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Feurat Alani: Der Geschmack von Aprikoseneis

Inhalt:

Mit der ersten großen Liebe ist für uns oft ein Duft verbunden. Für Feurat Alani sind der Duft und der Geschmack von köstlichem Aprikoseneis, das er als Kind in Bagdad gekostet hat, für immer mit dem Irak verbunden. In 1000 Tweets berichtet er von dieser ersten Reise in das Herkunftsland seiner Familie und von den späteren Reisen als erwachsener Journalist, vom Krieg und dem Wandel, den dieser im Traumland seiner Kindheit bewirkt hat. Wir begleiten den Autor bei der Entdeckung eines orientalischen Landes voller unbekannter Düfte, aber auch bei seiner Trauer um das, was später unwiederbringlich verloren ging. Die berührenden und scharfsichtigen Beobachtungen des Kindes und des jungen Erwachsenen hat Léonard Cohen mit seinen Zeichnungen eindrücklich illustriert. (Inhalt lt. Verlag)

Rezension:

In Mansour halten wir an einer Eisdiele. Ich koste von dem besten Eis, dass ich je gegessen habe. Aprikose. Der Duft von Bagdad.

Feurat Alani: Der Geschmack von Aprikoseneis

Gerade als der Iran-Irak-Krieg vorbei ist, lernt Feurat im Alter von neun Jahren die Heimat seines Vaters kennen. Das Land wirkt anders als in den Medienberichten, modern und offen. Die einfachen Leute fahren VW Passat. Melonen werden am Fluss eingegraben, um sie abends gekühlt essen zu können. Doch das Gesicht Saddam Husseins bestimmt den Irak. Seinen Namen sollen sie nicht laut aussprechen. Als seine kleine Schwester es dennoch tut, kennt Feurat fortan nun auch den Duft der Diktatur.

Im Irak herrscht Lebenslust, zumindest damals, trotz bereits vorhandener Einschränkungen. Vor dem Embargo leben die Menschen gut, doch das Glück der Menschen, schon damals Spielball der Gegensätze, wird im Laufe der Jahre zerrinnen. Bis nichts mehr davon übrig ist. Über die Jahre wirft der Autor, zunächst mit den Augen des Kindes, später als junger Journalist, immer wieder einen Blick auf dieses Land, welches wir kaum fassen können. Doch wie der Irak, so stet Feurat Alani selbst stets unter Spannung zwischen den Welten. Als Iraker und Franzose. Seine Beobachtungen hat er nun zusammengestellt. In Form einer Tweet-Sammlung. Ergänzt durch minimalistische Zeichnungen entstand so das Portrait seine Autobiografie, ein Blick auf die jüngere Geschichte eines Landes, eine Graphic Novel und ein Zustandsbericht, der einem den Atem stocken lässt.

Als Ziad und ich uns an diesem Tag trennen, gehe ich mit einem Gefühl der Scham. Mir wird alles geschenkt. Und ihnen alles genommen.

Feurat Alani: Der Geschmack von Aprikoseneis

In dieser Kombination ist das Werk “Der Geschmack von Aprikoseneis” ungewöhnlich einprägsam. Kurz und prägnant sind die Sätze, den Möglichkeiten der Social Media Plattform Twitter nachempfunden. Momentaufnahmen, die sich stapeln und fließend ineinander übergehen. Sie zeigen den Wandel eines Landes, zugleich die Veränderung des Blickwinkels. Der des Kindes weicht dem jungen Erwachsenen, der dokumentieren, festhalten und der Welt von der irakischen Wirklichkeit berichtigen möchte.

Das Gefühl, nie am richtigen Ort zu sein. Unrechtmäßigkeit. Schuld. Ich möchte meine Erlebnisse im Irak vergessen, aber sie lassen mir keine Ruhe.

Feurat Alani: Der Geschmack von Aprikoseneis

Zeichnungen, die beinahe wie Scherenschnitte wirken und dennoch die Strahlkraft von Fotos besitzen, unterstreichen den Text, ohne überhand zu nehmen. Sie prägen sich ein. Lesend nimmt man die beobachtende Position ein und verliert sich in diesem Strudel der Emotionen. Das funktioniert in dieser Kombination ebenso, wie dies der Tatsache geschuldet ist, dass Seitenzahlen völlig fehlen, was den unmerklichen und doch schnellen Wandel verdeutlicht, bis zum Zusammenbruch einer Gesellschaft.

