, Drehbuchautor und Schauspieler. Nach Kindheit und Jugend in Falkensee und Ost-Berlin, spielte Kummer als 13-jÀhriger in seiner ersten Fernsehrolle und leistete nach seinem Abitur drei Jahre Wehrdienst bei den Grenztruppen. Danach studierte er Darstellende Kunst.

1992 ging er in die Schweiz, arbeitete ab 1993 nur noch sporadisch als Schauspieler, hauptsĂ€chlich als Regie-Assistent und erhielt 2002 ein Autorenstipendium der Drehbuchwerkstatt NĂŒrnberg und des Bayerischen Rundfunks. Ein Jahr spĂ€ter arbeitete er fast ausschließlich asl Drehbuchautor und Regisseur. Sein Film „Zuckersand“ erhielt 2017 u.a. den 3sat-Zuschauerpreis und 2018 den Grimme-Preis.

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Klaus CĂ€sar Zehrer: Das Genie

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Das Genie Klaus CĂ€sar Zehrer Diogenes Erschienen am: 28.08.2019 (TB) Seiten: 651 ISBN: 978-3-257-24475-1

Inhalt:
Boston, 1910: Der elfjĂ€hrige William James sidis wird von der Presse als „Wunderjunge von Harvard“ gefeiert. Sein Vater triumphiert.

Er hat William von Geburt an mit einem speziellen Lernprogramm trainiert. Doch als william erwachsen wird, bricht er mit seinen Eltern und seiner Vergangenheit und weigert sich, seine Intelligenz einer Gesellschaft zur VerfĂŒgung zu stellen, die von Ausbeutung, Profitsucht und MilitĂ€rgewalt beherrscht wird. (Klappentext)

Rezension:
Manchmal muss sich ein Schriftsteller nicht einmal eine Geschichte ausdenken, um etwas interessantes erzĂ€hlen zu können. oft genug sind tatsĂ€chliche Geschehnisse hundertfach interessanter. So, hier, das Leben eines Mannes, der wohl das letzte Universalgenie der jĂŒngeren Vergangenheit gewesen sein dĂŒrfte.

Klaus CĂ€sar Zehrer erzĂ€hlt die Geschichte eines Kindes ukrainischer einwanderer, die vom Ehrgeiz getrieben, dieses nach strikten psychologischen Gesichtspunkten und einem speziellen Lernprogramm erzogen, welches so zum Genie mit allen VorzĂŒgwen und Fallstricken wurde, die heute dem echten William James Sidis zugeschrieben werden.

Von normalen Kinderspielen ferngehalten, lernte er bereits im Kleinkindesalter lesen, entwickelte eine hohe mathematische Begabung und ein Interesse fĂŒr Naturwissenschaften, schrieb bis zu seinem achten Lebensjahr bereits mehrere BĂŒcher. Er war das „Wunderkind von Harvard“, von den eigenen Eltern getriezt, von der Presse gefeiert und gejagd. Doch was passiert, wenn ein Genie einfach nur leben möchte?

Viele Ebenen und Fragestellungen ziehen sich durch den sehr detailreich erzĂ€hlenden Roman, in dem nur kleine Abweichungen vom leben des realen Vorbildes zu finden sind. Was macht uns zu dem, wer wir sind? Sind es unsere Eltern, die Gesellschaft, unsere Umgebung? Wozu fĂŒhrt es, wenn eine Komponente ĂŒberwiegt oder eine andere vorenthalten wird? Kann man seine Kinder zu Genies erziehen? Wozu ist Wissen gut? Wie frei sind wir in unseren Entscheidungen?

Es sind solche und noch viel mehr Fragen, die zwischen den Zeilen auftauchen und die ein Lesender nur schwer wird eindeutig beantworten können. Zu komplex das vorliegende beispiel, zu turbulent diese feinsinnige Romanbiografie, die einem in den Bann zieht.

Die Protagonisten, allen voran die drei Hauptprotagonisten, sind fassbar. Fast ist es so, als stĂŒnde man neben ihnen und taucht ein in die sich entwickelnde Metropolregion an der amerikanischen OstkĂŒste und lebt, leidet förmlich mit, wenn Sidis seine grĂ¶ĂŸten Triumphe, aber auch seine grĂ¶ĂŸten Niederlagen erfĂ€hrt.

Sprunghaft spielen die Protagonisten mit Sympathien, die sie beim Leser schnell erlangen, jedoch ebenso fix verlieren. Keine Figur ist dauerhaft einer Seite zu zu ordnen. So schnell habe ich selten schon Protagonisten geliebt und verstanden, dann wieder schlagen können. Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrĂŒbt. Trifft die Gesamtheit der HandlungsstrĂ€nge, der Figuren hier ganz gut. Ein Roman ĂŒber hohe Aufstiege und tiefes Fallen, darĂŒber, was Eltern anrichten und Kinder daraus machen können und die großen Fragen des Lebens.

Vielleicht hÀtte der echte William James Sidis sie gar beantworten können. Ob er es gewollt hÀtte, steht auf einem anderen Blatt.

Autor:
Klaus CĂ€sar Zehrer wurde 1969 in Schwabach gebohren und ist ein deutscher Schriftsteller. ZunĂ€chst studierte er Kulturwissenschaften in LĂŒneburg, war Praktikant der Satirezeitschrift Titanic und wurde 2002 mit einer Dissertation zur Dialektik der satire in Bremen promiviert. Als freier Autor, Herausgeber und Übersetzer lebt er in Berlin. „Das Genie“, ist sein erster Roman.

