Sammlung

Rolf-Bernhard Essig: Ach, wie gut, dass niemand weiß …

Inhalt:

Zahllose Reime, geflügelte Worte und Redewendungen verdanken wir unseren Märchen. Sprichwortexperte Rolf-Bernhard Essig hat über 200 der schönsten und oft rätselhaften Sprachbilder aus dem Märchenreich gesammelt. Hier schreibt er über ihre Bedeutung, ihren Hintergrund und ihre märchenhafte Karriere in der deutschen Sprache. (Klappentext)

Rezension:

Wo das Wünschen noch geholfen hat, Wölfe Kreide fressen oder Siebenmeilenstiefel getragen werden können, tauchen wir ein in die wunderbare Welt der Märchen, die nicht nur unsere Phantasie beflügeln, sondern auch unsere Sprache zahlreiche Facetten hinzufügen. Doch woher kommen Sprachbilder wie “jemanden in den Sack stecken” oder “den Geist aus der Flasche lassen”? Der Sprachforscher und Germanist Rolf-Bernhard Essig hat sich auf Spurensuche begeben. Herausgekommen dabei ist eine wunderbare Sammlung durch die Sprache der Märchen.

Die gesammelten Geschichten der Gebrüder Grimm, die Texte von Hauff, Bechstein und Andersen werden seit Jahrhunderten vorgelesen und erzählt, unterliegen jedoch einem stetigen Wandel, wie auch die Sprache selbst, in der sie erzählt werden. faszinierend dabei, schon zu den Zeiten der erstgenannten Geschichten-Sammler waren einzelne ihrer Bestandteile längst geflügelte Worte. Dem Rest verhalfen die Grimms dazu, zu überdauern. Nicht wenig wurde dafür angepasst und überarbeitet, doch sind Sätze, Wortspiele oder Ausdrücke älter als jene, die sie einst ins Schriftliche übertrugen. Spannend, die Geschichte dahinter.

Essig beschäftigt sich in seinem Werk zunächst mit den grundlegenden Redensarten, bevor er auf den sehr eigentümlichen Grimm-Sound eingeht, der bis heute überdauert hat. Reime und Verse werden ebenso unter die Lupe genommen, wie auch lehrreiche Sprichwörter und solche zur Natur. Immer wieder wird auf die Entstehungszeit, soweit ergründbar, Bezug genommen, Übersichten zwischen den Kapiteln ergänzen das Werk, welches in einem Zug, aber auch als Lexikon gelesen werden kann.

Mit einer Prise Humor lesen sich die Texte nicht trocken, wie man es einstweilen von einer Sprachübersicht erwarten würde. Die Chance, einem selbst unbekannte Ausdrücke zu entdecken ist ebenfalls hoch, nicht zuletzt, da auch auf verschiedene Versionen derer eingegangen wird, zudem wie Sprichwörter aus Märchen damals wirkten und heute gelesen werden können.

Gleichwohl amüsant und kurzweilig, merkt man den Texten an, dass sie von einem Sprachwissenschaftler verfasst wurden, wobei Essig aufgrund der Kompaktheit immer wieder die Kurve bekommen hat, so dass diese nicht allzu sehr ins Theoretische abgleiten. Für alle, die sich gerne mit unserer Sprache beschäftigen, Märchen-Liebhaber ohnehin, ist dieses Werk sehr zu empfehlen. Von den hier aufgeführten Sprichwörtern gibt es dort mehr zu lesen als sieben auf einen Streich. Und das lohnt sich.

Autor:

Rolf-Bernhard Essig wurde 1963 in Hamburg geboren und ist ein deutscher Schriftsteller, Literaturkritiker und Dozent. Er studierte zunächst Germanistik und Geschichte in Bamberg, bevor er als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Bibliothekar wirkte. Im Jahr 2000 veröffentlichte er seine Dissertation. Essig kuratiert Ausstellungen, etwa in den Museen für Kommunikation in Nürnberg und Frankfurt, 2019/20 in Fellbach und Suhl. Als Dozent war er in Bamberg, Samara und Togliatti tätig, wo er neben Literaturwissenschaft auch Kreatives Schreiben lehrte. Er ist Autor mehrerer Kinder- und Sachbücher, sowie Beiträge verschiedener Zeitungen. Zudem tourt er mit einem Programm zur deutschen Sprache durch Deutschland.

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Banana Yoshimoto: Kitchen

Inhalt:

Als Mikage ihre Großmutter verliert, ist sie vollkommen allein in der großen Wohnung. Nur in der Küche, wo sie das Brummen des Kühlschranks in den Schlaf wiegt, kommt sie zur Ruhe. Aus ihrer Einsamkeit holt sie Yuichi. Er schlägt ihr vor, zu ihm und seiner Mutter zu ziehen. Denn Eiriko, die wunderschöne “Mutter” Yuichis, hat eine schillernde Vergangenheit. (Klappentext)

Rezension:

Wer sich vom Klappentext leiten lässt, kommt darin um. Die Inhaltsangabe passt zu einer Geschichte, etwas weiter gefasst zu zwei Erzählungen, jedoch nicht die Handlung derer drei, die in dieser Kurzromansammlung zusammengefasst wurden. Eine Sammlung ist dies, von Texten unterschiedlicher Entstehungszeit, jedoch aus den Jahren, in denen sich die japanische Autorin Banana Yoshimoto noch neu an das Schreiben und Erzählen herangewagt hat.

Doch schon hier werden die großen Themen der Kunst, der Literatur und des Lebens behandelt. Um letzteres geht es auch, genau so wie um Tod, Trauer und den steinigen Weg der Verarbeitung, den man nie ganz verlassen können wird, besonders wenn man einen geliebten Menschen verloren hat.

Alle drei Erzählungen sind für sich genommen kompakt und werden nur durch die Themen zusammengehalten, können jedoch als Einzelwerk gut wirken. Eines mehr als die anderen. In dieser Zusammenstellung wirkt der Mittelteil am schwächsten und verschwimmt mit zunehmender gelesener Zeilenanzahl der dritten Erzählung. Das Lesen hintereinanderweg, wie dies mit einem Großteil der westlichen Literatur funktioniert, ist hier nicht möglich.

Es lohnt sich immer wieder innezuhalten, einzelne Abschnitte, die so kunstvoll geschrieben sind wie ein Gemälde, auf sich wirken zu lassen. Zu erwähnen ist aber auch, dass andere Sätze aber mit der Holzhammermethode aufzeigen, dass sich dahinter noch verschiedene Ebenen verbergen. Ob man die allerdings greifen kann, hängt davon ab, wie viel Erfahrungen man schon mit dieser Art von Texten gesammelt hat.

In allen Erzählungen beschränkt sich die Autorin auf wenige Figuren und einer überschaubaren Anzahl von Perspektivwechseln, die sehr gewählt gesetzt sind, jedoch manche Länge haben entstehen lassen. Das ist schade, denn dem Zugang zu den Geschichten ist dies nicht unbedingt zuträglich.

