Scheitern

Oskar Roehler: Der Mangel

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Der Mangel Oskar Roehler ullstein Erschienen am: 28.02.2020 Seiten: 170 ISBN: 978-3-550-20038-0

Inhalt:

Vom Übergang einer Mangelgesellschaft, in der es von allem zu wenig gab, in eine Konsumgesellschaft, die den Menschen ihre Würde raubt.

Vom Großwerden einer Gruppe von Kindern in den Sechszigern, den Anstrengungen der Väter, Wohlstand oder zumindest eine Illusion davon zu erschaffen.

Von den Rückschlägen, die sie erleiden. Von den Sorgen und Existenzängsten der Mütter und das Gegenbild dazu, der Ausweg aus Mangel und Überfluss zugleich: die Kunst als Rettungsanker für das Überleben. (eigene Inhaltsangabe)

Rezension:

Der namenlose Junge beobachtet die Erwachsenen, die daran scheitern, eine Illusion von Wohlstand Wirklichkeit werden zu lassen und daran zu Grunde gehen, zerbrechen. Mit Gleichaltrigen trollt er durch die noch nicht fertige Neubausiedlung am Rande eines Dorfes, gräbt sich durch Schlamm und Lehm, versinkt sprichwörtlich in seiner eigenen Welt.

Zu Beginn ist er ein Vorschulkind, welches um sich herum alles aufnimmt, später versucht, mit den Mitteln der Kunst zu überleben, beinahe wie einst die Mütter und Väter um ihn herum, zu scheitern droht.

Beindruckend ist diese Novelle, deren Handlung der Leser wie einen kunstfollen Kurzfilm vor dem inneren Auge ablaufen sieht. Nicht von ungefähr kommt dieser Effekt, ist doch der Autor Oskar Roehler selbst Filmregisseur und Drehbuchautor.

Der Protagonist, Vorschulkind, Kind, früher Jugendlicher ist das alte Ego des Autors, der Eindrücke in sich aufsaugt, wie ein Schwamm. Kurz und prägnant sind die Sätze, messerscharf und folgerichtig, wie die Beobachtungen selbst.

In der Erzählung fühlt man mit dem Handelnden, der begreift, dass es da draußen in der großen weiten Welt noch etwas anderes geben muss, dass die Chancen, die sich ihm bieten, jedoch noch weniger als rar gesät sind.

Röhler verbildlicht hier Trost- und Perspektivlosigkeit, die Zeit des Wirtschaftswunders, die überall ankommt, nur nicht dort. Die Zeitspanne umreißt die ersten Jahrzehnte der bundesrepublikanischen Gesellschaft, mit allen Möglichkeiten, vielmehr jedoch mit allen Fallstricken.

Der Protagonist bleibt dabei immer in der Position des Schwachen, ständig am Rand des Abrgund stehend, selbst, als er beginnt, sich daraus zu kämpfen. Trost nur in der Welt der Kunst, der Sprache.

Roehlers Stil, diese Geschichte eine lehmhafte Schwere angedeihen zu lassen, ist gewöhnungsbedürftig. Schön zu lesen, doch plätschert die Trostlosigkeit wie voluminöse Regentropfen nur so dahin. Die Atmosphäre ist düster, die ganze Zeit über, kaum Hoffnungsschimmer.

Um das zu lesen, sollte man in der richtigen Stimmung sein. Für depressive Gemüter ist das nichts.

Es ist eine kompakte Erzählung mit dem Effekt eines Günter Grass, der mit Worten zu faszinieren oder verschrecken mochte. Dazwischen gibt es nichts, sozusagen luftleerer Raum.

Antriebslosigkeit, Hoffnungslosigkeit, Kunst als zweifelhafter Rettungsanker. Und immer wieder Dreck, Schlamm, Feuchtigkeit, Lehm. Graue, braune Masse, aus der man etwas erschaffen oder in die man versinken kann.

Doch, muss das zwischen zwei Buchdeckeln sein?

Autor:

Oskar Roehler wurde 1959 geboren und ist ein deutscher Filmregisseur, Journalist und Autor. Nach seinem Abitur ist er als Autor für Drehbücher tätig und wurde ab 1990 als Spielfilmregisseur bekannt. Sein erfolgreichster Film war “Die Unberührbaren”, der u.a. mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet wurde.

