Korruption

Stefan von der Lahr: Bariello & Montebello 3 – Dämonen im Vatikan

Inhalt:

Mitunter ist man im Vatikan der himmlischen Ruhe näher, als einem lieb ist. Diese Erfahrung macht auch das Ermittlerduo Commissario Bariello und Weihbischof Montebello in seinem dritten Fall: Als die Archäologie geheiligte Glaubensgrundsätze zu erschüttern droht, ruft sie Verteidiger auf den Plan, die vor nichts zurückschrecken. In einem Nebel aus Lügen, Intrigen und rätselhaften Todesfällen scheint ein unseliges Machtkartell auf dem Weg zum ewigen Heil sehr irdische Interessen zu verfolgen. Hinter den Mauern des Vatikans ist bald schon niemand mehr sicher. (Klappentext)

Einordnung in der Reihe:

Stefan von der Lahr: Bariello & Montebello 1 – Das Grab der Jungfrau
Stefan von der Lahr: Bariello & Montebello 2 – Hochamt in Neapel
Stefan von der Lahr: Bariello & Montebello 3 – Dämonen im Vatikan

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Rezension:

Selbst Rom kann sehr kalt sein. Dennoch ist Commissario Bariello überrascht, als er zu einem Toten gerufen wird, der offenbar erfroren ist. Wie das im Hochsommer möglich ist, ist zunächst völlig unklar, ebenso, was es mit den Dämonen auf sich hat, die das Opfer, ein Priester und Redakteur des Osservatore Romano zuvor zu sehen geglaubt hatte.

Vor einem ganz anderen Rätsel steht indes Montebello, der Weihbischof von Neapel, der in einer einzigartigen Ausgabe der Legenda Aurea, einst das meistgelesene Buch des Mittelalters, Zeichnungen entdeckt, die die Grundfeste der katholischen Kirche erschüttern könnten. Beide Nachforschungen stören schnell offenbar gleichermaßen die Interessen von Wirtschaftspotentaten und Kirchenfürsten. Sehr schnell häufen sich die Todesfälle. Innerhalb der Mauern des Vatikans ist bald niemand mehr sicher.

Dass das Machtzentrum der katholischen Welt sich für packende Geschichten förmlich anbietet, dürfte spätestens mit den Veröffentlichungen von dan Brown oder etwa Robert Harris jedem bewusst sein. Auch im Verlag C. H. Beck, der jetzt nicht gerade für packende Krimis bekannt ist, die gehören normalerweise nicht zum Verlagsprogramm, ist eine derart und doch sehr besonders angelegte Reihe zu finden, die es in sich hat. Vorausgeschickt, die vorangestellten Bände sind mir noch unbekannt, und so habe ich den dritten sozusagen als Stand Alone ohne Vorwissen mir zu Gemüte geführt. Das funktioniert mit Kriminalromane recht gut und auch hier wurde ich nicht enttäuscht, konnte ohne Probleme in die Geschichte eintauchen.

Stefan von der Lahr hat hier nur wenige Seiten benötigt, um die Vorgeschichte aufzubauen, die für einen Kriminalroman zunächst relativ unscheinbar beginnt, gleichwohl man ahnt, dass mit wenigen Sätzen eine Dynamik angelegt wird, derer man sich lesend kaum entziehen wird können. Schnell gewinnt die Geschichte an Tempo. Vielleicht muss man, wer jetzt nicht häufig mit südländischen Namen in Berührung und von kirchlichen Hierarchien keine Ahnung hat, das eine oder andere Mal innehalten, aber das gibt sich schnell. Genau so wie die Perspektivwechsel der sehr kompakt angelegten Kapitel, die ihren Anteil zur Dynamik beitragen.

Interessant ist, das wird mit den vorangegangenen Bänden nicht anders sein, die Figurenkonstellation, durch die zunächst getrennte Ansätze in der Ermittlung durchgeführt, jedoch sehr schnell zusammengeführt werden müssen. Diese unterschiedlichen Sichtweisen des Ermittler-Duos, diese Perspektiven werden spannend dargestellt, was jedoch dem Autoren nicht genügt. So hat von der Lahr auch die Sichtweisen der Gegenspieler eingewoben, ohne sich in der Vielzahl der Handlungsstränge zu verlieren. Der Autor behält den Überblick bis zuletzt, den sich die Lesenden zusammen mit den beiden sympathischen Protagonisten Bariello und Montebello erst schaffen müssen.

Beide Charaktere sind gut ausgestaltet, wozu man jetzt keine Vorkenntnisse aus den vorherigen Bänden haben muss, wenn auch Anspielungen natürlich vorhanden sind. Die sind dann durch Fußnoten gekennzeichnet. Nicht nur daran erkennt man übrigens, die Nähe des Autoren zum Verlagshaus. Das dem Roman zugrunde liegende Recherchematerial, welches zur Konstruktion des Szenarios verwendet wurde, wird ebenso aufgelistet, wie verschiedene Begriffe innerhalb eines Glossars und richtig gut, ein Personenverzeichnis. Könnte dies bitte jeder Roman oder Krimi bekommen? Es erleichtert wirklich das Behalten des Überblicks ungemein.

Mit diesen Aspekten versehen liegt hier eine sehr spannende und schlüssige Erzählung vor, in der penibel darauf geachtet wurde, keine sichtbaren Logikfehler aufkommen zu lassen. Um dies so auszugestalten braucht es die für das Genre doch im Vergleich zu anderen Werken relativ hohe Seitenzahl. Keine Zeile ist überflüssig, jedes Wort ist notwendig und keines zu viel. Auch das trägt zur Spannung bei, wie auch zahlreiche Wendungen, die vor allem in der Zahl der den Handlungssträngen zu Opfer fallenden begründet liegen. Gefühlt zumindest stirbt ständig jemand. Ob das wirklich so ist, ist es wert, das selbst herauszufinden.

Stefan von der Lahr schafft es damit, die Lesenden in diese sehr eigentümliche Welt, in der nicht nur religiöse Interessen verfolgt werden, hinein zu ziehen. Fast meint man, die Abläufe hinter den Mauern des Vatikans sich genau so vorstellen zu können. Das ist dann auch irgendwie bezeichnend für die reale Instution. Den Weg der Auflösung des Falls und die Zusammenhänge zu ergründen, ist ungeheuer spannend, nicht nur für Fans der an solch besonderen Orten spielenden Geschichten, die natürlich für eine sehr eigene Atmosphäre sorgen.