Auch wirken manche Szenarien wie durch einem Nebelschleier, wenn man auch anerkennen muss, dass die Autorin durchaus gesellschaftliche und literarische Grenzen mit ihren Erzählungen in Japan aufgebrochen hat. Das sagt uns zumindest ein einordnendes Nachwort, hier von Giorgio Amitrano. Unbedingt notwendig für jene, die noch nie etwas von der Autorin gelesen haben oder gar mit Yoshimoto einen Einstieg in die japanische Literatur versuchen möchten. Von Letzteren würde ich allerdings abraten.

Wenn man sie einmal zu fassen bekommt, zerrinnen einem die Figuren im nächsten Moment wieder zwischen den Fingern. Mitfühlen fällt jedoch leichter, wenn man ähnlichen Verlust schon einmal erlebt hat oder benennen kann. Anders ist es schwer, auch wenn man allgemein Probleme damit hat, Gefühl zu beschreiben, zu benennen. Hier hätte vielleicht ein etwas anderer Schreibstil gut getan, was aber auch an der Übersetzung selbst liegen kann.

Spannend ist es für jene geschrieben, denen das Sezieren von Gefühlswelten liegt, große Überraschungen bleiben jedoch auch dann aus. Die braucht es dann jedoch auch nicht.

Wer die Kurzgeschichten wirklich als solche liest und nicht hintereinanderweg schmökert, sondern zwischendurch innehält, gewinnt dadurch mehr. Daher empfiehlt es sich, zwischendurch eine Pause einzulegen. Das sollte man aber vielleicht vorher wissen.

Nun denn, ihr wisst das jetzt. Vielleicht ist euer Urteil dann milder.

Autorin:

Banana Yoshimot ist das Pseudonym der japanischen Autorin Mahoko Yoshimoto. Geboren wurde sie 1964 und studierte nach der Schule japanische Literatur. Für ihre Abschlussarbeit bekam sie 1986 den Dekanspreis ihrer Universität. ein Jahr später für ihre Erzählung “Kitchen” den 6. Kaien-Literaturpreis für Debütanten. Weitere Werke folgten, die mehrfach ausgezeichnet und übersetzt wurden.

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W. E. B. Du Bois: “Along the color line”

Inhalt:

1936 reist der afroamerikanische Bürgerrechtler W. E. B. Du Bois nach Deutschland. Als Kritiker des Rassismus in den USA beobachtet er das Leben in der totalitären Diktatur und die Entrechtung der Juden. Seine Reportagen aus diesen Monaten erscheinen hier erstmals auf Deutsch. (Klappentext)

Rezension:

Einige Wochen nach den Olympischen Spielen 1936 begab sich der afroamerikanische Bürgerrechtler W. E. B. Du Bois auf eine Reise quer durch Europa und schrieb darüber, u. A. für den Pittsburgh Courier eine vielbeachtete Kolumne. Vor allem interessierte ihn Deutschland, welches sich zu den Sportereignissen der Welt in einem gewollt bestimmten Licht präsentiert hatte, wo jedoch Diskriminierung und Ausgrenzung des jüdischen Teils der Bevölkerung bereits auf Hochtouren lief.

Eine andere Art der Diskriminierung erfuhr der Soziologe und Journalist im Alltag seines Heimatlands, entlang der Farbenlinie, doch begann er mit seinen Artikeln bereits verschiedene Gewaltgeschichten zueinander in Beziehung zu setzen. Dieser Versuch nun, ist hier erstmals in deutscher Sprache zugänglich.

Die kompakten Artikel, die in diesem schmalen Band versammelt sind, sind Teile einer Zeitungskolumne und sollten auch so gelesen werden. Kompakte Zusammenfassungen wechseln sich ab mit ausschweifender Betrachtung kultureller und industrieller Institutionen, Auswüchse und Widersprüche, die der Autor in Bezug zu seinem eigenen Erfahrungsschatz setzt.

Offen, kontinuierlich und entschieden wird eine Kampagne des Rassenvorurteils gegen alle nichtnordischen Rassen geführt, vor allem aber gegen die Juden. Sie übertrifft an rachsüchtiger Grausamkeit und öffentlicher Herabwürdigung alles, was ich jemals erlebt habe, und ich habe vieles erlebt.

W. E. B. Du Bois: “Along the color line” – Eine Reise durch Deutschland 1936

Wie haben die Deutschen, die damals schon verschreckende Politik ihrer Regierung, dieses System aus Terror, Willkür und Hörigkeit auf den außenstehenden Betrachter gewirkt, der doch stetig befürchten musste, selbst ins Blickfeld zu geraten? Sensibel näherte sich Du Bois den Objekten seiner Betrachtung aus intellektueller Perspektive an, spricht etwa mit Wissenschaftlern und Unternehmern und schuf so ein für seine Zeitgenossen in Übersee bezeichnendes Porträt dieses brodelnden Kessels, dessen Widersprüche er sah, mit kritischer Mine und vor allem Neugier betrachtete.

Bezeichnend, der Unterschied zwischen den Beiträgen, die bereits in Deutschland schrieb und von dort auf die andere Seite des Atlantiks schickte, anders lesen sich die Artikel, die er in der Sicherheit seiner Heimat verfasste. Der Rest findet sich zwischen den Zeilen wieder. Neben dieser spannenden soziologischen Betrachtung, die eine heute sehr interessante zeithistorische Sammlung geschaffen hat, ist es jedoch auch ein Musterstück journalistischer Arbeit, was die Auswahl der Themen und seiner Gesprächspartner betrifft, aber auch die Lenkung der Lesenden auf bestimmte Punkte seiner Ausführungen. Dies in einem kompakt gehaltenen Stil, immer wieder auch die Interessenten seiner Beiträge in Bezug dazu setzend.

Der Schreibende verfolgt eine Theorie, lesend nimmt man dazu einen eigenen Standpunkt ein. Zumal vergleichende Betrachtung schon im Kontext der Gegenwart kompliziert genug ist, mit dem Abstand von heute und dem, was immer noch an gesellschaftlichen Wandlungen in Europa und Amerika durchlaufen werden muss, liest sich das sehr brisant. Ohne die historische Komponente ist das immer noch ein hoch aktuelles Dokument.

Natürlich lässt sich das nach wie vor wie eine Zeitungskolumne lesen, in ihre Bestandteile zerlegt. Mit der Einordnung und den editorischen Anmerkungen, sowie denen zum Autoren selbst, ist jedoch das Fundament vorgegeben. Diese Perspektive konnte so nur selten eingenommen werden, umso wichtiger ist ein Werk wie dieses, welches wiederum als Gegenstück zu Lebenserinnerung etwa Hans Massaquois’ gelesen werden kann, der sehr wohl Diskriminierung in Deutschland erlebt hat, wie sie Du Bois nur aus seiner Heimat kannte.