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Erik Fosnes Hansen: Ein Hummerleben

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Ein Hummerleben Erik Fosnes Hansen Kiepenheuer & Witsch Hardcover Seiten: 384 ISBN: 978-3-462-05007-3

Inhalt:
Ein grandios erzĂ€hlter Roman, der vor wunderschöner Kulisse den Niedergang eines einstmals mondĂ€nen Hotels in den norwegischen Bergen beschreibt, und eine Geschichte ĂŒber LĂŒgen, Geheimnisse, falsche Erwartungen und großelterliche Liebe. (Klappentext)

Rezension:
Mehr gibt der Klappentext nicht her und man braucht im Grunde auch nicht mehr zu wissen, doch zum Zwecke der Rezension, einige AusfĂŒhrungen ohne zu spoilern. Ein neues Jahrzehnt bricht an, welches viele VerĂ€nderungen mit sich bringen wird, die auch vor der tiefen norwegischen Provinz nicht Halt machen.

Dies macht sich besonders im verhalten der Touristen bemerkbar, die nicht mehr lĂ€nger im eigenen Land, sondern lieber weiter weg ihre Ferien verbringen möchten und so herrscht im Ort Favnesheim, in den norwegischen Bergen, gĂ€hnende Leere im ortsansĂ€ssigen Hotel, welches Sedds Großeltern in nachfolgender Generation betreiben. ZunĂ€chst den Schein wahrend, beginnt mit dem Ausbleiben der GĂ€ste der schleichende Niedergang.

ZunĂ€chst noch unbemerkt von Sedd, den geliebten Enkel, der schon frĂŒh gelernt hat, mitzuhelfen, dreht sich die AbwĂ€rtsspirale spĂ€testens seit einem unglĂŒcklichen Abendessen, bei dem der ortsansĂ€ssige Bankdirektor stirbt, immer schneller. Doch, der Schein muss sein. Was nicht ausgesprochen wird, passiert auch nicht. Wie lange geht das gut? SĂ€tze, wie folgende, nehmen dies vorweg.

Das Schaben von Hummerscheren verfolgte mich die ganze Nacht.

Erik Fosnes Hansen „Ein Hummerleben“

Dies ist die Ausgangslange eines familiĂ€ren Romans, mit dem Fosnes Hansen nichts weniger gelungen ist als eine Antwort auf die hierzulande hinlĂ€nglich bekannten Buddenbrooks zu geben. Den schleichenden Verfall in so einfĂŒhlsamen Worten zu packen und mit so liebenswerten Protagonisten zu besetzen, gelingt dem Autoren ĂŒber den gesamten Spannungsbogen des Buches hinweg.

Die Handlung wird aus der Perspektive des potenziellen Hotelerben und Enkels beschrieben, der alle Sympathie ob seiner BlauÀugigkeit, Starrköpfigkeit, seines Witzes und seiner Intelligenz, auch NaivitÀt bekommen kann, aber auch so sich seine ganz eigenen Gedanken macht. Er ist der genaue Beobachter, der den beginnenden Untergang zunÀchst nur ahnt.

Auch die anderen Protagonisten sind allesamt nicht unsympathisch, wenn auch der Einstieg in den Roman durch deren Art und Weise teilweise etwas schwierig ist. Man braucht als Leser ein wenig, um in die Handlung hinein zu finden, was Schreib- und ErzĂ€hlstil von Fosnes Hansen geschuldet ist, bekommt jedoch dann eine wunderbare ErzĂ€hlung, in der norwegische Natur und Familientradition auf die Unerbittlichkeit des wirtschaftlichen Überlebens treffen.

„Und ebenso“, fĂŒhr ich fort, „muss es sich auch mit Argentinien und den EnglĂ€ndern verhalten. Entweder kamen die zuletzt Genannten zuerst und die zuerst Genannten zuletzt, oder die zuerst Genannten kamen zuerst und die uletzt Genannten zuletzt, falls nicht noch eine dritte Partei im Spiel sein sollte, die…“

Erik Fosnes Hansen „Ein Hummerleben“

Solche sprachlichen Feinheiten, durchsetzt immer wieder mit einer Prise Nachdenklichkeit und manchmal auch unerbittlichen Humor durchziehen das gesamte SchriftstĂŒck und machen den Roman zu einem wahren Lesegenuss. Heruntergebrochen passiert dabei nicht mehr als im Klappentext ersichtlich, dies ist jedoch vollkommen ausreichend, wenn man auch von der einen oder anderen LĂ€nge absieht, die eine solche Geschichte mit sich bringt.

Manche AusfĂŒhrungen des Hauptprotagonisten wirken zu lang, zu ausschweifend, doch Fosnes Hansen fĂ€ngt sich hier immer wieder, so dass es trotzdem eine insgesamt runde Sache bleibt. Ob der Roman endet, wie das große VergleichsstĂŒck von Thomas Mann, muss der Leser selbst herausfinden. Mit einer Prise norwegischer Gelassenheit ist dies jedoch möglich. Humor sollte jedoch nicht fehlen.

Auf unseren Friedhof stehen die GrÀber dicht,
doch ist da noch Platz fĂŒr eine ganze Herde.
Willkommen sei uns jede Seele, bei der erlischt das Licht.
Je mehr, desto besser, wir bringen euch unter die Erde.

Erik Fosnes Hansen „Ein Hummerleben“

Ist das nicht toll?

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Michael Tsokos: Schwimmen Tote immer oben?

Inhalt:
Ist das ErwĂŒrgen eine schnelle und effektive Mordmethode? Wie kann man einen Tierbiss von einem Menschenbiss unterscheiden? Können Leichen explodieren? Fernsehkrimis haben einfache Antworten auf diese Fragen.