Auch Lesende klassischer Krimis mit einem einnehmenden Ermittler-Duo im Vordergrund kommen auf ihre Kosten. Wer dazu noch schon Gelegenheit hatte, einmal die italienische Hauptstadt und den Vatikan selbst zu besuchen, für dem ist das entstehende Kopfkino perfekt. Ob man wohl mit diesem Krimi in der Tasche eingelassen werden würde?

Nochmal zu den Vorkenntnissen, weder religiöse noch zu den vorangegangenen Bänden muss man welche haben. Unklarheiten werden durch die Figuren selbst beseitigt. Die Lust, Buch 1 und 2 zu lesen, ergibt sich ohnehin durch die Lektüre. Und das muss ein dritter Band auch erst mal schaffen. Es lohnt sich sicherlich und es bleibt zu hoffen, dass mögliche Nachfolge-Bände genau so packend sein werden. Der Spurensuche Bariellos und Montebellos folgt man nämlich gern.

Autor:

Stefan von der Lahr ist promovierter Altertumswissenschaftler und arbeitet seit dreißig Jahren bei C. H. Beck.

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Norris von Schirach: Beutezeit

Beutezeit von Norris Schirach

Inhalt:

Als Wladimir Putin im Januar 2000 Staatspräsident wird, verlässt der reich gewordene Rohstoffhändler Anton fluchtartig Moskau. Hinter ihm liegen acht atemberaubende Jahre im postsowjetischen Raubtier-Kapitalismus, vor ihm die gähnende Langeweile im gutsituierten Milieu New Yorks. Doch auch mit vierzig ist Anton noch immer ein unverbesserlicher Romantiker auf der Suche nach dem nächsten Kick. Da macht ihm ein Headhunter ein verlockendes Angebot in Zentralasien.

Beutezeit ist ein beeindruckend aktueller Roman über eine postsowjetische Gesellschaft, die im Sumpf aus Korruption und Terror versinkt. Norris von Schirach beschreibt meisterhaft, was wirtschaftliche Macht, Korruption und autokratische Hybris bedeuten können. (Klappentext)

Rezension:

Die flirrende Zeit des Tanzes auf den Vulkan, kurz vor dessen Ausbrauch. Antons Leben gleicht einem Drahtseilakt und so flüchtet er aus Moskau, als ein neuer Machthaber im Kreml sein Amt antritt. Im fernen Amerika herrscht Tristesse vor, da locken Abenteuer und die Möglichkeit nach viel Geld den reich gewordenen Rohstoffhändler ins zentralasiatische Kasachstan. Mit finanziellen Mitteln aus anonymer Quelle soll er ein Stahlwerk aufbauen. Vor Ort entwickeln die Geschehnisse jedoch ihre ganz eigene Dynamik, deren Strudel Anton kaum kontrollieren kann.

Dies ist die gut, unabhängig vom ersten Roman Norris’ von Schirach zu lesende Erzählung, die ein Jahrzehnt später ansetzt und zu einem viel zu wenig beachtenden Schauplatz führt, jedoch ein Szenario von erschreckender Aktualität darstellt. Die temporeiche Geschichte, die die Dynamik solcher Orte sehr gut herausarbeitet, funktioniert, ebenso wie die Herausarbeitung des Protagonisten, der mit zunehmender Seitenzahl an Statur gewinnt.

Nichts ist schwarz oder weiß, die handelnde Hauptfigur agiert im Graubereich zwischen staatlicher Willkür, Korruption, Kapitalismus in seinen Extremen, Clan-Kriminalität und Seilschaften inklusive. Sehr viel Gesellschaftskritik bringt der Autor, der Land und Leute aus eigenem Erleben gut kennt, mit hinein, positioniert sich mit dem Wandel seiner Geschichte, ohne den Zeigefinger zu erheben. Fast immer ist es die Sicht des Hauptprotagonisten, aus der erzählt wird, wobei gezielt ruhige Momente Atempausen zwischen rasanten Szenarien eingesetzt werden. Lesend befindet man sich mitten im Geschehen. Man kann sich das gut als Vorlage für ein Drehbuch vorstellen.

Die Geschichte wird über einen Zeitraum von mehreren Jahren erzählt, der Wandel dargestellt vor allem aus der Sicht des Protagonisten auf sein eigenes Handeln, welches sehr flexiblen Denken unterliegt. Die Dynamik zwischen skrupellosen und trickreichen Geschäftsmann sowie Schöngeist mit moralischen Zweifeln, die der Autor hier geschaffen hat und bis zum Ende durchhält, ist faszinierend zu lesen. Andere Figuren dienen nur dazu, das Tempo der Erzählung zu erhalten oder nach ruhigen Momenten neu zu befeuern. Deren Hintergründe bleiben jedoch, zumindest in Teilen im Dunklen.

Durchweg spannend erzählt, mit einigen Momenten zum Durchatmen, sieht sich der Protagonist ständig neuen Ereignissen und Wendungen ausgesetzt, die glaubwürdig dargestellt werden, wenn auch an der einen oder anderen Stelle Logikfehler durchschimmern. Vielleicht erscheint das jedoch auch nur so, da für unser westliches Verständnis derart beschriebene Ungeheuerlichkeiten außerhalb des Möglichen erscheinen, kommen wir durch Medienberichte auch nur mit den Spitzen dieser Eisberge in Berührung und müssen nicht mit den Alltäglichkeiten solcher Systeme leben.

Ausschweifend ist allein die Anzahl der Dreh- und Angelpunkte, ansonsten beherrscht Norris von Schirach eine Erzählweise, die einen schnellen und spannenden Film im Kopf entstehen lässt. Zudem werden viele Problematiken zur Sprache gebracht, die schlicht Realität sind. Korruption, Machterhalt, Geldwäsche, der Rohstoffhunger Chinas, Gier … Noch mehr zusammenfassen als der Autor dies hier getan hat, ist kaum möglich. Dargestellt wird ein großes Puzzlespiel, dessen Teile wie Zahnräder einer Maschine ineinander greifen. Immer folgt auf eine Aktion eine Reaktion. Und auf einen Band der nächste. Der ist in den letzten Seiten angelegt.

Das ist das einzige Mal, dass ein Cliffhanger so mit einem derartigen Zeigefinger in der Geschichte platziert wird.