Zu Teilen erschütternd, zu Teilen bezeichnend, einen neuen Blickwinkel gebend. Das können die Texte Du Bois’ heute noch.

Autor:

William Edward Burghardt “W. E. B.” Du Bois wurde 1968 in Massachusetts geboren und war ein US-amerikanischer Historiker, Soziologe, Philosoph und Journalist, sowie in der Bürgerrechtsbewegung aktiv. Er starb 1963 in Ghana.

Ich verlinke hier ausnahmsweise Wikipedia, da die Biografie einfach zu interessant ist.

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Duden-Verlag (Hrsg.): Kleines Kuriositätenkabinett der deutschen Sprache

Kleines Kuriositätenkabinett der deutschen Sprache Book Cover
Kleines Kuriositätenkabinett der deutschen Sprache Duden-Verlag (Hrsg.) Erschienen am: 07.09.2020 Duden-Verlag Seiten: 128 ISBN: 978-3-411-71786-6

Inhalt:

Die deutsche Sprache ist sonderbar, abenteuerlich, komisch, manchmal skurril- und absolut liebenswert.

Dieses Büchlein versammelt sie alle: Die Wortschönheiten, die Längenungetüme, die peniblen Regeln und die irren Ausnahmen.

Folgen Sie uns in das Kuriositätenkabinett der deutschen Sprache und lassen Sie sich verzaubern von den herrlichen Sonderbarkeiten, die unsere Sprache zum Leuchten bringen. (Klappentext)

Rezension:

Deutsche Sprache, schwere Sprache, wusste schon Mark Twain zu sagen, dem zu Folge es um die dreißig Jahre dauert, bis man diese ansatzweise gelernt hätte. Tatsächlich gibt es einfachere Sprachen, und so verwundert es nicht, dass selbst die hier Geborenen immer wieder über Auswüchse, Ausnahmen und Kuriositäten stolpern.

Alleine, die Duden-Redaktion bekommt jährlich dutzende Anfragen zur richtigen Anwendung der Sprache, so dass es einmal Zeit wurde, die kleinen Juwelen des Deutschem zu sichten. Herausgekommen dabei ist das hier vorliegende kleine „Kuriositätenkabinett der deutschen Sprache“.

Überschaubar ist das Format, auch vom Umfang her ist dieses besondere Lexikon nicht besonders, doch wer es aufschlägt, entdeckt viel Kreativität in der Gestaltung einerseits, natürlich auch, welche Lust an der Recherche die Duden-Redaktion selbst gehabt haben muss.

Wie groß ist der Anteil tatsächlicher Anglizismen an unserer Sprache, welche Wörter und Begriffe haben vom Deutschen in andere Sprachen ihren Weg gefunden? Welches ist das Wort mit den meisten enthaltenen Zusammensetzungen? Und wo sagt man wie, zu dem Rest vom Apfel?

Dabei ist dies kein starres Lexikon. Die Form wird aufgelöst, durch grafische Spielereien, die die Thematik auflockern. Mit einem Blick vermag man den Inhalt zu erfassen, manchmal auch gedanklich zu ergänzen. Tatsächlich wird für das Werk kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben, doch schon dieser kleine Teil Besonderheiten fasziniert.

Lange und kurze Ortsnamen:

Llanfairpwllgwyngyllgogerychwyrndrobwllllantysiliogogogoch ist mit 58 Buchstaben der längste Ortsname Europa. Der walisische Ort ist mit dem Dorf Y in Frankreich verschwistert. Platz 1 der kürzesten Ortsnamen Europas miss sich Y alledings mit mehreren Orten namens Å in Norwegen, Schweden und Dänemark teilen.

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Vieles hat der Lesende bereits geahnt, viel wird mit der Lektüre an Wissen hinzukommen. Welche Orte etwa, haben den kürzesten Ortsnamen, welcher Ort den, mit den meisten Buchstaben? Welche Wörter kommen in Texten allgemein, in Romanen besonders häufig vor und wie viele Beispiele gibt es für Wörter mit mehreren aufeinander folgenden Vokalen? Welche Buchstaben kommen wie häufig vor? Und, ist nicht jeder von uns unbewusst eigentlich ein Lateiner?

Es gibt viel zu entdecken und hier lädt der Duden-Verlag einmal ausdrücklich dazu ein. Aus der Lektüre, die eher einem Forschen gleicht, Fließtext sucht man hier fast vergeblich, geht man in jedem Fall schlauer hervor. Eines der guten und unterhaltsamen Lexika. Oder Lexikons? 😉

Autoren:

Iris Glahn und Jürgen C. Hess zeichnen sich für die redaktionelle Erarbeitung des vorliegenden Werkes aus dem Duden-Verlag verantwortlich. Zunächst wurde der Duden erstmalig 1880 herausgegeben, im Zuge der deutschen Teilung wurden in Ost und West unterschiedliche Rechtschreibsammlungen herausgegeben, bevor 1991 der Einheitsduden veröffentlicht wurde.

Bis zur Reform der deutschen Rechtschreibung war der Duden maßgebend für die amtliche Rechtschreibung. Inzwischen wird er aufgrund der aktuellen amtlichen Rechtschreibregeln des Rats für deutsche Rechtschreibung erstellt. Immer wieder erscheinen zudem weitere Fachbücher und Ergänzungsliteratur, zuletzt 2020 das vorliegende Werk.

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Steven Levy: Facebook – Weltmacht am Abgrund

Facebook - Weltmacht am Abgrund Book Cover
Facebook – Weltmacht am Abgrund Steven Levy Droemer Erschienen am: 02.03.2020 Seiten: 687 ISBN: 978-3-426-27728-7 Übersetzer: Gisela Fichtl (u.a.)

Inhalt:

Die turbulente Firmengeschichte von Facebook zeigt, wie aus dem Konzern das international einflussreichste Tech-Imperium werden konnte, von dem es heute heißt, es bedrohe die Demokratie.

Das mit über 3 Milliarden weltweiten Nutzern auf Facebook, WhatsApp und Instagram über enorme datenvorräte und eine macht verfügt, die ihresgleichen sucht. Eine Macht, für die der Konzern heute immer deutlicher zur Rechenschaft gezogen wird.

Mit unvergleichlichem Insider-Wissen legt Steven Levy offen, was Mark Zuckerberg für die Zukunft seines Unternehmens und die unserer Gesellschaft plant. Er macht deutlich, warum Facebook die Welt unumkehrbar verändert hat und dafür heute die Konsequenzen trägt. (Klappentext)

Rezension:

Als studentisches Netzwerk im Jahr 2004 gegründet, sollte Mark Zuckerbergs Unternehmung einen stetigen Aufstieg Richtung der unseren Alltag beherrschenden Tech-Konzerne nehmen, dass es fast schwindelerregend ist, die einzelnen Stationen zu betrachten.

