Japan

Richard Overy: Weltenbrand

Inhalt:

Richard Overy zeichnet ein neues Bild des Zweiten Weltkriegs – als das letzte Aufbäumen des Imperialismus. Er zeigt ihn als den alles Vorausgegangene übertreffenden imperialistischen Krieg – in dem Achsenmächte ebenso wie Alliierte danach strebten, Imperien zu festigen, zu verteidigen, zu erweitern oder auch erst zu schaffen.

Ein weltumspannendes, zeitlich weit ausgreifendes Geschehen und eine Perspektive, in der etwa der Krieg im Pazifik stärker als bisher üblich in den Blick gerät; beginnend bereits 1931 mit dem Einfall des Japanischen Kaiserreichs in die Mandschurei, der die Richtung vorgab für das exzessive Expansionsstreben Italiens und Nazideutschlands. Overy schildert die Ereignisse, die in die Katastrophe führten, ebenso wie die Folgen für die neue Weltordnung nach 1945; er zeigt die geopolitisch-strategische wie die menschliche Dimension dieses Krieges, mit dem das imperialistische Zeitalter sein Ende finden sollte.

Das Opus magnum eines der bedeutendsten Historiker des Zweiten Weltkriegs, das Ergebnis jahrzehntelanger Forschung – und eine Neubewertung dieses zerstörerischsten aller Kriege, die uns auch unsere Gegenwart mit anderen Augen sehen lässt. (Inhalt lt. Verlag)

Rezension:

Der eurozentrische Blick bestimmt bis heute den Diskurs über den Zweiten Weltkrieg. Beginnend mit den politischen Umwälzungen in Mitteleuropa, der Machtübernahme der Faschisten in Italien, der Nationalsozialisten in Deutschland und dem Spanischen Bürgerkrieg rückt das Jahr 1939 mit all seinem Vorgeplänkel in das Blickfeld, doch der Krieg, der so zerstörerisch, so mörderisch wie kein anderer zuvor werden sollte, begann auf der anderen Seite der Erdkugel bereits viel eher.

Der britische Historiker Richard Overy bringt als einer der wenigen ausführlich auch uns weit entfernt scheinende Schauplätze näher und zeigt, dass bereits 1931 Vorläufer eines Krieges begannen, der weltumspannend zum letzten Aufbäumen des imperialen Zeitalters in seiner alten Form führen sollte.

In der Einführung dieses weit umspannenden Werks geht es zunächst um die Definition nach alter Lesart, um welche Art von Imperien die einzelnen Akteure kämpften bzw. welche sie zu erschaffen oder zu verhindern suchten, bevor es dann in chronologischer Abfolge zunächst um bekannte Abläufe geht. Schon in diesen ersten drei, dem eigentlichen Hauptwerk vorangehenden Kapiteln kommen Orte und Geschehnisse zum Tragen, die in der Mehrzahl der hier zu findenden Werke beinahe vernachlässigt werden.

Overy geht zum einen sehr kritisch mit der britischen Führung unter Churchill um, auch das ist eher selten zu lesen, zum anderen beleuchtet er das imperialistische Streben Japans in Asien ausführlich, vor allem die langwierigen und zermürbenden Auseinandersetzungen in China, die bei uns kaum zur Sprache kommen, werden in “Weltenbrand” analysiert.

Auch betrachtet der Historiker sehr detailliert die Auseinandersetzung innerhalb der alliierten Partner, bei denen es nicht nur zwischen den Hauptakteuren zu Auseinandersetzungen kam, die nach 1945 beinahe nahtlos in den Kalten Krieg hinein führten, auch zeigt Overy die Bruchlinien zwischen Briten und Amerikanern, die diametral entgegengesetzte Ansichten zur künftigen Handhabung im Umgang mit dem imperialen Erbe hegten.

Akteure wie Indien, Australien oder Kanada, die einen Gutteil der britischen Streitmacht stellten werden in späteren Kapiteln beleuchtet, wie auch die inneren Konflikte der POC in der amerikanischen Armee. Alleine diese Punkte machen das Werk zu etwas besonderen, welches sich von der Masse an Lektüren abhebt, die über diese Zeitspanne, zudem auch ein kritischer Blick auf das Vorgehen der Alliierten selten zu finden ist.

Nach drei Kapiteln werden die Betrachtungen nach einem historischen Zeitstrahl verlassen und einzelne Themenkomplexe nochmals gesondert analysiert. Dies liest sich interessanter, da so auf zuvor vernachlässigte Aspekte nun noch einmal genauer eingegangen wird, wie etwa das komplexe Gebiet der Kriegswirtschaft, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Alliierten sowie den Achsenmächten, aber auch Kriegsführung, zuvor Mobilisierung oder die emotionale Geografie des Krieges werden beleuchtet.

Overy nimmt sich die Zeit, dies auszuführen, was innerhalb der Lektüre teilweise zwar zu erheblichen Längen führt und auch Wiederholungen und Bezugnahmen beinhaltet, doch in der Gesamtheit ergibt sich dadurch ein stimmigeres Bild, welches den zuvor erfolgten kurzen historischen Abriss noch einmal ergänzt.

“Weltenbrand – Der große imperiale Krieg 1931-1945” zeigt, wie die alte imperiale Welt den schlimmsten aller Wege ging, um zu ihrem Ende zu kommen und daraus neue Akteure entstanden, die das Weltgeschehen fortan bestimmten und auch eine neue Definition von Imperien anstelle der alten trat. Zwar ergänzt durch mehrere Fototeile ist dieses Sachbuch mehr Standardwerk als es der populärwissenschaftlichen Lektüre dient und so liest es sich dann auch. Stellenweise doch trocken.

Unterfüttert werden die Ausführungen durch zahlreiche Quellen, die aus jahrzehntelanger Archivarbeit resultieren und einem Kartenteil, der auch wieder Bezug nimmt auf das anfangs erwähnte erweiterte Blickfeld, was eine intensive Beschäftigung mit der Thematik ermöglicht. Overys Blick auf die einzelnen Aspekte und deren unterschiedlichen Wirken an verschiedenen Schauplätzen, Vergleiche und daraus gezogene Schlussfolgerungen lassen eine gelungene Lektüre geschehen, aus der man mit mehr Wissen als vorher herausgeht.