Doch meist sind es Klischees, die bedient werden – die RealitĂ€t sieht anders aus. Keiner weiß das besser als Michael Tsokos, Deutschlands bekanntester Rechtsmediziner. Er nimmt die bizarrsten IrrtĂŒmer in unseren Fernsehkrimis aufs Korn und informiert unterhaltsam und spannend ĂŒber die Mittel und Methoden der Rechtsmedizin. (Klappentext)

Rezension:
Irgendwo lĂ€uft immer ein „Tatort“ und auch sonst erfreuen sich die Fernsehkrimis anhaltender Beliebtheit. In der Sicherheitszone des eigenen Wohnzimmers lĂ€sst es sich halt angenehm gruseln, das Mitraten, wer ist eigentlich der TĂ€ter, macht auch Spaß und Ablenkung vom Alltag ist es ohnehin. Doch leider ist diese mit allerhand Klischees bedeckt. Wie arbeiten Rechtsmediziner wirklich?

Welche Unterschiede gibt es im Beruf der Rechtsmediziner zu deren Pendants im Fernsehen, und schwimmen Tote tatsĂ€chlich immer oben? Michael Tsokos legt nach und klĂ€rt in der Fortsetzung zu „Sind Tote immer leichenblass?“ ĂŒber weitere IrrtĂŒmer auf, die im Zusammenhang mit Fernsehkrimis bei vielen Zuschauern entstanden sein dĂŒrften.

Unterhaltsam, in kurzweiligen Kapiteln, werden Fragestellungen auf’s Korn genommen und Tsokos, der sich fĂŒr dieses Buch die allabendlichen Tatortsendungen vorgenommen hat, beschreibt den Alltag und den Wahrheitsgehalt hinter dem, was uns das Fernsehen suggeriert. Findet man wirklich bei Ertrunkenen immer Wasser in den Lungen? Haben nur starke Raucher schwarze Lungen? Knabbern Hunde und Katzen ihre ehemaligen Herrchen an oder verhungern sie lieber?

Aus dem langjĂ€hrigen Erfahrungsschatz, unter Zuhilfenahme ihm bekannter und auf dem Tisch gelandeter FĂ€lle beschreibt Deutschlands bekanntester Rechtsmediziner den Unterschied zwischen Wahrheit und Fiktion. Man bekommt jedoch auch eine Ahnung, warum in Krimis der rechtsmedizinische Bereich anders dargestellt wird. Schließlich möchte Tsokos den Spaß am gepflegten Wohnzimmergrusel nicht nehmen, sondern nur das Sichtfeld seiner Leser erweitern.

Das gelingt mit Charme und durch die Auflockerung wunderbarer Illustrationen, die die einzelnen Kapitel ergĂ€nzen. Witzig umgesetzt von Christoph Keller unterstreichen sie die AusfĂŒhrungen des Autoren, der zeigt, was Rechtsmedizin heute kann, wohin sie zukĂŒnftig fĂŒhren wird und was eben nicht möglich ist.

Auch dies ganz interessant. Wenn also das nĂ€chste Mal im nĂ€heren Umfeld Scheintote wieder auferstehen, Leichen explodieren oder WĂŒrgmerkmale untersucht werden, weiß der geneigte Leser dies einzuordnen. Oder man beschĂ€ftigt sich dann doch lieber mit True Crime, anstatt leinwandflimmender Verbrechen.

Autor:
Michael Tsokos wurde 1967 in Kiel geboren und ist ein deutscher Rechtsmediziner und Professor an der Charite in Berlin. Er leitet seit 2007 das dortige Institut fĂŒr Rechtsmedzin, gleichzeitig das Landesinstitut fĂŒr gerichtliche und soziale Medizin in Berrlin-Moabit. Zudem ist er Leiter der Gewaltschutzambulanz der Charite.

1998-99 nahm er an der Exhuminierung und Identifizierung von Leichen aus MassengrĂ€bern des Bosnienkrieges und im Kosovo teil, 2004-05 war er im Auftrag des Bundeskriminalamtes zur Identifizierung der Tsunami-Opfer in Thailand tĂ€ig. Er ist Autor mehrerer Fachzeitschriften, populĂ€rer SachbĂŒcher und Mitautor mehrerer Thriller. Seit 2014 ist er Botschafter des Deutschen Kindervereins. Tsokos lebt mit seiner Familie in Berlin.

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Sören Kittel: An guten Tagen siehst du den Norden

An guten Tagen siehst du den Norden Book Cover
An guten Tagen siehst du den Norden Sören Kittel Dumont/mairdumont Erschienen am: 03.08.2018 Seiten: 384 ISBN: 978-3-7701-8297-8

Inhalt:
Unterwegs im Land der Extreme

SĂŒdkorea scheint nur Rekorde zu kennen: die lĂ€ngsten Arbeitszeiten, die niedrigsten Geburten- und höchsten Wachstumsraten. Reporter Sören Kittel arbeitete eineinhalb Jahre in der ostasiatischen Republik und erzĂ€hlt die besten Geschichten aus dem Land im Aufbruch: Geschichten vom Wandel einer Diktatur zur Demokratie, von Verliebten, die sich nur noch per App verstĂ€ndigen, und mordernen Koreanern, die es zurĂŒck in die Tempel zieht. (Klappentext)

Rezension:
Es ist ein Land, welches schon aufgrund der Entfernung zu Europa kaum auf die Liste der zu besuchenden Reiseziele steht und auch sonst eher in den Nachrichten nur im Zusammenhang mit den bösen Nachbarn steht. Nordkorea ist das einzige Land, mit dem es eine gemeinsame, wenn auch spannungsintensive Grenze gibt.

