Wende

Sylvia Frank: Nur einmal mit den Vögeln ziehn

Inhalt:

Ein Picknick mit Mozart vom Grammophon mitten zwischen Feldern in Thüringen wird zu “Jenseits von Afrika”, in der kaserne bauen sie illegal Marihuana an und in einem alten Kino spielen sie zu “The Band – The Last Waltz” eigenhändig Blues … sylvia Frank erzählt spannend und authentisch die Geschichte von Siv, Aki, Anna Maria, Jens und Ivo, fünf Jugendliche, die in der DDR in ganz unterschiedlichen familiären Verhältnissen aufwachsen und die historischen Ereignisse der friedlichen Revolution, der Grenzöffnung und der deutschen Einheit als junge Erwachsene miterleben. Ereignisse, die ihr Leben verändern. (Klappentext)

Rezension:

Vielleicht hat er bis dato gefehlt, dieser Roman, der nicht verklären aber auch nicht verteufeln tut, der die Schwarzmalerei unterlässt, jedoch auch nicht die Schattenseiten der jüngeren Geschichte unterschlägt. Hier ist er also, aus der Feder des Autorenpaars Sylvia Vandermeer und Frank Meierewert, die stellvertretend für eine ganze Generation eine handvoll Protagonisten unterschiedliche Wege gehen lassen, dabei menschliche Abgründe aufzeigen, aber eben auch Momente des Glücks im Kleinen, sowie natürlich auch im Großen. Aus wechselnder Sicht wird erzählt, wie der vielzitierte Mantel der Geschichte sich öffnete und die Menschen diese Chance ergriffen und vollzogen.

Das geschieht in sehr kompakter Form, die überraschend ist, da die erzählte Zeitspanne doch schon 1977 ansetzt und allen Figuren, die wir von Kindesbeinen an verfolgen, genug raum eingeräumt wird. Aus wechselnder Perspektive heraus werden dabei nicht nur die großen historischen Momente aufgerollt, sondern liebevoll Alltagsszenen auserzählt, die eine ganze Generation prägten. Nicht genug, auch wechseln die Handlungsorte quer durch die DDR, um so sehr effektvoll, doch ohne großes Geschrei Differenzen, Widersprüche und Wandel aufzuzeigen, von der innerdeutschen Grenze ins ländliche Thüringen, von Leipzig bis nach Berlin.

Viel zu viel möchte man meinen für so wenig Seiten, gibt doch all das viel mehr Erzählstoff her, doch die Schreibenden lassen ihren Protagonisten Spielraum, ohne jedoch zu Gunsten von wenigen, andere Handlungsstränge zu verlieren. Wer die Zeit bewusst erlebt hat, findet sich da sicher irgendwo wieder, wer nicht taucht ein und erlebt Geschichte. Frank und Meierewert lassen Orte vor dem inneren Auge entstehen, so dass es wirkt, als würde man selbst im Verhörraum der Stasi sitzen oder im Kirchenraum, im Ungewissen, was nach der Predigt gleich passieren wird. Anderes hat sich längst ins kollektive Gedächtnis eingebrannt, selbst wer das nicht aus eigenem Erleben heraus erfahren hat.

Vor allem die Unaufgeregtheit, mit der die Schreibenden dies aufgerollt haben, trägt dazu bei, dass ein Sog entsteht, den man sich nicht entziehen mag. Dabei wird das Erzähltempo stetig gehalten, zudem wird man wahrscheinlich in allen Figuren etwas von sich und anderen finden. Man rollt manchmal die Augen über die Protagonisten und schließt sie doch ins Herz.

Gegensätze und Kontraste werden hier durch die erzählten unterschiedlichen Lebenswege, sowie durch die Zeit selbst aufgebaut, die noch zu Beginn des, nennen wir es einmal Gesellschaftsroman, die Protagonisten vor sich hertreibt, bis sich dieses Verhältnis umkehrt. Das funktioniert oft gut, manches hätte ich mir noch mehr auserzählt gewünscht. Nur mit zwei Szenen sind die Schreibenden hier ins Kitschige abgerutscht. Da hat jedoch der Perspektivwechsel im jeweils nächsten Kapitel entgegen gewirkt. Zum Glück, es wäre sonst durchaus schade gewesen.