Autor:
Richard James Overy wurde 1947 in London geboren und ist ein britischer Historiker. Er studierte zunächst in Cambridge, bevor er nach verschiedenen Stationen 1992 eine Professur für Moderne Geschichte am King’s College in London annahm. 2004 wechselte er an die University of Exeter, wo er ebenfalls Geschichte lehrt.

Er wurde mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Wolfson History Prize und der Duke of Wellingon Medal for Military History. Seine Werke gelten als Standardwerke. 2014 wandte er sich gegen die Behauptung, die Bombardements gegen die deutsche Zivilbevölkerung hätten entscheidend zum Sieg der Alliierten beigetragen.

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Tatsuo Hori: Der Wind erhebt sich

Inhalt:

Die zwischen 1936 und 1938 entstandene Novelle “Der Wind erhebt sich”, betitelt nach einem Gedicht von Paul Valery, beschreibt die platonische Liebe des Ich-Erzählers zu seiner an Tuberkulose erkrankten Verlobten Setsuko. Ihre vom Tod überschattete, kurze Liason verleben sie größtenteils fernab der Gesellschaft in einem Lungensenatorium in den Bergen. Beruhend auf den persönlichen Erfahrungen schildert Tsatsuo Hori mit feinem Gespür die Psyche der beiden Protagonisten und ihre ambivalente Beziehung, was in der lyrischen Darstellung der Umgebung im Wandel der vier Jahreszeiten eine äußere Entsprechung findet.

Mit der Novelle “Der Wind erhebt sich” kann das Lesepublikum hierzulande eine der wichtigsten japanischen Kostbarkeiten des 20. Jahrhunderts nun erstmals auf Deutsch für sich erlesen und eine Tür in eine fremde und doch seltsam nahe Gedankenwelt öffnen. (Klappentext)

Rezension:

Im Vergleich zu anderen Region begegnet uns Japan zumindest literarisch noch sehr dosiert. Um so interessanter sind Erst- und Neuübersetzungen, die jetzt nach und nach auch hier eine Leserschaft gewinnen. Darunter nun eine kleine zarte Novelle, die mit wenig Worten auskommt, jedoch eine sehr besondere Wirkung entfaltet. Die Rede ist von “Der Wind erhebt sich”, aus der Feder des japanischen Schriftstellers Tatsuo Hori, der sich auf sehr einfühlsame Art und Weise mit dem Loslassen und dem Tod beschäftigt.

Die kleine Novelle beginnt inmitten der Natur die Lesenden auf eine Reise durch das Jahr mitzunehmen. Zwei Menschen treffen aufeinander, vom Erzähler selbst erfährt man wenig, überhaupt werden Informationen sehr dosiert und gezielt eingestreut, dennoch hat man sofort ein klares Bild vor Augen. Das Glück der beiden Protagonisten scheint oberflächlich nur von kurzer Dauer, doch im Angesicht des Fortschreitens der Krankheit gewinnt der Zusammenhalt und das Beisammensein Konturen, die die kompakte Erzählung tragen.

Betont zurückhaltend baut Hori die Welt einer Beziehung auf, die, wären die Protagonisten gesund, nur ein Aufeinanderzustreben kennen würde, doch fühlt der Erzählende seine Liebe im Verlauf immer mehr entfliehen. Im Wissen um das baldige Ende versucht der Protagonist die gemeinsame Zeit festzuhalten und kann doch dem Schicksal nicht entkommen.

Sehr poetisch wirkt das zu weilen. Zeile für Zeile verrinnt zwischen den Fingern. Schnell ist man inmitten der Geschichte, fühlt sich als danebenstehender Beobachtende. Der erzählte Zeitraum umfasst dabei nur wenige Monate. Der Autor hat hier einen Spagat zwischen gemächlich wirkender Sprache und doch schnellem Erzähltempo geschaffen. Der Titel alleine lässt bereits zu Beginn den Ausgang erahnen.

Neben der Ausarbeitung der Protgaonisten, von denen man nur das Notwendige erfährt, liegt die Stärke der Novelle vor allem in Orts- und Landschaftsbeschreibungen, die sofort Bilder im Kopf entstehen lassen. Auch ein Fenster in die Gefühlswelt der sonst so zurückhalenden Japaner wird geöffnet, das bereits in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, was an sich schon hervorzuheben ist. Zudem bringt der Autor ein Teil seiner eigenen Biografie mit ein, nimmt seinen Weg vorweg.

Der Fokus liegt auf die zwei Hauptfiguren, die klar gezeichnet werden. Andere werden kaum erwähnt. Sie spielen schlicht und einfach fast keine Rolle im Zusammenspiel der Protagonisten, bleiben daher bewusst blass. Beschrieben werden eine Liebe ohne Zukunft, formvollendete Hingabe, Loslassen und Verarbeitung. Ziemlich viel für wenig Seiten, was leicht hätte misslingen können. Alleine, hier funktioniert es. Kein Wort ist zu viel, Auslassungen wurden bewusst gesetzt. Die behutsame Übertragung von Sabine Mangold ins Deutsche hat das Übrige dazu beigetragen, damit die Novelle auch bei uns ihre Wirkung entfalten kann.

Die erzählende Figur weiß von Beginn an um den Ausgang, während das Gegenüber gleichsam zum Symbol, Dreh- und Angelpunkt der Geschichte wird, die einfach nur berührt. Die Erzählung in Form einer Art Tagebuch gehalten, wird dadurch aufgelockert und gewinnt zugleich an Bedeutung. Absätze zwingen einem, dies vergleichsweise langsam zu lesen, ab und an innezuhalten.

Der Aufbau einer persönlichen Katastrophe, die Beschreibung der Unausweichlichkeit ist das, was diese Novelle ausmacht, zudem die Zustandsbeschreibung der Abgeschiedenheit in Angesicht des Todes. Das kann nur berühren, zudem wenn man um die Geschichte des Autoren weiß, der selbst an Tuberkulose litt, jedoch aus der Position der Angehörigen heraus schrieb. Beinahe so, als wollte Hori etwas Tröstendes hinterlassen.

Sehr poetisch werden Bilder aufgebaut, die einem so schnell nicht mehr loslassen. Diesen Stil muss man mögen, eröffnet jedoch einen Blick in diese damals doch sehr geschlossen wirkende Gesellschaft Japans. Die beschriebene Zurückhaltung funktioniert in diesem Setting sehr gut, wäre verbunden mit anderen Ortsbeschreibungen nicht ganz so glaubwürdig. Die charakterliche Stärke beider Protagonisten tut ihr übriges dazu bei.

