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Tatsuo Hori: Der Wind erhebt sich

Inhalt:

Die zwischen 1936 und 1938 entstandene Novelle “Der Wind erhebt sich”, betitelt nach einem Gedicht von Paul Valery, beschreibt die platonische Liebe des Ich-Erzählers zu seiner an Tuberkulose erkrankten Verlobten Setsuko. Ihre vom Tod überschattete, kurze Liason verleben sie größtenteils fernab der Gesellschaft in einem Lungensenatorium in den Bergen. Beruhend auf den persönlichen Erfahrungen schildert Tsatsuo Hori mit feinem Gespür die Psyche der beiden Protagonisten und ihre ambivalente Beziehung, was in der lyrischen Darstellung der Umgebung im Wandel der vier Jahreszeiten eine äußere Entsprechung findet.

Mit der Novelle “Der Wind erhebt sich” kann das Lesepublikum hierzulande eine der wichtigsten japanischen Kostbarkeiten des 20. Jahrhunderts nun erstmals auf Deutsch für sich erlesen und eine Tür in eine fremde und doch seltsam nahe Gedankenwelt öffnen. (Klappentext)

Rezension:

Im Vergleich zu anderen Region begegnet uns Japan zumindest literarisch noch sehr dosiert. Um so interessanter sind Erst- und Neuübersetzungen, die jetzt nach und nach auch hier eine Leserschaft gewinnen. Darunter nun eine kleine zarte Novelle, die mit wenig Worten auskommt, jedoch eine sehr besondere Wirkung entfaltet. Die Rede ist von “Der Wind erhebt sich”, aus der Feder des japanischen Schriftstellers Tatsuo Hori, der sich auf sehr einfühlsame Art und Weise mit dem Loslassen und dem Tod beschäftigt.

Die kleine Novelle beginnt inmitten der Natur die Lesenden auf eine Reise durch das Jahr mitzunehmen. Zwei Menschen treffen aufeinander, vom Erzähler selbst erfährt man wenig, überhaupt werden Informationen sehr dosiert und gezielt eingestreut, dennoch hat man sofort ein klares Bild vor Augen. Das Glück der beiden Protagonisten scheint oberflächlich nur von kurzer Dauer, doch im Angesicht des Fortschreitens der Krankheit gewinnt der Zusammenhalt und das Beisammensein Konturen, die die kompakte Erzählung tragen.

Betont zurückhaltend baut Hori die Welt einer Beziehung auf, die, wären die Protagonisten gesund, nur ein Aufeinanderzustreben kennen würde, doch fühlt der Erzählende seine Liebe im Verlauf immer mehr entfliehen. Im Wissen um das baldige Ende versucht der Protagonist die gemeinsame Zeit festzuhalten und kann doch dem Schicksal nicht entkommen.

Sehr poetisch wirkt das zu weilen. Zeile für Zeile verrinnt zwischen den Fingern. Schnell ist man inmitten der Geschichte, fühlt sich als danebenstehender Beobachtende. Der erzählte Zeitraum umfasst dabei nur wenige Monate. Der Autor hat hier einen Spagat zwischen gemächlich wirkender Sprache und doch schnellem Erzähltempo geschaffen. Der Titel alleine lässt bereits zu Beginn den Ausgang erahnen.

Neben der Ausarbeitung der Protgaonisten, von denen man nur das Notwendige erfährt, liegt die Stärke der Novelle vor allem in Orts- und Landschaftsbeschreibungen, die sofort Bilder im Kopf entstehen lassen. Auch ein Fenster in die Gefühlswelt der sonst so zurückhalenden Japaner wird geöffnet, das bereits in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, was an sich schon hervorzuheben ist. Zudem bringt der Autor ein Teil seiner eigenen Biografie mit ein, nimmt seinen Weg vorweg.

