Psyche

Serhij Zhadan: Internat

Internat Book Cover
Internat Autor: Serhij Zhadan Roman Suhrkamp Verlag Hardcover Seiten: 301 ISBN: 978-3-518-42805-4

Inhalt:
Mit Politik hatte hier keiner was im Sinn. Doch als plötzlich geschossen wird, kann sich niemand mehr raushalten. Auch Pascha nicht, der Lehrer, der sein ganzes leben in einer Bergarbeitersiedlung im Donboss verbracht hat.

Er bricht auf, quer durch die Stadt, zum Internat, um seinen Neffen in Sicherheit zu bringen. Nach einer odyssee durch die einst vertraute, jetzt zerstörte Gegend ist für Pascha nichts mehr wie zuvor. Ein Roman über den unerklärten Krieg und den Versuch, dem sinnlosen Sterben zu trotzen. (Klappentext)

Rezension:
Es herrscht Krieg und irgendwer muss ja das Kind aus dem Frontbereich herausholen. Dort ist es in einem Internat untergebracht, abgeschoben von der Mutter, die den an Epilepsie leidenden Sohn an sich froh war, los geworden zu sein. Ein Problem weniger.

Doch, das Land ist im Ausnahmezustand. Kämpfe nähern sich der Stadt. Und so beschließt Pascha seinen Neffen aus dem brodelnden Krisenherd herauszuholen, nur ist er selbst der feigste Mensch, den man sich vorstellen kann.
Serhij Zhadan erzählt in seinem neuen Roman die Geschichte eines Menschen, der langsam merkt, wie es ist, es sich zu leisten, keine Nachrichten zu sehen, sich nicht zu positionieren in einer Zeit, die gerade nach Einordnung verlangt, und warum selbst der größte Feigling in besonderen Zeiten über sich hinauswachsen muss.

In dieser Geschichte stinkt es nach nassen Hund, es regnet permanent und der Begriff Ukraine wird nicht erwähnt. Tatsächlich erzählt der Autor eine Geschichte, wie sie sich tatsächlich in seinem Heimatland hätte abspielen können, doch könnte man die Erzählung an jeden Krisenherd der Welt spielen lassen. und obwohl das alles so grausam, so schrecklich ist, man muss sich an einigen Stellen wirklich zwingen zu lesen, kann man sich nicht dem Sog entziehen.

Zumal der Hauptprotagonist trotz aller Schwächen irgendwie sympathisch ist, nicht zuletzt später im Zusammenspiel mit dem dreizehnjährigen Rotzlöffel Sascha, der den invaliden Lehrer nur langsam als eine Art Ersatzvater anerkennt

Serhij Zhadan zwingt den Leser sich zu beschäftigen, mit einem hierzulande fast verdrängten Konflikt, der doch dennoch nah ist. Er zwingt, Stellung zu beziehen, zu einem menschlichen Drama, welches durchzogen ist von Leid, Elend und Hoffnungslosigkeit und macht dies, hervorragend übersetzt durch Juri Dukot und Sabine Stöhr, auf eine so eindrückliche Art und Weise, dass man dem Autoren nur Beifall zollen kann.

Es ist mit so wenigen Seiten zwar äußerlich ein eher unscheinbarer Roman, dessen Inhalt man jedoch nicht so schnell vergessen kann, vergessen will. Zu tief wachsen einem Pascha und Sascha ans Herz.

Fast würde man gerne in die Zukunft schauen, um zu erleben, was aus den beiden Protagonisten werden wird. Alleine, den Blick in die Kristallkugel wagt selbst der Autor nicht. Zu tief sind die Wunden, zu unbeständig die Risse, die der Krieg in die Heimat Zhadans vollzogen hat.
Am Ende bleibt man ratlos zurück, ernüchtert. Hoffen wir nur das Beste für die Zukunft der Saschas auf dieser Welt und auf viele, über sich hinauswachsende Menschen wie Pascha. “Rettest du ein Leben, so rettest du die ganze Welt.”, so steht es im Talmud, dieser Ausspruch gilt jedoch überall.

Mit der Aufmerksamkeit, die dieses Buch wieder auf den immer noch schwelenden Konflikt in der Ukraine lenkt, ist schon mal ein erster Schritt dafür getan. In sehr drängender Sprache erzählt der Hauptprotagonist von seinem beschwerlichen Weg, nicht nur zur Rettung des Neffen, sondern auch zur Selbsterkenntnis.

Ihm wird dann nochmal von Sascha der Spiegel vorgehalten. Nein, der Hauptprotagonist wird in ein ganzes Spiegelkabinett gesteckt. Wer dies und anderes lesen, wer etwas erfahren möchte, über Ausnahmesituationen, und was diese mit uns Menschen machen können, für den ist dieser Roman. Ansonsten ein hervorragend erschreckend erzähltes Stück Zeitgeschichte.

Autor:
Serhij Zhadan wurde 1974 geboren und ist ein ukrainischer Schriftsteller, Dichter und Übersetzer. Nach der Schule studierte er zunächst Literaturwissenschaften, Ukrainistik und Germanistik. Er organisiert Literatur- und Musikfestivals und verfasst Rocksong-Texte. 2007 erschien sein erster Roman.