Somit ist “Nur einmal mit den Vögeln ziehn”, was man sinnbildlich verstehen darf, eine durchgehend schlüssige, vergelichsweise ruhige Erzählung, über eine doch bewegte Zeit, ein Roman über ostdeutsche Perspektive, ohne bestimmte Narritive zu bedienen, die heute auch einmal ganz gerne populistisch genutzt werden, was hier sehr wohltuend wirkt. Zudem hat man das Gefühl, keinen wichtigen geschichtlichen Moment ausgespart zu haben, aber eben auch die Protagonisten nicht verliert, für mich als an der Historie interessierten Menschen auch sehr spannend zu lesen.

Wie dreht sich diese Perspektive wohl für mich, wenn dann weiter erzählt wird, und die Handlung meinen Erinnerungsraum beginnt zu berühren? Eine Fortsetzung des Romans ist zumindest angedacht. Man darf gespannt bleiben. Bis dato ist es ein Roman für jene, die diese Zeit bewusst erlebten, ob ost- oder westdeutsch und jene, die darum wissen und zumindest diese kleine Zeitreise unternehmen möchten.

Die Protagonisten, deren Handlungsstränge mal mehr, mal weniger verwoben sind, dann auseinanderlaufen, um sich in anderer Beziehung später zu überkreuzen, erzeugen eine Dynamik, die man vielleicht nicht immer wahrnimmt, welche jedoch keine Monotonie aufkommen lässt. Manchmal fehlen vielleicht ein paar Ecken und Kanten, bei Figuren, wovon andere wieder mehr als genug haben. Welche das sind, werden jedoch für alle Lesenden andere sein. Eventuell lohnt die Lektüre alleine dafür, das herauszufinden.

Autorin:

Sylvia Frank ist das Pseudonym des Schriftstellerpaares Sylvia Vandermeer und Frank Meierewert. Sylvia Vandermeer wurde 1968 geboren und studierte Betriebswirtschaftsleere in Passau. Im Jahr 2007 wurde sie an der Wirtschaftsuniversität Wien habilitiert. Darüber hinaus studierte sie Biologie, Bildende Kunst und Psychologie. Frank Meierewert wurde in Brandenburg a. d. Havel geboren und studierte Drehbuch an der Filmhochschule Wien, sowie Sozial- und kulturanthropologie, ebenfalls dort. Er ist ebenfalls als freiberuflicher Autor tätig.

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Sophie Hardach: Unser geteilter Sommer

Inhalt:

Die achtjährige Ella wohnt mit ihren beiden Brüdern, den Eltern und Großeltern nah an der innerdeutschen Grenze in Berlin, doch davon bekommt sie wenig mit. Ihr Leben besteht aus Sommertagen in der Datsche und Abenden in orangenen Ziehbadewannen. Bis ein Urlaub an der ungarisch-österreichischen Grenze ihrer Kindheit ein jähes Ende setzt und die Familie für immer auseinanderreißt.

Zwanzig Jahre später führt das Tagebuch ihrer Mutter Ella zurück nach Berlin. Mithilfe der Stasi-Akten versucht sie zu rekonstruieren, warum die Flucht damals so verheerend gescheitert ist. Und was mit ihrem kleinen Bruder Heiko geschah, den sie in all den Jahren niemals vergessen hat. (Klappentext)

Rezension:

Nur wenige handbeschriebene Seiten sind es, ein paar Notizen und ein Bild, die Ella zurück in eine längst verschüttet geglaubte Vergangenheit katapultieren. Plötzlich lassen die noch immer kaum verständlichen Ereignisse jener Tage sie nicht mehr los, die ihre Kindheit schlagartig beendeten. Bilder von der gescheiterten Flucht kommen wieder hoch, Erinnerungen an den kleinen Bruder, der von der Familie getrennt wurde, von dem es seit dem keine Spuren gibt. Die nun junge Frau sucht nun, mit den wenigen Anhaltspunkten, die ihr die Mutter hinterlassen hat, nach ihm. Noch immer stößt sie auf Mauern.