Nur ein paar kleine Szenen brechen den Lesefluss und wirken so, als hätte der Autor zwischendrin noch das Gefühl gehabt, noch ein paar Zeilen mehr füllen zu müssen. Das ist jedoch Jammern auf hohem Niveau. Nichts destotrotz kann ich jedem empfehlen, ein paar Stunden mit dieser schönen Novelle, die wohl auch als Anime verfilmt wurde, zu verbringen.

Autor:

Tatsuo Hori wurde 1904 in Tokio geboren und war ein japanischer Übersetzer und Schriftsteller. Zunächst studierte er Japanische Literatur, verfasste während seines Studiums Übersetzungen französischer Dichten und schrieb für die Literaturzeitschrift Roba. 1930 erhielt Hori Anerkennung für seine Kurzgeschichte Sei kazoku (wörtlich “Die heilige Familie”) und ließ eine Riehe von Novellen und Gedichten folgen, die sich oft mit dem Tod beschäftigten. Später erkrankte er an Tuberkulose. Diese Erfahrung verarbeitete er in einer weiteren Geschichte. Er starb 1953 in Tokio.

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Banana Yoshimoto: Kitchen

Inhalt:

Als Mikage ihre Großmutter verliert, ist sie vollkommen allein in der großen Wohnung. Nur in der Küche, wo sie das Brummen des Kühlschranks in den Schlaf wiegt, kommt sie zur Ruhe. Aus ihrer Einsamkeit holt sie Yuichi. Er schlägt ihr vor, zu ihm und seiner Mutter zu ziehen. Denn Eiriko, die wunderschöne “Mutter” Yuichis, hat eine schillernde Vergangenheit. (Klappentext)

Rezension:

Wer sich vom Klappentext leiten lässt, kommt darin um. Die Inhaltsangabe passt zu einer Geschichte, etwas weiter gefasst zu zwei Erzählungen, jedoch nicht die Handlung derer drei, die in dieser Kurzromansammlung zusammengefasst wurden. Eine Sammlung ist dies, von Texten unterschiedlicher Entstehungszeit, jedoch aus den Jahren, in denen sich die japanische Autorin Banana Yoshimoto noch neu an das Schreiben und Erzählen herangewagt hat.

Doch schon hier werden die großen Themen der Kunst, der Literatur und des Lebens behandelt. Um letzteres geht es auch, genau so wie um Tod, Trauer und den steinigen Weg der Verarbeitung, den man nie ganz verlassen können wird, besonders wenn man einen geliebten Menschen verloren hat.

Alle drei Erzählungen sind für sich genommen kompakt und werden nur durch die Themen zusammengehalten, können jedoch als Einzelwerk gut wirken. Eines mehr als die anderen. In dieser Zusammenstellung wirkt der Mittelteil am schwächsten und verschwimmt mit zunehmender gelesener Zeilenanzahl der dritten Erzählung. Das Lesen hintereinanderweg, wie dies mit einem Großteil der westlichen Literatur funktioniert, ist hier nicht möglich.

Es lohnt sich immer wieder innezuhalten, einzelne Abschnitte, die so kunstvoll geschrieben sind wie ein Gemälde, auf sich wirken zu lassen. Zu erwähnen ist aber auch, dass andere Sätze aber mit der Holzhammermethode aufzeigen, dass sich dahinter noch verschiedene Ebenen verbergen. Ob man die allerdings greifen kann, hängt davon ab, wie viel Erfahrungen man schon mit dieser Art von Texten gesammelt hat.

In allen Erzählungen beschränkt sich die Autorin auf wenige Figuren und einer überschaubaren Anzahl von Perspektivwechseln, die sehr gewählt gesetzt sind, jedoch manche Länge haben entstehen lassen. Das ist schade, denn dem Zugang zu den Geschichten ist dies nicht unbedingt zuträglich.

Auch wirken manche Szenarien wie durch einem Nebelschleier, wenn man auch anerkennen muss, dass die Autorin durchaus gesellschaftliche und literarische Grenzen mit ihren Erzählungen in Japan aufgebrochen hat. Das sagt uns zumindest ein einordnendes Nachwort, hier von Giorgio Amitrano. Unbedingt notwendig für jene, die noch nie etwas von der Autorin gelesen haben oder gar mit Yoshimoto einen Einstieg in die japanische Literatur versuchen möchten. Von Letzteren würde ich allerdings abraten.

Wenn man sie einmal zu fassen bekommt, zerrinnen einem die Figuren im nächsten Moment wieder zwischen den Fingern. Mitfühlen fällt jedoch leichter, wenn man ähnlichen Verlust schon einmal erlebt hat oder benennen kann. Anders ist es schwer, auch wenn man allgemein Probleme damit hat, Gefühl zu beschreiben, zu benennen. Hier hätte vielleicht ein etwas anderer Schreibstil gut getan, was aber auch an der Übersetzung selbst liegen kann.

Spannend ist es für jene geschrieben, denen das Sezieren von Gefühlswelten liegt, große Überraschungen bleiben jedoch auch dann aus. Die braucht es dann jedoch auch nicht.

Wer die Kurzgeschichten wirklich als solche liest und nicht hintereinanderweg schmökert, sondern zwischendurch innehält, gewinnt dadurch mehr. Daher empfiehlt es sich, zwischendurch eine Pause einzulegen. Das sollte man aber vielleicht vorher wissen.

Nun denn, ihr wisst das jetzt. Vielleicht ist euer Urteil dann milder.

Autorin:

Banana Yoshimot ist das Pseudonym der japanischen Autorin Mahoko Yoshimoto. Geboren wurde sie 1964 und studierte nach der Schule japanische Literatur. Für ihre Abschlussarbeit bekam sie 1986 den Dekanspreis ihrer Universität. ein Jahr später für ihre Erzählung “Kitchen” den 6. Kaien-Literaturpreis für Debütanten. Weitere Werke folgten, die mehrfach ausgezeichnet und übersetzt wurden.

