Psychiatrie

Karoline Klemke: Totmannalarm

Inhalt:

Herr Matzke vergewaltigt fünf Frauen, sitzt seit dreißig Jahren in Haft, fühlt sich aber unschuldig. Herr Knieriemen missbraucht seine kleine Nichte. Er genoss ihn, diesen Moment, in derm er endlich selbst ohne Angst sein konnte. Frau Krüger, die ihr Baby, den kleinen “Murkel”, totgeschlagen hat, will nie wieder Opfer sein – auch nicht hinter Gittern.

Meisterhaft erzählt die forensische Psychologin und Psychotherapeutin Karoline Klemke von erschütternden Begegnungen im Maßregelvollzug. Die Geschichten führen die Brutalität und die beweggründe der Täter vor Augen. Sie spiegeln aber auch, wie die Psychotherapeutin um Kontrolle kämpft und um Fassung ringt – im festen Willen zu helfen. Intensive Einblicke in eine geschlossene Welt. (Klappentext)

Rezension:

In den Welten zwischen Realität und Fiktion gelingt der Spagat häufig genug nicht. Gerade bei sehr sensiblen Themen scheitern Schreibende oft genug und kippen entweder zu sehr ins Kitschige oder aber wirken so abgehoben, dass die Lektüre kaum mehr möglich ist. Die Psychotherapeutin Karoline Klemke hat sich dennoch daran gewagt, eine für die Mehrheit der Gesellschaft vorwiegend im Dunklen liegende Thematik diese zugänglich zu machen. Herausgekommen dabei ist das Gegenteil eines literarischen Sachbuchs, über die Abgründe in den Köpfen hinter Gittern.

So schwer wie die Zuordnung des Genres fällt, so ist auch das Erzählte kaum verdaulich. Die Autorin nimmt uns mit in eine abgeschlossene Welt der Mörder, Sexualstraftäter, die aus unterschiedlichsten Beweggründen heraus ihre kaum in Worte zu fassenden Taten begangen haben, zu denen jene Zugang finden müssen, die darüber entscheiden, wie viel Menschsein noch in diesen steckt und wer vielleicht noch eine Chance auf ein Leben da draußen hat, ohne erneut eine Gefahr für die Gesellschaft zu sein.

Da die Realität manchmal zu grausam ist und ja, auch weil die Arbeit mit Patienten gewissen Richtlinien unterliegt, wird fiktionalisiert und so liegt hier ein Roman vor, der abgeändert von den Erfahrungen der Autorin mit ihrer Arbeit erzählt, in Form der Gestalt der fiktiven Psychotherapeutin Christiane Richter, die frisch aus dem Studium ihre Arbeit im Maßregelvollzug aufnimmt. Künftig soll auch sie entscheiden, bei wem Chancen auf eine Wiedereingliederung in die Gesellschaft bestehen und wie dies zu bewerkstelligen ist. Doch wie macht man das, immer einen Finger in der Nähe des Alarmknopfs haltend?

Lesend hangeln wir uns von Fall zu Fall, dringen in die Köpfe derer ein, denen wir nie begegnen wollen und erleben gleichzeitig sowohl bei diesem das Wechselbad der Gefühle als auch bei der Hauptprotagonistin selbst, die von Seite zu Seite mehr Konturen bekommt. Anfangs blass und unsicher wirkt die Figur immer mehr fassbar, doch steigert sich damit auch die Fallhöhe für den Charakter, der merkt wie er selbst von dieser Tätigkeit verändert wird. Immer wieder steht die Frage im Raum: Wie hält man das nur aus?

Die einzelnen Fälle sind sehr kompakt, kapitelweise dargestellt, zudem verwoben mit den privaten Herausforderungen der Protagonistin, die schon bald auch außerhalb ihrer Arbeit glaubt, der berufliche Blick verändere die Wahrnehmung. Gerade in der Ausformulierung dieser und anderer Kippmomente liegt die Stärke der Autorin, die permanent trotz relatiiv ruhigem Erzähltempo die Spannung hochzuhalten versteht.

Der Part der Antagonisten ist von Beginn an klar, hier ist die Veränderung zum Guten oder zum noch Schlechteren, die Spiegelung des Gegenübers und die Reaktion sehr interessant, übrigens auch in dem Sinne, was das mit jenen macht, die das Buch zur Hand nehmen. Sind bestimmte Reaktionen aus ihrer Sicht heraus nicht logisch und folgerichtig, so schlimm die Konsequenzen auch sind? Stimmt man nicht hier und da überein, würde man sich in die einzelne Figur hineinversetzen? Diese Gedanken bleiben, so schnell wie sie kommen, im Halse stecken. Allein, dass die Autorin sie heraufbeschwören kann, zeigt ihre Erzählkunst.