Wie konnte es einer kleinen Gruppe von Studenten gelingen, die Grundlage für etwas zu schaffen, welches heute zu den wohl Umstrittensten aller Unternehmen gehört, die Einfluss auf unser Leben nehmen?

Der renomierte Tech-Journalist Steven Levy beschreibt den Wandel der Plattform zur allumfassenden Datenmechanerie, skizziert dabei Wege und Wendungen, auch die Probleme, denen sich die Firmenspitze von Facebook heute mehr denn je gezwungen ist zu stellen.

Voraus ging eine jahrelange Recherche durch den Journalisten, der die Entwicklöung von Amerikas Tech-Konzernen seit über dreißig Jahren begleitet. Steven Levy nutzt und kennt die sozialen Medien und bekam Zugang zur Führungsriege, den Mitarbeitern von Facebook, sprach mit ehemaligen Wegbegleitern und Konkurrenten Mark Zuckerbergs.

Was anfangs nur als Art Unternehmensbiografie gedacht war, entwickelte sich im Laufe von zahlreichen Gesprächen zu einem tiefgehenden Psychograms dieses Unternehmes und ihrer Führungsriege. Levy zeigt auf, welche Wege und Wendungen Facebook nahm, wie Facebook arbeitete und Konkurrenten ausschaltete oder sich einverleibte, um dabei die Vision ihrer Gründer zu erfüllen.

Natürlich behält Levy die Fehler, die dabei gemacht wurden im Blick und zeigt, mit welchen Überbleibseln Zuckerberg und Co. zu kämpfen haben, die ihnen Jahre später auf die Füße fallen sollten.

Anfangs durchaus wohlwollend, ist es der kritische Blick, den Levys Arbeit auszeichnet, weshalb sich die Lektüre lohnt. tatsächlich könnte man auf die Idee kommen, einen begeisterten und positiven Bericht vorgesetzt zu bekommen, doch der Autor schaut über den Tellerrand.

Er zeigt die Perspektiven von Wegbegleitern und Konkurrenten, die zumeist nicht wohlwollend auf die Zeit mit Zuckerberg zurückschauen, aber auch, dass die angestellten durchaus idealistische Vorstellungen haben, die sich jedoch regelmäßig mit dem Geschöftsmodellen beißen, ganz zu schweigen von den entwicklungstechnischen Sprüngen, denen der Konzern folgen muss, um Platzhirsch zu bleiben.

Die Reportage ließt sich wie eine Biografie, ein Wirtschaftskrimi aber auch wie eine Blaupause, um mal die Farbe zu missbrauchen, von Erfolgsgeschichten des Silicon Valley.

Man muss dabei kein Nerd haben oder technisches Verständnis, um Steven Levys Ausführungen folgen zu können, zumal ein Großteil der Geschichte an Personen festzumachen ist, denen der Autor persönlich begegnet ist.

Hoch anzurechnen ist es dem Autoren, nicht zu werten, Mark Zuckerberg, sowie dessen Führungsriege, dass sie dem Tech-Journalisten auch dann noch Zugang zu Personen und Unternehmen gewährten, als die Richtung klar wurde, in die sich das Buch entwickelte.

Steven Levy zeigt die Auswirkungen eines amerikanischen Traumes auf die ganze Welt, sowie die Verquickung des Konzernes in die Politik von Staaten, nicht zuletzt der USA selbst.

Welche Probleme sind es, die Facebook selbst geschaffen hat, denen Zuckerberg begegnen muss und welche Visionen werden auch in Zukunft durch Facebook oder einer der eroberten Anwendungen in unserem Leben bestimmt.

“Facebook – Weltmacht am Abgrund”, als vielschichtiger Versuch, eine Unternehmung zu begreifen, die sich selbst von ein gefleischten Insidern schwer durchschauen lässt.

Autor:

Steven Levy wurde 1951 geboren und ist ein Technik-Redakteur, Kolumnist und Senior Editor beim Nachrichtenmagazin Newsweek. Er beschäftigt sich mit Kryptographie im Zeitalter der Computer und veröffentlichte 1984 erstmals eine konsistent ausformulierte Hackerethik.

In seinen Reportagen beschreibt er die Entwicklungen bei Tech-Konzernen wie Google oder Facebook und fand im jahr 1978 das nach einer Obduktion im Jahr 1955 entwendete Gehirn Albert Einsteins. Seine Reportagen und Artikel wurden mehrfach ausgezeichnet.

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Christian Hardinghaus: Die verdammte Generation

Die verdammte Generation Book Cover
Die verdammte Generation Christian Hardinghaus Europa Verlag Erschienen am: 21.02.2020 Seiten: 328 ISBN: 978-3-95890-297-8

Inhalt:

Holocaust und Judenverfolgung haben seit Jahrzehnten ihren berechtigten Platz im kollektiven Gedächtnis, doch wie sieht es aus, die Soldaten zu befragen, die auf deutscher Seite im Zweiten Weltkrieg gekämpft haben.

Ein Versäumnis, welches begann, als man in Deutschland bereit war, ein Stück Geschichte aufzuarbeiten. Bisherige Versuche einer differenzierten Betrachtung scheiterten. Der Historiker Christian Hardinghaus befragte dreizehn Zeitzeugen, die schonungslos ehrlich über das Kämpfen und Töten im Zweiten Weltkrieg berichten.

Damals und retroperspektivisch. Es sind die <berichte einfacher Soldaten und somit ein wichtiger Beitrag unserer Erinnerungskultur. (eigene Inhaltsangabe)

Rezension:

In den letzten Jahren füllten sich zunehmend die Archivsammlungen mit Zeitzeugenberichten und Interviews, die uns zur Aufgabe machen, diese Erinnerungen zu bewahren und nicht zu vergessen.

Als nachfolgende Generation sind wir für damalige Taten und Ereignisse nicht verantwortlich, doch tragen wir Verantwortung dafür, mit den Erkenntnissen daraus verantwortungsvoll umzugehen und diesen gerecht zu werden.

In verschiedenen Bereichen gelingt dies mehrheitlich. Doch, immer noch gibt es Themen, die weitgehend unbesprochen sind, so zum Beispiel die Rolle des einfachen Soldaten an den Fronten des Zweiten Weltkrieges, der ein kleines Rädchen im großen Getriebe war, auf die Entscheidungen der Politiker und obersten Führungsriege jedoch keinen Einfluss hatte.

Wie gehen wir damit um? Zurzeit zeichnen sich zwei Wege ab. Einmal, die totale Verklärung, was falsch ist. Zum anderen, die totale Negierung von bestimmten Ereignissen im Zweiten Weltkrieg, was ebenso nicht richtig erscheint.