Autor:

Norris Benedikt von Schirach wurde 1963 in München geboren und ist ein deutscher Geschäftsmann und Schriftsteller. Er war zunächst kaufmännisch in London tätig, bevor er in Konstanz Verwaltungswissenschaften studiert, und anschließend in den USA, Kasachstan und Russland, 1993 – 2003, gearbeitet hat. 2018 veröffentlichte er seinen ersten Roman, zunächst unter Pseudonym, welches jedoch schnell enttarnt wurde. Sein Roman “Beutezeit” erschien 2022.

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G.D. Abson: Natalja Iwanowa 2 – Blutrot ist das Schweigen

Einordnung in der Reihe:

G. D. Abson: Natalja Iwanowa 1 – Tod in Weißen Nächten

G. D. Abson: Natalja Iwanowa 2 – Blutrot ist das Schweigen

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Inhalt:

In einer eisigen Januarnacht wird Natalja Iwanowa an eine Landstraße nahe Sankt Petersburg gerufen. Dort liegt die Leiche einer jungen Frau. Was nach einem Erfrierungstod aussieht, stellt sich als Mord heraus. Bevor die Kommissarin mit ihren Ermittlungen beginnen kann, wird ihr der Fall vom russischen Inlandsgeheimdienst entzogen. Denn die Ermordete war Mitglied einer politischen Protestgruppe. Weitere Aktivisten sollen kaltgestellt werden, befürchtet Natalja. Sie muss den Täter finden. Im Namen der Toten und der Gerechtigkeit. (Klappentext)

Rezension:

Mit einer sehr interessanten, da geladenen Mischung, hat der Schriftsteller G. D. Abson seine Krimi-Reihe um die russische Kommissarin Natalja Iwanowa nun fortgesetzt, nicht zuletzt vor den aktuellen politischen Ereignissen, die noch einmal sehr tief in das dortige System der einzelnen Verschachtelungen staatlicher Organe blicken lassen.

Während jedoch andere Fortsetzungen des Öfteren an Spannungsmomenten hat der Autor es hier geschafft, das Niveau seines Debüts zu halten. So begleiten wir erneut die ermittelnde Hauptprotagonistin durch das winterliche Sankt Petersburg und geraten sehr schnell in ein Strudel aus Korruption, Absprachen und den Fallstricken eines politischen Systems, welches auch Natalja Iwanowa an ihre Grenzen bringen wird.

Sie öffnete die Arbeitszimmertür. Die Schubladen mit ihren Unterlagen waren leer, und auch der Computer stand nicht mehr auf dem Schreibtisch. An seiner Stelle lag dort eine Beschlagnahmungsquittung unter einem Briefbeschwerer. “Sieht doch gar nicht so schlimm aus”, sagte Sergej. “Das täuscht, es ist schlimmer – hätte mir das Sledkom Angst einjagen wollen, hätten sie die Bude auseinandergenommen. Aber das hier war eine gezielte Durchsuchungsaktion.” “Hast du denn etwas zu verbergen?”

G. D. Abson: Natalja Iwanowa 2 – Blutrot ist das Schweigen

So ist der vorliegende Band nicht nur ein klassischer Krimi, in dem es um die Ermittlung selbst gehen, sondern auch mit Politthrill-Elementen gespickt, die es in sich haben. Natürlich ist der Erzählstil leichtgängig. Selbst wenn man den Auftaktband sich noch nicht zu Gemüte geführt hat, findet man schnell Zugang zur Geschichte und zu den einzelnen Figuren.

Spannende Wendungen ergeben sich hier jedoch nicht so sehr sich aus den Ermittlungen der Protagonistin, eher aus den Tücken des Systems, innerhalb dessen Iwanowa agieren muss. Die Kapitel sind im typisch modernen Stil sehr kompakt, genügend Cliffhanger sorgen für ein schnelles Vorankommen. Neben der bereits erwähnten Ebene des mit in die Handlung eingewobenen politischen Systems, kommt auch das Privatleben der Akteurin ins Trudeln. Jedoch, um das nachvollziehen zu können, muss man nicht, es ist jedoch hilfreich, den ersten Teil der Reihe gelesen haben. Der Zeitraum des Handlungsrahmens ist indes überschaubar.

Abson konzentriert sich wieder auf relativ wenige Hauptfiguren, die dafür umso stärker ausgearbeitet wurden. Alle anderen sind nur dazu da, um die Handlung voranzutreiben. Die Perspektive bleibt immer die der Hauptprotagonistin. Nichts wirkt hier überfrachtet, dazu der eingearbeitete Flair des Handlungsortes, der sich einmal mehr von seiner düsteren Seite zeigen darf.

Kleinere Logikfehler sind zu verschmerzen, durch den Bezug auf real geschehene Ereignisse und existierender staatliche Strukturen, die die Erzählung sehr authentisch erscheinen lassen, wenn auch das Ende an kleinen Stellen zu wünschen übrig lässt. Das ist jedoch vielleicht auch der Fluch des zweiten Bandes, der zumindest Lust auf die Fortsetzung macht.

Wer gerne rasante, leichtgängige Thriller liest, ohne allzu abstruse Wendungen serviert zu bekommen, sich auch mal an andere Schauplätze als die typischen angelsächsischen Gefilde heranwagt, ist auch mit dem zweiten Band um Kommissarin Natalja Iwanowa gut bedient.

Autor:

G. D. Abson wuchs auf Militärbasen in Deutschland und Singapur auf, bevor er nach Großbritannien zurückkehrte und unter anderem Politikwissenschaften mit dem Schwerpunkt Russland studierte. Heute lebt und arbeitet er als selbstständiger Business-Analyst im Süden Englands.

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Udo Lielischkies: Im Schatten des Kreml

Inhalt:

Seit Wladimir Putin 1999 an die Macht kam, berichtete Udo Lielischkies als ARD-Korrespondent aus dem riesigen Land. In dieser Zeit hat er nicht nur die russische Politik, sondern auch den Wandel des russischen Lebens unter Putin hautnah miterlebt. Udo Lielischkies erzählt von seinen Erlebnissen zwischen Kreml und russischer Provinz und vor allem von den stillen Helden in den Weiten Russlands. Ein einzigartiges Bild des facettenreichen wie widersprüchlichen Landes. (Klappentext)

Rezension:

Fast zeitgleich, als Putin 1999 an die Macht kam, wechselte der ARD-Reporter Udo Lielischkies das Berichtsgebiet und begann einzutauchen, in das Leben und die große Politik des größten Landes der Erde. In seinem Sachbuch berichtet er, in der Neuauflage vor dem Hintergrund des Kriegs in der Ukraine, vom Wandel der russischen Gesellschaft, einem Staat, dessen Gesicht nun ein vollkommen anderes ist, aber auch von den Herausforderungen des Korrespondenten-Daseins, wenn nichts ist, wie es zunächst scheint.