Der Fokus liegt auf die zwei Hauptfiguren, die klar gezeichnet werden. Andere werden kaum erwähnt. Sie spielen schlicht und einfach fast keine Rolle im Zusammenspiel der Protagonisten, bleiben daher bewusst blass. Beschrieben werden eine Liebe ohne Zukunft, formvollendete Hingabe, Loslassen und Verarbeitung. Ziemlich viel für wenig Seiten, was leicht hätte misslingen können. Alleine, hier funktioniert es. Kein Wort ist zu viel, Auslassungen wurden bewusst gesetzt. Die behutsame Übertragung von Sabine Mangold ins Deutsche hat das Übrige dazu beigetragen, damit die Novelle auch bei uns ihre Wirkung entfalten kann.

Die erzählende Figur weiß von Beginn an um den Ausgang, während das Gegenüber gleichsam zum Symbol, Dreh- und Angelpunkt der Geschichte wird, die einfach nur berührt. Die Erzählung in Form einer Art Tagebuch gehalten, wird dadurch aufgelockert und gewinnt zugleich an Bedeutung. Absätze zwingen einem, dies vergleichsweise langsam zu lesen, ab und an innezuhalten.

Der Aufbau einer persönlichen Katastrophe, die Beschreibung der Unausweichlichkeit ist das, was diese Novelle ausmacht, zudem die Zustandsbeschreibung der Abgeschiedenheit in Angesicht des Todes. Das kann nur berühren, zudem wenn man um die Geschichte des Autoren weiß, der selbst an Tuberkulose litt, jedoch aus der Position der Angehörigen heraus schrieb. Beinahe so, als wollte Hori etwas Tröstendes hinterlassen.

Sehr poetisch werden Bilder aufgebaut, die einem so schnell nicht mehr loslassen. Diesen Stil muss man mögen, eröffnet jedoch einen Blick in diese damals doch sehr geschlossen wirkende Gesellschaft Japans. Die beschriebene Zurückhaltung funktioniert in diesem Setting sehr gut, wäre verbunden mit anderen Ortsbeschreibungen nicht ganz so glaubwürdig. Die charakterliche Stärke beider Protagonisten tut ihr übriges dazu bei.

Nur ein paar kleine Szenen brechen den Lesefluss und wirken so, als hätte der Autor zwischendrin noch das Gefühl gehabt, noch ein paar Zeilen mehr füllen zu müssen. Das ist jedoch Jammern auf hohem Niveau. Nichts destotrotz kann ich jedem empfehlen, ein paar Stunden mit dieser schönen Novelle, die wohl auch als Anime verfilmt wurde, zu verbringen.

Autor:

Tatsuo Hori wurde 1904 in Tokio geboren und war ein japanischer Übersetzer und Schriftsteller. Zunächst studierte er Japanische Literatur, verfasste während seines Studiums Übersetzungen französischer Dichten und schrieb für die Literaturzeitschrift Roba. 1930 erhielt Hori Anerkennung für seine Kurzgeschichte Sei kazoku (wörtlich “Die heilige Familie”) und ließ eine Riehe von Novellen und Gedichten folgen, die sich oft mit dem Tod beschäftigten. Später erkrankte er an Tuberkulose. Diese Erfahrung verarbeitete er in einer weiteren Geschichte. Er starb 1953 in Tokio.

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Andreas Moster: Kleine Paläste

Inhalt:

Mehr als dreißig Jahre haben sich die früheren Nachbarskinder Hanno Holtz und Susanne Dreyer nicht gesehen. Als jugendlicher verließ Hanno die heimatliche Kleinstadt urplötzlich, nun ist er zurückgekehrt, um sich nach dem Tod der Mutter um den Vater zu kümmern. Unsicher streift er durch eine Welt, die im näher und fremder nicht sein könnte. Susanne sieht ihm dabei zu.

Seit Jahrzehnten hat sie das Haus der Familie Holtz nicht aus den Augen gelassen. Als sie Hanno ihre hilfe anbietet, treffen Erinnerungen an ein Fest im Sommer 1986 aufeinander. Niemand blieb damals unversehrt – und niemand kann nun verhindern, dass immer mehr Licht durch die Risse der kleinen Paläste dringt. (Klappentext)

Rezension:

Das Haus herausgeputzt, den Sohn vor versammelter Nachbarschaft dazu angetrieben, sein Instrumentenspiel vorzuführen. Schiefe Töne, schiefe Blicke. Des Nachbarsmädchens und der Nachbarn, jene Gemeinschaft, die sich allesamt näher sind als sie glauben und doch wie Geier einander umkreisen. Nur keine Schwäche zeigen. Nur die Fassade wahren. Keinen Blick dahinter zulassen.