Eine differenzierte Betrachtung, eben nicht nur der Extreme, sondern auch der Graustufen dazwischen, ist kaum vorhanden. Dies versucht der Historiker und Autor Christian Hardinghaus nun in seinem neuesten Werk und befragte dazu mehrere Zeitzeugen, unterschiedlicher Jahrgänge, die an verschiedenen Fronten des grausamsten aller Kriege auf deutscher Seite kämpfen mussten.

Als einfache Soldaten. Und stößt damit ein Stück Erinnerungskultur an, die in anderen Ländern selbstverständlich ist, hierzulande jedoch stiefmütterlich behandelt wird.

Die ehemaligen Soldaten berichteten dem Autoren nun in Abstand der vergangenen Jahrzehnte von ihren Erlebnissen mit einer differenzierten Selbstreflektion über das Leben als einfacher Soldat, das Töten und Sterben an der Front und den Grausamkeiten des Krieges an forderster Linie, ohne Holocaust und Verfolgung, hinter den Frontlinien zu negieren oder zu beschönigen.

Stärke ist hier die Sicht des persönlichen Erlebens, welche den Lesern zugänglich gemacht wird, ohne dass dies Christian Hardinghaus wertet. Vielmehr dürfen und können die Leser sich eine eigene Meinung bilden. Fazit vielleicht, Krieg bringt nichts, er zerstört nur.

Eben auch die Leben derer, die als Soldaten kämpfen müssen. Egal, ob freiwillig oder dazu gezwungen.

So ist diese Gesprächssammlung, nichts weniger ist das vorliegende Werk, eine Ergänzung, die dazu anregen sollte, sich mit allen Perspektiven des Zweiten Weltkrieges zu beschäftigen und sich eben nicht nur auf bestimmte zu konzentrieren.

Die bisherige Aufarbeitung ist richtig und wichtig, jedoch noch nicht vollständig. Gerade hierzu leistet der Historiker Hardinghaus einen wichtigen Beitrag, der durchaus, auch, kontrovers zu diskutieren ist.

Diese Diskussion jedoch erst einmal anzustoßen, ist in unseren turbulenten Zeiten der Meinungsfrontenbildung wichtig, um ein differenziertes und ausgewogenes Bild zu bekommen.

In kurzen übersichtlichen Kapiteln ist diese Sammlung der Gespräche gegliedert, abschließend mit jeweils drei ergänzenden Fragen an die Interviewpartner gestellt, die die Gespräche einordnen. Eine ausführliche Einführung in die Texte ist ebenso gegeben, wodurch das Ganze abgerundet wird.

Ein wichtiges Dokument, welches den geschichtlichen Diskurs ergänzen sollte, wenn mir auch die Anzahl der geführten Gespräche als fast zu wenig erscheint, was jedoch dem zeitlichen Kontext geschuldet sein dürfte.

Autor:

Christian Hardinghaus wurde 1978 in Osnabrück geboren und ist ein deutscher Historiker, Schriftsteller und Fachjournalist. Nach seinem Studium der Geschichte, Literatur- und Medienwissenschaft (Film und TV) promovierte er an der Universität Osnabrück im Bereich Propaganda- und Antisemitismusforschung.

Im gleichen Jahr absolvierte er den Lehrgang Fachjournalismus an der Freien Journalismusschule. 2016 erwarb er zudem den Abschluss für das gymnasiale Lehramt in den Fächern Deutsch und Geschichte. Er ist Autor zahlreicher Sachbücher und Romane. Hardinghaus lebt in Osnabrück.

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S.E. Miederer: Arme Schlucker – Wahre Geschichten aus dem Leib gezogen

Arme Schlucker - Wahre Geschichten aus dem Leib gezogen Book Cover
Arme Schlucker – Wahre Geschichten aus dem Leib gezogen S.E. Miederer edition fischer Erschienen am: 01.02.2016 Seiten: 95 ISBN: 978-3-86455-841-2

Inhalt:

Die Gründe, aus denen Menschen Dinge verschlucken, sind so unterschiedlich wie die Gegenstände selbst. Ob nun der Insassse eines Gefängnisses, der sich ein paar Tage Krankenhaus erschleichen möchte, oder der Gast einer Party, der aus Versehen das Häppchen samt ungenießbarer Deko verschluckt – dank medizinischer Errungenschaften können in den meisten Fällen die Fremdkörper komplikationslos wieder entfernt werden.

Prof. Dr. S. E. Miederer erzählt erschreckende, witzige, skurrile Geschichten aus seinem Alltag als Gastroenterologe – dokumentiert mit zahlreichen abbildungen. Die hier vorgestellte Sammlung ist zum Teil im Deutschen Museum Bonn zu besichtigen. (Klappentext)

Rezension:
Entscheidend ist, was hinten raus kommt. Wenn etwas raus kommt. Im schlechten Falle bleibt es stecken. Dabei können erstaunlich viele Dinge den menschlichen Verdauungstrakt problemlos passieren, auch wenn sie überhaupt nicht zum Verzehr geeignet sind. Manchmal jedoch hilft nur ein kleiner medizinischer Eingriff, um der Lage Herr zu werden.

Prof Dr. Miederer, erfahrener langjähriger Gastroenterologe erzählt, anonymisiert natürlich, die Geschichten seiner Patienten und der Fundstücke, die er seiner Sammlung im Laufe der Jahre einverleibte. Warum verschluckte ein kleiner Junge etwa eine Batterie, was passiert, wenn die Leidenschaft Leiden schafft und wenn mal Ebbe im Portemonaie ist, kann der Blick -ins- eigene Kind nicht schaden? Vielleicht findet sich ja dort noch die eine oder andere Münze.

Spoiler

Da fällt die in meiner Kindheit verschluckte Plastik-Pommesgal nicht mal ins Gewicht. Sie fand den natürlichen Weg nach draußen. 😉

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Angehenden Medizinern und all den anderen Interessierten ist dieses kleine Büchlein zu empfehlen, in dem mit viel Humor beschrieben wird, wie die Patienten aus ihrer misslichen Lage befreit wurden, die dann zumeist (nicht immer) im Positiven endete.

Amüsant zu lesen sind die Geschichten und irgendwie ist es auch beruhigend, dass die meisten Gegenstände problemlos entfernt werden können. Nicht zu unterschätzen ist dennoch der Struwwelpeter-Effekt, den die Lektüre zweifellos haben dürfte, bei Kindern und Erwachsenen. Die Sammlung der Gegenstände ist heutzutage in Bonn zu bewundern.

Kurzweilig, lockerer Schreibstil, sehr episodenhaft gliedert sich das Buch. Die Kapitel gliedern sich in die Art des “Verschwindens” der Gegenstände mit derer erfolgten Auflistung und dann der jeweiligen Situationsbeschreibung.

