Stasi

Sophie Hardach: Unser geteilter Sommer

Inhalt:

Die achtjährige Ella wohnt mit ihren beiden Brüdern, den Eltern und Großeltern nah an der innerdeutschen Grenze in Berlin, doch davon bekommt sie wenig mit. Ihr Leben besteht aus Sommertagen in der Datsche und Abenden in orangenen Ziehbadewannen. Bis ein Urlaub an der ungarisch-österreichischen Grenze ihrer Kindheit ein jähes Ende setzt und die Familie für immer auseinanderreißt.

Zwanzig Jahre später führt das Tagebuch ihrer Mutter Ella zurück nach Berlin. Mithilfe der Stasi-Akten versucht sie zu rekonstruieren, warum die Flucht damals so verheerend gescheitert ist. Und was mit ihrem kleinen Bruder Heiko geschah, den sie in all den Jahren niemals vergessen hat. (Klappentext)

Rezension:

Nur wenige handbeschriebene Seiten sind es, ein paar Notizen und ein Bild, die Ella zurück in eine längst verschüttet geglaubte Vergangenheit katapultieren. Plötzlich lassen die noch immer kaum verständlichen Ereignisse jener Tage sie nicht mehr los, die ihre Kindheit schlagartig beendeten. Bilder von der gescheiterten Flucht kommen wieder hoch, Erinnerungen an den kleinen Bruder, der von der Familie getrennt wurde, von dem es seit dem keine Spuren gibt. Die nun junge Frau sucht nun, mit den wenigen Anhaltspunkten, die ihr die Mutter hinterlassen hat, nach ihm. Noch immer stößt sie auf Mauern.

So beginnt die Handlung dieses Romans, der sich in die gute alte Tradition großer Familiengeschichten einreiht, sowie die Geschichte der Metropole an der Spree als Kulisse nimmt. Erfolgsgaranten, die allzu oft ins Kitschige abstürzen. Der Journalistin und Autorin Sophie Hardach ist der Spagat gelungen, Ereignisse zu erzählen, wie sie tatsächlich vor dem Hintergrund der Historie hätten stattfinden können.

Die Erzählung besteht aus einem klug zusammengestellten Puzzle der Handlungsstränge und Zeitebenen. Von beiden gibt es nicht zu viele. Wir begleiten einen jungen Archivaren, dem Zweifel an seine Arbeit kommen, über seinen Tisch gebeugt Papierstreifen zusammenklebend, um die Vergangenheit zu rekonstruieren. Sollen und möchten die Menschen wirklich wissen, dass der Freund, mit dem sie heute vielleicht noch Abende am Gartentisch verbringen, sie früher einst bespitzelt hat? Ist es nicht besser, bestimmte Punkte zurückzuhalten, zu verändern?

Wir begegnen dem Kind, dessen Leben sich schlagartig ändert, der späteren jungen Frau, die versucht, die Vergangenheit zu ergründen und zwischen Lüge und Wahrheit zu unterscheiden. Die Eltern, die im Wechselbad sich gezwungen sehen, sich zwischen relativer Sicherheit und ungewisser Freiheit, aber eben Freiheit, zu entscheiden. Die Großmutter, die einst für ihre Überzeugungen nach Buchenwald verbracht wurde, den neuen Staat begrüßte und erst mit seinem Ende beginnt, Illusionen zu hinterfragen.

“Ich sage dir, meine Parteifreunde wären entsetzt, wenn sie das alles wüssten. Das ist einfach irgendein Abschaum, der sich hier so was mit uns erlaubt. Ich werde mich beschweren, Horst. Ich lasse mir das nicht bieten, ich sorge dafür, dass die zur Ordnung gerufen werden.” “Du meinst, in der Partei weiß man nichts davon? Das ist die Partei, Trude.”