Der Übersetzer und Schriftsteller Andreas Moster hat sie geschrieben, diese Erzählung, die nach und nach unter die Haut geht, niemanden unberührt lässt. Es ist ein leiser Roman, zumindest zu Beginn beinahe unscheinbar. Langsam ist das Erzähltempo, doch schon die ersten Kapitel fordern die Lesenden heraus.

Perspektiven wechseln ebenso abrupt, wie Zeitebenen, ohne dass dies besonders gekennzeichnet wäre. Nur in der Draufsicht bemerkt man, wer wen beobachtet. Erinnerungen werden aus der Sicht der Protagonisten, alles kreist um die beiden Hauptfiguren, die nach und nach das Puzzle der Vergangenheit freisetzen, klarer.

Dieser Gesellschaftsroman zeigt die typische Dynamik einer Kleinstadt auf, in der alle einander zu kennen glauben und doch, einmal aufgedeckt, nichts mehr ist, wie es mal war. Die Fallhöhe der Protagonisten, in die der Autor mit immer schnelleren wechseln, die jedoch allesamt nachvollziehbar bleiben, ist unglaublich hoch.

Die Lesenden beobachten, was über Jahrzehnte zwischen den beiden Hauptfiguren unausgesprochen bleibt. Als würde man direkt in deren Umgebung sein und einem Konflikt beiwohnen, der nur sie etwas angeht. Hölzern, fast linkisch, scheu begegnen sie sich zunächst und spielen sich ein. Ein Team wider Willen und doch willens. Mit inneren ungelöst aufgestauten Konflikten.

Sprachlich ist das so unscheinbar ausgearbeitet, dass einzelne Sätze einem mit einer Wucht überfallen, die man nicht erwartet, die einem nachdenklich werden lassen. Was wäre, wenn Unaussprechliches in unserer unmittelbaren Nachbarschaft geschehen würde?

Was würde passieren? Wie würden Verhältnisse sich neu ordnen? Welche Bindungen wären nicht mehr zu kitten? Was wäre für immer zerstört? Wie hätte man eingreifen, bestimmte Dinge verhindern können? Große Fragen, die Protagonisten beginnen zu Beginn der Geschichte die Verarbeitung.

Jeder Handgriff am pflegebedürftigen Vater Hannos, jeder Handgriff am renovierungsbedürftigen Elternhaus steht symbolisch dafür. Der leise Schrei, der hätte laut sein sollen, aber nie die Chance dazu hatte, so zu werden. Andreas Moster ist das Kunststück gelungen, dies auf Papier zu bringen.

Autor:

Andreas Moster wurde 1975 in der Pfalz geboren und ist ein deutscher Übersetzer und Schriftsteller. Zunächst studierte er Englische Philologie, Geschichte und Kommunikationswissenschaften und arbeitete danach als freier Übersetzer. 2017 erschien sein erster Roman “Wir leben hier, seit wir geboren sind”. Er lebt mit seiner Familie in Hamburg.

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Volker Reinhardt: Die Macht der Seuche

Inhalt:

Die Große Pest der Jahre um 1348 war eines der einschneidendsten Ereignisse der europäischen Geschichte. Der Historiker Volker Reinhardt rekonstruiert den Verlauf der Epidemie von den Anfängen in Asien bis zu ihrem vorläufigen Erlöschen in Europa, beleuchtet die unterschiedlichen Verhältnisse in ausgewählten Städten und fragt, wie die Überlebenden politisch und wirtschaftlich, religiös und künstlerisch das große Sterben bewältigten.

