Liebesgeschichte

Mario Schneider: Die Paradiese von gestern

Inhalt:

Ella und Rene, ein junges Paar aus Ostdeutschland, verbringen nach der Wende ihren ersten Sommer in Südfrankreich. Dabei geraten sie in das marode Schlosshotel der Madame de Violet, einer Gräfin, die mit ihrem Diener wie in einer vergessenen Zeit lebt. Sie werden ihre letzten Gäste sein. Die beiden erleben die Verlockungen und Enttäuschungen einer neuen Welt und die Zerbrechlichkeit ihrer fest geglaubten Beziehung. (Klappentext)

Rezension:

Die Historie einer vergangenen Welt oder ein französischer Film mit Überlänge in Buchform. Dies ist der Eindruck, nachdem man in die Geschichte eines Sommers auftaucht, genauer ein junges Paar bei ihrer ersten großen Reise begleitet. Die politische Landkarte hat sich gerade gewandelt und so können Ella und Rene nach der Wende erstmals durch Europa reisen und landen in einer Szenarie einer untergangenen Welt.

Wie aus der Zeit gefallen wirkt das marode Schlosshotel, welches auf einem zugewachsenen Hügel thront, ebenso wie auch seine letzten Bewohner von der Welt da draußen scheinbar vergessen wurden. Doch, Madame de Violet, alter französischer Adel, und ihr treuer Diener Vincent nehmen die beiden auf, was nicht nur ein Ende bedeuten soll, sondern alle Protagonisten vor persönlichen Herausforderungen stellen wird.

Mario Schneider versteht es, einen Film vor dem inneren Auge ablaufen zu lassen, was nicht zuletzt an den von ihm geschaffenen Figuren liegt. Allesamt haben sie Ecken und Kanten, sind nicht gerade Sympathieträger, was sie jedoch im zunehmenden Handlungsverlauf zu interessanten Entscheidungen und damit verbundenen Wechseln treibt. Dabei werden mehrere Geschichten erzählt. Natürlich die Liebesgeschichte, die irgendwie immer vor französischer Kulisse vorkommen muss, aber eben auch das Vergehen von Epochen und das Aufeinanderprallen gesellschaftlicher Gegensätze. Gerade letzteres ist dem Autoren gut gelungen. Auf diese Dynamik kann man sich einlassen, wenn man sich auf den zu weilen sehr ruhigen Erzählstil eingelassen hat.

Dreh- und Angelpunkt dieses Kammerspiels auf französischen Boden sind fünf belastete Figuren, die nicht nur gegenseitig, sondern auch bei Lesenden ein Wechselbad der Gefühle auslösen mögen. Kurze Sätze sind da selten. Mario Schneider beherrscht die Kunst der Ausschweifung, besonders wenn die Protagonisten sich selbst und ihren Gedanken ausgeliefert sind. Gegensätzlichkeiten werden hier teils bis zum Äußersten ausgespielt. Die Logik der Figuren erschließt sich erst nach und nach.

Damit einhergehend ist ein ständiger Perspektivwechsel, der auch die Geschwindigkeit der Erzählung bestimmt. Nach und nach fügen sich so Puzzleteile zusammen, die zunächst für den Lesenden, dann erst für die Protagonisten ein Gesamtbild ergeben und spätestens nach der Hälfte der Seiten eine in sich schlüssige Erzählung. Auch Rückblicke der Figuren tragen zur Abwechslung bei, sonst wäre hier etwas Mehltau zu viel.

Wer eine Liebesgeschichte sucht, ist mit “Die Paradiese von gestern”, ebenso gut bedient, wie die jenigen, die französisches Flair genießen möchten oder gar, in nur punktuellen Ansätzen ein kontinentales “Downtown Abbey”. Es ist jedoch auch die Erzählung über die Welten alten und neuen Adels, über das Zurechtfinden in einer neuen Welt, in der zum Ende hin einiges offen bleibt, wie dies auch, und hier sind wir wieder in der Nähe eines Films, einige Fragen offen bleiben, die man je nach Sympathie für die Figuren für sich selbst beantworten muss.

Hier sieht man das Können Mario Schneiders, der als Filmregisseur und Komponist natürlich genau weiß, wo Auslassungen besonders funktionieren. Jedoch hätte der Autor dies auch im eigentlichen Handlungsverlauf beherzigen können. Was zum Ende hin klappt, hätte auch im eigentlichen Verlauf gut funktioniert. Dennoch muss ich konstatieren, dass sich meine Einstellung zum Roman, die sich vor allem über die Protagonisten gebildet hat, nach und nach ins Positive gewandelt hat, so dass eine runde Geschichte vorfindet, wer sich darauf einlassen und mehrere erzählerische Längen aushalten kann.

Autor:

Mario Schneider wurde 1970 geboren und ist ein deutscher Regisseur, Autor und Filmkomponist. Nach der Schule absolvierte er eine Berufsausbildung zum Metallurgen für Hüttentechnik und studierte anschließend Musikwissenschaften, Philosophie und Kunstgeschichte, gefolgt von einem Kompositions- und Klavierstudium in Leipzig, im weiteren Verlauf München.

Nach seinem Abschluss als Diplomkomponist gründete er eine Filmproduktionsfirma und begann als Dokumentarfilmer und Regisseur zu arbeiten. Bekannt wurde er u. a. durch die Mansfeld-Trilogie (2005-2013). 2014 erschien sein erstes Buch. Ein Jahr später erhielt er den Klopstock-Förderpreis für neue Literatur, danach den Deutschen Filmmusikpreis. Er ist Mitglied der Akademie der Künste Sachsen-Anhalt.