Sophie Hardach: Unser geteilter Sommer

Ineinander verschachtelt baut sich eine immer rasanter verlaufende Geschichte auf, deren Ende man ahnt, zumal die tatsächlichen Ereignisse bekannt sind, doch bringt die Autorin Themen zur Sprache, mit denen nicht wenige heute noch hadern dürften, unter deren Folgen zu leiden haben. Desillusionierung ebenso, wie Risse zwischen Familien, gescheiterten Fluchten und der Trennung von Familien sind in der Erzählung verwoben, ebenso die heute wichtigen Fragen der Aufarbeitung und Konfrontation mit der Vergangenheit.

Viele Themen sind das für einen vergleichsweise kompakt wirkenden Roman, der kein Wort zu viel verliert. Neben der Entwicklung der zwei Hauptcharaktere ist vor allem die Ausgestaltung der schon erwähnten Großmutter interessant. Viele Grautöne gibt es, jedoch auch klare Gegenpole.

Auch die sind glaubwürdig und nachvollziehbar. Die Geschichte selbst wird aus mehreren Perspektiven heraus erzählt, durchbrochen von Ausschnitten aus Akten, die Ella und Aaron, der junge Archivar, mit der Vergangenheit konfrontieren und immer wieder Momente der Unruhe und Anspannung einflechten. An manchen Stellen hätte der Text mehr Kühle und Härte ertragen können. Einiges wirkt fast zu sanft. Vielleicht kann man das aber auch nur so machen, wie von Sophie Hardach erdacht? Ist die Wirklichkeit nicht manchmal zu grob, zu unerträglich? Der Erzählung haben jedoch die Hintergrundrecherchen sehr gut getan.

Hier ein paar Zeilen weniger, dort ein paar mehr Ausführungen fehlen vielleicht, doch ist die Geschichte in sich schlüssig und gut zu lesen. Ruhige und Spannungsmomente wechseln sich im richtigen Maße ab. Wirklich überraschende Wendungen gibt es kaum. Man ahnt sehr schnell, worauf die Handlung hinauslaufen wird. Trotzdem werden Zeit und Geschehen sehr lebendig vor Augen geführt. Gerade wenn man Berlin kennt oder gar die letzten Jahre der DDR miterlebt hat (Das wiederum kann ich mir nur vorstellen.), für jene gibt es einige gelungene Verknüpfungspunkte.

Wer sich gerne in Familiengeschichten verliert und sucht, was Schicksalsschläge mit Menschen macht, wer Romane vor zeithistorischer Kulisse sucht, dennoch einen zum Großteil eher ruhig gehalten Schreibstil bevorzugt, für jene ist diese Erzählung. Figuren und darum gewobene Geschehnisse sind erfunden. Alleine, sie hätten so passieren können.

Autorin:

Sophie Hardach wurde 1979 in Deutschland geboren und ist Autorin und Journalistin. Sie schreibt für The New York Times und den Guardian. Ihr Roman “Unser geteilter Sommer” war für den Costa Novel Award” nominiert. Mit ihrer Familie lebt sie in London.

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Sven Felix Kellerhoff: Eine kurze Geschichte der RAF

Eine kurze Geschichte der RAF Book Cover
Eine kurze Geschichte der RAF Autor: Sven Felix Kellerhoff Klett-Cotta Erschienen am: 22.02.2020 Seiten: 208 ISBN: 978-3-608-98221-3

Inhalt:

Die RAF hatte dem Rechtsstaat den Kampf angesagt. Sie stürzte die Bundesrepublik in ihre bis dahin tiefste Krise. Welche Rolle spielten die Baader-Meinhof-Anwälte? Warum wurde an den Mythos der “Vernichtungshaft” geglaubt?

Wie machte die RAF nach dem “Deutschen Herbst” 1977 weiter? Der Autor zieht pointiert Bilanz und enthüllt die konzise Gesamtgeschichte des Linksterrorismus in Deutschland, der schonungslos gegen die Demokratie ins Feld zog. (Klappentext)

Rezension:

Aus kleinen Teilen einer Portestbewegung heraus entstand Ende der 1960er Jahre eine Terrororganisation, die mehr als dreißig Jahre die Bundesrepublik in Atem hielt, die Gesellschaft und den Rechtsstaat herausfordern sollte.

