verdrängung

Ariel Magnus: Das zweite Leben des Adolf Eichmann

Inhalt:
Ein Roman aus der Perspektive Adolf Eichmanns über seine Zeit in Argentinien.

Mit beißendem Spot nimmt uns Ariel Magnus mit ins Innere des unbelehrbaren Nazis, dessen antisemitischer Irrglauben auch im argentinischen Versteck ungebrochen war und der dort bar jeder reue und völlig unbehelligt von einer Rückkehr nach Deutschland träumen konnte – bis zu seiner Verhaftung 1960.
(Klappentext)

Rezension:

Buenos Aires, 11. Mai. Ein Mann, seit fünfzehn Jahren auf der Flucht. Dann geht alles sehr schnell. Die Überwältigung und Entführung Adolf Eichmanns durch Agenten des israelischen Geheimdiensts Mossad im Jahr 1960 sorgte weltweit für Aufsehen.

Einem der größten Schreibtischtäter und Organisatoren des Holocausts sollte der Prozess gemacht und einem gerechten Urteil zugeführt werden. Seit 1950 versteckte sich der Bürograt des Todes, der einst die Deportationszüge in die Konzentrationslager organisierte und bei der berüchtigten Wannsee-Konferenz Protokoll führte, in Argentinien, unter falschen Namen, von den Geheimdiensten mehrerer Staaten schon länger beobachtet.

In Tel Aviv vor Gericht gestellt, plädiert der Mann, der sich als bloßer Befehlsempfänger sieht, auf „Nicht schuldig!“. Eichmann zeigt keine Reue und wird wegen seiner Taten zum Tode verurteilt. So viel zu den tatsächlichen Geschehnissen, doch wie kam es zu der Entdeckung des Mannes, der sich so lange einer gerechten Strafe entziehen konnte?

Wie lebte, was dachte der Mann, der Millionen von Menschen auf dem Gewissen hatte? Der Journalist und Schriftsteller Ariel Magnus hat einen Blick hinter der Fassade versucht. Dabei ist ein Roman entstanden, den man sich kaum entziehen kann.

Es ist eine Qual, in die Geschichte einzufinden, da gleich von Beginn an aus der Perspektive Eichmanns erzählt wird. Die Sicht eines Mannes, der verdrängt, wird eingenommen, nichts schlechtes an seinen Taten und Entscheidungen sehen will und sich dennoch ständig vor Familie und anderen Untergetauchten, nicht zuletzt vor sich selbst rechtfertigt. Dabei wirken die Sätze so spröde und starr, wie man sie nur einem Bürokraten angedeihen lassen kann, nicht leicht zu lesen.

Ariel Magnus hat es geschafft, dass immer eine gewisse Distanz zum Hauptprotagonisten gehalten wird, zugleich jedoch unwillentlich fasziniert ist von dieser Figur. Dabei bleibt der Autor sehr dicht an verbürgten Geschehnissen, Ergebnis intensiver Rechercheleistung. Ein paar Dialoge mögen der schriftstellerischen Phantasie entsprungen sein, der Rest lässt sich anhand von Protokollen etwa, Beobachtungen oder Tonbandaufnahmen aus dieser Zeit verifizieren.

“Erstens muss ich Ihnen sagen, mich reut gar nichts”, sagte er, auch wenn er vorgehabt hatte, das am Ende zu sagen. “Es wäre sehr leicht für mich, mich reuig zu zeigen, so zu tun, als wäre aus einem Saulus ein Paulus geworden.”

Ariel Magnus: Das zweite Leben des Adolf Eichmann

Auch wenn man die Geschichte und ihren Ausgang kennt, hat man einen ungeheuer dicht erzählten und spannenden Roman vorliegen, in dem der Protagonist verklärt auf seine Taten blickt, versucht, seine neue Rolle zu finden, in ständiger Angst, doch noch entdeckt zu werden. Die ständige Anspannung ist zwischen den Zeilen zu spüren, wird mit fortschreitender Handlung größer. Der Schriftsteller indes ist fortwährend bei einem eher ruhigen Erzählstil geblieben und hat es dabei auch noch geschafft, einen Teil seiner eigenen Familiengeschichte mit einzuweben.