Sein spannend geschriebenes Panorama führt eindringlich vor Augen, was wir dem medizinischen Fortschriftt verdanken – und wie verblüffend ähnlich wir heute trotzdem auf eine Pandemie reagieren. (Klappentext)

Rezension:

Den Umgang mit heute verlaufenden Pandemien betrachtend, lohnt sich mitunter ein Blick zurück in die Geschichte und eine vergleichende Betrachtung von Ereignissen mit ähnlich einschneidender Bedeutung. Für eine Fokussierung etwa, nur auf Corona ist es noch zu früh.

Allenfalls in den nächsten Jahren wird man das gesamte Ausmaß überblicken können, doch wie gingen unsere Vorfahren mit global sich verbreitenden Viren und ihren Folgen um, welche Schlüsse und Maßnahmen zogen sie, den damaligen Wissestand und medizinischen Kenntnisse natürlich berücksichtigt, daraus?

Welche Auswirkungen hatte etwa die um sich greifende Pest im sozialen und gesellschaftlichen, poltischen Gefüge, während diese um sich griff und vor allem, welche Nachwirkungen waren zu verzeichnen. Der Historiker Volker Reinhardt begab sich auf Spurensuche.

Anhand zahlreichen Kartenmaterials, welches der historischen Betrachtung voransteht, erläutert er die einzelnen Phasen der Pest, ihre Verbreitung im damaligen Europa und ihre Auswirkungen auf die einzelnen Regionen. bemüht, um vergleichende und vielschichtige Betrachtung, fokussiert der Autor sich dabei nicht auf einzelne Regionen, wenngleich etwa Italien und Frankreich einen großflächigen Anteil an seiner Betrachtung ausmachen.

Warum dies so ist, erläutert Reinhardt ebenso, wie er auch immer wieder anhand der Quellenlage verdeutlicht, wo beträchtliche Lücken eine ausführliche Auswertung beinahe unmöglich bzw. schwierig machen.

Detailliert geht er zunächst auf die Seuche als solches ein, und erläutert dann, was diese mit den damaligen Menschen machte und welche Auswirkungen in den Jahren danach Folge waren. Einzelne Abschnitte der Betrachtung lohnen einem Vergleich zur heutigen Situation. Schon damals erkannte etwa die obere Führung von Mailand die Bedeutung der Isolation. Auch die Quarantäne, wie wir sie heute kennen, nahm in der damaligen Zeit ihren Anfang. Reinhardt geht jedoch auch auf die Unterschiede ein, erläutert, weshalb die Pest wo welche Auswirkungen hatte, wie viele Menschen nach Quellenlage tatsächlich betroffen waren und dass sich auch damals schon die Hoffnungen nach einer besseren, anderen Gesellschaft nach der Seuche schnell zerschlugen.

Das alles ist in kompakter Form keine ausschweifende, jedoch leider um so mehr trockene Literatur, die zwar versucht anhand von Personengeschichte Interesse zu wecken, dies jedoch nicht vermag. Tatsächlich ist diese Sammlung an Wissen eine schnöde Aneinanderreihung von Fakten, die trocken daherkommt. Es wirkt in etwa so, als würde man heutige Nachrichten mit einem tiefen Seufzer kommentieren. mit zunehmender Seitenzahl muss man sich förmlich zwingen, die Fakten aufzunehmen und zu behalten. Da nützt dann auch eine sehr intensiv bewältigte Quellenlage und gute Recherchearbeit wenig.

Schade, aus diesem Stoff Geschichte hätte man viel mehr herausholen können. Genug Interessenten gäbe es bestimmt.

Autor:

Volker Reinhardt wurde 1954 in Rendsburg geboren und ist ein deutscher Historiker. Seit 1992 lehrt er als Professor für Allgemeine und Schweizer Geschichte der Neuzeit an der Universität Freiburg. Zunächst jedoch studierte er Geschichte und Romanische Philologie in Kiel, Freiburg im Breisgau und in Roman, danach absolvierte er seine Staatsexamen in Geschichte 1975, und Romanistik 1976.

Nach einem Forschungsaufenthalt in Rom promovierte er über die Finanzen des Kardinals Borghese, war 1985-1991 Hochschulassistent in Freiburg im Breisgau, habilitierte dort 1989.