Eingerahmt von Eindrücken des jüngsten Ereignisses beginnt der Autor das Erlebte von Beginn an, aufzurollen und zeigt die Schwierigkeiten des Reporterlebens in einem zunächst ihm unbekannten Land auf, sowie die Schnelllebigkeit der Ereignisse, die von Beginn an seine Tätigkeit bestimmte.

Dabei setzt er den Fokus auf einzelne Ereignisse, sowie auf seinen Begegnungen mit Menschen aus ganz Russland und portraitiert das Leben in Moskau ebenso, wie die Unzulänglichkeiten der Provinz, aber auch die Unberechenbarkeiten des Tschetschenien-Kriegs, das erste Geschehnis, welchem er für den ersten deutschen Fernsehsender auf den Grund gehen musste. Im Fokus dabei, neben der Einordnung politischer Entscheidungen für die Zuschauenden, immer auch die Menschen, die davon direkt betroffen waren, dabei einen vollkommenen und gefährlichen Umbau der russischen Gesellschaft zu erleben.

Kompakt reiht er Ereignis um Geschenis aneinander, zeigt die Konsequenzen auf und konzentriert sich dabei immer wieder auf einzelne Themen, wie die Gleichschaltung des einheimischen Journalismus’, sowie dem Ausschalten derer, die versuchen, so lange, wie möglich, noch ihre eigene Sicht der Dinge zu publizieren oder aber die Vereinnahmung von Ernten kleiner Bauern durch übermächtige Agrar-Konzerne mit Verbindungen, hinein in höchste politische Ebenen.

Warum sind trotz offensichtlicher Willkür und um sich greifender Korruption, spurlos verschwindender Gelder aus thematisch begrenzten Budgets, so viele Menschen immer noch für Putin? Was hält dieses Land zusammen, wo das Vertrauen nicht Weniger längst zerstört ist und Russland längst ausblutet?

Anhand von zahlreichen Beispielen gibt er Einblick in den schwierigen Alltag der Menschen, die oft das propagierte Bild im Einklang mit der Wahrheit bringen müssen, was immer schwieriger wird. Was nützt es, ständig von Erfolgen zu hören, wenn der eigene Kühlschrank leer bleibt, da Löhne und Renten nicht zum leben reichen, Dächer undicht sind und kein Zugang zu sauberen Trinkwasser vorhanden ist. Udo Lielischkies gibt jedoch auch Einblick in den schwierigen Reporter-Alltag, Recherchearbeit, Berichtsglück und der Entscheidungsfindung, was berichtet wird, wenn sich die Ereignisse mal wieder überschlagen.

Doch nicht die großen Eindrücke sind es, die diese Rückschau so interessant macht, sondern die zahlreichen dokumentierten Begegnungen, vor allem mit Menschen, die die Differenzen sehen, jedoch nicht gegen die Allmacht des Staates und seiner Anhängel ankommen. Einmal mehr gilt der Spruch, Russland schert sich nicht um das Lebensglück seiner Menschen. Fasslungslos nimmt man das Beschriebene auf, welches zudem durch umfangreiches Quellenmaterial unterfüttert wird, welches der Autor hintenan stellt.

Udo Lielischkies hat Wandel und Widerspruch portraitiert, authentisch zudem, da auch er inzwischen in Russland Familie hat und sozusagen den Alltag mitbekommt. Das Land, was er 2018 verließ, war da längst ein anderes, als das, von welchem er 1999 zu berichten begann, vier Jahre später sowie so.

Der Journalist schlägt sich auf keine Seite, beobachtet und ordnet ein und zeigt an zahlreichen Beispielen auf, wie Entscheidungen verschiedener staatlicher Ebenen, gewollt ein System der Willkür und Korruption geschaffen haben, welches längst ein Eigenleben führt. so gewollt von der obersten Führung.

Der Ton wechselt dabei von sachlicher zu emotionaler Ebene. Sowohl die Portraits der Ereignisse als auch der teilhabenden Menschen waren sehr spannend zu lesen, aber auch, wie Berichtsalltag in einem solch kaum fassbaren Land überhaupt funktioniert. Vom letzteren hätte es nicht geschadet, noch mehr Beispiele aufgeführt zu sehen, jedoch auch so ist ein sehr bezeichnender Bericht. Udo Lielischkies zeigt, was passiert, wenn sich Politik und Volk auseinander entwickeln und nur durch verschiedene Formen von Gewalt und Willkür zusammengehalten werden. “Im Schatten des Kreml” zeigen sich die Widersprüche.

Autor:

Udo Lielischkies wurde 1953 in Köln geboren und ist ein deutscher Journalist und ehemaliger Leiter des ARD-Studios in Moskau. Er studierte in Köln Volkswirtschaft und Soziologie, sowie Journalistik. 1980 begann er als Wirtschaftsredakteur beim WDR, nachdem er zuvor als freier Mitarbeiter tätig war.

Nach Stationen in verschiedenen Redaktionen wurde er 1994 Europa- und NATO-Korrespondernt in Brüssel, bevor er 1999 nach Moskau wechselte und von dort u. a. aus Tschetschenien und der Ukraine berichtete. Für seine Reportagen wurde er u. a. mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet. Ab 2006 war er kurzzeitig in washington tätig, kehrte jedoch bald für die ARD nach Moskau zurück und blieb dort bis zu seinem Ruhestand, 2018.

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Empfehlung: Jose Eduardo Aqualusa – Barroco Tropical

Vorab: Außerhalb der ausführlich rezensierten Werke gibt es natürlich noch andere empfehlenswerte Literatur, die sicher in dem einen oder anderen Bücherschrank gehört und seine Fans sucht. Für diese gibt es die Kategorie -Empfehlungen- auf diesem Blog.

Dem Schriftsteller und Filmemacher Bartolomeu Falcato fällt eine Frau buchstäblich vor die Füße. Nicht aus heiterem Himmel, schon gar nicht freiwillig, sie ist tot. Eine rasante Odysee beginnt, die durch die Abgründe der angolanischen Hauptstadt Luanda führt. Bartolomeu geräöt in einen Strudel aus skrupelloser Gewalt, Liebe, Leidenschaft und Eifersucht. (abgewandelte Inhaltsangabe)

Der zwischen den Ländern Angola, Portugal und Brasilienpendelnde Schriftsteller Agualusa setzt damit die Wegmarken eines spannenden Settings, welches die Abgründe eines hierzulande nur stiefmütterlich behandelten Bündels aus Themen behandelt, die in der westlichen Welt kaum jemand auf den Schirm hat. Politische Korruption und Machtspiele mag der Eine oder andere noch mit gewissen Ländern in Verbindung bringen. Wie sieht es jedoch aus mit der Verfolgung von insb. Kindern und Jugendlichen als Hexen? Eine Praxis, geschürt durch einen alten Volksglauben, dem in den letzten Jahren zu viele Menschen zum Opfer gefallen sind.