Theoretisch befindet sich SĂŒdkorea immer noch im Krieg. Der Schwebezustand, in dem sich Land und Leute befinden, existiert seit 1953, als nach dem Koreakrieg ein Waffenstillstandsvertrag geschlossen wurde.

Der 38. Breitengrad ist seither Staatsgrenze und Zone allerlei Konflikte. Grund fĂŒr das Han, den Zustand der Traurigkeit, den nur Koreaner verstehen können. Sören Kittel begibt sich auf die Suche nach dem Han und erkundet dabei das Land, entlang der KĂŒste von Seoul bis zum sĂŒdlichsten Punkt des Landes, und wieder zurĂŒck zur Grenze, in mitten der Halbinsel.

Es sind die Geschichten der Menschen, die ihn interessieren und denen er nachspĂŒrt. Kittel entdeckt dabei ein Land im Auf- und Umbruch, ein Land zwischen Tradition und Moderne, auf der Suche zu sich selbst und Menschen, die nicht mit aber in keinem Fall ohne SĂŒdkorea können.

Im reportagenhaften Stil berichtet Sören Kittel von seinen Begegnungen. Die kurzweiligen Kapitel sind nach den örtlichen Stationen gegliedert, die er bereist, betitelt jeweils mit dem Synonym fĂŒr die jeweilige Gegend, die Besonderheit, auf der sich der Abschnitt herunterbrechen lĂ€sst und jeweils einem koreanischen Begriff.

Der Autor versucht einen Zugang zu den Menschen zu finden, zunĂ€chst mit den eigenen Erfahrungen, schließlich war auch Deutschland einst geteilt, ein Beispiel, welches man sich in beiden koreanischen Staaten genau anschaut, welches jedoch aktuell in weiter Ferne gerĂŒckt ist, dann ĂŒber die Extreme selbst, die SĂŒdkorea zu bieten hat.

Unbemerkt zwischen den geopolitischen Globalplayern China und Japan hat sich lĂ€ngst eine neue wissenstechnologische Supermacht etabliert, die im stĂ€ndigen Balanceakt nicht nur sich selbst sucht, sondern auch, zumindest in technischer und wirtschaftlicher Hinsicht lĂ€ngst Weltgeschicke bestimmt. Kittel spricht mit den Menschen ĂŒber die Auswirkungen, in einer autoritĂ€ren Demokratie zu leben, die aufgrund der politischen Situation unsicher im Umgang mit der eigenen Geschichte zu sein scheint. Ein Zustand, der sich quer in der Gesellschaft zeigt.

Thematisch wird dabei kaum ein Thema unberĂŒhrt gelassen, gerade deshalb ist „In guten Tagen siehst du den Norden“ eine vielschichtige und sensible Reisereportage, die dieses Land dann doch auf die Liste potenzieller Reiseziele ganz weit nach Oben rĂŒckt. Und vielleicht versteht man dann auch, was Han eigentlich genau ist.

Autor:
Sören Kittel wurde 1978 in Dresden geboren, studierte nach der Schule in Leipzig, Amsterdam und Berlin Ethnologie und SĂŒdostasienwissenschaften, lernte verschiedene Sprachen und lebte in Jakarta, Peking und Nairobi. FĂŒr die Berliner Morgenpost schrieb er verschiedene Reportagen und gewann u.a. den EMMA-MĂ€nnerpreis, sowie fĂŒr eine Reisereportage ĂŒber Nordkorea den Meridian-Journalistenpreis. 2014 zog er nach Seoul und arbeitete dort fĂŒr verschiedene Zeitungen und Magazine als freier Journalist. Zurzeit arbeitet er fĂŒr die Funke-Mediengruppe. Kittel lebt in Seoul und Berlin.

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Tanja Langer: Meine kleine Großmutter & Mr. Thursday

Meine kleine Großmutter & Mr. Thursday Book Cover
Meine kleine Großmutter & Mr. Thursday Tanja Langer Mitteldeutscher Verlag Erschienen am: 06.08.2019 Seiten: 416 ISBN: 978-3-96311-181-5

Inhalt:
Linda, Übersetzerin aus dem Persischen, lĂ€sst sich gern von ihren trĂ€umen lenken, und so findet sie sich eines Tages in LĂŒneburg wieder: Dort lebte ihre kaum gekannte Großmutter Ida unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg, geflohen aus Oberschlesien, verwidmet, mit fĂŒnf Kindern.

Knapp eineinhalb Meter groß, „arbeitete sie fĂŒr den Direktor des englischen Kinos“. Dieser Halbsatz entzĂŒndet Lindas Phantasie, und schon ist sie mitten in der Zeit der britischen Besatzung, von 1945 bis 1949. Ida schrubbt WĂ€sche fĂŒr die Tommys, Ida begegnet Mr. Thursday, Ida fĂ€ngt bei im im „Astra Cinema“ an, Und das Kino wird zum Gegenbild fĂŒr die raue Wirklichkeit, durch die Ida und ihre kleine rasselbande sich als „FlĂŒchter“ durchboxen… (Klappentext)

Rezension:
Lebensgeschichten stellen an sich gute Grundlagen fĂŒr ausschweifende ErzĂ€hlungen dar, in der man als Leser hineingesogen wird und mit den Protagonisten lebt, liebt oder leidet. Das gelingt auch regelmĂ€ĂŸig, denn nichts ist ja spannender als das wahre Leben und so kann der Autor oder die Schriftstellerin schon mal mit der Themenwahl nicht viel falsch machen. Tanja Langer hat dies gewagt und ihrerseits die Geschichte ihrer Großmutter genommen und daraus eine an deren Biografie angelehnte ErzĂ€hlung veröffentlicht, die nun im Mitteldeutschen Verlag erschienen ist.