Als Hochschuldozent lehrt er an der Universität Freiburg in der Schweiz, ist zudem Vertrauensdozent der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit. Er beschäftigte sich mehrfach mit der Geschichte der italienischen Renaissance, u.a. mit der Familie Medici, Borgia und verfasste eine Biografie Leonardo da Vincis. Reinhardt ist Mitherausgeber der WBG-Reihe “Geschichte kompakt”.

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Susann Pasztor: Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster

Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster Book Cover
Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster Susann Pasztor Kiepenheuer & Witsch Erschienen am: 16.02.2017 Seiten: 286 ISBN: 978-3-462-04870-4

Inhalt:

Fred, alleinerziehender Vater, Angestellter, seit Neuestem Sterbebegleiter, möchte bei seinem ersten Einsatz alles richtig machen. Karla, reserviert und eigensinnig, hat nur noch wenige Monate zu leben. Phil ist Freds 13-jähriger Sohn und bekommt eine besondere Aufgabe von Karla.

Eine spannungsreiche und spannende Beziehungsdynamik entsteht, als sich diese drei ganz unterschiedlichen Menschen auf einen gemeinsamen Weg machen. Eine berührende Geschichte über die Schönheit des Lebens und die erstaunliche Entwicklung einer Vater-Sohn-Beziehung. (Klappentext)

Rezension:

Erzählungen können Fußabdrücke hinterlassen und manche dieser Eindrücke bleiben dann auch. Für den Rest des Lebens. Susann Pasztors Geschichte “Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster” gehört in jedem Fall dazu.

Die Autorin erzählt die Geschichte von Fred, der den Sinn des Lebens im Begleiten sterbender Menschen sucht, von Karla, die nur noch wenige Monate zu leben hat und ihr bevorstehendes Ende stoisch akzeptiert hat und von Phil, der an der Schwelle zur Pubertät sein ganzes Leben noch vor sich hat.

An sich eine explosive Mischung, doch der Erzählstil der Autorin ist ruhig. Der Tod kommt auf leisen Sohlen, Karla wird immer weniger, wobei sie ein Geheimnis mit sich trägt, während Fred und sein Sohn immer mehr werden, daran wachsen.

Allein, es ist ein Roman, in dem eigentlich nicht viel passiert. Nur die Figuren machen große Sprünge in ihrer Entwicklung, merken dies selbst nicht und wachsen einem als Leser so ans Herz, dass man sie gar nicht loslassen möchte. Natürlich, die unheilbar an Krebs erkrankte Karla soll nicht leiden und sanft einschlafen, doch ihr Doppel-Gegenpart geht einem nahe. Ihre Gedanken und Gefühle, sanft und ehrlich, wie Karlas, unberechenbar und ebenso ehrlich. Dabei, bis auf eine Szene, niemals laut.

Der Fokus auf die Hauptpersonen verändert sich im Laufe der Geschichte. Stehen zunächst die Erwachsenen im Vordergrund ist es später die Dynamik zwischen Karla und Phil, dem 13-jährigen, die Tempo hineinbringt. Das tut der Geschichte gut und gibt neue Perspektiven, die sich lohnen.

Kurze klare Kapitel wechseln sich ab, sind flüssig zu lesen und tragen ebenso zum Gelingen der Geschichte bei, von der man weiß, von Anfang an, wie sie ausgeht, und doch überrascht wird. Das Ende lässt einem friedlich gestimmt zurück.

Gewöhnungsbedürftig war gegen Ende nur ein Kapitel, welches ich aber als künstlerische und gedankliche Freiheit akzeptiere und sich dennoch in die Gesamtheit des Romans passend eingefügt hat. Sei’s drum. Pasztor hat gut geschrieben. Eine schöne Sprache, die hier auch mal, in gegensatz zu vielen anderen schönsprachlichen Geschichten, zu einer gut lesbaren Erzählung geführt hat.