Roehler gehört zu den Gründungsmitgleidern der Deutschen Filmakademie, 2003. Im Jahr 2011 veröffentlichte er einen autobiografischen Roman, den er auch verfilmte. 2018 verfilmte er den Roman “HERRliche Zeiten” des umstrittenen rechten Schriftstellers Thor Kunkel.

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Dave Eggers: Bis an die Grenze

Bis an die Grenze Book Cover
Bis an die Grenze Rezensionsexemplar/Roman Kiepenheuer & Witsch Taschenbuch Seiten: 496 ISBN: 978-3-462-05185-8

Inhalt:

Josie weiß nicht mehr weiter. Alleinerziehend mit zwei Kindern, ohne Einkommen, nachdem sie gerade ihre Zahnarztpraxis hat schließen müssen, versetzt ein Anruf ihres Exmannes sie in Panik. Spontan nimmt sie Reißaus, flieht mit beiden Kindern nach Alaska, mietet ein Wohnmobil und versucht, sich in der Wildnis neu zu finden.

Doch auf ihrem Abenteuertrip werden die drei nicht nur von einem hartnäckigen Buschfeuer gejagt, auch die Geister der Vergangenheit verfolgen sie bis an die Grenze der Zivilisation. (Klappentext)

Rezension:

Szenarien, die förmlich dazu eignen, sie zu erzählen, eine Geschichte um sie herum zu entwickeln und den Leser dazu veranlassen, in sie zu versinken, gibt es einige im Literaturbetrieb. Eines, was gut funktioniert, ist sicherlich der Roadtrip. Das Figurenensemble übersichtlich gehalten, durch den Platz im jeweils gewählten Gefährt, die Handlung selbst durch den Weg, der gleichsam das Ziel ist.

Dabei passiert zumeist nicht viel, aber das, was passiert, bleibt hängen. Das ganze kann dann sehr schrill wirken oder tiefenentspannt. Alles Zutaten für einen guten und ausgewogenen Roman. Dave Eggers hat sich daran versucht.

In “Bis an die Grenze” erzählt der Autor die Geschichte von Josie, die eine ganze Reihe von Schicksalsschlägen privater und beruflicher Natur zu verkraften hatte und sich in einer Art Kurzschlussreaktion ihre Kinder schnappt, um das Gewesene hinter sich zu lassen. Und so beginnt eine muntere Irrfahrt durch den nördlichsten Bundesstaat der USA, fernab der Zivilsation zunächst.

Nach und nach finden die drei einen neuen Rhythmus und Gefallen am Vagabundenleben, welches tiefenentspannt träge erzählt wird, aber nicht so, dass es langweilig werden würde. Tatsächlich gewinnen Protagonisten und Leser den Blick für’s Detail, aufgeloggert durch Rückblenden in die vorherige Situation der Hauptfigur ergibt sich ein melancholischer Blick auf die Umgebung, die Menschen.

Was war, was ist und was wird oder sind diese Frage nicht vollkommen egal, wie auch das Ziel nicht feststeht? Schließlich ist es doch wichtig, überhaupt voranzukommen. Wer diese Quintessenz aus “Bis an die Grenze” ziehen kann, hat schon viel gewonnen, auch, wenn hier und da eine Begegnung oder gleich ein ganzer Waldbrand vor Augen führt, dass die Realität dann eben doch nicht vorgibt, in den Tag hineinleben zu dürfen.

Einzig das Ende aber fand ich nicht ganz so schlüssig, gerade im letzten Viertel hätte sich der Autor einen handlungsstrang sparen können. Das halboffene Ende ist dann wieder logisch. Schließlich ist man ja nach dem lesen tiefenentspannt, um sich selbst seinen Teil dazu zu denken. Hat man auch nicht immer.

Autor:

Dave Eggers wurde 1970 in Boston geboren und ist ein US-amerikanischer Schriftsteller, Drehbuchautor und Herausgeber verschiedener Literaturzeitschriften. Er gründete einen Verlag und veöffentlichte mehrere Romane, wurde für den Pulitzer-Preis nominiert und fungierte zudem als Drehbuchautor. Bekannt wurde er einer breiteren Leserschaft durch “The circle”, seinem Roman, der zugleich verfilmt wurde. Er lebt in der Gegend von San Francisco.

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