Immer ist Feurat Alani Beobachter und Akteur zugleich, nebenan der Schauplätze und mittendrin. Einzelne Nadelstiche summieren sich, werden zu hörbaren Explosionen, einer Platzwunde, einer versuchten Entführung. Einschläge werden fassbar, kommen immer näher, bis es auch die Familie des Autoren zerreißt. Diktaturen kennen keine Gnade. Chaos erst Recht nicht. Dreizeiler in Absätzen prägen das Bild. Nur Ausschnitte hält der Betrachtende fest und doch das wichtige. Platz für Nebensächlichkeiten bleibt da nicht. Zunehmend müssen auch die Menschen sich damit beschäftigen, zu überleben. Bald ist das die einzige Tätigkeit.

Ein trauriger Anblick. Einer der Insassen liegt auf dem Boden. Die Rettungskräfte sind da. Der Sommer beginnt mit einem Toten. Das gefällt mir nicht.

Feurat Alani: Der Geschmack von Aprikoseneis

Aufgrund der ungewöhnlichen Erzählstruktur, ergänzt durch eine Chronologie der Ereignisse ist diese Biografie einer Person, eines Landes, einprägsam und verdeutlicht zugleich, wie schnell etwas Intaktes, auch wenn die Oberfläche bereits von Beginn an Risse aufweist, in die Brüche gehen kann. Wer ein Gefühl dafür erlangen möchte, wird dieses Werk mit Gewinn lesen können. Mit mehr Spannung als ein Roman das könnte. Jeder Tweet ist eine Tür. Die mehrteilige Serie “Fremde Heimat Irak“, die bei Arte zu finden und im gleichen grafischen Stil gehalten ist, sei ebenfalls ans Herz gelegt.

Autor:

Feurat Alani wurde als Sohn irakischer Eltern in Paris geboren. In Bagdad hat er als Korrespondent für die Sender I-Tele und Le Point gearbeitet. Er war auch regelmäßiger Mitarbeiter von Le Monde diplomatique und Geo, bevor er seine eigene Produktionsfirma gründete. Sein Dokumentarfilm Irak: les enfants sacrifi és de Fallujah (2011) wurde auf mehreren Festivals prämiert.

Illustrator:
Léonard Cohen ist Absolvent der École Nationale Supérieure des Arts Décoratifs de Paris. Im Jahr 2010 wurde sein Abschlussfilm Plato auf vielen Festivals gezeigt und gewann mehrere Preise, darunter jenen für den besten Studenten-Kurzfilm und den Preis der Junior-Jury auf dem renommierten Internationalen Trickfilmfestival von Annecy. Cohen arbeitet freiberuflich und entwickelt vor allem Animationsprojekte.

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Guido Knopp: Schampus für alle – ALDI – Eine deutsche Geschichte

Inhalt:

Die beiden Brüder Karl und Theo Albrecht schaffen ein nachkriegsdeutsches Wirtschaftswunder. Aus einem kleinen Krämerladen im Herzen des Ruhrgebiets formen sie einen milliardenschweren Weltkonzern. Mit einem schmalen, dafür aber gut sortierten Sortiment und niedrigen Preisen locken sie die Kunden ins Geschäft. Mitte der 70er-Jahre gibt es schon kaum eine deutsche Stadt mehr, die keinen ALDI-Markt hat.

Doch die permanente Konstenminimierung geht zu Lasten von Mitarbeitern, Lieferanten und der Umwelt. Dennoch hat das System ALDI mehr als 60 Jahre lang Konsumverhalten und Esskultur der Deutschen wesentlich geprägt. Der Aufstieg der Albrechts erzählt deshalb auch von unserem Land. (Umschlagstext)

Rezension:

Wer durch die Straßen des Essener Vororts Schonnebeck geht, läuft mitunter an einem unscheinbaren Gebäude vorbei, in dem einst die Geschichte eines Weltkonzerns und nicht zuletzt, die zweier Brüder, begann. Heute befindet sich dort kein Ladengeschäft mehr. Zu klein, zu eng waren die Räumlichkeiten geworden. Nicht mehr zeitgemäß. Doch, hier entwickelten Karl und Theo Albrecht ein Konzept, welches die Gewohnheiten der Deutschen über Jahre prägen sollten und exportierten es von dort, fast immer erfolgreich, in die Welt.