Zunächst getragen von Sympathien, anfangs von Teilen der Studentenschaft und Intellektuellenkreisen, verschaffte sie sich durch Anschläge auf Personen und Institutionen der Medienwelt, Wirtschaft und Politik Aufmerksamkeit, doch bröckelte der Rückhalt mit den Jahren, spätestens aber mit der Nacht von Stammheim zusehens.

Immer schwieriger wurde es, für vermeintliche und tatsächliche Ziele Personal zu requirieren und so lief die als “Proejekt Stadtguerilla” gegründete Terrororganisation nach drei Generationen aus.

Die Rote Armee Fraktion scheiterte an der Gesellschaft und Hartnäckigkeit des Staates. Viel ist darüber geschrieben wurden, über die Täter und die Entwicklung dieser Bewegung, nicht zuletzt in den Monumentalwerken Stefan Austs und Butz Peters, die damit Standartliteratur geschaffen haben.

Doch, ist es möglich, die Perspektive der Opfer einzunehmen und eine Kurzfassung darüber zu schreiben? Sven Felix Kellerhoff hat dies versucht.

Knapp 208 Seiten umfasst das vorliegende Werk, wenn man Inhalts- und Quellenverzeichnisse mitzählt und so erhält man eine wahrhafte Kompaktfassung, die mit “Eine kurze Geschichte der RAF” dies auch im Titel deutlich macht.

Das knapp gehaltene Sachbuch umfasst die wesentliche Geschichte der die Bundesrepublik Deutschland prägenden Terrororganisation, die an ihren beteiligten Personen, der Politik und letztendlich auch an der Gesellschaft scheitern sollte. Die Recherchearbeit merkt man dem Autoren an.

Es ist jedoch schade, dass es ihm nicht so gelungen ist, wie auf den ersten Seiten geschildert, hier den Opfern der Anschläge genug Raum zu geben.

Doch ist es erstaunlich, auf wie wenig Seiten sich die Geschichte der RAF raffen lässt, die selbst heutzutage kaum lesbare Pamphlete als Rechtfertigung für ihre Anschläge schrieb.

Kellerhoff zeichnet so knapp wie möglich die Entwicklung der Roten Armee Fraktion nach, wie es wohl kaum einem Autoren vor ihm gelungen ist. Viel neues wird einem Kenner der Materie jedoch nicht begegnen. Gut recherchiert ist es jedoch und so nah geschrieben, dass es sich als Einführung gut lesen lässt, was nun im Klett-Cotta Verlag erschienen ist.

“Eine kurze Geschichte der RAF” ist Einführungsliteratur, nicht mehr, jedoch auch nicht weniger. Wer sich jedoch weitergehend informieren möchte, etwa zu Mogadischu, den Anschlag in Stockholm oder den vorangegangenen Ereignissen der Gründung der RAF sollte auf andere Literatur umschwenken, bzw. diese nachfolgend lesen.

Nichts destotrotz wird Kellerhoff künftig im Kanon der Geschichtsliteratur zur Roten Armee Fraktion zu Recht zu finden sein.

Autor:

Sven Felix Kellerhoff wurde 1971 in Stuttgart geboren und ist ein deuterscher Journalist, Historiker und Autor. Nach der Schule studierte er an der Freien Universität Berlin Neuere und Alte Geschichte, Publizistik und Medienrecht.

Er arbeiete zunächst für verschiedene Zeitungen und Fernsehsender, absolvierte 1997/1998 die Berliner Journalisten-Schule. Seit 1998 arbeitet er für den Axel Springer Verlag. Dort war er von 2000-2002 Leiter der Wissenschaftsredaktion der Berliner Morgenpost und danach Verantwortlicher für die Kulturberichterstattung.

Seit 2003 ist er leitender Redakteur für Zeit- und Kulturgeschichte der Welt und Berliner Morgenpost. Seit 2012 ist er verantwortlich für den Geschichtskanal der Welt/N24.

Kellerhoff ist Autor verschiedener Sachbücher und war von 2005-2008 Beisitzer im Vorstand des Landesverbands Berlin des Deutschen Journalisten-Verbands.

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