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Andreas Neuenkirchen: Codename – Sempo

Inhalt:

1940 ist Chiune “Sempo” Sugihara offiziell der japanische Vizekonsul in Litauen. Tatsächlich aber spioniert er als Agent seines Außenministeriums deutsche und russische Truppenbewegungen aus. Seit seinen Lehrjahren in japanischen Kolonien ein entschiedener Gegner von Tyrannei und Unterdrückung, nimmt er sich der jüdischen Flüchtlinge an, die eines Tages beginnen, sein Konsulat zu belagern. Gemeinsam mit einem kreativen holländischen Konsul und einem profitorientierten russsischen Kommunisten heckt er einen wahnwitzigen Plan aus, ihnen mit Visa zweifelhafter Gültigkeit die freie Passage nach Japan zu ermöglichen.

Für die Juden beginnt eine aufreibende Odyssee durchs eiskalte Sibirien und über die raue japanische See in die Freiheit. Für Sugihara folgen Kriegsgefangenschaft, die unehrenhafte Entlassung aus dem Staatsdienst, Gelegenheitsjobs in Japan und Russland. Erst Jahrzehnte später erfährt er, dass sein Plan aufgegangen ist, und erst kurz vor seinem Tod wird er von der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad vashem als Gerechter unter den Völkern ausgezeichnet. (Klappentext)

Rezension:

War Chiune Sigihara der japanische Schindler? Dass er seit Bekanntwerden seiner Taten immer wieder mit diesem wenig originellen Titel bedacht wird, ist so unglücklich wie verständlich. Auch ohne Vorkenntnisse hat man bei einer derart griffigen Verschlagwortung sofort eine ungefähre Vorstellung von der historischen Rolle, die ihm zukommt. Gleichwohl ist eine solche Bezugnahme auf eine andere historische Persönlichkeit auch immer eine Reduzierung.

Der japanische Schindler ist eben nicht das Original. Mit einer derartigen Größe verglichen zu werden ist einerseits sicherlich eine Ehre, klingt andererseits jedoch nach einem Trostpreis. Eine Hitparade der Holocaust-Helden wäre unschicklich, und darüber hinaus hat Chiune Sugihara es verdient, nicht nur im Schatten eines anderen geehrt zu werden.

Andreas Neuenkirchen: Codename – Sempo

Der in Japan lebende Journalist und Autor Andreas Neuenkirchen tut dies in einem recht eindrucksvollen Porträt, welches er über den japanischen Diplomaten, der durch seine Postion getarnt, eigentlich für seine Regierung die Truppenbewegung der Deutschen und der Sowjetunion ausspionieren sollte, dem jedoch per Aufenthaltsort eine bedeutende Rolle zukommen sollte, in Bezug auf die Menschen, deren Leben er rettete. Entstanden ist eine eindrucksvolle Biografie einer hier in Europa fast vergessenen, in Japan erst spät gewürdigten Persönlichkeit, ein wichtiges Werk in der Reihe der Bücher gegen das Vergessen.

Die Geschichte von Chiune Sugihara beginnt der Journalist mit einem Blick auf dessen Elternhaus, Kindheit und Jugend, die schließlich in einem Weg mündete, abseits dessen, welchen der Vater für seinen Sohn erdacht hatte. Wichtige Schlüsselmomente und Stationen werden dargestellt, um darauf später zurückzukommen und die Motivation für das spätere Handeln Sugiharas wenigstens im Ansatz zu klären.

Neuenkirchen begab sich nicht auf die Spuren eines Unternehmers, der zunächst nur günstige Arbeitskräfte für seine Fabriken brauchte, für den dann im Laufe der Zeit die menschlichen Leben einen höheren Stellenwert erhielten oder der Männer, die im Auftrag ansonsten neutraler Regierungen, wie dies etwa in Schweden der Fall gewesen ist, Verfolgte vor dem Schlimmsten bewahren sollten. Chiune Sugihara war im Auftrag der japanischen Regierung in Europa unterwegs.

Wenngleich die Rettung Tausender jüdischer Flüchtlinge die Sugiharas in Deutschland nicht in Bedrängnis bringen sollte, so dauerte es dennoch nicht lange, bis sich der Himmel über ihrem Schicksal verfinsterte.

Andreas Neuenkirchen: Codename – Sempo

Nach Lehrjahren in der Mandschurei zunächst in Moskau, später dann in Kaunas, vor allem um die Truppenbewegungen der eigentlich verbündeten Deutschen und derer Gegner auszuspionieren. Neuenkirchen hat den auslösenden Moment für eine menschliche Großtat und den Weg Sugiharas, sowie den Umgang mit dem historischen Erbe gesucht.

Für die zahlreichen Geschichte, ja für diese eine, wirkt der Text auf den ersten Blick beinahe zu kompaktm, doch Neuenkirchen wagt keine Ausschweifungen, hat sich beim Schreiben aufs Wesentliche konzentriert. Die Wirklichkeit ist spannend genug. Sie bedarf keinerlei Ausschmückung. Gestützt auf Archivarbeit, Interviews und Zeitzeugenberichten, Zeitungsartikeln verfolgt er den Weg eines außergewöhnlichen Menschen und der jenigen, deren Leben Sugihara rettete.

Als sich der Zug in Bewegung setzte, zückte Sugihara ein letztes Mal auf litauischem Boden Feder und Papier. Die letzten behelfsmäßigen Visa warf er aus dem fenster des fahrenden Zuges, in die Hände derer, die ihn laufend begleiteten, so lange es ging. Erschöpft und verzweifelt rief er: “Ich kann nicht mehr schreiben, bitte vergebt mir!” Dann sank er in seinen Sitz und schlief sofort ein.

Andreas Neuenkirchen: Codename – Sempo

Eindrucksvoll werden einzelne Momente herausgestellt. Fast wirkt es so, als wäre man inmitten eines Dokuspiels und doch ist dies ein sehr flüssig zu lesendes Sachbuch, welches einmal einen anderen erinnerungswerten Aspekt zur Sprache bringt, als dies normalerweise der Fall ist. Ansonsten hätte man schon öfter von Chiune Siguhara gehört.

Andreas Neuenkirchen versteht es Familien- und Personengeschichte, sowie ein gesellschaftlichs Porträt miteinander zu verknüpfen, ebenso Nachwirkungen und den Umgang mit der Vergangenheit darzustellen. Ein Sachbuch, welches sich von der durch das wirkliche Geschehen verursachten Dramaturgie wie ein spannender Roman liest, ist das. Und fast genau so aufgebaut. Im forderen Teil gibt es ein Personenregister. Aber auch die Nachbetrachtungen sind sehr überlegt und kenntnisreich. Sie runden die Thematik gut ab.