ZunĂ€chst ist es natĂŒrlich die Geschichte einer Frau, die sich beginnt zu emanzipieren, weil sie durch die historischen umstĂ€nde dazu gezwungen wird und am ende auch die Geschichte des Nachkriegdeutschlands, welches hauptsĂ€chlich von Frauen aufgebaut wurde. Die MĂ€nner waren entweder in den zurĂŒckliegenden Kriegsjahren gefallen oder befanden sich in Gefangenschaft, die Frauen befanden sich auf der Flucht und begannen auf den TrĂŒmmern der Geschichte sich einzurichten und ums Überleben zu kĂ€mpfen, schließlich sich und ihren Kindern eine Zukunft aufzubauen.

Im Roman ist dies dargestellt durch die Hauptprotagonistin Ida, die in den großflĂ€chigen Kapiteln eine starke Identifikationsfigur abgibt, neben der alle anderen verblassen. Über weite Strecken funktioniert dies, trotzdem das so manche LĂ€nge mit sich bringt. Hier gefĂ€llt besonders die Darstellung des Alltags in einer sehr sonderbaren Zeit. Auch die inneren Konflikte hat die Autorin sehr schön ausgestaltet.

In wechselnder Perspektive wird einmal aus der Sicht der ErzĂ€hlerin die Gegenwart nachempfunden, hier findet sich die Autorin im Ich einer Übersetzerin des Persischen wieder und dann aus Sicht der Großmutter, die ihren Alltag inmitten der Nachkriegszeit bewĂ€ltigen muss. Beides fĂŒr sich genommen starke, suchende und kĂ€mpferische Sichtweisen, doch ein letzter Funke, das berĂŒhmte tĂŒpfelchen auf dem I bleibt aus.

Das ist schade, denn gerade im Hinblick auf die Idee dahinter, hÀtte die Autorin detaillierter und ausschweifender erzÀhlen können. StÀndig Wiederholungen als Stilmittel stören zudem den Lesefluss, als wÀren Tanja Langer Synonyme ausgegangen. Das wird dann irgendwann schwierig.

Zu guter Letzt ist das Cover nach, und das ist jetzt persönliches Empfinden, keine gute Wahl. NatĂŒrlich hat diese Wahl viel mit Vermarktung und Aufmerksamkeitsziehung einer bestimmten KĂ€uferschicht zu tun und mit Sicherheit eine Berechtigung, doch hĂ€tte es hier auch ein geschlechtsneutraleres Cover getan. Mit Abstrichen, wer Kino mag und Überlebensgeschichte in sonderbarer Zeit, sowie starke Frauen, wird sicherlich hier fĂŒndig.

Autorin:
Tanja Langer wurde 1962 geboren und ist eine deutsche Regisseurin und Schriftstellerin. Nach ihrem Abitur, 1982, studierte sie Vergleichende Literaturwissenschaft, Kunstgeschichte, philosophie und Politikwissehnschaften in Paris, MĂŒnchen und Berlin.

Sie grĂŒndete eine Theatergruppe, schrieb und inszenierte eigene StĂŒcke, verlegte sich jedoch ab 1993 auf das Schreiben von BĂŒchern und BeitrĂ€gen fĂŒr Tageszeitungen. 1999 veröffentlichte sie ihren ersten Roman und grĂŒndete 2016 ihren eigenen Verlag, den BĂŒlbĂŒl Verlag, in Berlin, wo sie mit ihrer Familie lebt.

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Mario Ludwig: Tierische Jobs

Tierische Jobs Book Cover
Tierische Jobs Sachbuch wbg Theiss Hardcover Seiten: 192 ISBN: 978-3-8062-3964-5

Inhalt:
Was machen Tiere eigentlich beruflich? Ein Frosch als Schwangerschaftstest, Katzen als Spione und ein Esel als SchÀferhund?

Unglaublich, aber wahr! Mario Ludwig stellt die unglaublichen und skurillen Berufe unserer tierischen Helfer vor und erzĂ€hlt, wie sie uns mit ihren außergewöhnlichen FĂ€higkeiten helfen, unseren Alltag besser zu meistern. Zum bewerbungsgesprĂ€ch um die Stelle als TrĂŒffelsucher taucht da neben dem Schwein auch schon mal ein Hund auf. Und warum nicht mal eine Taube einstellen statt einem Radiologen? (Klappentext)

Rezension:
Blindenhunde oder Pferde und Delfine, die zu therapeutischen zwecken eingesetzt werden, kennt an sich jeder. Auch die Brieftaube dĂŒrfte den meisten ein Begriff sein, nicht zuletzt der SchĂ€ferhund als Bewacher von Haus und Hof. Doch, unsere tierischen Freunde helfen uns bisweilen in noch ganz anderen Bereichen unseres Alltags. Der Biologe und Autor Dr. Mario Ludwig hat seine kuriosesten Funde einmal zusammengestellt. Entstanden ist ein witziges und kurioses Sachbuch.

In kleine HĂ€ppchen zum Nebenherschmökern zeigt der Autor, welche TĂ€tigkeiten tiere schon eingenommen haben, um unseren Alltag zu bewĂ€ltigen. Außen vor gelassen wird das Schicksal von medizinischen Versuchstieren ganz bewusst, da es zu diesem Themenkomplex bereits ausreichende und weiterfĂŒhrende Literatur gibt, doch wie sieht es eigentlich mit der ersten HĂŒndin und dem ersten Schimpansen im Weltraum aus?

