Edgar Rai

Edgar Rai: Ascona

Inhalt:
Zu Beginn der Dreißiger Jahre steht Erich Maria Remarque im Zenit seines Erfolgs. Doch als der von allen gefeierte Schriftsteller vor den Nationalsozialisten ins Exil am Lago Maggiore fliehen muss, stürzen ihn die politischen Ereignisse in tiefe Ratlosigkeit. Auch mit seinem neuen Roman gerät er in eine Sackgasse. Auf einer Odyssee durch Europa sucht er nach Auswegen – und wählt den riskantesten. (Klappentext)

Rezension:
Ein verschlafenes Nest an der Grenze zu Italien wird für eine lose Gruppe von Künstlern zum Zufluchtsort vor den Häschern in ihrer eigentlichen Heimat. Ernst Toller flüchtete sich an den Lago Maggiore, ebenso die Dichterin Else Lasker-Schüler und viele andere.

Der Berühmteste unter ihnen, der dort Schutz vor den Nationalsozialisten suchte, war der Schriftsteller Erich Maria Remarque, dessen Roman „Im Westen nichts Neues“, ihm 1929 berühmt machte und von den neuen Machthabern bald darauf verbrannt wurde. Er ist der Hauptprotagonist von Edgar Rais’ historischen Roman „Ascona“, der die flirrende Atmosphäre zwischen den ins Exil getriebenen spüren lässt und die Spuren Remarques in seiner Lebens- und Schaffenskrise verfolgt.

Bildgewaltig beginnt der Roman mit einem Knall und einem Erzähltempo, welches einen schnellen Ortswechsel für den Hauptprotagonisten zu folge hat. Dies behält Rai die gesamte Erzählung über durch und zeigt einen Künstler, der es, im Gegensatz zu vielen anderen Künstlern vergleichsweise gut getroffen hat.

Abgesehen von seiner Heimat verkauften sich seine Bücher weiter im Ausland, auch hatte er dort ein Anwesen zur Verfügung und Verbindungen, die ihm halt gaben. So liegt der Fokus des Autoren hier auf den Schaffensprozess zu einem Roman, den der gefeierte Schriftsteller von den Ereignissen der Zeit überholt sah. Dieses Ringen um den Erzählstoff und auf einer anderen Ebene Remarques mit sich selbst, setzt Rai sprachlich wunderbar in Szene.

Der Roman lag vor ihm wie ein ausgenommener Hecht, die Eingeweide über den Tisch verteilt. Jetzt galt es festzustellen, welche von ihnen noch brauchbar und welche bereits verdorben waren, die Filets von den Flossen zu trennen, den Schwanz wegzuwerfen, den Kopf auszukochen und sorgsam die Gräten zu entfernen.“

Edgar Rai: Ascona

Gleichnisse, wie diese, durchziehen die Handlung und verdeutlichen die Perspektive des Protagonisten, sowie seine genaue Beobachtungsgabe. Beim Lesen fühlt man sich indes als danebenstehend, als würde man bei Remarque persönlich zu Gast sein und eingenommen von den Figuren, die Rai einen versuchten Alltag leben lässt. Wie ist das möglich, wird man unweigerlich fragen, wenn von einem auf den anderen Tag alle Gewissheiten gekippt werden?

Dies schafft der Autor zu verdeutlichen, ebenso wie die Protagonisten mit Ecken und Kanten versehen sind. Selbst der Hauptprotagonist hat Schattenseiten, die diesen ehrlicher wirken lassen und greifbar machen.

Man muss kein Kenner der Materie sein, sich zuvor weder mit Remarque noch seinen Werken oder die Biografien der anderen Exilanten beschäftigt haben, um der Erzählung folgen zu können. Wer liest, taucht ein und verfolgt diese tragischen Schicksale, die jede ihren eigenen Weg suchen, um mit den Ereignissen fertig zu werden. Das funktioniert, da auch hinter diesem Roman eine Rechercheleistung steckt, die man jeder Zeile ansieht.

Der Ausgang der Geschichte ist bekannt. Die letzten Kapitel zeigen den Beginn eines neuen Lebens, wobei der eigentliche Roman beendet ist. Gefühlt ist dies Stoff für ein eigenständiges Werk und fügt sich nicht ganz so organisch an, wie die vorherigen Abschnitte. Das soll jedoch nicht schwer ins Gewicht fallen und ist überdies eigenes Empfinden. Was bleibt ist ein in Romanform geschriebenes zeithistorisches Porträt, mit dem Rai einer weiteren fast vergessenen Episode ein kleines Denkmal geschaffen hat. Und das ist doch auch ganz schön, oder?

Autor:
Edgar Rai wurde 1967 geboren und ist ein deutscher Übersetzer und Schriftsteller. Zunächst studierte er Musikwissenschaften und Anglistik, bevor er seit 2012 Mitarbeiter einer literarischen Buchhandlung in Berlin wurde. Unter Pseudonym und unter eigenem namen schrieb er verschiedene Romane, lehrte von 2003-2008 an der FU Berlin Kreatives Schreiben. Er lebt mit seiner Familie in Berlin.