Der Ausgang der Geschichte von Chiune Sugiharas Taten ist bekannt, doch noch viel zu wenig beschrieben. Dieser Text ändert das nun.

Autor:

Andreas Neuenkirchen wurde 1969 in Bremen geboren und arbeitet seit 1993 als Journalist. Zunächst zuständig für Bremer Stadtmagazine und Tageszeitungen, arbeitete er von 1998 bis 2016 als Redakteur in München. Nebenher arbeitete er als Autor für Hörspiele, Heftromane, Rundfunkreklame, Bücher und Filme. Die meisten haben Japan-Bezug. Seit 2016 lebt er mit seiner japanischen Frau und der gemeinsamen Tochter in Tokio.

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Riku Onda: Die Aosawa-Morde

Inhalt:

An einem stürmischen Sommertag veranstaltet die Familie Aosawa ein rauschendes Fest. Doch die Feier verwandelt sich in eine Tragödie, als siebzehn Menschen durch Zyanid in ihren Getränken sterben. Die einzige Unversehrte ist Hisako, die blinde Tochter des Hauses. Kurz darauf begeht der Mann, der die getränke lieferte, Selbstmord und besiegelt damit scheinbar seine Schuld, während seine Motive im Dunkeln bleiben.

Jahre später versuchen die Autorin eines Buches über das Verbrechen und ein Ermittler, der Wahrheit auf die Spur zu kommen. Doch die Wahrheit ist nichts anderes als ein Gegenstand, der aus einer bestimmten Perspektive beleuchtet wird… (Klappentext)

Rezension:

Honne und Tatame sind Begriffe für gesellschaftliche Phänomene, wie sie in dieser Form wohl in kaum einem anderen Land so ausgeprägt existieren, wie in Japan. Der eine bezeichnet die wahrer Gefühle einer Person, die entgegengesetzt zu denen stehen können, die von der Gesellschaft erwartet werden. Der andere Begriff steht für die Äußerung und das Verhalten, welches von der Gesellschaft erwartet wird, je nachdem welche Position man inne hat.

Die damit verbundene Komplexität und damit einhergehenden Problematiken werden erst seit kurzem in der japanischen Öffentlichkeit diskutiert, bilden im ersten Kriminalroman der Autorin Riku Onda die Grundlage für zahlreiche spannende Momente.

Der Auftakt entspricht dem, klassischer Kriminalliteratur,. Wir Lesende wohnen einem Fest bei, welches von einer in der örtlichen Gemeinschaft anerkannten Familie ausgerichtet wird, wo es zur Katastrophe kommt. Gift in Getränken ist der Auslöser einer sich über Jahre ziehenden Handlung. Alleine Hintergründe, nicht zuletzt die Identität der mordenden Person, bleiben lange im Dunkeln.

Unnahbar sind von Beginn an alle Charaktere aus deren wechselnder Perspektive erzählt wird, ohne dies immer klar voneinander abzugrenzen. Hier ist Konzentration erforderlich. Der nüchterne und distanzierte Erzählstil ist gewöhnungsbedürftig und macht es anfangs schwer, in die Geschichte hinein zu finden. Doch wirkt dies wie ein Sog.

Man folgt den beiden Hauptprotagonisten auf der Suche nach Spuren, die einander kreuzen, parallel zueinader verlaufen, um dann doch wieder eine völlig andere Richtung zu nehmen. So ruhig, wie der erzählstil der Autorin wirktz, so unscheinbar sich die Übergänge lesen, so viele Verdächtige tun sich auf, was fast bis zum letzten Kapitel durchgehalten wird.

Subgenres der Kriminalliteratur werden hier gekonnt vermischt und ein einzigartiger Blick in die japanische Kultur der Verschlossenheit gewährt, sowie die Perspektiven einer Familie, die von außen kaum zu durchdringen sind. Eingebettet ist das in einem ruhigen, fast stoischen Schreibstil, den man als lesende Person anfangs ebenso stoisch aufzunehmen hat.

Zu gefühlige Menschen werden mit Riku Ondas Art des Erzählens wohl an ihre Grenzen stoßen, auch ist Durchhaltevermögen über weite Strecken nicht von Nachteil. Die Auflösung indes ist stimmig und folgerichtig. Hier gibt es keine wirren Wendungen, auch ist man selbst bis zur letzten Zeile gefordert. Kriminalliteratur nach durchschnittlich europäischen Maßstäben ist das nicht. Zudem sollte man auch nicht davor zurückschrecken, dass bewusst Fragen offen gehalten werden.

Wer damit zurechtkommt, den seien “Die Aosawa-Morde” empfohlen. Nur zu tief ins Glas schauen, sollte man dabei vielleicht nicht, viel eher darauf achten, was sich darin befindet.

Autorin:

Riku Onda wurde 1964 geboren und ist eine japanische Schriftstellerin. 1992 veröffentlichte sie ihr literarisches Debüt, dem weitere Werke folgten. Im jahr 2005 gewann sie den Yokoshiwa Eiji Preis. Seit 2002 wurden bereits mehrere ihrer Werke verfilmt. Ihr Spannungsroman “Die Aoasawa-Morde” gewann den Mystery of Writers of Japan Award.

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Hideo Yokoyama: 2

Inhalt:

Ein legendärer Kriminaldirektor, der sich aus dunklen Gründen weigert, seinen Posten zu räumen – und eine junge, aufstrebende Polizistin, die von einem Tag auf den anderen nicht mehr zur Arbeit erscheint. Zwei Fälle, ein Schauplatz: Japan, Polizeipräsidium Präfektur D.

Rezension:

Japan ist das Land der zwei Geschwindigkeiten. Einerseits bestimmt das Leben auf der Überholspur die Menschen, die laufen müssen, um nicht den Anschluss zu verlieren, was widerum mit althergebrachten Traditionen und längst veralteten Rollenbildern kollidiert. Ständig. In diesem Szenario siedelt Hideo Yokoyama seine beiden hier vorliegenden Kurzkrimis an und zeigt damit eine hier nahezu unbekannte Seite des Inselstaats.

Zunächst entführt uns der Autor in die Verwaltungsabteilung eines Polizeipräsidiums und setzt damit gleich zu Beginn den Fokus nicht auf den klassischen Ermittler, sondern auf den Beamten, der ein bürokratisches Problem zu lösen versucht. So trocken sich dies anhört, so ruhig entwickelt sich die Geschichte zu einem unterschwellig spannenden Szenario, welches in dieser kompakten Form allenfalls als Kriminalromannovelle zu bezeichnen ist. Die Kurzgeschichte unter dem Genre Thriller laufen zu lassen, mag eine verlegerisch durchdachte Entscheidung beruhen, ist für mich ob der stoischen Ruhe des Textes kaum nachzuvollziehen.

