amerikanischer Traum

Marianne Zückler: Osteuropa Express

Osteuropaexpress Book Cover
Osteuropaexpress Rezensionsexemplar/Roman Europaverlag Taschenbuch Seiten: 240 ISBN: 978-3-95890-079-0

Inhalt:
Die Lebensfäden von acht Protagonisten verweben sich zu einem großen Teppich, in dem Einschüchterung und Ausgrenzung, aber auch Liebe und Freiheit ineinander gehen.

Sie gewähren uns Einblicke in eine Welt, in der viele Menschen wegen ihrer sexuellen Identität verfolgt werden und gegen Anfeindungen und Diskriminierung ankämpfen müssen. (Verlagstext)

Rezension:
Ein Junge stand einmal beim Bäcker vor mir und zeigt auf einen rosafarbenen Donut. Er wolle den, hieß es und die Verkäuferin fragte ihn noch einmal. Schließlich gäbe es ja auch blaue Donuts.

Der Junge erwiderte nur, er wolle den essen und nicht damit spielen und bekam schließlich das Gebäck in der gewünschten Farbe.
Diese von mir gemachte Alltagsbeobachtung ist noch relativ harmlos, zeigt aber dennoch wie selbst hier in den Köpfen der Menschen noch das traditionelle Bild von Jungen und Mädchen, Männern und Frauen vorherrscht, wenn auch die Toleranzgrenze der Mehrheit der Bevölkerung hierzulande sich in den letzten Jahren zu Gunsten Andersfühlender und -denkender verschoben hat.

In unseren östlichen Nachbarländern sieht dies teilweise noch anders aus. althergebrachte Werte dominieren das Selbstbildnis der Familien, quer über alle Altersgrenzen und die Kirche dominiert immer noch das Privatleben der Menschen mit ihren mittelalterlichen Vorstellungen.
Für Schwule, Lesben, Transsexuelle eine schwere Last, kaum zu ertragen. Zwar hat auch in Polen, in den baltischen Staaten oder in der Ukraine langsam ein Wandel eingesetzt, doch auch heute wird die Andersartigkeit kritisch beäugt, teilweise als Krankheit betrachtet.

In Familien kommt es zu Auseinandersetzungen, im beruflichen Alltag verbaut ein Outing jedes Fortkommen.
Marianne Zücker hat Gespräche, vermittelt über osteuropäische LGTB-Organisationen, mit den von Ausgrenzung und Alltags-Diskriminierungen Betroffenen geführt und deren Schilderungen in einer einfühlsamen Erzählung verarbeitet.

Verpackt in Romanform kommen die Menschen zu Wort, deren Orientierung zur Zerreißprobe für die Gesellschaft wurde. Zumal nach dem Zusammenbruch des Ostblocks, nachdem die Bevölkerungen der Länder mit mehreren Problemen wie etwa steigender Arbeitslosigkeit und wachseneder Armut zu kämpfen hatten.
Die Autorin portraitiert die unterschiedlichen Menschen unter der Regenbogenflagge und wirbt mit ihrer Erzählung für Akzeptanz und Anerkennung.

Dass “anders sein” eine Bereicherung für unsere Gesellschaft sein kann, die sich daran messen lassen musste und immer noch muss, wie weit Gleichberechtigung umgesetzt werden kann ohne den Zusammenhalt in der Bevölkerung zu verlieren.
In kleinen Schritten, auf unterschiedlichsten Wegen. Den einen LGBT gibt es nicht, sondern viele verschiedene Spielarten. Sie alle sind menschlich.

Die Ausarbeitung der Protagonisten ist hier sehr feinfühlig. Jede Person kommt abwechselnd in den recht kurzen Kapiteln zu Wort. Die Ich-Erzählerstimme bringt die Nähe zu dem Leser. Das Thema durchweg interessant, die Protagonisten glaubwürdig.

Hier merkt man die Vorabrecherche der Autorin sehr schön, sie hat Ahnung von den Dingen, über die sie schreibt. Es ist ein stiller Roman, der aufrüttelt und den Horizont erweitert, dem aber zum Ende hin ein wenig Tempo fehlt, welches in den ersten zwei Dritteln der Geschichte noch zu finden ist. Alles in allem aber ein gelungener Beitrag für die Debatte, die nicht nur in Osteuropa geführt wird sondern auch hier noch kein Ende gefunden hat.

Autorin:
Marianne Zückler wurde 1960 in Berlin geboren und studierte nach der Schule Germanistik, Erziehungswissenschaft und Theaterpädagogik. Seit 1994 arbeitet sie als freie Autorin und Dozentin für dokumentarisch-biografische Theaterarbeit. Für ihre Arbeit an verschiedenen Hörspielen wurde sie mehrfach ausgezeichnet.
Ihr erster Roman erschien 2015. Zückler beschäftigt sich vor allem mit der Verschränkung von Erfahrungs- und Erinnerungsräumen sowie für die transgenerationelle Weitergabe von Gewalttraumatisierungen. Ihr neuestes Werk “Osteuropa Express” wurde gefördert durch die Robert Bosch Stiftung “Grenzgänger” und der akademie Schloss Solitude.