In seinem Roman “Barroco Tropical” beschreibt der Autor einen chaotischen Trip, diesen Dschungel zu durchdringen, für den nicht nur der Hauptprotagonist all seine Sinne beisammen halten muss. Durchhaltevermögen und Konzentration sind auch bei den Lesenden notwendig.

Autor: Jose Eduardo Agualusa
Titel: Barroco Tropical
Seiten: 316
ISBN: 978-3-293-20913-8
Verlag: Unionsverlag
Übersetzer: Michael Kegler

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G.D. Abson: Natalja Iwanowa 1 – Tod in Weißen Nächten

Inhalt:

Diese Stadt kann tödlich sein. Eine junge Frau verschwindet im Halblicht der Weißen Nächte Sankt Petersburgs. Kommissarin Natalja Iwanowa wird beauftragt, dem Verschwinden der schwedischen Studentin nachzugehen. Unter Hochdruck ermittelt sie, da der Vater des Opfers extrem vermögend ist und ihre Chefs einen schnellen Ermittlungserfolg wollen.

Der Fall scheint gelöst, als sie eine komplett verbrannte Leiche finden. Neben den Überresten: Zena Dahls Handtasche, auf der Fingerabdrücke sichergestellt werden können. Doch Natalja ist sich sicher, dass jemand im Hintergrund die Fäden zieht und setzt alles daran, die wahren Zusammenhänge aufzudecken. Und bringt damit nicht nur ihr eigenes Leben in Gefahr. (veränderte Inhaltsangabe)

Bücher der Reihe:

G.D. Abson: Natalja Iwanowa 1 – Tod in Weißen Nächten
G.D. Abson: Natalja Iwanowa 2 – Blutrot ist das Schweigen

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Rezension:

„Alle taten so, als wären sie jemand anderes, und niemand war noch er selbst.“

G.D. Abson: Natalja Iwanowa 1 – Tod in Weißen Nächten

Die Stadt und ihre glänzenden Fassaden sind Kulissen für Ränkespiele der Mächtigen und jenen, die ein Stück vom großen Kuchen abhaben möchten. In solch einer Gesellschaft integer zu bleiben, ist nicht einfach, zuweilen unmöglich. Doch die Hauptprotagonistin Natalja Iwanowa, dieses neuen Autoren-Debüts, versucht genau das. Auftakt einer Krimireihe durch die Straßen Sankt Petersburgs.

Wer an klassische Kriminalromane oder Ermittlungsgeschichten denkt, mag zunächst im englischsprachigen oder skandinavischen Raum spielende Werke im Blick haben. Doch auch anderswo lassen sich Erzählungen dieses klassischen Genres ansiedeln.

G. D. Abson zeigt uns, wie dies aussehen kann. Sein gewählter Schauplatz ist nichts weniger als Russlands Tor zum Westen und, wie man bereits nach wenigen gelesenen Seiten merkt, gut gewählte Kulisse, in die sich sowohl ein spannendes Szenario unterbringen, als auch der Zwiespalt beschreiben lässt, in dem die gesamte russische Gesellschaft seit den 1990er Jahren steckt. Wie lebt es sich im Versuch, ehrlich zu bleiben, in Putins Russland?

Hauptprotagonistin, ist die einer klassischen Ermittlerin, die abgesehen von ihren privaten Problemen auch noch mit undurchsichtigen Vorgesetzten zu kämpfen haben. Schon zu Beginn erahnt man die Ränkespiele, die sich von Seite zu Seite immer mehr anhäufen, und die Handlung beeinflussen werden. Dabei ist Natalja Iwanowa zunächst die einzige Figur, die Sympathieträgerin ist, zugleich vielschichtig beschrieben und für die Leserschaft fassbar gemacht wird.

Die Handlung indes wird mit fortschreitendem Verlauf immer rasanter. Der Zwiespalt der Protagonisten immer deutlich sichtbarer. Hier hilft, dass der Autor zuvor Einblicke aus anonym gehaltener Quelle (so das Nachwort) aus dem russischen Polizeialltag erhalten hat. G. D. Abson beschreibt, wie Willkür und Korruption die Arbeit von ermittelnden Personen beeinflussen und was dies mit einer Gesellschaft macht, in der man praktisch gezwungen ist, sich selbst der Nächste zu sein. Die Ehrlichen bleiben auch hier die Dummen.

Das liest sich rasant. Nur etwas zu oft stolpert man beim Lesen über Absätze und ganze Kapitel mit dem Gefühl, etwas Entscheidendes gerade überlesen zu haben, ohne dies fassen zu können. Hier merkt man dem Autoren sein Debüt an und darf dennoch hoffen, dass sich dies im Verlauf der weiteren Bände einpendelt.

Dies wäre wünschenswert, denn ansonsten weiß Abson die Elemente eines Kriminalromans gekonnt einzusetzen und seine Leserschaft Detail um Detail zu entwirren. Zum Ende hin einzelne Punkte in der Handlung, die überraschen, andere, die hätten nicht sein müssen. Insgesamt jedoch ein solider Auftakt, der sich lohnt, weiter verfolgt zu werden. Spannende Grundlagen und Ansätze für Fortsetzungen wurden hier in jedem Fall gelegt.

Autor:

G.D. Abson wuchs auf Militärbasen in Deutschland und Singapur auf, bevor er nach Großbritannien zurückkehrte und unter anderem Politikwissenschaften mit dem Schwerpunkt Russland studierte. Heute lebt und arbeitet er als selbstständiger Business-Analyst im Süden Englands. «Tod in Weißen Nächten» ist sein Debüt.

