Verdacht

Samantha Harvey: Westwind

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Westwind Samantha Harvey Atrium Verlag Erschienen am: 18.09.2020 Seiten: 383 ISBN: 978-3-85535-077-3 Übersetzer: Steffen Jacobs

Inhalt:

England, 1491. In dem kleinen, abgelegenen Dorf Oakham bereitet man sich gerade auf die bevorstehende Fastenzeit vor, als eines Nachts ein Unglück geschieht. Thomas Newman, der wohlhabendste und einflussreichste Mann im Ort, wurde von der Strömung des Flusses mitgerissen.

Ein paar Tage später taucht seine Leiche auf. War es ein Unfall, Mord oder Selbstmord? Dies herauszufinden, obliegt dem örtlichen Priester John Reve. Während sich durch die Beichten der Dorfbewohner langsam ein Porträt der Gemeinde zusammensetzt, kommen immer dunklere Geheimnisse ans Licht. Die Schuldfrage wird immer dringlicher. (abgeänderte Inhaltsangabe)

Rezension:

Szenarien bietet die Epoche des finsteren Mittelalters genug, so dass Fans historischer Romane sicher genug Auswahl haben. Die Themen sind so vielfältig, wie die historischen Figuren, selbst, wenn man frei schreibend, sich nicht an tatsächliche Geschehnisse orientiert.

So oder ähnlich hätte es ablaufen, die Stimmung unter den Protagonisten sein können. Dieses Gefühl mit einer Geschichte bei der Leserschaft zu wecken, dabei zu unterhalten, sollte das Ziel sein. Gelingt das, ist alles gut. Und dann gibt es noch Romane, wie den vorliegenden von Samantha Harvey.

Historische Romane bieten Platz für das ganz große Kino, was man rein, den Klappentext betrachtend, erwarten darf. Ein Priester in Konfrontation mit dem Glauben, die Dorfbewohner durch den Tod eines Menschen verunsichert, der am wenigsten dafür prädestiniert zu sein schien.

Ausufernde Intrigen, temporeiche, sich überschlagende Spannungsmomente und die Düsternis der Zeit. Auf diese freut man sich, nach dem Lesen der Inhaltsangabe, der ersten Zeilen, die aus der Sicht des Hauptprotagonisten geschrieben sind. “Westwind”, bietet jedoch allenfalls nur Schmalspur.

Gleichsam wie das beschriebene Dorf ist auch in dieser Erzählung alles mehrere Nummern kleiner. Spannungsmomente können ihre Wirkung kaum eine Seite lang halten, so dass das Tempo dem eines vor sich hin plätschernden Baches gleicht.

Das ist auf der Strecke ermüdend, zumal nur die Hauptprotagonisten einigermaßen vielschichtig sind, während der Rest der Figuren relativ farblos erscheint. Die Stimmung, die Samantha Harvey erzeugen wollte, kommt hier nicht auf, zudem das Ende mich unbefriedigt zurückgelassen hat.

Liegt es am Hintergrund des gestalteten Protagonisten, dem Szenario, der Idee dahinter? Nein, aber Sprache bedingt Wirkung, Spannungsbögen halten Lesende bei der Stange. Beides setzt die Autorin auf’s Spiel, zudem hier mehr Zwiespalt innerhalb der Figurenkonstellationen gepasst hätte und vielleicht noch die eine oder andere Verwicklung mehr.

Mit dem vorliegenden hätte man weniger Seiten besser füllen können. Unter historischer Spannungsliteratur stelle ich mir anderes vor, auch als detektivischer Roman, angesiedelt im Mittelalter, ist mir das zu dünn. Leider.

Autorin:

Samantha Harvey wurde 1975 geboren und ist eine englische Autorin. Zunächst studierte sie Kreatives Schreiben und Philosophie, bevor sie ihren ersten Roman im Jahr 2009 veröffentlichte. Kreatives Schreiben unterrichtet sie zudem an der Bath Spa University, wo sie als Dozentin tätig ist.

Harvey wurde mehrfach ausgezeichnet und erhielt u.a. den AMI Literature Award. Im Jahr 2010 wurde sie von The Culture Show zu einer der zwölf besten neuen britischen Schriftstellerinnen ernannt.