Beinahe nirgendwo sind Lebensmittel so günstig zu erwerben, wie in Deutschland. Dass dies so ist, hat Gründe, die in der Geschichte unseres Landes liegen, ebenso wie im Denken zweier Brüder, deren Erfolg sie bis zu ihrem Tode immer wieder Spitzenplätze auf der Liste der reichsten Deutschen einnehmen ließ.

Ein Segen für jene, dieses Geschäft, die mit einem schmalen Budget haushalten müssen, mitunter ein Fluch für Mitarbeiter, Lieferanten und die Umwelt. Der Journalist und Historiker Guido Knopp hat sie recherchiert, diese Geschichte, ehemalige Wegbegleiter der Albrechts befragt und Wendepunkte im Leben der beiden Brüder beleuchtet. In seinem neuen Werk zeigt er auf, wie der Konzern zu einem weltumspannenden Unternehmen wurde und wo ran Theo und Karl Albrecht junior mitunter scheiterten.

Nicht gerade ein Wirtschaftskrimi zeigt der Autor dennoch auf, wie spannend Wirtschaftsgeschichte sein kann und schließlich auch die von Personen. ALDI ist das eine, wie das andere. Verschwiegen fast immer, nach außen ruhig, im Inneren schon einmal turbolent.

Minutiös beschreibt er den Werdegang der Albrechts, beginnt die Schilderung mit einem Wendepunkt und verfolgt dann den Weg der beiden über Jahrzehnte. Das ist unterhaltsam und bezeichnend, nicht zuletzt in Bezug auf das Konsumverhalten der Deutschen, welches sie wesentlich prägten. Knopp zeigt aber auch, dass selbst den Erfolgsverwöhnten nicht immer alles gelang und der Konzern heute von mehreren Seiten vom Jäger zum Getriebenen wurde.

In übersichtlichen und kurzweilig formulierten Kapiteln erzählt Guido Knopp die Geschichte zweier Brüder und irhes Unternehmens, beschönigt dabei nichts und erzählt dabei auch etwas über uns Deutsche. Nach dem jahrelang politischen Fokus jetzt einmal diesen Blick einzunehmen, ist durchweg unterhaltsam.

Einige Themen hätten jedoch ausführlicher behandelt werden können. Aufgrund der Schweigsamkeit der jenigen, bei denen die Quellen liegen, ist dies jedoch vermutlich nicht gegeben gewesen. Wer deutsche geschichte jedoch aus einem anderen Blickwinkel erleben möchte, nehme dieses Werk.

Autor:

Guido Knopp wurde 1948 in Treysa, Hessen, geboren und ist ein deutscher Journalist, Historiker, Publizist und Fernsehmoderator. Er studierte Geschichte, Politik und Publizistik in Frankfurt/Main, Amsterdam und Würzburg. Nach seiner promotion war er Redakteur bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung 1978 wechselte er zum ZDF.

Seit 1984 leitete er die Redaktion “Zeitgeschichte” und schuf zahlreiche Fernsehreihen und Dokumentationen. Seit 2010 ist er Vorsitzender des Vereins “Unsere Geschichte. Das Gedächtnis der Nation.”, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, Erinnerungen von Zeitzeugen für die Nachwelt festzuhalten. Er lehrt Journalistik u.a. in Gießen und lebt mit seiner Familie in Mainz.