So beginnt die Handlung dieses Romans, der sich in die gute alte Tradition großer Familiengeschichten einreiht, sowie die Geschichte der Metropole an der Spree als Kulisse nimmt. Erfolgsgaranten, die allzu oft ins Kitschige abstürzen. Der Journalistin und Autorin Sophie Hardach ist der Spagat gelungen, Ereignisse zu erzählen, wie sie tatsächlich vor dem Hintergrund der Historie hätten stattfinden können.

Die Erzählung besteht aus einem klug zusammengestellten Puzzle der Handlungsstränge und Zeitebenen. Von beiden gibt es nicht zu viele. Wir begleiten einen jungen Archivaren, dem Zweifel an seine Arbeit kommen, über seinen Tisch gebeugt Papierstreifen zusammenklebend, um die Vergangenheit zu rekonstruieren. Sollen und möchten die Menschen wirklich wissen, dass der Freund, mit dem sie heute vielleicht noch Abende am Gartentisch verbringen, sie früher einst bespitzelt hat? Ist es nicht besser, bestimmte Punkte zurückzuhalten, zu verändern?

Wir begegnen dem Kind, dessen Leben sich schlagartig ändert, der späteren jungen Frau, die versucht, die Vergangenheit zu ergründen und zwischen Lüge und Wahrheit zu unterscheiden. Die Eltern, die im Wechselbad sich gezwungen sehen, sich zwischen relativer Sicherheit und ungewisser Freiheit, aber eben Freiheit, zu entscheiden. Die Großmutter, die einst für ihre Überzeugungen nach Buchenwald verbracht wurde, den neuen Staat begrüßte und erst mit seinem Ende beginnt, Illusionen zu hinterfragen.

“Ich sage dir, meine Parteifreunde wären entsetzt, wenn sie das alles wüssten. Das ist einfach irgendein Abschaum, der sich hier so was mit uns erlaubt. Ich werde mich beschweren, Horst. Ich lasse mir das nicht bieten, ich sorge dafür, dass die zur Ordnung gerufen werden.” “Du meinst, in der Partei weiß man nichts davon? Das ist die Partei, Trude.”

Sophie Hardach: Unser geteilter Sommer

Ineinander verschachtelt baut sich eine immer rasanter verlaufende Geschichte auf, deren Ende man ahnt, zumal die tatsächlichen Ereignisse bekannt sind, doch bringt die Autorin Themen zur Sprache, mit denen nicht wenige heute noch hadern dürften, unter deren Folgen zu leiden haben. Desillusionierung ebenso, wie Risse zwischen Familien, gescheiterten Fluchten und der Trennung von Familien sind in der Erzählung verwoben, ebenso die heute wichtigen Fragen der Aufarbeitung und Konfrontation mit der Vergangenheit.

Viele Themen sind das für einen vergleichsweise kompakt wirkenden Roman, der kein Wort zu viel verliert. Neben der Entwicklung der zwei Hauptcharaktere ist vor allem die Ausgestaltung der schon erwähnten Großmutter interessant. Viele Grautöne gibt es, jedoch auch klare Gegenpole.

Auch die sind glaubwürdig und nachvollziehbar. Die Geschichte selbst wird aus mehreren Perspektiven heraus erzählt, durchbrochen von Ausschnitten aus Akten, die Ella und Aaron, der junge Archivar, mit der Vergangenheit konfrontieren und immer wieder Momente der Unruhe und Anspannung einflechten. An manchen Stellen hätte der Text mehr Kühle und Härte ertragen können. Einiges wirkt fast zu sanft. Vielleicht kann man das aber auch nur so machen, wie von Sophie Hardach erdacht? Ist die Wirklichkeit nicht manchmal zu grob, zu unerträglich? Der Erzählung haben jedoch die Hintergrundrecherchen sehr gut getan.