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Petra Reski: Als ich einmal in den Canal Grande fiel

Inhalt:

Der Fischer, der Opernarien schmettert. Der Conte, der gegen die Gondelserenaden kämpft. Der Gemüsehändler, der inmitten von Touristenströmen um seine Existenz bangt. Petra Reski kennt sie noch, die alten Venezianer und die Geheimnisse dieser Stadt, sie zeichnet ein wehmütiges Bild von Venedig, dessen Ausverkauf an den reinen Kommerz beschlossene Sache zu sein scheint. Ihr Buch ist ein leidenschaftlicher Erfahrungsbericht aus dem Sehnsuchtsort Venedig – der fasznierendsten Stadt der Welt. (Klappentext)

Rezension:

“Siamo solo quattro gatti.”, wir sind nur noch vier Katzen, raunen sich die Alteingesessenen mitunter zu, wenn sie sich begegnen. Immer weniger gibt es von ihnen, in der Lagunenstadt Venedig, in der das Leben immer teurer wird, traditionsreiche Geschäfte zugunsten der Touristenmassen verschwinden. In einem Schaufenster einer Apotheke wird die stets sinkende Einwohnerzahl angezeigt. Nie werden es mehr.

Da, um die Ecke, wurde wieder eine Wohnung aufgegeben, um es in ein Airbnb zu verwandeln, die Stadtoberen verscherbeln derweil Palazzo um Palazzo oder versenken Milionen von Euro in zweifelhaften Bauprojekten. Es ist ein bitterer Blick auf eine Stadt, die dem Untergang geweiht scheint, den die Journalistin und Autorin Petra Reski hier aufzeigt, eine, die sich 1989 für eine Reportage nach Venedig kam, sich verliebte und blieb.

Sie kennt sie noch, die Gemüsehändler, die Handwerker, die Gondolieri, die Fischer, die von der Politik auf das Festland verdrängt werden. Tourismus als Allheilmittel, die bröckelnden Bauten als Fassade, die alten Einwohner, sie stören dabei nur. Die Autorin nimmt ihre Leserschaft mit, durchstreift enge Gassen und Kanäle, fällt dabei auch schon mal ins Wasser. Sie erzählt von ihren Lieben, die Lagune selbst und dem Venezianer, der die Geschichte der Stadt in jedem Holzbalken, in jeder Fliese sieht, und von den Problemen, die kein Tourist sehen kann. Für den ist Venedig längst das Disneyland Italiens.

Bei aller Liebe herrscht der journalistisch kritische Blick vor. Reski beschreibt alle Fascetten des Lebens in der Lagunenstadt und ihre Annäherung an ihre Bewohner. Viele Aspekte werden aufgeführt, Bauprojekte gezeigt und vor allem geschildert, wie Venedig über Jahrzehnte, erst schleichend, dann immer schneller, dem Kommerz zum Opfer gefallen ist. Nach der Lektüre wird man kaum mehr dorthin reisen können, zumindest nicht ohne Bedenken oder anderen Blick als der Otto-Normal-Tourist. Es ist ein melancholischer, verletzlicher Zustandsbericht, der hier vorliegt. Von Kapitel zu Kapitel streifen wir durch Kanäle, Straßenzüge, Plätze und Stadtviertel und begegnen venezianischen Originalen und allen, die sich dafür halten.

Das alte Venedig ist arg bedroht. Plätze, fernab der Touristenmassen gibt es nicht mehr. Restaurants und Bars, die die traditionellen Gerichte der Venezianer anbieten, passen sich dem Massengeschmack an oder müssen schließen. Die Politik macht ihren Bürgern das Leben schwer und zwingt sie in Trabantenstädte. Die letzten Venezianer kämpfen einen fast aussichtslosen Kampf voller Hürden. Petra Reski gibt ihnen eine Stimme und erzählt davon.

Autorin:

Petra Reski wurde 1958 geboren und ist eine deutsche Journalistin und Autorin. Nach ihrem Studium der Romanistik und Sozialwissenschaften in Trier, Münster und Paris besuchte sie die Henri-Nanneen-Schule und begann 1988 als Redakteurin im Auslandsresort des Magazin Stern zu arbeiten. Seit 1991 lebt sie in Venedig und schreibt für deutschsprachige Magazine. Über die Mafia schrieb sie mehrere Reportagen, vor allem aber Romane, um juristischen Auseinandersetzungen aus dem Weg zu gehen. Für ihre Arbeit wurde sie mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Emma-Journalistinnen-Preis 2010.

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Christoph Marx: Mugabe – Ein afrikanischer Tyrann

Mugabe - Ein afrikanischer Tyrann Book Cover
Mugabe – Ein afrikanischer Tyrann Christoph Marx C.H. Beck Erschienen am: 29.08.2017 Seiten: 333 ISBN: 978-3-406-71346-0

Inhalt:

Robert Mugabe ist der ewige Diktator. Seit 1980 regiert er Simbabwe, das sich unter seiner Herrschaft von der Schweiz Afrikas in ein Armenhaus verwandelte. Die Korruption blüht, die Opposition wird unterdrückt. Sehr viel Blut klebt an seinen Händen.

Ungeschönt und anschaulich erzählt Christoph Marx das Leben dieses ebenso intelligenten wie skrupellosen Diktators, dem vom Anfang an jedes Mittel recht war, um seine alles überschattende Machtgier zu stillen. (Klappentext)

Rezension:

Ein unbekannter Fleck auf der Landkarte, zumindest für Nichtafrikaner, bildet sicherlich der direkte Nachbar Südafrikas. Während das Land am Kap nach dem Ende des Apartheidregimes sich zum wirtschaftlichen Tiger des Kontinents entwickelte, mit allen Stärken und Schwächen natürlich, macht Simbabwe anhaltend mit Negativschlagzeilen von sich reden.

Die Korruption blüht bis in die höchsten Ebenen, die Bevölkerung wird massiv unterdrückt, Folter und Gewalt sind an der Tagesordnung, Hunger und Krankheiten und eine am Boden liegende Infrastruktur (so überhaupt vorhanden) tun ihr Übriges. Wie konnte es dazu kommen?

Wie konnte ein Land mit allen Chancen und Möglichkeiten, nach der Übergabe der Macht durch die britischen Kolonialherren, sich zum Brennpunkt des südlichen Afrikas verwandeln und zum Symbolbild menschlichen Versagens werden?

Diesen Fragen geht Christoph Marx nach. Der anerkannte Historiker entwirft die Biografie dieses eigentlich faszinierenden Landes und analysiert den Werdegang eines Mannes, der vom Hoffnungsträger zum Totengräber wurde.

Robert Mugabe, einst Lehrer, nutzt Zufälle und Chancen und erlangt schließlich die volle Macht im Staate, setzt seine Vorstellungen von Politik um, die nur darauf abzielten, die absolute Kontrolle zu erlangen und erhalten, und steigt damit in eine Riege von Tyrannen auf, die ihres Gleichen suchen.