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Bücher gegen das Vergessen #04

Bücher gegen das Vergessen sollen uns geschichtliche Ereignisse vor Augen führen, für die wir nicht unbedingt die Verantwortung tragen, aber dennoch verantwortlich sind, sie nicht zu vergessen. Abseits von Rezensionen soll hier eine Auswahl vorgestellt werden.

Takis Würger: Stella

Das Literatur heute noch großflächig wirken kann, zeigt sich immer dann, wenn wieder einmal ein Werk erscheint, welches die Emotionen kochen lässt. Nichts anderes passierte, als der Hanser Verlag den vorliegenden Roman von Takis Würger veröffentlichte. Man hätte meinen können, ein Beben wäre durch die Landschaft der gedruckten Wörter gegangen. Viele reißerische Artikel und Beiträge sind erschienen, ob der fiktionalen Verarbeitung eines grausamen historischen Geschehens.

Grundlage von “Stella” ist die Geschichte von Stella Goldschlag, die im Berlin des Nationalsozialismus durch die Gestapo gezwungen wurde, als Jüdin andere Juden aufzuspüren und sie zu verraten. Um ihre Eltern zu retten, schließlich auch, um sich selbst am Leben zu erhalten und weil sie keinen Ausweg mehr aus diesem Teufelskreis sah. Über hundert Menschen soll die echte Stella, deren Ruf als “blondes Gift” unter den sich versteckenden Juden Berlins bald die Runde machte, so verraten haben. Traurig und erschreckend zugleich.

Takis Würger “Stella”
Hanser Verlag,
221 Seiten, Hardcover,
ISBN: 978-3-446-25993-5

Was nun diesen Roman so besonders macht, ist die fiktionale Verarbeitung des schon für sich unglaublichen Stoffes, in Verbindung mit einer Liebesgeschichte. Darf man das? Die historische Wahrheit so verändern, dass man teilweise Sympathie für jemanden empfindet, der so viele Leben auf dem Gewissen hat, dass einem die Galle hochkommen müsste?

Ich war skeptisch.

Zuerst hatte ich das Buch von Peter Wyden, Sachbuch wohlgemerkt, gelesen, welches in den 1990er Jahren erschien und dann lange Zeit vergriffen war. Selbst die englische Ausgabe konnte man teilweise nur zu Mondpreisen erwerben, doch kaum hatte Takis Würger vorgelegt, stieg auch das Interesse an der Hintergrundgeschichte, so wurde das Buch im Steidl Verlag neu aufgelegt.

Abgesehen davon, dass der Verlag die Chance hat verstreichen lassen, das Sachbuch des mittlerweile verstorbenen Autoren auf der Leipziger Buchmesse parallel zu Würgers Roman vorzustellen, war dies ein erschreckend erzähltes Stück Geschichte mit der Frage, wie weit würde man gehen, wenn man seine liebsten Vertrauten und sich selbst am Leben erhalten möchte? Was tun, wenn die Grenze einmal überschritten ist?

Ich war in diese Stadt gekommen, weil ich dachte, es sei wichtig, dass ich die Gerüchte von der Wahrheit trenne, und jetzt floh ich vor ihr.

Der Hauptprotagonist in Takis Würgers Roman “Stella”.

Peter Wyden, einst Mitschüler Stellas, interviewte sie Jahre nach dem Krieg. Immer wieder ging er der Frage nach, wie passieren konnte, was nicht hätte passieren dürfen. Warum lieferte Stella so viele Juden an die Gestapo aus, selbst als die Gründe dafür wegfielen? Oder, fielen sie je ganz weg?

Peter Wyden “Stella Goldschlag – Eine wahre Geschichte”
Link zur Rezension.

Nun also, Takis Würger, der daraus einen Roman gemacht hatte und zurück zur Ausgangsfrage. Darf man das?

Inzwischen bin ich der Meinung, ja. Man darf, zumindest in dieser Form. Der Autor hat seine Geschichte um tatsächliches Geschehen gewebt. Auszüge der Prozessakten, Aussagen der Opfer von Stella Goldschlags Verrat, durchbrechen und ergänzen sichtbar die fiktionale Handlung. Wahres Geschehen gut unterscheidbar, eingewoben und auch eingeordnet. Takis Würger war so klug, ein Personenregister hintenan zu stellen, um einzuordnen, was mit den Vorbildern der Protagonisten tatsächlich geschehen ist. Auch eine Quellenangabe seiner Recherchen fehlt hier nicht.

Alle Aufregung umsonst oder vielleicht auch nicht. Das muss ein Leser für sich selbst entscheiden. Ich muss für mich ein ganzes Stück Kritik zurücknehmen, sage aber auch, dass man sich wirklich auch mit der Hintergrundgeschichte, der echten Stella Goldschlag beschäftigen sollte, wenn man sich den Roman zu Gemüte führt. Vieles wird man wiedererkennen. Vieles wird nachvollziehbarer.

Und, einiges regt zum Nachdenken an.

Inhaltsangabe des Romans

Ein junger Mann kommt 1942 nach Berlin. In einer Kunstschule trifft er eine Frau. Die beiden werden ein Paar. Eines Morgens klopft sie an seine Tür, verletzt, mit Striemen im Gesicht, und sagt: “Ich habe dir nicht die Wahrheit gesagt.” (Klappentext)

Über den Autor von “Stella”

Takis Würger wurde 1985 geboren und ist ein deutscher Journalist und Autor. Nach der Schule arbeitete er als Helfer in einem Entwicklungshilfeprojekt in Peru, bevor er Volontär bei der Münchener Abendzeitung wurde und die Henri-Nannen-Schule besuchte.

Als Redakteur arbeitete er bei der Zeitschrift Der Spiegel und berichtete u.a. aus Afghanistan und der Ukraine. 2017 wurde sein erster Roman veröffentlicht. Für seine Arbeit wurde Würger mehrfach ausgezeichnet.

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