Hier ein paar Zeilen weniger, dort ein paar mehr Ausführungen fehlen vielleicht, doch ist die Geschichte in sich schlüssig und gut zu lesen. Ruhige und Spannungsmomente wechseln sich im richtigen Maße ab. Wirklich überraschende Wendungen gibt es kaum. Man ahnt sehr schnell, worauf die Handlung hinauslaufen wird. Trotzdem werden Zeit und Geschehen sehr lebendig vor Augen geführt. Gerade wenn man Berlin kennt oder gar die letzten Jahre der DDR miterlebt hat (Das wiederum kann ich mir nur vorstellen.), für jene gibt es einige gelungene Verknüpfungspunkte.

Wer sich gerne in Familiengeschichten verliert und sucht, was Schicksalsschläge mit Menschen macht, wer Romane vor zeithistorischer Kulisse sucht, dennoch einen zum Großteil eher ruhig gehalten Schreibstil bevorzugt, für jene ist diese Erzählung. Figuren und darum gewobene Geschehnisse sind erfunden. Alleine, sie hätten so passieren können.

Autorin:

Sophie Hardach wurde 1979 in Deutschland geboren und ist Autorin und Journalistin. Sie schreibt für The New York Times und den Guardian. Ihr Roman “Unser geteilter Sommer” war für den Costa Novel Award” nominiert. Mit ihrer Familie lebt sie in London.

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Michael Göring: Dresden – Roman einer Familie

Inhalt:

Fabian reist 1975 zum ersten Mal über die deutsch-deutsche Grenze zur Familie Gersberger nach Dresden. Danach kommt er fast jedes Jahr. Er verliebt sich in Anne, freundet sich an mit ihrem Bruder Kai und wird Zeuge, wie die Unzufriedenheit mit dem Staat von Jahr zu Jahr wächst. Gleichzeitig erlebt Fabian eine zwischenmenschliche Wärme in der Familie, die ihn, den Westbesucher, herausfordert und verändert.

Michael Göring schreibt eine bewegende Familiengeschichte und erzählt einfühlsam und präzise von den entscheidenden Jahren 1975-1989. (Klappentext)

Rezension:

Wie umfassend kann ein zeithistorisches Portrait sein? Wie komplex die Betrachtungen der Sichtweisen und wie vielschichtig die Protagonisten? Daran scheitern die Schreibenden großer historischer Romane immer wieder, zumal wenn zwischen vergleichsweise wenigen Seiten viel erzählt werden soll.

Besser ist es, sich auf einen genau umrissenen Ausschnitt zu konzentrieren. Das versucht der Schriftsteller Michael Göring mit seiner Erzählung “Dresden – Roman einer Familie”.

Die in Zeitsprüngen erzählte Handlung umfasst die letzten Jahre der DDR, deren Wandel er aus der Sicht des zunächst wohlwollenden Westbesuchers erzählt, der jugendlich optimistisch zunächst die Schwächen des Systems großzügig übersieht, wozu auch die ihm umgebenden Protagonisten beitragen.

Der Besucher von “Drüben” soll einen guten Eindruck bekommen, schon die menschliche Wärme der Gastgeber nimmt Fabian in sich auf, nichts ahnend, dass sein Schicksal vom ersten Treffen an mit denen der Gersbergers eng verknüpft sein wird. So erlebt auch er immer mehr das Leben hinter der zunehmend bröckelnden Fassade, aber auch die verschiedenen Innenansichten, die die Jahre 1975-1989 prägten.

Der Autor zeichnet die Protagonisten klar, die jenigen, die sich im System eingerichtet haben und ihr kleines Glück gefunden haben, eben so, wie diese, die an den Schwächen zweifeln oder gar ihr Heil in der Flucht suchen. Das gelingt an vielen Stellen, anderes muss man mit eigenen Erfahrungen abgleichen oder mit den Geschichten, die einem selbst erzählt worden.

Klar ist, der Autor bringt in den Hauptprotagonisten teilweise seine Perspektive ein, die wohlwollend wirkt, aber nichts übersieht. Gleichsam machen auch die anderen Figuren eine langsame Wandlung durch, verstärkt durch den Kontrast der Zeitsprünge, die kapitelweise erfolgen.

Beim Lesen muss bewusst sein, dass es neben dieser auch unzählige andere Sichtweisen gibt, ja, geben muss, der Fokus liegt hier aber vor allem auf die familiäre Dynamik zwischen den Jahren, derer man sich nicht entziehen möchte.