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Katharina Greve: Das Hochhaus

Das Hochhaus - 102 Etagen Leben Book Cover
Das Hochhaus – 102 Etagen Leben Katharina Greve avant Verlag Erschienen am: 01.09.2017 Seiten: 56 ISBN: 978-3-94503-471-2

Inhalt:

Was will die Familie von oben mit diesem irrsinnig großen Fernseher? Warum hat die Frau von unten ihre Tochter zur Castingshow angemeldet und der Mann nebenan nach dem Einbruch nicht die Polizei gerufen? Dieses Buch liefert 102 Antworten auf die Frage, welche großen und kleinen Dramen sich täglich hinter der anonymen Fassade eines Hochhauses abspielen. Vielleicht erkennen Sie Ihre Nachbarn wieder. Oder sich selbst. (Klappentext)

Rezension:

Einigen Zeitungslesern mag die Wahl-Berlinerin Greve ein Begriff sein, andere stolperten im Jahr 2013 vermutlich über ein Kalenderblatt, welches die Künstlerin schlagartig bekannt machte. Eher als Witz gedacht, hatte sie das Bild des damaligen Papstes Benedikt XVI. gezeichnet, der einen Lottoschein begutachtet und sechs Richtige getippt hatte, um daraufhin seinen Rücktritt zu verkünden: “Heiliger Strohsack! Morgen kündige ich!” Der Rücktritt kam tatsächlich.

Doch, nicht nur eine prophetische Gabe legt die Autorin und studierte Architektin an den Tag, sondern auch einen simplen und fast schon kühlen Zeichenstil, der in diesem Buch, welches ursprünglich einmal als Web-Projekt begann, zur Geltung kommt. Seite für Seite werden die Etagen eines Hochhauses freigelegt und man blickt in skurrile und manchmal allzu alltägliche Situationen derer Bewohner hinein. Hinter der grauen Fassade begegnen sich Dramen, wie ein jeder sie kennt oder auch nicht, muss so manches Mal schmunzeln, lachen oder bleibt nachdenklich zurück.

Eine Ansammlung von Marotten vereint auf wenigen Seiten zeigt, wie vielfältig Lebenssituationen sein können und welche Umstände sich daraus ergeben. Greve verknüpft dabei lose den Alltag der gezeichneten Figuren und so kann man von Etage zu Etage springen, von hinten nach vorne, “richtig herum” lesen oder durcheinander. Das ist egal.

Katharina Greve: Das Hochhaus – 102 Etagen Leben, avant verlag

Besonders spannend aber wird es, wenn man versucht, den Situationen zu folgen. Vom fremdgehenden Ehemann aus dem unteren Stockwerk seiner Freundin etwa, zur betrogenen nichts ahnenden Ehefrau oder vom Einbrecher, der im Hochhaus lebt, zu den Wohnungen seiner Nachbarn, die von ihm geplündert worden. Das ist große Klasse und ein toller Humor der Zeichnerin, der sich auf jeder Seite wiederspiegelt.

Zugleich zeigt Greve auch, dass man als Autorin auch neue Wege gehen kann. So ist dieses Buch nicht zuerst da gewesen, sondern eben aus einer Internetpräsenz heraus entstanden, kann als Poster im Überformat bestellt werden, neuerdings sogar als Buchrolle, Schriftrolle, die man in beiden Richtungen rollen und lesen kann. Das bietet sich bei dieser Form von Comic an und ist sicher auch etwas für sonst Lesemuffel, in jedem Fall aber etwas für Komic- und Architekturfreunde. Zwar möchte ich selbst nicht in einem Hochhaus leben, mir reichen schon meine Nachbarn, aber selbst darunter erkenne ich ein paar wieder. Alleine dafür hat sich dieses Büchlein schon gelohnt.

Bauplan: Das Hochhaus Online

Autorin/Zeichnerin:

Katharina Greve wurde 1972 in Hamburg geboren und begann 1991 ein Architekturstudium an der Technischen Universität Berlin, welches sie 1999 abschloss. Seit 2002 ist sie freiberuflich als Künstlerin, Autorin und Zeichnerin tätig und wurde für Ihre Arbeit mehrfach ausgezeichnet. Sie veröffentlichte bereits mehrere Comic-Romane und Graphic Novels.

Ihre Zeichnungen erscheinen zudem in verschiedenen Zeitungen und Magazinen. Bekannt wurde sie durch eine Zeichnung für einen Abreißkalender, in dem sie den Rücktritt des Papstes Benedikt XVI. prophezeite, der einen Tag später diesen tatsächlich bekannt gab. Katharina Greve lebt in Berlin.

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