Herkunft

Olga Grjasnowa: Die Macht der Mehrsprachigkeit

Inhalt:

Immer mehr menschen sprechen ganz selbstverständlich mehr als eine Sprache. Diese Tatsache spiegelt nicht zuletzt die wachsende Vielfalt der Biografien in unserer Gesellschaft wider. Für Olga Grjasnowa ist Mehrsprachigkeit eine persönliche, vor allem aber eine gesellschaftliche Bereicherung, die auch vonseiten der Politik viel mehr wertgeschätzt und gefördert werden sollte. (Klappentext)

Rezension:

Immer engmaschiger sind die Menschen untereinander vernetzt. Wir kommunizieren über Zeitzonen und Ländergrenzen in Echtzeit miteinander, schauen Serien und Filme im Originalton, nutzen Apps, um uns auf Reisen zu verrständigen, lesen Bücher im Original und nutzen Englisch als die neue Lingua franca. Doch, warum ist das so? Was macht Sprache mit uns? Was bedeutet es für unser Leben und unsere Identität, zwischen mehreren Sprachen beliebig wechseln zu können?

Warum wird wertgeschätzt, wer etwa Englisch oder Französisch beherrscht, weniger geachtet, wer auf Arabisch oder Türkisch kommunizieren kann? Weshalb ist Monolinguisierung ein modernes Phänomen und warum wird nur diese staatlich gewünscht und gefördert, während im Privaten oft nach der Beherrschung von mehreren Sprachen gestrebt wird. Was macht das Verwenden immer besserer und komplexerer Übersetzungsprogramme mit uns? Die Schriftstellerin Olga Grjasnova beschäftigt sich in diesem komplexen Essay mit den vorliegenden Fragen.

Auf überschaubarer Seitenzahl stellt sie sich Fragen, die im Leben von immer mehr Menschen eine stetig wachsende Rolle spielt, arbeiten die meisten von uns doch für multinationale Unternehmen oder kommunizieren quer durch die Welt miteinander, zudem stellen uns auch wachsende globale Herausforderungen, Krisen durch Hungersnöte oder politischer Wandel vor der Herausforderung, aufeinander zuzugehen und miteinander zu kommunizieren.

Offenkundig gelten bestimmte Sprachen als erstrebenswert und andere als Gefahr. Das hat natürlich nichts mit den Sprachen selbst zu tun, dafür aber sehr viel mit unserer Gesellschaft.

Olga Grjasnowa: Die Macht der Mehrsprachigkeit – Über Herkunft und Vielfalt

Die Antworten auf diese Fragen sind nicht einfach zu geben, doch die Autorin verfolgt anhand der Biografien, innerhalb ihrer Familie, interessante Denkansätze, die es sich lohnt, sie weiter zu verfolgen, zumal gerade die Politik einen gegenteiligen Weg geht, den sie für fehlerhaft hält. Dagegen argumentiert sie sehr differneziert und zeigt, welche Vorteile es hat, mehrsprachig zu sein und wie kritisch der Begriff Muttersprache heute gesehen werden kann. Auch auf Irrwege der deutschen Politik, wie eine fehlgeleitete Aktion in Bezug auf Sprachen des deutschen Ministeriums des Inneren geht sie ein.

Wenn man in der Lage war, sie zu lesen, gehörte man nicht zu Deutschland. Man stand dann unter einem Generalverdacht. Sind sie legal hier? Haben Sie das Recht, hier zu sein? Sind Sie sich sicher? Woher kommen Sie? Wann gehen Sie zurück? Sie verstehen das Plakat, das wir extra für Sie aufgehängt haben – Sie gehören nicht dazu. Gewiss nicht.

Olga Grjasnowa in “Die Macht der Mehrsprachigkeit – Über Herkunft und Vielfalt”, Dudenverlag, über die Plakataktion des deutschen Ministeriums des Inneren.

Was anderswo in der Welt für normal gehalten wird, beginnt sich langsam auch hier durchzusetzen, zumindest im privaten Bereich. Olga Grjasnowa zeigt Vor- und Nachteile auf, argumentiert für das Multilinguale und beschreibt, warum das gegeneinander Aufwiegen von Sprachen, das Werten ein eher in Europa vorkommendes Phänomen ist, welches andernorts schlicht nicht existiert.

Mag man zu Beginn des Lesens vielleicht noch denken, dass diese komplexe Fragestellungen nicht auf so wenigen Seiten zur Diskussion gestellt werden können, beweist die Autorin, dass dies funktioniert und das Mehrsprachigkeit schon als sinnvoll betrachtet werden darf, gleichwohl man vielleicht selbst nur in der Lage ist, auf einer Reise einen Kaffee zu bestellen. Immerhin können bereits wenige Sätze in einer anderen Sprache der Zugang zu Menschen bedeuten. Dann ist der erste Schritt schon getan.

Autorin:
Olga Grjasnowa wurde 1984 in Baku geboren und ist eine deutsche Schriftstellerin. 1996 kam sie mit ihrer Familie nach Deutschland, wo sie 2005 zunächst Kunstgeschichte und Slawistik in Göttingen studierte, dann jedoch ans Deutsche Literaturinstitut Leipzig wechselte, um Literarisches Schreiben zu studieren. Nach mehreren Studienaufenthalten im Ausland beendete sie ihr Studium in Berlin. Sie ist Mitglied des PEN-Zentrums und des Goethe-Instituts. Im Jahr 2012 erschien ihr erster Roman.