Wie konnte ein unerfahrener, anfangs unpolitischer und sehr intellignter Mensch, sich zum Despoten und Fanal eines ganzen Volkes entwickeln? Welche Mechanismen und Eigenheiten Simabwes nutzte Mugabe, um politische Gegner unter Kontrolle zu halten oder auszuschalten?

Warum waren oder sind die Regierungen der Weltgemeinschaft lange blind vor den Brutalitäten eines über die Jahre aufgebauten Terrorregimes und was kommt eigentlich nach Mugabe? Gibt es eine Zukunft für Simbabwe?

Christoph Marx’ Analyse und Biografie spart nicht an Kritik und ist dabei sehr detailliert. Auf zahlreichen Quellen aufbauend und mit einer genauen Kenntnis der Situation in der Vergangenheit und Gegenwart zeichnet er den Weg Mugabes nach, der bezeichnend ist und stellt die Folgen in allen Facetten dar.

Da davon ausgegangen werden muss, dass dem gemeinen Leser die Ausgangssituation für Simbabwe und Mugabe selbst, nahezu unbekannt ist, wird diese kleinteilig, nie langweilig beschrieben.

Personengeschichte in ihrer spannensten Form, die zeigt, wie persönliche Ereignisse das Schlechteste im Menschen hervorbringen und sogar eine ganze Nation ins Unglück stürzen können.

Mugabes Bilanz, zeigt der Historiker, ist niederschmetternd. Die Biografie zeigt ihn, der Jahre lang als Hoffnungsträger gehandelt wurde, in einem kritischen und realistischeren Licht, welches man sich unbedingt vor Augen führen muss.

Der Diktator wird bald, mindestens biologisch bedingt, abtreten müssen. Kämpfe um seine Nachfolge sind längst entbrannt. Christoph Marx räumt schon jetzt mit so einigen geschönten Bildern auf und zeigt Mugabe, wie er zu dem wurde, was er ist. Ein afrikanischer Tyrann, nichts anderes.

Autor:

Christoph Marx wurde 1957 in Landau in der Pfalz geboren und ist ein deutscher Historiker. Er studierte Geschichte und Musikwissenschaft in Freiburg, sowie in Südafrika und promovierte im Jahr 1987. 1996 folgte die Habilitation, seit 2002 ist er Professort für Außereuropäische Geschichte an der Universität Duisburg-Essen.

Schwerpunkte seiner Arbeit bildet die Geschichte der Apartheid in Südafrika, sowie die Kolonialgeschhichte Afrikas und die Geschichte Simbabwes. Er ist Mitglied der Vereinigung der Afrikawissenschaften in Deutschland, sowie Autor und Mitherausgeber für mehrere Fachpublikationen im Bereich seiner Forschungsgebiete.

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John Lahutsky: Wolkengänger

Wolkengänger Book Cover
Wolkengänger John Lahutsky Seiten: 348 Erschienen am: 01.03.2010 ISBN: 978-3-378-01108-3 Aufbau/kiepenheuer

Inhalt:

Wanja kommt als Sohn einer Alkoholikerin verfrüht und mit nur einem Kilo Gewicht zur Welt. Als die Ärzte prognostizieren, dass er nie würde laufen können, gibt die ohnehin überforderte Mutter ihn in ein Waisenhaus.

Da das russische Fürsorgesystem keinen Unterschied zwischen körperlichen und geistigen Behinderungen macht, überläßt man Wanja in einer Gruppe “hoffnungsloser Fälle” sich selbst. Es herrscht Mangel an allem: menschlicher Wärme, Kleidung, Nahrung, Spielzeug.

In Gitterbetten angebunden, werden die Kinder mit Medikamenten ruhiggestellt. Doch Wanja gelingt es, sich selbst das Sprechen beizubringen und eine Gruppe ausländischer Hilfskräfte auf sich aufmerksam zu machen. Sie erkennen bald, dass viele der Kinder mit der richtigen Betreuung ein normales Leben führen könnten, und beschließen zu helfen.

Doch die Rechtslage ist komplex und die russischen Behörden gleichgültig. Erst nach langwierigen Bemühungen gelingt es, Wanjas Adoption zu ermöglichen. Heute führt er als John Lahutsky ein völlig normales Leben – und er hat laufen gelernt.

Nur einen Wunsch hat der einstige Waisenjunge noch: das Ende der russischen Heime, in denen noch heute tausende Kinder unter zum Teil unmenschlichen Bedingungen leben müssen. (Kurzbeschreibung Amazon)

Rezension:

Fast möchte man diese Geschichte als Erfindung eines erzähltechnisch begabten Autoren abtun, anders ist sie fast nicht zu ertragen. Alan Philips ist es gelungen, die Kindheitsgeschichte von John Lahutsky zu recherchieren und beinahe lückenlos in Romanform zu verpacken.

Und er legt dabei schonungslos die Schwächen des russischen Sozial- und Gesundheitssystems offen, welches im Umgang mit körperlich und geistig behinderten Kindern immer noch jeder Beschreibung von gerechter Behandlung spottet. Und das ist noch freundlich ausgedrückt.

So erlebt Wanja die Hölle, körperlich behindert zwar aber geistig vollkommen gesund. Doch, die Verantwortlichen im Babyhaus, welches sich eigentlich um verwahrloste und benachteiligte Kinder kümmern soll, schließen die Augen vor den eigenen Missständen.

Kleinste Neigungen, sich zu widersetzen, werden als Abnormalität gesehen, körperliche Missbildungen als Hinderung, die Schützlinge in die gesellschaft irgendwie zu integireren. Nein, jedwede Abweichung ist Grund genug, die Kinder wegzusperren und verkümmern zu lassen, da “man denen ja eh nicht helfen kann und helfen sich nicht lohnen würde”.

Denkweisen vergangener Zeiten tragen immer noch, in der alles, was von der Norm abweicht keinen Platz in der Gesellschaft hat. Kurz, nachdem das Sowjetsystem in sich zusammen gefallen ist.

Es ist ein erschütterndes Portrait von Menschen, denen jeder Stein, der möglich ist, in den Weg gelegt wird, um Hilfe zu unterbinden. Ein Schriftstück voller Verzweiflung, Verbitterung und Wut, dass so etwas möglich war und möglich ist.

In vielen sozialen Einrichtungen Russlands, Heimen und diesen sog. Baby-Häusern (den Begriff gibt es so nicht, hier mussten die Autoren eine westliche Übersetzung schaffen, die etwa dem entspricht, was diese Einrichtungen sind) haben sich seit den 90er Jahren die Situationen kaum verändert. Das Buch selbst ist 2010 erschienen.