Weshalb bekommt eine bestimmte Rattenart eine Spezialausbildung als Minensucher und warum scheiterten die Amerikaner Katzen als Spione auszubilden? All dies erlÀutert der Autor im zuweilen ernsten, jedoch immer humorigen Unterton und zeigt, dass es manchmal ohne unsere tierischen Helfer nicht geht, zumal in vergangenen Zeiten als technische Lösungen noch weit eintfernt waren von unseren heutigen Möglichkeiten.

Jedes Kapitel umfasst maximal eine Hand voll Seiten und jede erdenkliche Tierart, die sich als Fußpfleger zuweilen aber auch als ArchĂ€ologe betĂ€tigen. Und vielleicht steckt in unseren Haustieren doch mehr als wir denken? Der Autor jedenfalls, der keinen Anspruch auf VollstĂ€ndigkeit erhebt, sondern auch zu eigenstĂ€ndiger Recherche einlĂ€dt, ist ĂŒberzeugt von den tierischen FĂ€higkeiten, weiß jedoch auch um das Tierwohl, welches nicht außer Acht gelassen wird.

Nicht umsonst ist der meiste Purpurfarbstoff heute kĂŒnstlichen Ursprungs und Vanillearoma aus Kuhdung zum GlĂŒck sehr selten.

Unterlegt ist das amĂŒsante Sachbuch mit einer umfassenden Quellenangabe, doch wer unseren tierischen Helfern auf die Schliche kommen möchte, weiß am Ende wie gesucht werden soll. Wissenserwerb oder reine Unterhaltung, Mario Ludwig gelingt beides umfassend.

Autor:
Mario Ludwig wurde 1957 in Heidelberg geboren und ist ein deutscher Biologe und Autor. Nach der Schule studierte er zunÀchst Biologie und Sportwissenschaften, arbeitete bis 1992 am Zoologischen Institut der UniversitÀt Heidelberg.

Seit 1992 ist er in leitender Funktion bei der Kommunalen Aktionsgemeinschaft zur BekĂ€mpfung der Schnakenplage tĂ€tig und seit 1994 im Bereich der schĂ€dlingsbekĂ€mpfung und GewĂ€ssergĂŒte tĂ€tig. Seit 1993 schreibt er BĂŒcher ĂŒber Tiere und Natur undist hĂ€ufiger Gast in Fernseh- und Hörfunksendungen. Ludwig ist zudem als Dozent, Vortragsredner und Interviewpartner gefragt.

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Anette Huesmann: Buchgenres kompakt

Buchgenres kompakt Book Cover
Buchgenres kompakt Rezensionsexemplar/Sachbuch Book on Demand, BoD Taschenbuch Seiten: 188 ISBN: 978-3-746-14511-0

Inhalt:
Genres zeigen, was BĂŒcher gemeinsam haben und was sie unterscheidet. Ihre Entwicklung im Laufe der Jahrhunderte lĂ€sst ErzĂ€hltraditionen sichtbar werden. Wo liegen die Wurzeln, was erzĂ€hlten die BĂŒcher dieser Genres frĂŒher, was heute?

Wie lassen sich Genres definieren, wie abgrenzen, wo gibt es Ungenauigkeiten und Überschneidungen? Das nachschlagewerk erlĂ€utert Genres und ihre Unterteilungen, sowie Entstehung, historische und aktuelle ZusammenhĂ€nge, anhand von Beispielen. (eigene Inhaltsangabe)

Rezension:
Geht das ĂŒberhaupt? Eine komplette und vollstĂ€ndige Genre-Übersicht zu schaffen, anhand derer sich Literaturwissenschaftler, Kritiker, Leser oder zukĂŒnftige Autoren orientieren können?

Die erfahrene schreibtrainerin und Autorin Anette Huesmann wagte diesen Versuch, ohne Anspruch auf absoluter VollstĂ€ndigkeit, eine doch umfangreiche Übersicht zu schaffen. Herausgekommen ist ein informatives Nachlagewerk, welches leicht lesbar und einfach wiedergibt, was im Laufe von Jahrhunderten innerhalb der Literatur entstand.

ZunĂ€chst klĂ€rt die Autorin ĂŒber Genre auf, was das eigentlich genau ist, wie sie mit den ErzĂ€hltraditionen im Laufe der Epoche sich entwickelt haben und welche Rolle sie bei Vermarktung oder etwa den Zielgruppen spielen.

Gleich zu Beginn sei festgestellt, klare Abgrenzungen gibt es nicht, um so mehr fließende ÜbergĂ€nge, die anhand von Beispielen im Verlauf des Buches, welches als Lexikon zu gebrauchen ist, dargelegt wird. Genre werden dabei erst allgemein erlĂ€utert, danach aufgefĂ€chert in die einzelnen Unterteilungen. Charakteristik, Entstehungsgeschichte und Besonderheiten, sowie aktuelle Beispiele helfen in kurzen Übersichten zu verstehen, welche ZusammenhĂ€nge und Unterscheidungen es gibt.

Dies ist keine Fachpublikation, da die einzelnen ErlÀuterungen so kurz und einfach wie möglich gehalten werden. Im gegensatz zu Literaturwissenschaftlern richtet sich die Autorin hier an den interessierten Laien und besonders die jenigen, die mit den Gedanken spielen, selbst etwas zu Papier zu bringen.

FĂŒr Autoren ist die Einordnung wichtig in bezug auf kĂŒnftige Zielgruppen und der dazu passenden Vermarktung, auch in Bezug auf Vorbilder, die man sich im schriftstellerischen Betrieb nehmen, an denen man sich messen lassen kann.