Andererseits fehlt mir, dies muss fairerweise erwähnt werden, der Vergleich zu weiteren Krimis und Thrillern aus diesen geografischen Raum. Die zweite Geschichte weist da ein etwas höheres Erzähltempo auf. Beide lassen sie sich jedoch flüssig lesen. Für nicht an asiatische Namen gewöhnte Augen sorgt eine Namensliste für den Überblick.

In beiden Geschichten setzt der Autor zu sehr unterschiedlichen Zeitpunkten mit der Lösung an. Hier kommt es sehr darauf an, wie man selbst gerne liest und wie Handlungsstränge wirken. Die Protagonisten sind feinfühlig ausgearbeitet. Eine gewisse Distanz zum Lesenden, gleichsam dem asiatischen Gesellschaftsbild nach immer funktionieren zu müssen, sich nicht in das Seelenleben hineinschauen zu lassen, ist immer vorhanden. Hier zeigt sich Yokoyama durchaus gesellschaftskritisch, auch was den Umgang mit traditionellen Rollenbildern angeht.

So ist, wer einen Krimi nach englischen oder skandinavischen Vorbild erwartet, hier falsch, doch wer gerne einmal Novellen mit gesellschaftskritischen Tönen liest, hier an der geeigneten Lektüre. Die Krimihandlung, die ich hier aufgrund der Kürze der Geschichten, umschiffen musste, spielt ohnehin eine nebensächliche Rolle. Zum “Antesten”, ob Schreib- und Erzählstil von Hideo Yokoyama für einem selbst geeignet sind, ist “2” jedoch passend.

Autor:

Hideo Yokoyama wurde 1957 in Tokio geboren und ist ein japanischer Autor und Journalist. Nach seiner journalistischen Arbeit begann er Kriminalromane zu schreiben, die in mehrere Sprachen übersetzt und zahlreich ausgezeichnet wurden. Sein Werk “64” wurde als bester japanischer Kriminalroman im Jahr 2013 ausgezeichnet, ein Jahr darauf erhielt er den Deutschen Krimipreis in der Kategorie International.

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Mieko Kawakami: Heaven

Inhalt:

Sie sind beide Außenseiter und Opfer übler Mobbing-Attacken und haben doch noch kein Wort miteinander gewechselt: der vierzehnjährige namenlose Ich-Erzähler und seine Klassenkameradin Kojima. Als Kojima aber beginnt, Nachrichten zu schreiben, entwickelt sich ein Dialog zwischen den beiden, entsteht etwas Schönes, Zartes. Bald jedoch wird die gerade geschlossene Freundschaft auf eine harte Probe gestellt.

In ihrem packenden Roman erzählt Mieko Kawakami die Geschichte zweier Jugendlicher, die anders sind, in einer Gesellschaft, die kein Anderssein erträgt, und stellt damit abermals ihr schriftstellerisches Talent unter Beweis.
(Klappentext)

Rezension:

Mobbing wird definiert als fortgesetzte Handlung zumeist psychischer, aber auch körperliche Gewalt und Ausgrenzung gegenüber Schwächeren über einen längeren Zeitraum und das Ausnutzen überlegener Kräfte durch stärkere Personen. In zahlreichen Varianten kommt dies vor, verdeckt oder offen, und erstreckt sich auf Menschen aller Altersgruppen und sozialer Schichten. Wie gibt man einer solchen Thematik, die schon in der Realität kaum flächenwirksam diskutiert wird, fast immer nur dann, wenn sich die Opfer nicht anders zu helfen wissen, als zum Äußersten zu greifen, um sich dem zu entziehen, Raum, zumal in einer von Grund auf eher zurückhaltenden Gesellschaft?

Die japanische Autorin Mieko Kawakami hat dies versucht und erzählt die Geschichte zweier Schüler, wie sie wohl überall auf der Welt vorkommt. Aus der Perspektive eines namenlosen Ich-Erzählers erleben wir von Beginn an die Grausamkeiten, denen er sich ausgesetzt sieht, aufgrund einer Fehlstellung seiner Augen.

Er beschreibt die körperlichen Schmerzen und psychischen Quälereien, die ihm immer mehr verzweifeln und resignieren lassen, bis er eines Tages ein Brief von einer ebenso gequälten Mitschülerin erhält.

Zunächst nur wenige Worte, formen sich schließlich Säütze und ein reger Briefwechsel daraus. Kojima gibt dem Jungen Halt und wird selbst plötzlich gesehen. Zarte Bande, die von den Peinigern Beider nicht unbemerkt bleiben, was Konsequenzen haben wird. Dieses Zusteuern auf die Katastrophe, die Unausweichlichkeit, das Drama, man ahnt das schon zu Beginn, hofft und bangt, gerät gleichfalls der beiden Protagonisten in einem Sog, den man sich nicht entziehen kann.

Aber warum hatte ich Angst? Weil sie mich verletzten? Wenn ich fürchtete, verletzt zu werden, warum tat ich dann nichts? Was hieß das überhaupt: verletzt? Warum wehrte ich mich nicht? Warum ergab ich mich einfach? Was hieß das: sich ergeben? Wovor hatte ich Angst? was ist Angst? Doch so lange ich auch grübelte, zu einem Ergebnis kam ich nicht.

Mieko Kawakami: Heaven

Die Autorin schafft es die Verzweiflung des vierzehnjährigen Ich-Erzählers zwischen den Zeilen mit zunehmenden Seiten immer mehr einzustreuen, eindrucksvoll die inneren Monologe, die Erklärungsversuche des Protagonisten, ebeenso wird das Sinnfreie im Dialog mit einem der Mobber deutlich, dessen Sicht dem Opfer immer mehr die Luft zum Atmen nimmt. Kurze Sätze der Unausweichlichkeit wechseln mit ausufernden, die den Jungen immer mehr in die Tiefe ziehen. Der weg von Kojima nimmt einen anderen Verlauf.