An Aktualität hat John Lahutskys Geschichte nichts eingebüßt.

Streckenlang schwer zu lesen, weil den Überblick zu behalten, ist nicht so leicht. So viele Menschen kamen mit Wanjas (Johns) Schicksal in Berührungen. So viele grausame und wenige positive Wendungen gab es.

Doch, immer wieder gibt es kleine Momente des Glücks und man weiß als Leser schon, dass es irgendwie gut ausgehen muss. Wenigstens das, da sonst John hätte kaum an diesem Roman hätte mitarbeiten können. So lässt sich das Werk dann auch lesen und durchhalten.

Ein erschreckendes Portrait mit viel Schrecken und einem Funken Hoffnung, dass viele solcher Geschichten das Schicksal von Betroffenen vielleicht nicht vollkommen, so doch ein klein wenig zum Positiven verändern kann.

Autor:

Dies ist die Kindheitsgeschichte eines der Autoren, Wanja, der erst in Amerika John genannt wurde. Eine weitere biografische Beschreibung erübrigt sich.

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Tom Callaghan: Insp. Akyl Borubaew 2 – Tödlicher Frühling

Tödlicher Frühling Book Cover
Tödlicher Frühling Autor: Tom Callaghan Hoffmann & Campe – Atlantik Erschienen am: 10.03.2016 Seiten: 351 ISBN: 978-3-455-65048-8 Übersetzung: Kristian Lutze u.a.

Handlung:

Ein Feld unterhalb des schneebedeckten Tienschen Gebirges. Akyl Borubaew blickt auf sieben Kinderleichen hinab, deren Körper Spuren schlimmster Misshandlungen aufweisen. Wer ist zu so etwas fähig? Bei seinen Ermittlungen legt sich Borubaew mit den mächtigsten Kreisen des Landes an. Er weiß, dass er damit sein eigenes Leben auf’s Spiel setzt. (Klappentext)

Reihenfolge der Bücher:

Tom Callaghan: Insp. Akyl Borubaew 1 – Blutiger Winter

Tom Callaghan: Insp. Akyl Borubaew 2 – Tödlicher Frühling

Tom Callaghan: Insp. Akyl Borubaew 3 – Mörderischer Sommer

Tom Callaghan: Insp. Akyl Borubaew 4 – Erbarmungsloser Herbst

[Einklappen]

Rezension:
Kirgistan ist den Nachrichten, wenn denn dort einmal etwas aufregendes passiert, allenfalls eine Randnotiz wert. Es eignet sich aber hervorragend als Kulisse eines Thrillers. Zumindest, wenn der aus der Feder von Tom Callaghan stammt.

So nimmt uns der Brite mit in die Abgründe des Splitterlandes, in dem alte Seilschaften aus längst vergangenen Sowjetzeiten immer noch wirken und Korruption und Misswirtschaft an der Tagesordnung sind.

So stößt der Protagonist an eine Mauer von Unwägbarkeiten und Hindernissen als es darum geht, mehrere Kindermorde aufzuklären, da auch hier die Mächtigen des Landes ihre Finger im Spiel haben.

Schließlich muss bis zum nächsten Umsturz, bis zum nächsten Putsch in die eigene Tasche gewirtschaftet werden, wehrend das Volk teilweise Neugeborene weggeben muss, um zumindest dem Rest der Familie das Überleben zu sichern.

Borubaew, ebenso zielstrebige, wie hartnäckige und sympathische Hauptfigur gratzt am Lack der Seilschaften des Landes und bekommt deren Unwägbarkeiten zu spüren, gerät selbst in den Malstrom der Ereignisse und in Vorwürfe, die ihm nicht nur seinen Job kosten können.

Doch der Inspektor deckt auf und sucht Beweise für eine schreckliche Vermutung. Doch der Atem der Mächtigen und Oligarchen ist lang und kalt.

Ein überaus spannender Thriller, den uns der Brite Tom Callaghan hier vorliegt, der unscheinbar und doch mit einem Knall ins rollen kommt, dessen Handlung aber erst langsam voranschreitet um dann mit voller Wucht zuzuschlagen.

Und so ganz nebenher lernt man etwas über das gesellschaftliche Funktionieren dieser Länder, wenn es ein solches gibt, auch wenn sich die Thriller-Gegebenheiten glücklicherweise nicht passgenau auf Kirgistan übertragen lassen. Doch, manchmal sorgt eben auch ein wahrer Kern für einen großartig grausamen und erschütternden Handlungsrahmen, der es in sich hat. Langeweile ausgeschlossen, Spannung bis zur letzten Seite.

Nur, wer öfter Politthriller/-krimis liest, wird das Ende leicht vorhersehbar finden, aber etwas völlig Neues zu erschaffen, kann man praktisch nicht verlangen. Alles ist schließlich irgendwie schon einmal da gewesen.

Die Verpackung von Themen wie Vettern- und Misswirtschaft, Oligarchentum und organisierte Kriminalität, Menschenhandel, hat mir aber hier sehr gut gefallen. Der Autor schafft mit seinem packenden Schreibstil genug Gänsehaut. Weglegen kann man den Trhiller aber auch nicht.

Die Kapitel kurz, Cliffhanger zahlreich und schnell hat man mehr Seiten insgesamt gelesen als man eigentlich wollte. Zu sehr wird man in den Strudel der Geschichte eingesogen. Einzig, die Ich-Perspektive war für mich gewöhnungsbedürftig, aber das liegt eher an meinem Leseverhalten, passt hier jedoch ganz gut.

Ein packender Polit- und Gesellschaftsthriller vor der Kulisse eines wunderbaren Landes, wie der Autor nach der Wucht des Endes im Dankeswort verrät. Kirgistan soll eine Reise wert sein, dennoch ist wohl niemanden zu empfehlen, sich in die Fußstapfen von Inspektor Borubaew zu begegeben. Wobei, als nur Leser kann man das ruhig machen.

Autor:
Tom Callaghan wurde in Groß-britannien geboren und studierte nach der Schule im englischen York, sowie in New York am Vassar College. Er arbeitete als Creative Group Head und lebte in London, New York und Philadelphia. Später zog er nach Dubai, wo er bis heute lebt. “Tödlicher Frühling” ist sein zweiter Thriller um Inspektor Akyl Borubaew. Sein Erstling erschien im Jahr 2015.

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