Bleibt die Frage, darf man das? Einem der größten und schrecklichsten Schreibtischtäter des Holocausts in gewisser Weise wieder lebendig werden lassen? Ariel Magnus schafft es, Eichmann zu entlarven, als das was er war. Mittelmäßiger Trottel, Rachsüchtiger mit Komplexen. Ein Kackhaufen, dem es lange genug gelungen war, seinen Geruch zu verschleiern. So beschreibt ihn der Autor. Vielleicht ist es das, was aus der Erzählung mitgenommen werden kann? Irgendwann fällt jeder Geruch auf.

Die wahre Geschichte:

Wikipedia I Biografie I Operation Adolf Eichmann

Autor:

Ariel Magnus wurde 1975 in Buenos Aires geboren und ist ein argentinischer Schriftsteller und Übersetzer. Er besuchte die deutsche Schule und studierte von 1999 an Romanistik und Philosophie in Heidelberg und Berlin. An der Humboldt-Universität arbeitete er zudem am Lehrstuhl für Spanische Literatur. Für verschiedene argentinische zeitungen und Zeitschriften schreibt er regelmäßig Beiträge und veröffentlichte 2007 einen Roman, für den er mit dem Literaturpreis La otra Oriella ausgezeichnet wurde. Seine Werke wurden in zahlreichen Sprachen übersetzt. Bekannt wurde er einer breiteren Öffentlichkeit mit seinem 2006 veröffentlichten Buch , in welchem er seiner deutsch-jüdischen Großmutter ein Denkmal setzte, welches 2012 ins Deutsche übersetzt wurde und unter dem Titel “Zwei lange Unterhosen der Marke Hering” erschien.

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Petra Reski: Als ich einmal in den Canal Grande fiel

Inhalt:

Der Fischer, der Opernarien schmettert. Der Conte, der gegen die Gondelserenaden kämpft. Der Gemüsehändler, der inmitten von Touristenströmen um seine Existenz bangt. Petra Reski kennt sie noch, die alten Venezianer und die Geheimnisse dieser Stadt, sie zeichnet ein wehmütiges Bild von Venedig, dessen Ausverkauf an den reinen Kommerz beschlossene Sache zu sein scheint. Ihr Buch ist ein leidenschaftlicher Erfahrungsbericht aus dem Sehnsuchtsort Venedig – der fasznierendsten Stadt der Welt. (Klappentext)

Rezension:

“Siamo solo quattro gatti.”, wir sind nur noch vier Katzen, raunen sich die Alteingesessenen mitunter zu, wenn sie sich begegnen. Immer weniger gibt es von ihnen, in der Lagunenstadt Venedig, in der das Leben immer teurer wird, traditionsreiche Geschäfte zugunsten der Touristenmassen verschwinden. In einem Schaufenster einer Apotheke wird die stets sinkende Einwohnerzahl angezeigt. Nie werden es mehr.

Da, um die Ecke, wurde wieder eine Wohnung aufgegeben, um es in ein Airbnb zu verwandeln, die Stadtoberen verscherbeln derweil Palazzo um Palazzo oder versenken Milionen von Euro in zweifelhaften Bauprojekten. Es ist ein bitterer Blick auf eine Stadt, die dem Untergang geweiht scheint, den die Journalistin und Autorin Petra Reski hier aufzeigt, eine, die sich 1989 für eine Reportage nach Venedig kam, sich verliebte und blieb.

Sie kennt sie noch, die Gemüsehändler, die Handwerker, die Gondolieri, die Fischer, die von der Politik auf das Festland verdrängt werden. Tourismus als Allheilmittel, die bröckelnden Bauten als Fassade, die alten Einwohner, sie stören dabei nur. Die Autorin nimmt ihre Leserschaft mit, durchstreift enge Gassen und Kanäle, fällt dabei auch schon mal ins Wasser. Sie erzählt von ihren Lieben, die Lagune selbst und dem Venezianer, der die Geschichte der Stadt in jedem Holzbalken, in jeder Fliese sieht, und von den Problemen, die kein Tourist sehen kann. Für den ist Venedig längst das Disneyland Italiens.