Handlungsort bedingt könnte das ganze an ein Kammerspiel erinnern. Nur der Humor fehlt, tatsächlich ist sehr viel Sachkenntnis in den Roman eingeflossen. Unweigerlich wird man sich fragen, welche der Geschichten wahr sind, welche erfunden, welche details verändert wurden, um ein Thema zu fassen, welches einem sonst durch die Finger rinnt. Wer weiß sonst schon, wie die Arbeit mit Straftätern aussieht, welche Ziele erreichbar sind und was passiert, wenn das Schlimmste eintritt, was man sonst zu verhindern sucht?

Immer ist es dieses Gegenüberstellen der Protagonistin mit zumeist einer anderen Figur, Rollenverteilung ohne Zweifel. Ersterer wird, wie in der Realität der aktive Part in diesem Roman seit. Der Informationsstand von uns Lesenden ist stets der gleiche, aber eben auch das Umhergeworfen werden, welches um so heftiger wird. Auf Überraschungsmomente ist man gefasst und wird dennoch von ihnen überrumpelt. Der Roman beleuchtet einige sehr interessante aspekte der therapeutischen Arbeit unter erschwerten Bedingungen, immer wieder durchsetzt von Zeitsprüngen und Rückblenden, die eine ganz eigene Dynamik entwickeln.

Man gewinnt ein klares Bild davon und ist am Ende heilfroh, sich nicht näher damit beschäftigen oder konfrontieren zu müssen. So sehr zieht die Erzählung Karoline Klemkes einem in den Bann, so real wirkt der Schauplatz, der zum Hauptteil das kleine Büro der Protagonistin ist.

Zwischen der Kriminalliteratur und spannenden, oft genug effekthaschender True Crime Büchern, dazu noch Romanen, steht “Totmannalarm” irgendwie dazwischen und doch außerhalb, wozu nicht nur die Sachkenntnis der Autoerin beiträgt, was das ganze lesenswert macht, wenn man sich an die Lektüre denn heran traut. Wer das tut, denkt jedoch über die Arbeit von Psychotherapeuten hinterher anders, kann sogar vielleicht einzelne Entscheidungen nachvollziehen, wie sie zustande gekommen sind, was vorher so nicht möglich war. Wenn nur ein Bruchteil dieser Zeilen davon solch eine Wirkung erzielt, hat sich die Lektüre schon gelohnt.

Autorin:

Karoline Klemke wurde 1973 geboren und ist eine deutsche Psychologin und Psychotherapeutin. Nach dem studium betreute sie obdachlose jugendliche und arbeitete von 2002-2007 in einer Klinik für Forenische Psychiatrie. Nach ihrer Approbation als Psychologische Psychotherapeutin wurde sie für kriminalprognostische Gutachten herangezogen und arbeitete mit Gruppen im Bereich Verhaltenstherapie. Seit 2011 betreibt sie eine psychotherapeutische Praxis in Berlin, war zudem als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Forensisch-therapeutischen Ambulanz der Berliner Charite tätig. Dies ist ihr erster Roman.

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Howard Buten: Burt

Burt Book Cover
Burt Howard Buten btb Erschienen am: 01.01.1997
(antiquarisch)
Seiten: 155 ISBN: 3-442-72110-5 Übersetzerin: Christiane Buchner

Inhalt:

Burt kommt ins Heim für verhaltensgestörte Kinder, da “etwas Schreckliches” mit Jessica angestellt hat, wie der Erwachsenen sagen. Nun sitzt er im Beruhigungszimmer, da er das Bücherregal des Psychiaters umgeworfen hat, statt auf dessen Fragen zu antworten. Hier schreibt er seine Geschichte an die Wand.

Eines Tages trifft er dort einen Mann, der ihn keine quälenden Fragen stellt, der seine Ängste teilt und Verständnis für die sehnsucht des Jungen nach Jessica hat. Ganz langsam fasst Burt Vertrauen zu dem Mann, der seinen brennenden Wunsch, wie ein erwachsener Mensch behandelt zu werden, wider Erwarten ernst nimmt. (eigene Inhaltsangabe)

Rezension:

Nach dem Lesen der ersten Zeilen wird schnell, welch gewaltiges Werk hier vorliegt, mit dem der Kinderpsychiater Howart Buten größere Bekanntheit außerhalb des medizinischen Raums erlangte. Schon die ersten Worte haben es in sich, um so mehr der Dreh- und Angelpunkt der Geschichte erst nach und nach enthüllt wird.