FĂŒr alle anderen Leser sind vor allem die Querverweise auf verschiedenste Werke, seien sie nun historischen oder aktuellen ursprungs interessant. Was gilt als Paradebeispiel oder gar als erstes Werk innerhalb eines Genres? In welcher Richtung entwickelten sich die einzelnen Spielarten und wo liegen die Wegsteine in der Literatur?

Schreibtheorie nicht nur fĂŒr Schreiberlinge, kurzweilig zu lesen, zumal nicht apodiktisch. Das hat mir sehr gut gefallen. FĂŒr mich als Blogger kĂŒnftig auch ArbeitslektĂŒre. So viel dazu.

Autorin:
Anette Huesmann wurde 1961 geboren und ist eine deutsche Schriftstellerin und Dozentin fĂŒr Kreatives Schreiben. Nach der Schule studierte sie zunĂ€chst Germanistik und Allgemeine Sprachwissenschaft in Heidelberg, arbeitete danach als Journalistin, u.a. fĂŒr die Deutsche Hochdruckliga und Online Portale verschiedener Magazine.

Sie gibt Kurse fĂŒr Kreatives Schreiben und veröffentlichte dazu mehrfach Publikationen. Unter Pseudonym und Realnamen erschienen zudem KinderbĂŒcher und Krimis. Sie ist Mitglied im Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller.

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Erika Fatland: Die Grenze

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Die Grenze Erika Fatland Suhrkamp Erschienen am: 08.04.2019 Seiten: 623 ISBN: 978-3-518-46974-3 Übersetzer: Ulrich Sonnenberg

Inhalt:
Erika Fatland, Autorin des Bestsellers „Sowjetistan“, reist entlang der ĂŒber 20.000 Kilometer langen russischen Grenze durch 14 LĂ€nder und begegnet dort den unterschiedlichsten Menschen – Taxifahrern, Geschichtsprofessoren, Rentierhierten und anderen. Sie hört zu, stellt Fragen, sammelt Geschichten. So entstehen schillernde PortrĂ€ts dieser eigenwilligen Menschen und LĂ€nder. Aber auch ein PortrĂ€t des weltpolitischen Giganten – aus der Sicht seiner Nachbarn. (Klappentext)

Rezension:
Der Vielvölkerstaat, der sich ĂŒber zwei Kontinente erstreckt, ist faszinierend. StĂ€ndig im Wandel begriffen, geprĂ€gt durch die kulturellen Unterschiede seiner Bewohner und im stĂ€ndigen Konflikt mit seinen Nachbarn, grenzt das Riesenreich heute an 14 LĂ€ndern. Norwegen teilt da noch die kleinste Grenze mit dem russischen BĂ€ren. Doch, was bedeutet es eigentlich heute, in Nachbarschaft eines Staates zu leben, dessen Überlebensstrategie sich vor allem auf Rohstoffe und territoriale Ambitionen bezieht?

Wie leben die Menschen in Ost und West, Nord und SĂŒd an der Grenze zu Russland und was sagt dies letztlich ĂŒber den Staat selbst aus? Die Journalistin und Autorin Erika Fatland hat sich aufgemacht zu den Menschen entlang der Grenze und spĂŒrt ihren Geschichten nach. Herausgekommen ist ein Sammelsurium an Geschichten, nicht zuletzt jedoch ein vielschichtiges PortrĂ€t eines Landes in stĂ€ndiger Bewegung.

Nach ihrer vielbeachteten Reportagereise durch „Sowjetistan“ liegt in deutscher Übersetzung nun der nĂ€chste Bericht vor, dessen Vorbereitungen unglaublich strapaziös gewesen sein mussten. Der Weg durch den staatlichen Behördendschungel einzelner LĂ€nder dĂŒrfte da noch das geringste Problem gewesen sein, nimmt die Autorin hier ihre Leser erst wieder mit, nachdem diese abgeschlossen sind.

In mehreren Abschnitten sind Reise und Buch unterteilt. So fĂ€hrt der Leser zunĂ€chst entland Russlands gewaltiger KĂŒstenlinie, bevor es von Nordkorea ausgehend, entland der Landesgrenze Russlands bs nach Norwegen gibt, der letzten Etappe dieser gewaltigen Reise.

So vielfĂ€ltig wie die Landschafts- und Umgebungsbeschreibungen, die wortgewaltig den Leser an die jeweiligen Orte versetzen, so sind es auch die Begegnungen mit gewöhnlichen und außergwewöhnlichen Menschen, die diese Reisereportage so besonders machen. Erika Fatland hört ihnen zu, Regimekritikern und HĂ€ndlern, den Taxifahrern und ehemaligen Politikern, Zöllnern wie auch Utopisten.

Alle haben sie ihre eigene Geschichte zu erzĂ€hlen und jeder Einzelne verbindet mit dem Nachbarland etwas, meist untersetzt mit zwiespĂ€ltigen gefĂŒhlen. Vielerorts wĂŒrde man gerne ohne ihn, weiß jedoch, dass dies nicht möglich ist, zumal auch Konflikte wie in Georgien oder der Ukraine zeigen, dass auch heute noch Russland sehr empfindlich reagiert. Je nachdem, welche Sichtweise man einnimmt.

Erika Fatland werdet dabei nicht, beobachtet nur und nimmt die eindrĂŒcke in sich auf. Zur Orientierungshilfe gibt es einen Kartenausschnitt fĂŒr jede Reiseetappe, zwei Fototeile lockern den Bericht auf. Wieder einmal ist der Norwegerin ein ausgewogener Bericht ĂŒber den aktuellen Zustand, diesmal ĂŒber die Grenze zu Russland, gelungen, die mit gemischten GefĂŒhlen betrachtet werden kann.