Es ist kein Roman mit Knalleffekt oder mit Zeigefinger, zumal an nicht wenigen Stellen einfach zu knapp gehalten, gar ein sprachlicher Geniestreich. Eine nette Familiengeschichte bekommt man. Nicht mehr und nicht weniger. Manchmal reicht das aber.

Autor:

Michael Göring wurde 1956 in Lippstadt geboren und ist ein deutscher Schriftsteller. Zuinächst studierte er Anglistik, Geografie, Amerikanistik und Philosophie, bevor er sich mit englischen Literaturwissenschaften beschäftigte.

1986 war er als Hochschulassistent an der Universität München tätig und wechselte darauf zur Studienstiftung des deutschen Volkes nach Bonn. 2011 erschien sein erster Roman, darauf folgten weitere. Er ist Mitglied und Vorsitzender der ZEIT-Stiftung und lehrt an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg. Göring wurde mehrfach ausgezeichnet und gehört zu den Initiatoren der Charta der Digitalen Grundrechte der Europäischen Union.

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Matthias Drobinski/Thomas Urban: Johannes Paul II.

Johannes Paul II. - Der Papst, der aus dem Osten kam  Book Cover
Johannes Paul II. – Der Papst, der aus dem Osten kam Matthias Drobinski/Thomas Urban C.H. Beck Erschienen am: 17.02.2020 Seiten: 336 ISBN: 978-3-406-74936-0

Inhalt:

Johannes Paul II. (1920-2005) war ein Jahrhundertpapst. Er begeisterte die Massen, und seine Besuche in Polen zeigten den Menschen im Ostblock: Es gibt eine Kraft, die stärker ist als der kommunistische Staatsapparat.

Doch so sehr Karol Wojtyla in seiner Heimat stets die Reformer in der Kirche unterstützt hatte – als Papst regierte er selbst autoritär, beschnitt die Unabhängigkeit der Ortskirchen und maßregelte Theologen. Matthias Drobinski und Thomas Urban erzählen keine Heiligengeschichte, sondern porträtieren eine faszinierende Persönlichkeit, die Revolutionär und Reaktionär in Einem war. (Klappentext)

Rezension:

Im Jahr 1978 begann eines der längsten Pontifikate der Geschichte. Karol Wojtyla, der sich fortan Johannes Paul II. nannte, wurde zum Papst gewählt und ließ die kommunistische Welt aufhorchen. Krisensitzungen im Moskauer Kreml und in Warschau folgten, hatte der Pole doch schon seit seiner Priesterweihe nach dem Zweiten Weltkrieg immer wieder für Aufmerksamkeit und Schwierigkeiten bei den Machthabern gesorgt.

Auch als Papst blieb er Hoffnungsträger für Hunderttausende. Doch, der Mann, der aus dem Osten kam, blieb sich treu und für viele auch hoch umstritten. Die kirchliche Ökomene förderte er, doch gegen Missbrauch in der Kirche unternahm er nichts, auch seine Einstellung gegenüber Frauen, Verhütung und Sexualität waren konservativ. Zu konservativ für eine sich im Umbruch befindliche Welt. Doch, wer war Karol Wojtyla eigentlich? Der Mann, der die katholische Kirche ins neue Jahrtausend führen sollte.

Beitrag aus der Dokumentation “100 Jahre – Der Countdown”, 1981 – Schüsse auf den Papst.

Die Journalisten und Autoren Thomas Urban und Matthias Drobinski zeichnen das vielschichtige Porträt eines Menschen, der zuweilen so widersprüchlich ist, wie die Institution, der er sein Leben verschrieb. Auf relativ wenigen Seiten wird das längste Pontifikat seit mehreren Jahrhunderten dargestellt, aber auch der Weg dorthin minutiös aufgezeichnet.

Welche Wegsteine markierten die Biografie eines Mannes, der Geschichte schreiben und selbst eine solche werden sollte? Wie entwickelte Wojtyla, später als Papst Johannes Paul II., seine Ansichten und woran lag es, dass der einst so progressive Pfarrer, Bischof und Kardinal mit dem Alter immer konservativer wurde?