Der Respekt vor der oft ehrenamtlich geführten Hospizarbeit und Sterbebegleitung ist nach dem Lesen von “Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster” auf jeden Fall gewachsen, was nicht zuletzt daran liegt, dass die Autorin ihre eigenen Erfahrungen in diesem Bereich eingebracht hat.

Susann Pasztor mit einem großartigen Roman, den man nicht aus den Augen verlieren sollte.

Autorin:

Susann Pasztor wurde 1957 in Soltau geboren und lebt als freie Autorin und Übersetzerin in Berlin. Ihr Debütroman erschien 2010 bei Kiepenheuer & Witsch und wurde in mehreren Sprachen übersetzt.

Für den Verlag ist sie inzwischen eine der “Hausautorinnen” und veröffentlichte 2013 einen weiteren Roman. Sie hat die Ausbildung zur Sterbebegleiterin abgeschlossen und ist seit mehreren Jahren ehrenamtlich tätig.

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Neil Smith: Das Leben nach Boo

Das Leben nach Boo Book Cover
Das Leben nach Boo Neil Smith Verlag: Schöffling & Co. Erschienen am: 08.02.2017 Seiten: 414 ISBN: 978-3-89561-496-5 Übersetzerin: Brigitte Walitzek

Inhalt:

Oliver »Boo« Dalrymple ist dreizehn Jahre alt, hochbegabt, wenig beliebt und vor allem tot. Gerade noch hat er an seinem Schulspind gestanden, in das Periodensystem vertieft, da findet er sich im Wiedergeburtsraum eines seltsamen Jenseits wieder.

Dort begrüßt ihn Thelma, ein schwarzes Mädchen, das in den sechziger Jahren gelyncht wurde, und erklärt ihm, was es damit auf sich hat: In einer von Mauern umgebenen Stadt leben ausschließlich verstorbene amerikanische Jugendliche seines Alters.

Quicklebendig verbringen sie ihre Zeit wie auf einem großen Schulhof, sausen auf Fahrrädern umher und werden von einem hippiehaften Gott namens Zig mit allem versorgt, was Dreizehnjährige zum Leben brauchen.

Boo hat gerade begonnen, sich an das Nachleben zu gewöhnen, als sein ehemaliger Klassenkamerad Johnny in der Stadt auftaucht und ein überraschendes neues Licht auf seine Vergangenheit wirft.

Auf der Suchenach der brutalen Wahrheit wird ihre gerade erst geschlossene Freundschaft ernsthaft auf die Probe gestellt. (Verlagstext)

Einordnung und Gestaltung:

Den Roman könnte man auch als Jugendbuch durchgehen lassen. In diesem Falle ist er ab 13-14 Jahren geeignet. Der Verlag differenziert hier nicht und vermarktet ihn auch als Roman.

Der Roman in der gebundenen Ausgabe, 1. Auflage, ist in elf unterschiedlichen Cover-Varianten erhältllich. Bei Online-Bestellungen ist es Zufall, welches man erhält, während man in größeren Buchhandlungen oft mehrere der Cover zur Auswahl hat.

Rezension:

Die Frage nach einem Leben nach dem Tod hat die Menschen seit jeher fasziniert. Was kommt nach unserem Sterben? Boo weiß die Antwort.

Eigentlich heißt er Oliver, doch seine Mitschüler nannten ihn, den Außenseiter so, der plötzlich im Wiederbelebungsraum einer Stadt aufwacht, die nur von 13-jährigen bewohnt wird.

Allen gemein ist, dass sie auf die eine oder andere Art ums Leben gekommen sind und nun 50 Jahre in ihrem dreizehnjährigen Ich verharren müssen, bevor sie entgültig ableben. Doch, Oliver weiß zwar, dass er tot ist, doch nicht, wie er gestorben ist.

Das letzte, an das er sich erinnern kann, ist, dass er an seinem Schulspind stand und die Elemente des Periodensystems aufgesagt hat. Doch, das zählt nicht mehr. Mit Hilfe neuer Freunde erkundet er seine “neue” Welt, bis einer seiner Mitschüler das Reich der toten Jugendlichen betritt.