Was bleibt da noch? Das Ende gibt kaum Antworten und bleibt halbwegs offen. So ist das auch im realen Leben. Ein Opfer findet keine einfachen Erklärungen, braucht sie auch nicht, da sie nicht helfen. Nur Hilfe von Außen schafft dies, was schwer genug ist. Wer vertraut sich von selbst schnell genug jemanden an? Das schaffen nur wenige sofort. So bleibt der Leidensweg meist lang. Im Land der Autorin ist die Quote von Fällen von Burnout sehr hoch, ebenso wie die Suizidrate derer, die mit den Konsequenzen einer Gesellschaft, in der jeder für sich bleibt, nicht mehr zurechtkommen. Mieko Kawakami gibt all jenen, nicht nur in Japan, eine Stimme, die so bitter nötig ist.

Autorin:

Mieko Kawakami wurde 1976 in Osaka geboren und ist eine japanische Schriftstellerin und Sängerin. Bekannt wurde sie mit einen Roman, der 2020 in mehreren Sprachen übersetzt wurde, im Deutschen unter den Titel “Brüste und Eier”. Das Buch wurde vom Time Magazine zu den zehn besten Büchern des Jahres gewählt. Doch bereits 2006 debütierte sie als Lyrikerin und veröffentlichte in Japan ihren ersten Roman. Für ihr Werk erhielt sie zahlreiche Literaturüpreise, darunter den Akutagawa-Preis und den Murasaki-Shikibu-Preis.

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Andrew Roberts: Feuersturm

Feuersturm Book Cover
Feuersturm Andrew Roberts Rezensionsexemplar/Sachbuch C.H. Beck Hardcover Seiten: 896 ISBN: 978-3-406-70052-1

Inhalt:

Warum verloren die Achsenmächte den Zweiten Weltkrieg? Tatsächlich durch strategische Fehler und aus ideologischer Verblendung oder wegen der Übermacht der Alliierten? Im Mittelpunkt der analyse stehen die Militärgeschichte und die Operationen, Schlachten zu Land, zu Wasser und in der Luft, der Wettlauf in der Rüstung und Informationsbeschaffung.

Der Historiker Andrew Roberts begibt sich auf Spurensuche durch den Verlauf eines Krieges, der Millionen Menschen weltweit das Leben kostete, zu den Schlachtfeldern und wechselt zwischen den Ebenen, von den Politikern bis zu den Generälen und einfachen Soldaten und ihren unzähligen Opfern. Erzählt wird eine Geschichte von Europa, über Asien und Amerika. (eigene Inhaltsangabe)

Rezension:

Wer auf Flohmärkten nach Büchern stöbert, stolpert des Öfteren über ziemlich einseitige Literatur, die als solche kaum zu bezeichnen ist. Sogenannte Militaria, die aus einer zweifelhaften Sichtweise heraus geschrieben wurde und besonders das Geschehen um den Zweiten Weltkrieg sehr einseitig darstellt. Gefühlt ist auf den meisten Flohmärkten jeder zweite Bücherstand mit solcherlei Schriften bestückt.

Anders dagegen gut bestückte Bibliotheken oder Buchläden mit großen Sachbuch-Abteilungen, in denen inzwischen sehr viele Aspekte des Schlimmsten aller Kriege beleuchtet werden.

Heruntergebrochen auf Personengeschichte, Biografien oder den Geschehnissen in einzelnen Ländern oder zu bestimmten Jahren findet sich dort eine Vielfalt wieder, für die man den Verlagen, Autoren und Historikern, aber auch natürlich unzähligen Zeitzeugen dankbar sein muss. Und nun liegt mit “Feuersturm – Eine Geschichte des Zweiten Weltkriegs” eine besonnene und ruhige Analyse des militärischen Geschehens innerhalb des Zweiten Weltkriegs vor.

Andrew Roberts hat sich mit seiner Recherche in unzählige Archive begeben und die Schlachtfelder des Zweiten Weltkrieges besucht. Herausgekommen ist ein Portrait der Ereignisse von den Vorbereitungen für die größte aller Katastrophen bis hinein zu den Moment, in dem das Unglück, welches die Achsenmächte, das Deutsche Reich, Japan und Italien, auf die Welt stürzen ließen, sich über sie selbst umkehrte.

Haarscharf analysiert er die die Entscheidungen von Politikern und Offizieren, die Bewegungen der Heere, Marinen und Luftstreitkräfte aller Beteiligten und ihre Auswirkungen auf den Verlauf des Krieges, um herauszufinden, warum Hitler den Krieg verlor und die Alliierten siegten.

Herausgekommen ist eine umfassende Analyse, die bald zu den Standardwerken für Geschichtsinteressierte und Historikern gehören dürfte, konzentriert auf den rein militärischen Aspekt. Das muss man mögen, so etwas zu lesen, anderenfalls wird man durch die Ausführlichkeit der Beschreibung entsprechender Operationen aus den Konzept gebracht. Ausschweifende Kapitel nehmen sich jeweils einen Erdteil oder eine bestimmte Gegend vor, analysieren etwa das Vorgehen in Pearl Habor oder auch weniger bekannten Schauplätzen, etwa den Philippinen.

Viel Faktenwissen bekommt der Leser alleine durch die Veranschaulichung und Gegenüberstellung von Zahlen, etwa Truppen- oder Waffenstärken. Wer so tief nicht ins Detail gehen möchte oder das Durchhaltevermögen und die Konzentration über weite Strecken nicht aufbringen kann, wird spätestens hier raus sein. Alle anderen bekommen mehrere Aspekte vorgesetzt, warum der Zweite Weltkrieg eben so und nicht anders verlief.

Das alleine macht Andrew Roberts’ Werk zu einer lesenswerten Lektüre. Grobe Schnitzer leistet sich der Autor und Historiker jedoch auch, darunter solche, die einfach unverzeihlich sind. Um nur ein Beispiel zu nennen: Zitat

Nachdem die Beiden eine Zyankalikapsel an ihrer Schäferhündin Blondi getestet hatten – von der sie offensichtlich annahmen, dass sie in einem Deutschland nach dem Sturz des Nationalsozialismus auch nicht mehr leben wollte…

Andrew Roberts: Feuersturm – Eine Geschichte des Zweiten Weltkriegs

Dies im Abschnitt über den Selbstmord Adolf Hitlers und Eva Brauns. Jeder nur annähernd Geschichtsinteressierte muss über eine solche Formulierung, von der ich hoffe, dass sie einfach der Übersetzung geschuldet ist, den Kopf schütteln. Hitler testete die Kapsel an seinem Hund, da er Himmler, von dem er diese bezogen hatte, zu diesem Zeitpunkt misstraute.