Beschrieben wird nicht nur der Lebensweg und die Schwierigkeiten der kirchlichen und politischen Auseinandersetzungen, denen sich der “Reisepapst” ausgesetzt war, sondern immer wieder auch Momente, die Geschichte schrieben. Das Attentat auf den Papst gehört ebenso dazu, wie auch die Unterstützungen der Streikenden auf der Lenin-Werft in Danzig, um Lech Walensa, Beginn des schleichenden Zusammenbruchs der kommunistischen Regime im Osten.

Ungeschönt wird das Bild wiedergegeben, welches sich schon zu Lebzeiten formte, auch die Debatte um die Stellung der Frau in der Kirche, die neuen Schwung aufnahm und in derer der Papst auch viele Gläubige enttäuschte, wird dargestellt.

Intensive Recherchearbeit in Archiven, die Sichtung von Interviews und Berichten gingen der Arbeit voran, in derer die Autoren darstellen, welchen Einfluss Papst Johannes II., der sich der Ökomene verschrieben sah und für den Frieden in der welt kämpfte, doch so voller Widersprüche war, auf die Kirche nahm. Sie zeigen, wie der Mann, der über ein Vierteljahrhundert lang, das Schicksal der Katholiken bestimmte, die Kirche über sein pontifikat hinaus bestimmte und welches Erbe er seinen Nachfolgern hinterlies.

Abgesehen von manchen Längen, die wohl alle Biographien aufweisen, ist diese hier leicht zu lesen, ist doch die Zeit, in der Karol Wojtyla voller hochspannender Ereignisse und Wendungen. Die Autoren zeichnen ungeschönt ein facettenreiches Bild mit all seinen Widersprüchen in handlichen Kapiteln.

Nachvollziehbar auch für die jenigen, die das Weltbild des Johannes Paul II. jetzt nicht vertretetn. Urban und Drobinski zeigen, welche Zeichen das Oberhaupt der Katholiken in die Welt sendete und was davon bleibt. Im Guten, wie auch im Schlechten.

Der erste Medienpapst der Geschichte, der den Vatikan in kleinen Schritten veränderte und doch manche, vielleicht zu hoch an die Institution gestellten, Erwartungen enttäuschte, im Spiegel der Zeitgeschichte und an dessen Leben nicht nur die Katholiken bis zuletzt Anteil nahmen. Wie bewerten wir heute den Polen Karol Wojtyla und sein Pontifikat als Papst Joannes Paul II.?

Die Autoren mit dem Versuch einer sehr vielschichtigen Darstellung.

Autoren:

Matthias Drobinsi wurde 1964 geboren und ist ein deutscher Journalist und Autor. Nach dem Abitur studierte er Geschichte, katholische Theologie und Germanistik in Gießen und Mainz, begann danach eine journalistische Ausbildung an der Henri-Nannen-Schule in Hamburg. 1993 begann er als redakteur für die Zeitung Publik-Forum, später für Die Woche zu arbeiten, auch recherchierte er für mehrere öffentliche Rundfunk- und Fernsehsender.

Seit 1997 arbeitet er für die Süddeutsche Zeitung als innenpolitischer Redakteur und ist dort für Kirchen und Religionsgemeinschaften zuständig-

Thomas Urban wurde 1954 geboren, ist ebenfalls Journalist und Autor, studierte Romanistik, Slavistik und osteuropäische Geschichte. Nach mehreren Stationen arbeitete er zunächst beim Bundessprachenamt.

Nach einem besuch der Henri-Nannen-Schule war er für verschiedene Presseagenturen tätig, später wechselte er zur Süddeutschen Zeitung, wo er als Osteuropa-Korrespondent tätig wurde, sowohl aus Warschau und Moskau berichtete, als auch vom Abchasien- oder dem ersten Tschetchenienkrieg. 2012 übernahm er das Korrespondentenbüro in Madrid.

Beide sind Verfasser mehrerer Sachbücher.

Matthias Drobinski/Thomas Urban: Johannes Paul II. Read More »