Bei aller Liebe herrscht der journalistisch kritische Blick vor. Reski beschreibt alle Fascetten des Lebens in der Lagunenstadt und ihre Annäherung an ihre Bewohner. Viele Aspekte werden aufgeführt, Bauprojekte gezeigt und vor allem geschildert, wie Venedig über Jahrzehnte, erst schleichend, dann immer schneller, dem Kommerz zum Opfer gefallen ist. Nach der Lektüre wird man kaum mehr dorthin reisen können, zumindest nicht ohne Bedenken oder anderen Blick als der Otto-Normal-Tourist. Es ist ein melancholischer, verletzlicher Zustandsbericht, der hier vorliegt. Von Kapitel zu Kapitel streifen wir durch Kanäle, Straßenzüge, Plätze und Stadtviertel und begegnen venezianischen Originalen und allen, die sich dafür halten.

Das alte Venedig ist arg bedroht. Plätze, fernab der Touristenmassen gibt es nicht mehr. Restaurants und Bars, die die traditionellen Gerichte der Venezianer anbieten, passen sich dem Massengeschmack an oder müssen schließen. Die Politik macht ihren Bürgern das Leben schwer und zwingt sie in Trabantenstädte. Die letzten Venezianer kämpfen einen fast aussichtslosen Kampf voller Hürden. Petra Reski gibt ihnen eine Stimme und erzählt davon.

Autorin:

Petra Reski wurde 1958 geboren und ist eine deutsche Journalistin und Autorin. Nach ihrem Studium der Romanistik und Sozialwissenschaften in Trier, Münster und Paris besuchte sie die Henri-Nanneen-Schule und begann 1988 als Redakteurin im Auslandsresort des Magazin Stern zu arbeiten. Seit 1991 lebt sie in Venedig und schreibt für deutschsprachige Magazine. Über die Mafia schrieb sie mehrere Reportagen, vor allem aber Romane, um juristischen Auseinandersetzungen aus dem Weg zu gehen. Für ihre Arbeit wurde sie mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Emma-Journalistinnen-Preis 2010.

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Bernd Fischerauer: Burli

Burli Book Cover
Burli Bernd Fischerauer Verlag: Picus Erschienen am: 27.02.2017 Seiten: 287 ISBN: 978-3-7117-2046-7

Inhalt:

Adolf, genannt Burli, erlebt in den Jahren des Wirtschaftswunders nicht nur erste erotische Freuden, er steht auch knapp davor, die Nazi-Vergangenheit seines Vaters, des biederen Keksvertreters, aufzudecken. Ein spannender Schelmenroman, der heftig am Mythos der Stunde Null kratzt. (Klappentext)

Rezension:

Verantwortlich sind wir dafür nicht, aber Verantwortung tragen wir dafür. Dieser Satz könnte Arbeitstitel für diesen Roman gewesen sein und so tauchen wir in die Geschichte eines Teenagers ein, der ein gut gehütetes Geheimnis aufdeckt.

Eigentlich könnte Adolf, von allem zu seinem Überdruss Burli genannt, in den Tag hineinleben. Der Dreizehnjährige brilliert in der Schule, schreibt Artikel für die Jugendseite der städtischen Zeitung und macht bei Schultheaterproben mit, um seiner Angebeteten näher zu sein.

Zudem macht der Pubertierende erste erotische Abenteuer und auch sonst ist das Leben in Graz und Umgebung schön. Wenn man einmal von den Eltern absieht, die streng seine kleine Schwester und ihn züchtigen, und den alten Zeiten nachtrauern.

Es ist die Zeit des Wirtschaftswunders, die Nachkriegszeit in Österreich. Doch, Burli bekommt eines Tages ein Foto zu Gesicht, welches sein Leben verändern und die heile Welt seiner Familie zum Einsturz bringen wird.

Der österreichische Schriftsteller Bernd Fischerauer hat kurz vor seinem Tode mit “Burli” einen wichtigen Roman herausgebracht, den es unbedingt zu beachten gilt. Die Verarbeitung der verdrängten Vergangenheit, sein Lebensthema, findet hier ihren Abschluss und so sticht die Erzählung in Wunden, die Ewiggestrige nur allzu gerne verschlossen sehen.