2006 wurde er mit dem Hubert Burda Preis für junge Lyrik ausgezeichnet, Zhadan war zudem Aktivist der Orangenen Revolution. 2014 schilderte er in der FASZ seine Erfahrungen der Erstürmung der Gebietsverwaltung von Charkiw, wurde dafür von prorussischen Kräften krankenhausreif geschlagen.
Seine Romane wurden mehrfach ins Deutsche übersetzt, und zahlreich ausgezeichnet. Der Autor beschäftigt sich vornehmlich mit dem Zeitgeschehen seines Heimatlandes.

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Hanya Yanagihara: Ein wenig Leben

Ein wenig Leben Book Cover
Ein wenig Leben Hanya Yanagihara Roman Hanser Verlag Hardcover Seiten: 960 ISBN: 978-3-446-25471-8

Inhalt:
“Ein wenig Leben” handelt von der lebenslangen Freundschaft zwischen vier Männern in New York, die sich am College kennengelernt haben. Jude St. Francis, brillant und enigmatisch, ist die charismatische Figur im Zentrum der Gruppe – ein aufopfernd liebender und zugleich innerlich zerbrochener Mensch.

Immer tiefer werden die Freunde in Judes dunkle, schmerzhafte Welt hineingesogen, deren Ungeheuer nach und nach hervortreten. “Ein wenig Leben” ist ein rauschhaftes, mit kaum fasslicher Dringlichkeit erzähltes Epos über Trauma, menschliche Güte und Freundschaft als wahre Liebe. Es begibt sich an die dunkelsten Orte, an die Literatur sich wagen kann, und bricht dabei immer wieder zum hellen Licht durch. (Verlagstext)

Rezension:
Kein anderer Roman schafft es, das Leben seiner Leser so durcheinander zu wirbeln, so in Frage zu stellen, wie “Ein wenig Leben” von Hanya Yanagihara. Der Werbesatz des Hanser-Verlages: “Sie werden darüber reden wollen.”, ist kein Gerede, sondern Programm.

Nach Beenden der Lektüre wird man sein Leben, seine Freundschaften, seine Beziehungen hinterfragen wollen und nicht nur die der Protagonisten. Dabei beginnt alles recht harmlos.

Wir begleiten vier Freunde, die sich auf den College kennengelernt haben über Jahrzehnte durch ihren Alltag. Erleben ihr privates Glück und ihre Fehlschläge, ihren beruflichen Werdegang und die kleinen Gemeinheiten des Alltags. so weit, so normal. Der Knall natürlich, erfolgt schnell und erwischt den Leser kalt.
Jude, ein charismatischer junger Anwalt, ist die Hauptfigur des Romans, Fixpunkt des Vierergespanns. Alle anderen umkreisen ihn. Niemand kommt nah an ihn heran. Denn, Jude ist es auch, der eine tragische Vergangenheit vor seinen Mitmenschen verbirgt.

Seite für Seite erfährt der Leser darüber mehr, viel mehr als er wissen möchte, und sieht sich einer Abwärtsspirale ausgesetzt aus der es kein Entkommen gibt.
Dicht ist die Abfolge der beschriebenen Ereignisse, erzählt aus den wechselnden Perspektiven der einzelnen Protagonisten. Feinfühlig geht Yanagihara mit ihren Figuren um, allesamt mit Ecken udn Kanten und einer tiefe, die man so manch anderen Roman wünschen würde.

Doch, es ist schwere Kost, welche die Autorin hier vorsetzt. Sensible Gemüter, die keine psychologischen Querelen aushalten können, sei die Geschichte nicht empfohlen. Wer sich aber auf sie einlässt, erlebt vielleicht mit eines der besten Werke der vergangenen Jahre.
“Ein wenig Leben” erzählt so viel, dass man alles das bekommt, was man erwartet und noch eine ganze Portion mehr. Natürlich ist man ab und an genervt von den Protagonisten.

Natürlich ist es unmöglich, dieses Buch in einem Rutsch zu lesen, ist man nicht gerade so gefühllos wie ein Teelöffel und natürlich wird dieser Roman nicht so schnell verdrängt werden können, zumal die erzählten fiktiven Ereignisse zu nahe gehen dürften aber diese Erfahrungen sind es schon wert, sich darauf einzulassen.
Das gesammelte Elend trifft hier einen einzigen Menschen, der sich sein Leben lang nicht freimachen kann und doch ist es ein Text für eben dieses. Alleine, wer lebt wird triumphieren. Manchmal aber, will man diesen Sieg nicht haben. Aus guten Gründen.

Hanya Yanagiharas Roman lässt uns unser Leben hinterfragen und sollte daher nur mit Beipackzettel verkauft werden. Entweder die Nebenwirkungen sind positiv und negativ. Persönlich gesehen finde ich, abgesehen von einigen Längen in den Kapiteln, ist der Autorin ein großartiges Meisterwerk gelungen.

Wieder andere werden den Roman aufgrund seiner Dichte, Abfolge der Ereignisse, geschilderten Grausamkeiten womöglich hassen. Eben wie in unser aller wenig Leben.

Autorin:
Hanya Yanagihara wurde 1974 in Los Angeles/Kalifornien geboren und ist eine US-amerikanische Journalistin und Autorin. Sie arbeitete als Redakteurin eines amerikanischen Reisemagazins, bevor sie stellvertretende Herausgeberin der Wochenbeilage T: The New York Times Stile Magazine wurde.

Davor lebte sie in Maryland und Texas. Yanigaharas erster Roman erschien 2013. Ihr Roman “A little life” erschien 2015. Das 2017 im Deutschen erschienene Werk stand auf der Shortlist verschiedener Literaturpreise und wochenlang auf den Bestsellerlisten.

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