Erzählt wird sie aus Sicht des achtjährigen Hauptprotagonisten, der sich nach einem, laut der Erwachsenen, “schrecklichen Vorfalls” in einem Heim für psychisch gestörte Kinder wiederfindet und sich gegen die ablehnende Haltung des ihn behandelnden Arztes völlig verschließt. Dessen althergebrachte Methoden stoßen bei Burt an Grenzen, die nur ein jüngerer Kollege mit seiner unkonventionellen Art nach und nach aufbrechen kann. Schritt für Schritt schält sich auch für die Leser der Grund heraus, weshalb der Protagonist sich nun in dieser geschlossenen Einrichtung befindet.

Wie ich fünf war, habe ich mich umgebracht.

Howard Buten: Burt

Ein Roman wie ein Schrei ist es, den uns der Autor hier vorgelegt hat. Die Perspektive eines achtjährigen, sehr ernsten Kindes einnehmend, führt dieses die Leser durch die Geschichte. Schnell, melancholisch und verdichtet wird hier eine Coming of Age Geschichte voller Sehnsucht und Liebe, Melancholie erzählt, über das erschütterte Grundvertrauen eines kleinen Menschen in seine unmittelbare Umgebung.

Abschnittsweise wechseln hier Zeitebenen, sowie die Sichtweisen der greifbaren erwachsenen Protagonisten, hier vor allem die mit ihren Behandlungsmethoden konkurrierenden Ärzte, welche klare Sympathie- und Antipathiepole schaffen. Diese Gegensätzlichkeit nach und nach klar herauszuarbeiten, ist eine der Stärken des Autoren, der zudem eine bemerkenswerte Arbeit geschaffen hat, wenn man bedenkt, dass sich gerade erst zur Entstehungszeit des Werkes viel in der Behandlung der Kinder- und Jugendpsychiatrie begonnen hat zu verändern.

Howard Buten schafft es hier, mit Burt einen kindlichen Sympathieträger zu schaffen, der in dieser Erzählung für Erwachsene funktioniert und bleibt dabei sehr ernst seiner erfundenen Figur als auch den Lesern gegenüber. Klar und deutlich merkt man hier, dass die Erfahrungen seiner Arbeiten mit Kindern in diesem Roman eingeflossen sind, zudem welche Wirkung verschiedene Herangehensweisen haben können.

Die gesamte Handlung spielt sich schlüssig auf einer Ebene ab, zumal auch am gleichen Ort, wobei in Rückblenden wir Burts Weg Richtung Katastrophe (so die Erwachsenensicht) verfolgen können. Gleichsam tritt der Autor jedoch mit dieser Erzählung auch dafür ein, Kindern ebenso die Gefühle Erwachsener zu zu gestehen. Auch das war Anfang der 1990er Jahre, zumal im englischsprachigen Raum noch nicht weit verbreitet.

Ich habe im Schlafanzug dagestanden. Ich habe in das Zimmer von meinen Eltern geschaut, aber es war dunkel. Ich habe gehorcht, aber ich habe überhaupt nichts gehört. Und dann hab ich was gesagt, da uf dem Gang ganz leise: Ist denn da keiner?

Howard Buten: Burt

Nachhaltig beeindruckt, beinahe bedrückt geht ein Lesender aus dieser Lektüre und wird foh darüber sein, wenn auch vielleicht Burts Tat unterschiedlich gewertet wird, je nach Moralvorstellung, dass der medizinisch psycholgische Ansatz heute ein anderer ist als noch vor ein paar Jahrzehnten.

Wenn das ein Punkt ist, und wenn Buten es schafft, für Kinder wie Burt eine basis des Verständnisses zu schaffen, wenigstens ihnen zuhören zu können, dann ist schon viel gewonnen. In diesem Sinne auch heute noch eine brandaktuelle Lektüre. Für alle anderen ein sehr bewegender Roman.

Autor:

Howard Buten wurde 1950 in Detrot, Michigan, geboren und ist ein amerikanischer Autor. Als Psychologe arbeitete er lange mit autistischen Kindern, zudem betätigt er sich auch als Clown und schriftsteller. Sein erstes Buch wurde 1981 geboren und 1994 verfilmt. Ende der 1990er jahre wurde sein Werk schließlich auch ins Deutsche übersetzt. als Therapeut und klinischer Psychologe arbeitet er in Frankreich, wo auch die meisten seiner Werke erschienen. Seine Arbeit wurde mehrfach ausgezeichnet.

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Sebastian Fitzek: Der Insasse

Der Insasse Book Cover
Der Insasse Sebastian Fitzek Droemer Erschienen am: 24.10.2018 Seiten: 378 ISBN: 978-3-426-21853-6

Inhalt:

Um die Wahrheit zu finden, muss er seinen Verstand verlieren. Der Insasse. Vor einem Jahr verschwand der kleine Max Berkhoff. Nur der täter weiß, was mit ihm geschah. Doch der sitzt im Hochsicherheitstrakt der Psychiatrie und und schweigt. Max’ Vater bleibt nur ein Weg, um endlich Gewissheit zu haben. Er muss selbst zum Insassen werden. (Klappentext)

Rezension:
Vorweg, zählt eure Kinder noch einmal durch.