Medizinisches Fachchinesisch hat der Autor vermieden, wo er jedoch nicht umhinkommt, entsprechendes Vokabular zu verwenden, wird dieses im Text erklärt, sowie der jeweilige Eingriff anschaulich beschrieben. Die jeweiligen Gegenstände sind entsprechend abgebildet. Wer ein wenig schmunzeln möchte, für den ist dieses Büchlein zu empfehlen. Für alle anderen auch. Nur aufpassen sollte man, falls man sich dabei etwas in den Mund steckt. Man könnte es ja verschlucken.

Autor:
Prof Dr. S.E. Miederer wurde 1942 in Berlin geboren, wuchs in bayern auf und studierte an der Universität Erlangen Medizin, wo er promovierte. Er ist Mit-Entdecker des lebenswichtigen Akute-Phase-Eiweißes Haptoglobin und entwickelte 1976 das weltweit erste Desinfektionsgerät für flexible Endoskope. Habilitierte er sich für das Fach Innere Medizin und war bis 1987 Leiter der Gastroenterologischen Abteilung, bevor er Direktor der Medizinischen Klinik des Evangelischen Krankenhauses Bielefeld wurde. Er lebt in Berlin und Bielefeld.

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Autoren-Interview auf der Leipziger Buchmesse 2018: Björn Berge und die Briefmarken

NH: Herzlich willkommen auf der Leipziger Buchmesse. Bei mir ist Björn Berge, Autor des Buches „Atlas der verschwundenen Länder“ (erschienen bei dtv). Sie sammeln Briefmarken und Treibgut, hobbymäßig eher eine ungewöhnliche Kombination. Wie sind Sie auf dieses doch sehr spezielle Sammelgebiet gekommen?

BB: Ich werde langsam älter und habe daher beschlossen, anstatt selbst die Welt zu bereisen, diese zu mir kommen zu lassen. Vor 20 Jahren habe ich damit begonnen, jeden Sommer ein Stück der europäischen Küste entlang zu gehen und wollte mir die ganze Küste Bucht für Bucht, Strand für Strand erwandern. Ich habe im äußersten Norden Dänemarks damit begonnen und bin bis südlich von Le Havre gekommen. Das Ziel war, für mich die Welt zu erobern.

NH: Die Kontinente umrunden und damit zu erfahren?

BB: Genau.

NH: Das Sammelgebiet Briefmarken. Was können uns Briefmarken in Zeiten von E-Mails und WhatsApp heute erzählen?

BB: Briefmarken sind schon immer Propaganda gewesen. Das erste, was ein Herrscher macht, wenn er an die Macht kommt, ist es, Briefmarken zu veröffentlichen, manchmal waren die auch schon vorher fertig, und die stellen das Land natürlich immer so dar, wie er es sehen möchte. Stärker, vielleicht auch netter, demokratischer oder liberaler.

NH: Es geht um Macht und Wirtschaft, Geschichten die sich auf Grundlage der Motive, des Materials, erschließen. Wie sind Sie auf die erste Briefmarke gestoßen? Was war ausschlaggebend dafür, zu sagen, das ist ein interessantes Sammelgebiet, das verfolge ich weiter?

BB: Die Motive können lügen, aber das Material und die Beschaffenheit nicht. Ich beschäftige mich sehr mit den Sinneseindrücken, welche mir eine Briefmarke erzählt. Der Leim, die Beschaffenheit und vielleicht Geruch. Ich habe die Briefmarkensammlung von meinem Vater übernommen. Ich habe sie wieder entdeckt, als ich gemerkt habe, dass ich nicht mehr selbst so um die Welt laufen kann und mir dann diese Sammlung angeschaut. Ich habe gemerkt, was ich da wertvolles habe. Nicht im Sinne von Geld, sondern was ich da für Geschichten in den Händen halte, quasi einen Weltatlas.

9783423281607
Autor: Björn Berge
Titel: Atlas der verschwundenen Länder
Seiten: 239ISBN: 978-3-423-28160-7
Verlag: dtv
Link zur Rezension: hier klicken

NH: Sie beschreiben, dass Sie vor allem gebrauchte Briefmarken sammeln, aus denen Sie die Geschichten ziehen. Ein Sammler sammelt für gewöhnlich neue oder zumindest gut erhaltene Briefmarken. In ihrem Buch stellen Sie Briefmarken vor, die deutliche Gebrauchsspuren haben. Mal ein Riss, mal fehlen Zacken. Ist das auch ein Weg, diese Länder zu erfahren?

BB: Definitiv. Ich bezeichne diese Art von Sammeln als „punksammeln“. Die Benutzung und die Benutzungsspuren sind das, was mich am meisten interessiert.

NH: Welches ist die kurioseste Geschichte, die Sie gefunden haben?

BB: Das ist wohl die der Briefmarke von Helgoland, welches zu dieser Zeit Heligoland hieß und britisch war. Die habe ich von meinem Vater geerbt. 1870 war Helgoland ein bekanntes Heilbad, ein Kurort, wo die Aristokratie aus ganz Europa hinkam.

Sie haben die Gäste mit Pferdewagen an den Strand gefahren, dort zwei Stunden an der frischen Seeluft stehen lassen und dann wieder ins Hotel gebracht. Wenn ich die Briefmarke in meiner Hand erwärme, etwas reibe und daran rieche, kann ich immer noch den Geruch von kräftigem Massage-Öl wahrnehmen, was von dem Kurort zeugt.

NH: Das machen Sie aber nicht oft, da sonst die Briefmarke kaputt geht?

BB: Das sind einzigartige Erinnerungen. Vielleicht ist es sogar die allerletzte Spur des Helgoländer Duftes, da die Insel im Krieg komplett zerbombt wurde.

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NH: Die Geschichte von Helgoland lässt sich anhand von Archiven oder Reiseberichten nachvollziehen, es gibt aber auch Marken, wo es ziemlich schwierig war, deren Geschichten zu erfahren. Wie sind Sie da vorgegangen, um diese zu erfahren?

BB: Ich analysiere zuerst die Motive der Briefmarken und versuche, die Lüge dahinter zu finden und darauf baue ich dann die Geschichten auf, die ich hier erzähle.

NH: Wir haben hier Geschichten von Kolonialherren, Herrschern und Hochstaplern. Heutzutage werden immer weniger Briefe oder Postkarten verschickt. Wenn die Briefmarke aus unserem Alltag verschwindet, was fehlt dann künftig?

BB: Das ist sehr schade, denn Briefmarken sind Teil einer sehr intimen Kommunikation.

NH: In ihrem Buch stellen Sie nicht nur die Geschichten hinter den Marken vor, sondern auch Reiseberichte oder auch Kochrezepte aus den jeweiligen Ländern. Wo war jetzt die Recherche besonders schwierig?

BB: Es war eine phantastische Entdeckungsreise, dieses Buch zu schreiben. Fast jeden Morgen bin ich quasi in einem anderen Land aufgewacht, ohne genau zu wissen, wo ich hinkam. Im Dschungel, an den Stränden oder in Eis und Schnee.