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Martina Borger: Wir holen alles nach

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Wir holen alles nach Martina Borger Erschienen am: 25.03.2020 Diogenes Seiten: 204 ISBN: 978-3-257-07130-6

Inhalt:

Job und Kind unter einen Hut – die alleinerziehende Sina jongliert damit seit Jahren. Seit kurzem wird sie von ihrem neuen Partner Torsten dabei unterstützt.

Und sie haben Ellen, Ende sechzig, die sich engagiert und liebevoll um Sinas Sohn Elvis kümmert und das hat, was er sich so wünscht: Zeit, Geduld – und einen Hund. Doch dann widerfährt dem sensiblen Jungen etwas Schlimmes. Da er sein Geheimnis nicht preisgibt, spinnt sich ein fatales Netz aus Gerüchten um die kleine Patchworkfamilie. (Klappentext)

Rezension:

Sobald man an der Oberfläche kratzt, zeigen sich erst kleine, dann immer größere Risse, die sich schnell zu tiefen unüberwindlichen Gräben ausweiten. Und das nicht einmal absichtlich. Grob könnte man damit die Handlung dieses, zu Beginn sehr betulichen Familienromans, beschreiben, wie sie so oft in den Regalen zu finden sind.

Doch hat die Geschichte aus der Feder Martina Borgers seine Berechtigung, mögen doch gerade die hier beschriebenen Szenen allzuoft in unserer Gesellschaft vorkommen.

In den Protagonisten mag man sich wiederfinden. Allesamt nachvollziehbare Charaktere. Die überarbeitete Mutter, deren berufliche Existenz zu wackeln beginnt, die ältere und hilfsbereite Dame aus der Nachbarschaft und der sensible Filius, Dreh- und Angelpunkt, zugleich Sorgenkind.

Dazu der neue Partner, auch Patchwork ist nichts Ungewohntes. Irgendwo findet man da seine Identifikationsfigur, die die Autorin behutsam ausgearbeitet hat. Der Erzählstil ist dabei von der ersten Zeile an sehr ruhig, um so erschütternder das Ereignis, welches einen Stein ins Rollen und Geschwindigkeit in die Handlung hineinbringt.

Kurzweilig und überschaubar sind die einzelnen Kapitel, beschrieben aus der Perspektive der jeweiligen Hauptperson, wobei hier die Sichtweise des Kindes nur aus der Beobachtung der Erwachsenen heraus, die ihre Schlüsse ziehen, wiedergegeben wird.

Martina Borger erzählt ohne Ausschweifungen von einem schrecklichen Verdacht und von Konsequenzen unseres Handelns, oder eben einer möglichen Nicht-Handlung. Zugleich bringt sie viele Probleme unter, die Gang und Gäbe sind, hier nicht im Detail auserzählt werden. Hier hätte manches Wort mehr geschrieben werden müssen, zumindest Elvis’ Perspektive ausformuliert, wäre wünschenswert gewesen.

Die Erzählung kommt relativ unscheinbar daher, was aber nicht über die Wucht hinwegtäuschen sollte, die der Roman im Verlauf entfaltet. Martina Borger durchbricht die Stadt- und Kleinfamilienidylle, konfrontiert sie mit ihren Sorgen und Ängsten, zeigt, welche Kraft, ein einmal geäußerter Verdacht haben kann.

Doch, ist zu wenig Aufmerksamkeit an der falschen Stelle nicht erst Recht fatal? Leser werden es herausfinden.

Autorin:

Martina Borger wurde 1956 in Gunzenhausen geboren und ist eine deutsche Schriftstellerin. Nach der Schule durchlief sie eine Ausbildung als Produktionsassistentin und besuchte die DeutscheJournalistenschule in München. Von 1985-1997 erarbeitete sie u.a. Drehbücher für die Fernsehserie “Lindenstraße”. Seit 2001 veröffentlichte sie mehrere Romane. 2002 wurde sie mit dem Wiesbadener Frauenkrimipreis ausgezeichnet.

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Catherine Bruton: Der Nine Eleven Junge

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Der Nine Eleven Junge Autorin: Catherine Bruton Jugendbuch Bastei Lübbe/Baumhaus Hardcover (vergriffen) Seiten: 385 ISBN: 978-3-8339-0032-7
Verlinkt ist das E-Book.

Inhalt:

Ben war erst zwei jahre alt, als sein Vater bei den Anschlägen auf das World Trade Center ums leben kam und hat kaum Erinnerungen an ihn. Seitdem Ereignis hat er eine Sonderstellung, ist der Nine-Eleven-Junge. Zusammen mit seinem Cousin Jed verbringt er den Sommer bei seinen Großeltern und mit den Nachbarsmädchen Priti möchten sie Helden sein.