Je nachdem, wo man sich gerade befindet. Diesen Blick schĂ€rft die Autorin ungemein, scheut sich nicht kritisch zu hinterfragen, doch ist auch hier Politik das Eine, das alltĂ€gliche Leben etwas anderes. Das Bewusstsein dafĂŒr, wie Kultur und Geschichte, auch lĂ€nger zurĂŒckliegende, Wirtschaft und Politik (dann wieder doch) zusammenhĂ€ngen, gewinnt man nur durch solch einen Blickwinkel. Dies ist ihr gelungen. FĂŒr alle, die versuchen möchten zu verstehen, gleichzeitig entdecken und HintergrĂŒnde zur heutigen Situation Russlands und seiner Nachbarn ergrĂŒnden möchten, eine empfehlenswerte LektĂŒre.

Autorin:
Erika Fatland wurde 1983 geboren und ist eine norwegische Journalistin und Autorin. Sie studierte Sozialanthropologie, spricht mehrere Sprachen und schreibt Reportagen und Artikel fĂŒr zahlreiche Zeitungen und Magazine. FĂŒr ihren Reisebericht „Sowjetistan“ erhielt sie 2015 den norwegischen Buchhandelspreis, fĂŒr die norwegische Ausgebe des vorliegenden Buches den Buchbloggerpreis 2018.

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Fabio Genovesi: Wo man im Meer nicht mehr stehen kann

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Wo man im Meer nicht mehr stehen kann Autor: Fabio Genovesi C. Bertelsmann Verlag Erschienen am: 13.05.2019 ISBN: 978-3-570-10349-4 Übersetzerin: Mirjam Bitter

Inhalt:
Der sechsjĂ€hrige Fabio ist der Mittelpunkt einer exzentrischen Großfamilie in der Toskana. Als Liebling seiner „zehn GroßvĂ€ter“ – der schrulligen unverheirateten BrĂŒdern seines Opas – wird er zu den kuriosesten Unternehmungen mitgenommen, die selten kindgerecht, aber dafĂŒr unvergesslich sind.

Dies wappnet den Jungen fĂŒr die Abenteuer und Gefahren, mit denen er beim Heranwachsen zu kĂ€mpfen hat. Denn eine Lebensweisheit hat Fabio frĂŒh erkannt: Schwimmen lernt man nur dort, wo man im Meer nicht mehr stehen kann. (Klappentext)

Rezension:
Familie und andere Katastrophen. UngefĂ€hr so könnte der Untertitel dieses großen Romans lauten, in dem Fabio Genovesi sein jĂŒngeres Ich die Welt entdecken lĂ€sst. Aufgewachsen ist der Autor inmitten einer schrulligen Großfamilie, genauer gesagt, den BrĂŒdern seines bereits frĂŒh verstorbenen Großvaters.

Getrieben von der Angst, dass ihm mit dem vierzigsten Lebensjahr der berĂŒchtigte Familienfluch befĂ€llt, entdeckt er die Welt um sich herum, die sich anfangs nur auf den Straßenzug, den ausschließlich seine Familie bewohnt, spĂ€ter auf das Dorf und die Umgebung erstreckt. Alleine, zusammen mit seinen Eltern und noch viel mehr mit den zehn GroßvĂ€tern, die Fabio unter sich per Wochenplan herumreichen. Ausgang, einer mehr als turbulenten Kindheit.

Der Leser begleitet den zu Beginn im Vorschulalter befindlichen Ich-ErzÀhler bis zu seinem dreizehnten Lebensjahr durch die Höhen und Tiefen des Heranwachsens. Genovesis StÀrke ist es hier, die genaue Beobachtungsgabe des Kindes herauszustellen und diese den gesamten Roman tragen zu lassen.

Die anderen Protagonisten sind mehr oder weniger unwichtig, bleiben an manchen Stellen zu schwach gezeichnet, was eine Wohltat in dem Sinne ist, da besonders die antreibenden GroßvĂ€ter ein gewisses Nervpotenzial haben. Macht nichts, vieles macht der Sprachwitz wieder wett.

Formulierungen wie phantastische TitelĂŒberschriften, wie „Die RegenwĂŒrmer des heiligen Fabio“, machen diesen Roman zu einem kleinen Juwel und so mag man sich an seine eigene Kindheit erinnern oder an Familiengeschichten, die als Anekdoten immer wieder erzĂ€hlt werden und lĂ€ngst ein Eigenleben entwickelt haben.

Zwar kann auch Genovesi mit dem großen Knall einer Familientragödie aufwarten, doch tut er dies behutsam und lĂ€sst sein Vergangenheits-Ich daran wachsen. ErzĂ€hlt werden die Bande unserer engsten Vertrauten, aber auch die Entdeckung zur Liebe der Literatur und das ist vielleicht auch einer der schönen Aspekte dieses Romans. Wobei Fabio Genovesi mit vielen ganz wunderbaren Momenten aufwarten kann.

Dieser Roman erzĂ€hlt von Liebe und Hoffnung, Ängsten und Mut, Zuversicht und Scheitern, Freundschaft und Familie. Einfach eine liebevolle Geschichte.

Autor:
Fabio Genovesi wurde 1974 in Italien geboren und hat schon als Bademeister, Radsporttrainer und Kellner gearbeitet, bevor er als Übersetzer tĂ€tig wurde. Heute schreibt er DrehbĂŒcher und Romane und wurde mit dem „Premio Viareggio“ ausgezeichnet. Er lebt in Forte dei Marmi.

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