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Sasa Stanisic: Herkunft

Autor: Sasa Stanisic

Titel: Herkunft

Seiten: 366

Genre: Biografie/Rezensionsexemplar

Format: Hardcover

ISBN: 978-3-630-87473-9

Verlag: Luchterhand

Inhalt:
“Herkunft” ist ein Buch über den ersten Zufall unserer Biografie: irgendwo geboren werden. Und was danach kommt. (Klappentext)

Rezension:
Einem Autoren, der den Deutschen Buchpreis bekommen hat, sollte man grundsätzlich misstrauen. So jedenfalls scheint es, wenn man die Meinungen von Feuilleton, Buchhandel und Leserschaft gegenüber stellt. Gerade Stanisics Werke polarisieren.

Doch ist es nicht die vornehmste Aufgabe eines Schriftstellers, die Leser zu zwingen, Stellung zu beziehen? Genau das tut Sasa Stanisic in seinem semibiografischen Werk “Herkunft”, welches als loses Puzzle beginnt, sich erst nach und nach zu einem schlüssigen Gesamtbild zu fügen.

Dabei sind die Themen, aus denen der im ehemaligen Jugoslawien geborene Schriftsteller schöpfen kann, vielfältig. Familie natürlich, spielt immer eine Rolle. Der Begriff “Heimat, was ist das überhaupt, sowie so.

Der Zerfall eines Staates in seine Einzelteile, sowie das Erlangen der Sprache, das Spielen mit der selben und natürlich Biografie, seine selbst und die der Großmutter, die noch in einer anderen Zeit aufgewachsen ist, bedingt durch ihr schwindendes Gedächtnis nur dort wieder Zuflucht findet.

Stanisic zeigt, was es heißt, Heimat zu verlieren, zu gewinnen, aus der Herkunft Kraft zu ziehen und das Leben zu lieben. Trotz der Unwägbarkeiten, oder gerade deshalb.

Das ist zunächst nur schwer zugänglich. Das gekonnte Spielen mit der Sprache, die nicht die erste ist, Zeitsprünge, denen man sich als Leser ausgesetzt sieht, die anfangs nur schwer nachzuvollziehen sind, Puzzelteile, die kein klares Bild ergeben.

Die ersten Seiten muss man sich erkämpfen, das erste Drittel des Werkes auf sich wirken und Schreib- und Erzählstil wirken lassen. Sasa Stanisics Perspektive ist die des Kindes, des Jugendlichen, des Erwachsenen und immer die des Suchenden. Verwirrend ist das, aber gerade zu genial.

Es ist der 7. März 2018 in Visegrad, Bosnien und Herzegowina. Großmutter ist siebenundachtzig Jahre alt und elf Jahre alt.

Sasa Stanisic: “Herkunft”

Wer die dadurch entstandenen Hürden überwindet, entdeckt eine wunderbare Erzählung, zieht Parallelen zur heutigen Zeit. Wie mag es den hunderten Flüchtlingen heute gehen, die natürlich eine Herkunft haben, eine Heimat verloren haben und eine neue suchen?

Was ist das überhaupt, Heimat? Essentielle Fragen, auf die es keine einfache, keine eindeutige Antwort geben kann. Dies zu verdeutlichen, ist Stanisics Stärke, natürlich im Zusammenhang mit dem Spiel der Sprache.

Die Stile vermischen sich. Mal biografische Erzählung, mal Aufsatz, mal Roman und am Ende gar Spielbuch. Entscheide du, wie das Geschriebene endet. Als loses Puzzle, also so, wie “Herkunft” begann, als Phantasiegeschichte des Enkels, der Großmutter oder eben als schlüssiger Roman, der es in sich hat.

Je nach Stimmung, kann man probieren, was für sich funktioniert. Toll. In Bezugnahme auf frühere Texte Stanisics, Reden, Kapitel aus anderen Büchern, zeigt dieses Werk, was so vieles sein soll, so vieles ist, dass hier ein Schriftsteller Träger des deutschen Buchpreises zurecht ist.

Der Lesende wird aus der Lektüre mit mehr Fragen entlassen, als Antworten zu bekommen. In diesem Falle, eine große Stärke.

Autor:

Sasa Stanisic wurde 1978 in Visegrad, Jugoslawien, geboren und ist ein deutschsprachiger Schriftsteller. 1992 flüchtete er mit seiner Familie nach Deutschland und studierte nachder Schule Literatur.

Für Erzählungen und Romane, erhielt er u.a. den Preis der Leipziger Buchmesse, sowie zuletzt den Deutschen Buchpreis. 2019 kritisierte er die Vergabe des Literaturnobelpreises an Peter Handke.

Er ist Mitglied der Freien Akademie der Künste in Hamburg und des PEN-Zentrums Deutschland. Stanisic lebt mit seiner Familie in Hamburg. Seit 2013 ist er deutscher Staatsbürger.

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