In dichter Folge drängen sich kurzweilige Kapitel aneinander, die aus Perspektive eines Nicht-mehr-Kindes-aber-auch-noch-nicht-Erwachsenen, die Misere aufzeigen, in deren Konflikt sich mehrere Generationen direkt nach den Zweiten Weltkrieg befanden.

Zum einen die Elterngeneration, die sich oft genug auf die Befehlsgewalt gerufen und von allem nichts gewusst haben will, zum anderen die Kinder und Juigendlichen, die die grausamen auswirkungen nicht mehr bewusst erlebt, aber das Handeln ihrer Eltern in Frage gestellt hatten.

Diesen Spagat aufzuzeigen, mit Hilfe des sympathischen Protagonisten Burli, ist Fischerauer überaus gelungen.

Eine Lösung bietet der Autor freilich nicht. Am Ende bleiben Schmerz und Scherben, und die Erkenntnis, dass die einst so angebeteten Erwachsenen auch nur Menschen sind, die Fehler machen. In diesem Falle sind sie unverzeihlich.

Fischerauer stellt die Selbstinszenierung der Kriegsgeneration gegen die Unschuld der nachfolgenden, die zurecht hinterfragt. Auch wenn’s weh tut. Wer hat was wann im Krieg getan und warum? Wer stand auf welcher Seite und wer hat aus begangenen Fehlern gelernt?

Fragen, für die man mancherorts ausgegrenzt und als Nestbeschmutzer beschimpft wurde, die aber viel zu wenig gestellt wurden. Alleine, dass es in diesem Roman Burli tut, ist eine Wohltat. Durchsetzt mit viel Humor wird die ernste Handlung aufgelockert, nicht zuletzt die Beschreibungen der amorösen Abenteuer tun ihr übriges, um den Lesern ein Schmunzeln ins Gesicht zu zaubern. Teenager sind doch zu jeder Zeit dann doch irgendwie gleich.

Der beschriebene Umbruch vom Kind zum Jugendlichen, zum werdenden Schriftsteller, hat Fischerauer in Form seines Protagonisten unglaublich nahbar beschrieben. Jede Zeile einfühlsam, die Spannung wird nur langsam aufgebaut, hält sich aber über die ganze Erzählung.

Wenn man dem Autor etwas ankreiden möchte, und das ist Meckern auf ziemlich hohen Niveau, ist es, dass er die Geschichte nicht zu Ende geschrieben hat.

Tatsächlich ist das Ende nicht harmonisch (im Sinne von stilistisch rund und schlüssig). Ansonsten aber ist “Burli” eine wunderbare Erzählung über das Ende der Kindheit, die erste Liebe, Fehlleitungen der Eltern, einer Gesellschaft im Umbruch, dem Hinterfragen der Vergangenheit und ein Spiegelbild der österreichischen Nachkriegszeit.

Im Hinblick auf das Heute wäre es vielleicht wünschenswert, hätte es mehr Burlis dieser Art gegeben.

Autor:

Bernd Fischerauer wurde 1953 in Graz geboren und war ein österreichischer Regisseur, Schauspieeler, Drehbuch- und Romanautor. Der zuletzt in München lebende Autor studierte nach dem Abitur in Graz und beendete dies mit der Regieklasse, 1965. 1968 begann er mit ersten Inszenierungen, die er ab 1969 am Wiener Volkstheater fortsetzte.

In den 1970er Jahren schrieb er zunehmend Drehbücher für’s Fernsehen und arbeitete ab 1971/72 als Regisseur. 1982 inszenierte er den Film “Blut und Ehre – Jugend unter Hitler”. Für seine Arbeit erhielt er mehrere Auszeichnungen und Nominierungen, darunter der Adolf-Grimme-Preis.

2017 erschienen zwei Bücher von ihm, “Burli” darunter ist sein erster Roman gewesen. Fischerauer starb 2017 in München, wo er zuletzt lebte.

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