NH: In ihrem Buch stellen Sie exemplarisch 50 Briefmarken vor. Die Geschichte ist sicher noch nicht zu Ende erzählt. Das Sammelgebiet ist riesig. Haben Sie einen Überblick, wie viel ihnen noch ungefähr fehlt?

BB: Ich habe das mal ausgerechnet. Es gibt ungefähr 1175 Länder, die seit dem Erscheinen der ersten Briefmarke, der „One Penny Black“ von 1840, Marken herausgegeben haben. Ich besitze ungefähr 750 davon.

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Die Briefmarke von Heligoland. (dtv)

NH: Also wird das Sammeln dieser Marken noch eine Weile beschäftigen. Gibt es noch andere Sammler, mit denen Sie sich austauschen können? Die jetzt dieses spezielle Sammelgebiet haben?

BB: Meine Methode zu sammeln ist wirklich einzigartig. Ich kann mich da nicht mit konservativen Briefmarkensammlern austauschen. Bei denen muss alles perfekt sein. Die Perforation, der Stempel muss richtig sitzen, sie sollen möglichst wenig Gebrauchsspuren vorweisen. Meine Sammlung ist das krasse Gegenteil davon. Das ist für mich ein großer Vorteil, da ich sie günstig bekomme, manchmal sogar geschenkt.

NH: Sie gehen auf die Farbe ein, den Leim, das Papier. Gibt es so etwas wie eine Entwicklung, dass jetzt z.B. in Europa ein bestimmter Leim verwendet wurde, in Asien wieder etwas anderes?

BB: Es ist gleichzeitig eine Kulturgeschichte der Briefmarke und der technischen Historie des Druckes. Nicht gerade chronologisch, aber das war ja auch nicht meine Absicht.

NH: Dieses Buch enthält nur eine kleine Auswahl an Briefmarken, im Gegensatz zu ihrer Sammlung. Es gibt sicher noch viele interessante Geschichten zu erzählen. Gibt es diesbezüglich Pläne?

BB: Die Auswahl der Briefmarken ist ein wenig zufällig, aber ich habe versucht, sie sowohl geografisch als auch zeitlich über den Globus zu verteilen, damit es nicht zu einseitig wird und wirklich eine Art Weltgeschichte daraus entsteht. Dadurch ist eine Art Parallelgeschichte zu der offiziellen entstanden, da sie aus der Perspektive der Länder erzählt wird, die schlicht und einfach zu kurz gekommen sind, da sie untergegangen sind. Es ist eine Art Gegenstück zu Darwins „Survival of the Fittest“.

Link zur Leseprobe. (dtv)

NH: Sie haben von der Geschichte Helgolands gesprochen. Gab es eine Geschichte, die Sie besonders überrascht hat, von der Sie nicht geahnt hätten, dass Sie so passiert ist?

BB: Eine schwierige Frage, denn ich war an sich fast immer überrascht. Die Reise war improvisiert, und eigentlich habe ich nur meine eigene persönliche Erfahrung erzählt.

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Der Autor Björn Berge über Briefmarken und die faszination für ihre Eigenschaften.

NH: Gibt es so etwas wie einen Favoriten unter Ihren Briefmarken?

BB: Auch hier sind die Briefmarken genannt, an denen ich die meisten Spuren entdecken kann. Deshalb gehört die Marke von Heligoland zu den Favoriten, aber es gibt natürlich auch noch andere. Die, die die schönsten Geschichten erzählen.

NH: Ist es frustrierend, ein Sammelgebiet zu haben, was man praktisch nicht vollenden kann oder glauben Sie daran, dass Sie das schaffen?

BB: Es ist ähnlich meinem Strandprojekt. Ich bin ungefähr zwei Prozent meines Weges gekommen, aber die Erfahrung kann ich nutzen, um meinen eigenen Maßstab anzulegen, die Welt zu erkunden.

NH: Der Weg ist das Ziel?

BB: Genau.

NH: Herr Berge, ich bedanke mich für das Gespräch.

Das Interview ist redaktionsrechtlich geschützt und darf ohne Genehmigung weder kopiert, noch andersweitig vervielfältigt oder verwertet werden. Alle Rechte liegen bei dtv und findosbuecher.com.

Ich danke den Verlag und seinen freundlichen Mitarbeitern, den Übersetzer, ohne den das Interview nicht zustande gekommen wäre und nicht zuletzt Björn Berge für diese spannende halbe Stunde.

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Paul Auster: Das rote Notizbuch

Das rote Notizbuch Book Cover
Das rote Notizbuch Paul Auster Rezensionsexemplar/Essays Rowohlt Hardcover Seiten: 108 ISBN: 978-3-498-07402-9

Inhalt:
Wie wirkt der Zufall auf unser Leben und was steckt hinter dieser seltsamen Macht? Diese Fragen durchziehen Austers gesamte Werke. In dieser Ausgabe versammelt der Autor all die Zufälle, die sein Leben prägten und in die entscheidende Richtung lenkten.

In einem roten Notizbuch hat Auster all die seltsamen und unergründlichen Ereignisse festgehalten, die man der schriftstellerischen Phantasie zuschreiben möchte, die sich jedoch tatsächlich zugetragen haben. Kntstanden ist eine Sammlung feinsinniger und kurzer Erzählung, erstmals vollständig versammelt. (Klappentext)

Rezension:
Es ist bezeichnend, wenn Autoren auf mehreren hundert Seiten großartige Geschichten lebendig werden lassen können, aber ebenso bewundernswert, wenn dies mit wenigen Zeilen gelingt. Paul Auster, einer der großen amerikanischen Gegenwartsliteraten, gelingt beides.

Sein Werk “4 3 2 1” schlug dies- und jenseits des großen Teiches ein wie eine Bombe, ein vom Umfang her überschaubareres Werk wird es ebenso tun. Paul Auster veröffentlichte bereits in den 1990er Jahren Teile seines Notizbuches in der er all die Alltäglichkeiten, die Besonderheiten des Erlebten, die Zufälle schriftstellerisch festhielt, um diese zu ergründen. Nun liegt dieses kleine, dennoch nicht geringe Werk erstmals vollständig vor.

Feinsinnig erzählt Auster, wie sich seine Wege, die seiner Familie, mit anderen Menschen kreuzten, wie der Zufall bestimmte, wen der Autor zu seinen Freunden zählen würde, wen Auster aus den Augen verlieren und später wieder begegnen sollte.

Fasziniert vom Zufall und der Kunst vom Schicksal, welches das Leben bestimmt und dennoch immer wieder zu den Schriftsteller führt, der Auster ist. Bestseller-Autor, Romancier, Lyriker. Schreibkünstler, wie kaum ein Zweiter. Kurz und prägnant sind die Texte, niemals überladen, und keinesfalls überflüssig.