Johnny, der zuvor noch im Koma gelegen hatte, erklärt ihm, dass Boo und er bei einer Schulschießerei ums Leben gekommen sind. Der Attentäter auch. Der “Gunboy” ist dabei ebenfalls gestorben. Und läuft wahrscheinlich nun in dieser neuen Welt frei herum.

Neil Smith schafft mit “Das Leben nach Boo” ein wundervoll nachdenklich stimmendes Szenario, welches sich zu diskutieren lohnt. Es geht um wahrhaft existenzielle Fragen außerhalb unseres iridischen Lebens. Wo kommen wir hin, wenn wir nicht mehr sind?

Wie geht es weiter mit unserer Seele, zumal wenn sie früher gehen muss als üblich? Doch, nicht nur dafür verdient der Roman Aufmerksamkeit, lenkt er doch die Aufmerksamkeit auf ein vor allem US-amerikanisches Problem, ist es dort doch die USA selbst, die sich jedes Jahr auf’s Neue mehrfach der Frage stellen muss, wie mit Schulattentaten, -tätern und opfern umgehen, wenn auch die Probleme aus europäischer und kanadischer Sicht hausgemacht sein dürften.

Doch, Smith bleibt nicht bei diesen, sondern wirft weitere Fragen auf. Wie gehen wir mit Schuld und Schuldigen um? Was ist richtig und falsch?

Ja, sogar Fragen von gesellschaftlichen Grenzen werden aufgeworfen, wenn man das Szenario betrachtet, dass es einen Himmel getrennt nach Altersklassen und Nationalitäten gibt.

Genau, wie Oliver und Johnny so manches Mal an diesen Problemen zu zerbrechen drohen, der eine früher, der andere später, merkt auch der Leser schnell die Begrenztheit des Gedankenspiels des Autoren.

Smith möchte zu viel, fabriziert Längen, wo keine sein müssten, was bei den kurzen Kapiteln, die allesamt nach den Elementen des Periodensystems nummeriert sind, an sich schon eine Kunst ist und droht allenthalebn, seine Leser zu verlieren.

Nur gerade so, schaffen es dann folgende spannendere Kapitel, die mit zunehmender Seitenzahl an Tempo gewinnen, den Leser wieder mitzunehmen. Letztendlich das Ausschlaggebende dafür, den Roman bis zum Ende durchzulesen.

Die Protagonisten bleiben zudem, bis auf wenige der Hauptfiguren (da, auch nicht alle) farblos und entwickeln sich kaum weiter, wenn der Autor auch beschreibt, dass selbst in der Welt der Dauer-13-jährigen Entwicklung, wenn auch nur charakterlich, existiert.

Auch logische Fehler hat diese Welt, regiert von einer Übergestalt namens Zig, der eher wie ein verplanter Lebenskünstler agiert statt wie eine Gottheit.

Zum einen die Beschränktheit des himmlichen Daseins auf 50 Jahre, zum anderen in Zigs Gabe den Kindern z.B. nur Comics und vegetarisches Essen, nicht aber Lexika und Fleisch zukommen zu lassen.

Leider ist zu wenig bekannt als dass man Smith missionarischen Eifer unterstellen könnte aber es fühlt sich an manchen Stellen ebendoch wie ein erhobener Zeigefinger an, der inkonsequent mal in die eine, dann in die andere Richtung zeigt.

Schade, da sich der Autor damit viel Potential von seiner Geschichte einfach vergibt. Das Grundthema “Das Leben nach Boo” ist trotzdem überlegens- und lesenswert. Und, wem das ganze dennoch abgeht, kann ja immer noch alle elf Cover der deutschen Ausgabe sammeln.

Autor:

Neil Smith lebt als Autor und Übersetzer in Montreal, Kanada. Sein Debüt “Bang Crunch” wurde von der Washingtron Post zum Buch des Jahres gewählt. Mit diesem Erzählband gewann Smith zahlreiche Preise.

Sein zweiter Roman “Das Leben nach Boo” wurde bishlang in sieben Sprachen übersetzt. Auch dafür wurde er mehrfach ausgezeichnet.

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