Nichts anderes ist richtig. Alleine für solch eine Formulierung muss es Abzüge geben und auch für die zwei Schlusssätze nach einer an sich ganz guten und nachvollziehbaren Analyse.

Das geht so nicht und ist nach der Detailliertheit des gesamten Werkes weder angebracht, noch ausreichend. Manche Bemerkungen sind einfach zu flapsig. Und dies tut gerade solchen Ausarbeitungen nicht gut. Wer darüber hinwegsehen kann, hat trotz allem mit “Feuersturm” eine gute Analyse des Geschehens im Zweiten Weltkrieg vorliegen. Aufpassen sollte man dennoch.

Autor:

Andrew Roberts wurde 1963 in London geboren und ist ein britischer Historiker und Publizist. Er besuchte nach der Schule die Universität von Cambridge und graduierte in Moderne Geschichte. Von 1985-1988 arbeitete er als Investmentbanker und veröffentlichte 1991 sein erstes geschichtswissenschaftliches Werk.

Nach weiteren Veröffentlichungen setzte er sich 2001 mit der Schlacht von Waterloo und 2003 mit den unterschiedlichen Führungsstilen Hitlers und Chruchills auseinander. Seine Biografie Napoleons wurde mehrfach ausgezeichnet. Als Kolumnist veröffentlicht er regelmäßig in verschiedenen Zeitungen, ist Beführworter des Thatcherismus’ und Anhänger des Brexit. Roberts hat derzeit eine Professort am King’s College in London inne.

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Andreas Neuenkirchen: Happy Tokio

Happy Tokio Book Cover
Happy Tokio Reisebericht mairdumont Taschenbuch Seiten: 293 ISBN: 978-3-7701-8290-0

Inhalt:
Das Magazin Monocle kürte Tokio drei Jahre in Folge zur lebenswertesten Stadt der Welt. Und doch findet sich in so gut wie jedem Reiseführerung: “Tokio ist keine schöne Stadt.” Andreas Neuenkirchen ist dennoch zusammen mit seiner Frau und seinem Kind geblieben und lüftet wunderbar unterhaltsam das Geheimnis, warum seine neue Wahlheimat auf ihre ganz eigene Weise glücklich macht. (Klappentext)

Rezension:
Seinen Lebensmittelpunkt zu ändern kann schon mal ein kleiner Schock sein. Dieser wird um so größer, geht man gleich ins Ausland, wechselt man aber den kompletten Kulturkreis ist das Chaos perfekt. Dabei ist alles so schön organisiert. Die Klimaanlage der Wohnung spricht mit ihren Nutzern und führt auch sonst ein Eigenleben, Züge fahren nur scheinbar pünktlich und Tokio selbst ist eigentlich ein Organismus aus mehreren eigenständig funktionierenden Stadtteilen mit ihren jeweiligen Eigenheiten. Was will man da noch mehr?

Andreas Neuenkirchen hat sich aufgemacht, um in dieser faszinierenden Stadt mit seiner Familie zu leben und berichtet von erfolglosen Karaoke-Versuchen, der Besonderheit von Nudeln auf Bahnsteigen und den Versuch, Konversation mit den Einheimischen an der Ladenkasse zu betreiben. Ein amüsanter Reise-, nein, Lebensbericht, aus einer Metropole, die unterschätzter kaum sein könnte.

Eine Reise nach Tokio mag schon alleine vom Verkehr und den Menschenmassen her gewöhnungsbedürftig sein. Wie aber ist es, dort zu leben? Andreas Neuenkirchen probiert es aus und nimmt uns mit, auf dieses Abenteuer, welches täglich Unwägbarkeiten und Überraschungen bereithält. Dies macht er auf eine solch witzige Art und Weise, dass man es selbst gerne ausprobieren möchte, andererseits froh ist, nur mit den Schrullen der Heimat konfrontiert zu sein, und eben nicht in der Masse japanischer Schriftzeichen zu versinken. Wobei es auch in Tokio Oktoberfeste zu geben scheint. das ganze Jahr über.

Mit viel Humor nimmt der Autor uns mit in sein Familienleben, welches inzwischen eine Art Alltag in Tokio gefunden hat, zeigt, dass es für den Japan-Kenner dennoch ständig Neues zu entdecken gibt, nimmt uns mit in Cafes, deren Besitzer schon mal Opernarien schmettern und besucht das Glaswaldmuseum in Hakone.
Er führt uns durch das Hannover Japans und zeigt Yokohamas Chinesenviertel, doch nichts geht über Tokio, wo CD-Läden unbeeindruckt von der digitalen Revolution boomen und Süßkartoffelspeiseeis den Beginn einer neuen Jahreszeit verkündet.

Dieser etwas andere Einblick in den japanischen Großstadtdschungel, voller Neugier und Interesse am Skurilen, spielt der Autor zum Leser, der fasziniert sein wird, von der Vielfalt auf solch engen Raum. Humorige Vergleiche zwischen den Leben, etwa in München und Tokio, runden die Betrachtungen ab. Herausgekommen ist ein eigenwilliges, aber immer positives Portrait wunderbarer Menschen in einer besonderen Stadt. Für nichts anderes scheinen die Japaner Tokio, welches oft fälschlicherweise mit Y geschrieben wird, zu halten.

Trotz der einen oder anderen Länge, die Neuenkirchen oder der Verlag nicht aus den Text hinausgenommen haben, ergibt sich ein stimmiges Bild, welches Lust macht auf die nächste Reise nach Tokio und vielleicht mehr als die Touristenorte zu entdecken. Und wenn man sich dabei Häschenohren aufsetzt und vom Cafepersonal veräppeln lässt. Auch das mit Augenzwinkern und einer großen Portion japanischen Humors. Viel Spaß dabei.

Autor:
Andreas Neuenkirchen wurde 1969 in Bremen geboren und arbeitet seit 1993 als Journalist. Zunächst zuständig für Bremer Stadtmagazine und Tageszeitungen, arbeitete er von 1998 bis 2016 als Redakteur in München. Nebenher arbeitete er als Autor für Hörspiele, Heftromane, Rundfunkreklame, Bücher und Filme. Die meisten haben Japan-Bezug. Seit 2016 lebt er mit seiner japanischen Frau und der gemeinsamen Tochter in Tokio.

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