Sie öffnen den Zugang zum Schriftsteller. Der Leser wird eingesogen und ist versucht, selbst nach den Zufällen seines Lebens zu suchen, die Eckpunkte und Meilensteine zu bestimmen, die man aufgenommen oder beiseite gelassen hat, die das Leben in gute und weniger gute Abschnitte bisher geteilt haben.
Die Kraft des Zufalls ist faszinierend, gut und böse zugleich, doch immer Dreh- und Angelpunkt.

Der verbrannte Zwiebelkuchen, dessen Geschmack alles andere übertüncht, das Haus, in dem die Familie zeitweilig in der Nachbarschaft zu einem anderen weltberühmten Autoren gelebt hat, der reflexhafte Griff, der Leben rettet, dem Retter auf ewig im Bewusstsein eingebrannt, der Geretteten nur eine weitere sekundenlange Episode in ihrem Leben. Sie alle und noch viele mehr sind hier versammelt.

Kurzweilige unterhaltende Literatur, die zum Nachdenken anregt, wenn man das möchte. Ansonsten zählt nur Ersteres, was genügt, um die Texte Austers zu würdigen.

In flüssiger, niemals komplizierter Schreibweise, vom Ausdruck gar nicht zu reden, ist dieses nun vollständige Notizbuch zwar nicht mehr vom Cover her rot, jedoch ein Must-have für Liebhaber moderner amerikanischer Literatur, und auch sonst ein herausragendes Stück Textarbeit. Sehr lesenswert.

Autor:
Paul Auster wurde 1949 in Newark, New Jersey, geboren und ist ein US-amerikanischer Schriftsteller. Nach der Schule studierte er Anglistik und vergleichende Literaturwissenschaften an der Columbia University, arbeitete zunächst in Frankreich, später dann u.a. als Telefonist für die New York Times.

Weltbekannt wurde er durch seine New York-Trilogie, eine Reihe experimenteller Kriminalromane. Auster verfasste jedoch auch zahlreiche Essays und Gedichte, fertigte zudem Übersetzungen an. Im Jahr 2017 erschien sein Bestseller “4 3 2 1”.
Der Autor ist Verfasser mehrerer Drehbücher und erhielt zahlreiche Auszeichnungen, wie die Ehrendoktorwürde der Universität Kopenhagen und den NEA Fellowship für Poesie.

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Björn Berge: Atlas der verschwundenen Länder

Atlas der verschwundenen Länder Book Cover
Atlas der verschwundenen Länder Björn Berge Verlag: dtv Erschienen am: 09.03.2018 Seiten: 239 ISBN: 978-3-423-28160-7

Inhalt:

Es gibt unzählige Länder, die im Laufe der Zeit wieder von den Landkarten verschwunden sind, und von vielen ist nichts geblieben. Björn Berge hat sich für diesen Atlas der anderen Art von seiner Briefmarkensammlung inspirieren lassen.

Angeregt von diesen kleinsten Dokumenten der Welt hat er sich auf eine spannende Spurensuche begeben und lässt alte Länder und Zeiten wieder auferstehen. Es finden sich bekannte Namen wie Helgoland, Schleswig und Danzig ebenso wie extische, darunter Inini, Sazan oder Kap Juby. (Klappentext)

Rezension:
Es gibt viele Arten Macht auszuüben und zu zeigen, Briefmarken heraus- und in den Druck zu geben, war viele Jahrhunderte eine davon. Sie zeigen, wer gerade zu jener Zeit die politische und wirtschaftliche Macht innehatte, die Art des Druckes lässt auf die Eigenheiten jener Regionen, den Wünschen und Vorstellungen ihrer politischen Führer, Ansprüche erkennen.

Das Material z.B. der Farbe, des Papiers, des Klebers auf die Voraussetzungen, auf die man sich örtliche einlassen musste. Ein gefülltes Briefmarkenalbum erzählt Geschichten von Städten, Ländern, und Politik, in aller erster Linie jedoch von denen, die sie benutzten.

Björn Berge hat sein Briefmarkenalbum hervorgeholt und dabei besondere Wertzeichen genauer unter die Lupe genommen. Der Autor nimmt seine Leser mit in längst vergessene Zeiten, Länder, die es nicht mehr gibt. Wie mit dem in etwa vergleichbaren “Atlas der erfundenen Orte” von Edward Brooke-Hitching, ist mit den vorliegenden Werk dem dtv-Verlag ein erneuter Coup gelungen.

Das Sachbuch, welches sich auf den ersten Blick mit einem etwas langweiligeren Thema bechäftigt, offenbart, wie einst die Welt ausgesehen hat und welche Macht- und Ränkespiele sich überall auf unseren Planeten über die jahrhunderte lang abgespielt haben.

In Form von Postwertzeichen, nicht unbedingt wertvoll, gebraucht und zerschlissen sowie so, erzählt der Autor ihre Geschichte, die heute fast vergessen ist. In kurzweiligen, jeweils gerade einmal ein paar Seiten langen Kapiteln, begibt sich der norwegische Autor auf Spurensuche.

Ergänzt durch Personengeschichte und immer mit Quellenangabe weiterführender Literatur, manchmal auch ortsüblichen Kochrezepten und Berichten von damals dort lebenden Personen, ist eine bunte Mischung von Geschichten entstanden, die vom kurzen oder längeren Leben der Länder erzählen, die sich so selbstsicher fühlten, um eigene Briefmarken herauszugeben, und doch heute im Nirvana der Geschichte verschwunden sind.

Detailliert beschreibt der Autor die im Mittelpunkt stehenden Marken und offenbart, dass sie keineswegs nur dröges Papier darstellen, sondern Gegenstände, die etwas zu erzählen haben.

Es ist ein Buch für Sammler und Fans mitunter kurioser, aber immer auch spannender Geschichtsschreibung, die von wechselhaften Mächteverhältnissen, Glücksrittern und Pechvögeln, kolonialen Größenwahn und Entdeckerstolz erzählt, aber auch von den Unglücken, mitunter in recht kurzer Zeit, von den Landkarten und damit vom Tableau der Weltgeschichte zu verschwinden.

Immer mit Weitblick, so manches Mal mit Stirnrunzeln und oft mit einer Brise Scharfsinn und Humor liegt mit dem “Atlas der verschwundenen Länder” ein besonderes Geschichtsbuch vor, welches dazu anregt, seine eigene (oder geerbte) Briefmarkensammlung hervorzuholen und auf Entdeckungstour zu gehen.

Vielleicht finden sich ja noch mehr spannende Geschichten, die es zu erzählen gilt?

Autor:
Björn Berge ist ein norwegischer Architekt und Wissenschaftler, der eine Leidenschaft für’s Wandern und dem Sammeln von Treibgut hegt. Sein zweites großes Projekt ist eine Sammlung von Briefmarken, von allen Ländern, die je auf der Erde existiert und welche herausgegeben haben.

Im vorliegenden Buch stellt er eine Auswahl von Briefmarken und deren Geschichten vor.

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