Held ist, wer Ehrenmorde verhindern kann und Terroristen schon von Weitem erkennt. Doch, wie so oft, kommt alles anders als man denkt. Ein Roman über die Folgen des 11. September für unser Denken in der Gesellschaft, über Trauer und Verlust, Vergessen, Familie und Freundschaft, Vorurteilen und falschen Verdächtigen, der zeigt, wie Nine-Eleven bis heute nachwirkt. (eigene Inhaltsangabe)

Rezension:

Zunächst ist es immer hilfreich, wenn sich ein Roman irgendwie in ein Genre einordnen lässt, doch diesen Gefallen tut uns Catherine Bruton mit ihrem Debüt nicht wirklich. Zwar wird „Der Nine Eleven Junge“ als Jugendbuch vertrieben, in der deutschen Übersetzung von Dietmar Schmitt als ein Imprint von Bastei Lübbe, doch kann man dieses Werk auch viel weiter fassen.

Vom Alter der Protagonisten her ist es eher an der Schwelle zum Jugendbuch einzuordnen, ansonsten All-Age-Literatur, mit ihrer Thematik ohnehin speziell.

Erzählt wird die Geschichte des zwölfjährigen Ben, der mit seinem ein Jahr älteren Cousin Jed und den Nachbarsmädchen Priti einen unvergesslichen Sommer verbringt. Alle drei haben einen besonderen Hintergrund, allen voran der scharf gezeichnete Hauptprotagonist, dessen Vater als einer der wenigen britischen Staatsbürger bei den Anschlägen auf das World Trade Center 2001 ums Leben kam.

Ben hat seitdem eine Art Sonderstellung, aber auch Jed und Priti haben jeweils ihre eigene Geschichte und freunden sich, so ungleich sie auch sind, miteinander an. Die Autorin erzählt dabei von Suche und Wahrheitsfindung, Verarbeitung und falschen Verdächtigungen, Schuld und in wie fern dieses schreckliche Ereignis auch heute noch wirkt.

Die Sprache der Protagonisten, nicht des Romans, ist zuweilen plump und bleibt oberflächlich, dennoch hat Catherine Bruton wandlungsfähige Protagonisten geschaffen und sich parallel entwickelnde Handlungsstränge, wobei der Fokus ganz klar auf die drei angehenden Teenies angelegt ist. Leider kommt dabei der erhobene Zeigefinger nicht allzu kurz, jedoch ist dieses Element der, aus der Ich-Perspektive geschriebenen, Geschichte vielleicht auch typisch für ein Jugendbuch, welches die Autorin wohl geschaffen haben wollte.

Die Handlung an sich ist schlüssig, hat aber einige Schwachstellen. Diese sind schon in den Charaktereigenschaften der Protagonisten angelegt, die gerade am Beginn der Geschichte einen gewissen Nervfaktor besitzen.

Davon abgesehen jedoch, liest sich der Roman flüssig und schnell, hat als kleinen Clou sogar am Ende einen Manga-Comic eingebaut, verbindet damit ohnehin schon verschiedene Genre der Literatur. Der Comic selbst spielt mit seiner Entstehung eine entscheidende Rolle im Buch, ist das Produkt der Verarbeitung der Geschehnisse um den Hauptprotagonisten. Mehr soll und kann nicht verraten werden.

Es lohnt sich jedoch, beide Teile als Einheit zu betrachten.

Die Geschichte mit Schwächen handelt von Freundschaft und Vertrauen, Verstehen wollen und Verarbeitung, jedoch auch von falschen Verdächtigungen und was sie auslösen. Catherine Bruton zeigt, wie dieses Ereignis teilweise immer noch das Denken der Gesellschaft prägt und welche Nachwirkungen daraus entstanden sind.

Nochmal, der Roman wird als Jugendbuch gehandelt, ist jedoch viel mehr. Als solche sollte er behandelt werden.

Autorin:

Catherine Bruton studierte in Oxford und unterichtete später selbst als Lehrerin. Für Online Portale und angesehene Zeitungen und Magazine, wie The Times oder the Guardian arbeitete sie als Journalistin. Mit ihrer Familie lebt sie in London. Dies ist ihr erstes Jugendbuch.

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