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Gary Shteyngart: Kleiner Versager

Kleiner Versager Book Cover
Kleiner Versager Gary Shteyngart Rowohlt Erschienen am: 16.12.2016 Seiten: 474 ISBN: 978-3-498-06432-7 Übersetzerin: Mayela Gerhardt

Inhalt:

Der kleine, schmächtige Igor wandert, siebenjährig, mit seinen Eltern von Leningrad “zum Feind” nach New york aus und nennt sich fortan Gary. Von beiden Systemen lernt er nur das Schlechteste. Kein Wunder, dass aus seinem Berufswunsch Astronaut nichts wird. Da beschließt er, wenigstens etwas Unserioses anständig zu machen: Schriftsteller! (Klappentext)

Rezension:

Der kleine Igor wächst in einer ganz normalen unnormalen russischen Familie auf, die anders ist als alle anderen. Das merkt das Kind schon früh, denn seine Familie ist jüdisch, wenn auch nicht stark religiös.

Der Vater arbeitet als Maschinenbauer, die Mutter als Schreibkraft und der an Asthma und Höhenangst leidende Junge wächst in St. Petersburg auf, mit dem Traum Astronaut zu werden. Doch zeigt er früh eine andere Begabung. Die, Schriftsteller zu werden.

Denn schon als Kind schreibt er Kurzgeschichten und einen ersten kleinen Roman, inspiriert von den Geschichten Selma Lagerlöfs. Doch, keiner außer den Lehrern kann damit etwas anfangen. Für die Eltern bleibt er liebevoll ihr “kleiner Versager”. Und schließlich wandern sie aus. Zum Feind, in eine komplett andere Welt.

Der Autor hat als Kind und später als Jugendlicher in der neuen Welt es schwer, seinen Platz zu finden. Ständig stößt er auf kulturelle Grenzen und Widersprüche zwischen den Werten seiner Familie und der Konsum- und Scheinwelt Amerikas.

Shteyngart eckt mit zunehmenden Alter immer mehr an und bringt schließlich auch das Gedankenbild seiner Eltern um die Zukunft ihres Sohnes zu Fall.

Entstanden ist eine Abrechnung mit dem Leben, mit dem Aufwachsen zwischen zwei Welten, mit seinen Eltern und nicht zuletzt mit seinem Werden als Schriftsteller.

Dies macht er ziemlich genial. Nachvollziehbar bis abstoßend, die ganze Bandbreite, schreibt er über die ersten dreißig Jahre seines Lebens bis zum Entstehen seines ersten publizierten Romans.

Auf der Suche nach sich selbst ist Shteyngart hier eine Art russisch-amerikanisch-jüdisches “Die Asche meiner Mutter” gelungen. Ein Roman, der vor nichts zurückschreckt, mal rasant ist, auf der nächsten Seite innehaltend.

Der Leser entdeckt den Mensch hinter dem Autoren und wird sich am Ende nicht sicher sein, ob er real mit ihm zu tun haben wollte oder froh ist, nur das Buch lesen zu können.

Tatsächlich sind drei Viertel des Buches mehr als wunderbar und sind für sich genau so gut wie das irische Gegenstück. Das letzte Viertel demontiert dies jedoch. Solch eine Wendung hätte ich nicht erwartet, vor allem bei einem biografischen Roman.

Wäre es umgekehrt gewesen, könnte man leicht die volle Punktzahl vergeben, schließlich wirkt der letzte Eindruck immer am längsten nach, weil sehr frisch, so aber müssen Abzüge gemacht werden. Trotzdem ist Gary Shteyngart lesenswert und das nicht nur wegen dem wunderbaren Cover.

Autor:

Gary Shteyngart wurde 1972 als Sohn jüdischer Eltern in Leningrad (St. Petersburg) geboren und emigrierte im Alter von sieben Jahren in die USA. Nach der schule studierte er am Oberlin College Politikwissenschaft und arbeitete für verschiedene Non-Profit-Organisationen in New York.

Sein Debüt als Schriftsteller gab er mit “Ein Handbuch für den russischen Debütanten” (2002), schrieb aber schon im Kindesalter Kurzgeschichten. als Reise- und Kulturjournalist publiziert er in verschiedenen New Yorker zeitschriften und Zeitungen, wie “The New Yorker” oder “The New York Times”. seine Werke sind mehrfach ausgezeichnet, u.a. mit dem “National Jewish Book Award for Fiction”. Shteyngart lebt in New York.

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