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Edgar Rai: Im Licht der Zeit

Im Licht der Zeit Book Cover
Im Licht der Zeit Rezensionsexemplar/Roman Piper Hardcover Seiten: 512 ISBN: 978-3-492-05886-5

Inhalt:

In Amerika hat der Tonfilm längst die Kinos erobert, Deutschland verliert mit seinem Stummfilm den Anschluss. Nun soll die mächtige UFA das Land wieder an die Spitze bringen, koste es, was es wolle.

Karl Vollmöller hat fast alles beisammen. Einen gefeierten Oscar-Preisträger, das modernste Tonfilmatelier, den besten Stoff und einen genialen Regisseur. Sein Film “Der blaue Engel” soll ein neues Zeitalter einläuten, nur die Hauptdarstellerin fehlt noch. Die Dietrich vielleicht? Als Revuegirl ist sie klasse? Doch, sie besitzt keinerlei schauspielerisches Talent, so sagt man. Dennoch… (eigene Inhaltsangabe)

Rezension:

Kurz vor Beginn der Weltwirtschaftskrise blüht in Berlin das kuturelle Leben. Bars und Revues gibt es nahezu überall, beinahe wöchentlich eröffnen neue Kinos. Schriftsteller, Musiker und Schauspieler geben sich in der deutschen Hauptstadt die Klinke in die Hand. Die Welt dreht sich und Berlin ist kurz vor dem Höhepunkt, im Tanz auf den Vulkan. Es ist das Ende der 1920er Jahre, alles ist erlaubt und noch haben die Nationalsozialisten nicht die Macht ergriffen. Es ist zugleich das Ende und der Beginn einer Ära.

Der Berliner Schriftsteller Edgar Rai entführt uns in das Berlin Heinrich Manns, Erich Kästners und Hans Albers’ und zeigt, wie der Tonfilm in zuerst kleinen, dann immer größeren Schritten seinen Durchbruch feierte. Zwar gab es schon längst erste Versuche, Bild und Ton in Einklang zu bringen, doch kamen sie vor allem von der anderen Seite des großen Teiches. Noch konnten Stars wie Henny Porten Erfolg um Erfolg feiern. Die neue Zeit hielt dies nicht zurück, Förderer und Visionären wie Karl Vollmöller sei Dank.

In mühevoller Recherchearbeit durch die Berliner Archive ist es hier Edgar Rai gelungen, ein bewegendes Stück Zeit- und Kulturgeschichte in Romanform umzuwandeln. Aus wechselnder Perspektive erlebt der Leser, wie ein Film erschaffen wurde, der für lange Zeit Maßstäbe setzen sollte. Dies gelingt, sind die Protagonisten allesamt greifbar und wandlungsfähig, Identifikationsfiguren die meisten. Vieles wird sich so oder ähnlich abgespielt haben. Die klirrende Athmosphäre ist sehr nah.

Dabei ist dies kein Marlene Dietrich Roman. Biografien und entsprechende Werke gibt es schon zu Hauf, viel mehr findet der Leser eine Liebeserklärung an die Hauptstadt Deutschlands, an eine damals noch neue und nicht wenig kritisch beäugte Filmära und an die Filmschaffenden in Babelsberg, die danach noch häufiger den “Ton angeben” sollten.

Zweifelhafte Aspekte lässt Edgar Rai jedoch auch nicht außer Acht, so wird das Aufstreben nationalistisch gesinnter Kräfte ebenso thematisiert, wie auch die Fallgräben des Showgeschäfts, denen sich Stars wie Marlene Dietrich oder auch Emil Jannings gegenüber sahen. Vor, während oder nach ihrer eigentlichen Karriere.

Diese Mischung macht den Roman einzigartig und auch oder gerade, wer sich nur am Rande für Marlene Dietrich interessiert, aber Stimmungen aufsaugen und ein wenig Berlin 1920er Jahre spüren möchte, zu einem einzigartigen Schriftstück, dem es sich lohnt, sich hinzugeben.

Es ist empfehlenswert, von einnehmender Sprache und kurzweiligen Inhalt, soll auch bald verfilmt werden. Es bleibt zu hoffen, dass dann der Film genau so beeindruckend wird, wie edgar Rais literarische Vorlage. Heutige Leser wissen ja, dass Marlene Dietrich durchaus schauspielerisches Talent besaß.

In diesem Sinne, unbedingt lesen.

Autor:

Edgar Rai wurde 1967 geboren und ist ein deutscher Übersetzer und Schriftsteller. Zunächst studierte er Musikwissenschaften und Anglistik, bevor er seit 2012 Mitarbeiter einer literarischen Buchhandlung in Berlin wurde. Unter Pseudonym und unter eigenem namen schrieb er verschiedene Romane, lehrte von 2003-2008 an der FU Berlin Kreatives Schreiben. Er lebt mit seiner Familie in Berlin.

Rezensiert wurde ein Vorabexemplar des Verlages, daher noch keine Angaben in der Rezension zu Schreibfehlern etc., die gab es nämlich in der Vorabvariante einige. In der Hoffnung, dass der Verlag diese überarbeitet hat, bleiben diese in der Rezension unerwähnt.

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