Es ist der wohl schrecklichste Zustand für Eltern, zu wissen, dass ihr Kind höchstwahrscheinlich nicht mehr am Leben ist und dennoch keine endgültige Gewissheit zu haben. Till Berkhoff lebt genau in einem solchen und will sich dieses Wissen verschaffen. Doch der, der ihm verraten könnte, was mit Max, seinem kleinen Sohn, geschehen ist, sitzt in der geschlossenen Abteilung einer Berliner Psychiatrie und schweigt.

Wie also mehr erfahren? Till Berkhoff fast einen geradezu absurden Plan. Er will sich in die Anstalt einschleußen lassen, was auch gelingt, um den Täter nahe zu sein. Kaum dort, laufen die Dinge aus den Ruder und Till ist in einem Verwirrspiel gefangen welches ihn um den Verstand bringt. Und dem Tod zu nahe.

So viel zur Geschichte, von der man auch gar nicht mehr verraten kann, ohne den Handlungssträngen vorweg zu greifen, die Deutschlands erfolgreichster Autor für Psychothriller wieder um eine interessante Idee herumwebt. Der Grundgedanke, eine Urangst von Eltern zu nehmen und daraus einen solchen Spannungsbogen zu entwickeln, kann man im Prinzip nur als genial bezeichnen, zumal in dieser Ausführung.

Der Autor spielt hier mit all den Facetten, die auch seine anderen Thriller zu Bestsellern werden ließen, greift hier jedoch noch mehr dort, wo es weh tut. Ein Wohlfühl-Buch ist dies nicht, eher ein Thriller, mit dem sich Sebastian Fitzek selbst übertrifft.

Nicht zahlreich ist das Figurenensemble, dafür gibt es um so mehr kurzweilige Kapitel mit kaum zu fassenden Cliffhangern, bei denen man in Gefahr läuft, als leser selbst irre zu werden. Wieder gibt es doppelte Böden und eine Auflösung, die total überrascht, ohne ins Verschwörungstechnische zu gleiten, was den einen oder anderen Leser bei jüngeren vorangegangenen Werken Fitzeks abgeschreckt haben mag.

Hier haben wir jedoch wieder einen mehr klassischen Psychothriller, in dem der Autor sich etwas traut und seinen Lesern auch etwas zutraut. Auch, wenn’s weiß Gott keine leicht verträgliche lektüre ist. Ein Pageturner ist es dennoch.

Die Ausarbeitung der Protagonisten ist gelungen und auch der kontinuierliche Spannungsaufbau hat es in sich. Selbst an der Auflösung habe ich, psychologisch nicht irgendwie vorgebildet oder so, kein Haar in der Suppe gefunden und war noch gegen Ende völlig ahnungslos.

Wie so oft bei Fitzek. Es gibt einfach Thriller, die funktionieren und Fitzeks Werke gehören für mich immer dazu. Dieses Mal jedoch noch mit einer Steigerung, die unter die Haut ging.

In einer Rezension zu einem Werk von Fitzek gehört es sich schon fast, die Danksagung nicht zu vergessen, denn was passiert, wenn man das tut, weiß der Autor aus eigener Erfahrung. Dieses Mal in der Form einer Kurzgeschiche, sozusagen als Bonus. Auch sehr lesenswert.

Hinzunehmend die haptische Gestaltung, die an eine Gummizelle erinnert, muss man auch den Verlag Respekt vor solch ein Ideenreichtum einräumen. Eben ein Thriller, der nicht spurlos am Leser vorrübergeht. In jeder Hinsicht. Man sollte sich nur fragen, ob man noch bei Verstand ist.

Autor:
Sebastian Fitzek wurde 1971 in Berlin geboren und ist ein deutscher Schriftsteller. Zunächst arbeitete er nach dem Jura-Studium, welches er bis zum ersten Staatsexamen verfolgte, als Chefredakteur und Programmdirektor verschiedener Radiostationen, bevor er 2006 seinen ersten Psychothriller “Die Therapie” veröffentlichte.

In mehreren Sprachen übersetzt avancierte Fitzek zu einem der meist gelesenen Psychothriller-Autoren, der den Europäischen Preis für Kriminalliteratur 2016/2017 erhielt. Einige seiner Werke wurden für das Theater adaptiert oder verfilmt. Seit 2013 engagiert er sich zudem ehrenamtlich als Schirmherr für den Verein -Das frühgeborene Kind-. Fitzek lebt mit seiner Familie in Berlin.

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