Rezension

Stephan Lucas: Auf der Seite des Bösen

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Auf der Seite des Bösen Autor: Stephan Lucas Droemer Erschienen am: 02.03.2020
(Neuauflage)
Seiten: 268 ISBN: 978-3-426-30242-2

Inhalt:

Stephan Lucas steht auf der Seite des Bösen – denn er ist Strafverteidiger und verhilft Mördern, Vergewaltigern und anderen Straftätern vor Gericht zu ihrem Recht. Hier berichtet er von seinem spannenden Alltag:

Da wird ein unbescholtener Familienvater in einem harmlosen Streit zum Totschläger; ein Junge wird mit intimen Fotos erpresst, die er einer vermeintlichen Internet-Freundin geschickt hat. Der aus dem TV bekannte Anwalt erzählt von dramatischen Schicksalen und emotionalen Herausforderungen.

Wie fühlt es sich an, die Hand eines Mörders zu drücken, die zuvor eine junge Frau erwürgt hat? Wie geht man mit einem Mörder um, der einen Freispruch will? Muss man einen Vergewaltiger hassen? (abgewandelter Klappentext)

Rezension:

Wenn die Boulevard-Presse möglichst öffentlichkeitswirksam Strafprozesse kommentiert, ist das laut und schrill. Nicht selten wird nach einem härteren Durchgreifen der Justiz gerufen, natürlich ohne sich haarklein mit der Sachlage zu beschäftigen. Emotionale Forderungen nach der Wiedereinführung der Todesstrafe sind da nicht weit.

Doch, wie ist es eigentlich zu verkraften, nahezu täglich mit dem Bösen an sich konfrontiert zu sein?

Welche emotionalen Achterbahnfahrten muss man durchstehen, an welche Linien kann man sich halten, wenn man als Strafverteidiger Mördern, Vergewaltigern und Erpressern zu ihrem Recht verhelfen muss. Eines ist klar, sowohl den Opfern als auch den Tätern ist ein fairer Prozess geschuldet.

Der aus dem TV bekannte Rechtsanwalt zählt zu denen, die tagtäglich mit den grausamsten Fällen konfrontiert werden, die unsere Justiz zu bieten hat. Als Strafverteitiger ist Stephan Lucas ständig mit den Extremen der menschlichen Abgründe konfrontiert.

In der überarbeiteten Neuausgabe stellt er seine ihm prägensten Fälle vor und erläutert, warum z.B. Mörder fairen und genauen Prozessen unterzogen werden müssen, ja sogar Anrecht auf eine gerechte Behandlung haben, die diese selbst ihren Opfern nicht zukommen lassen haben.

Eine Stärke unseres Rechtsstaates ist es. Dies zu zulassen, der Autor macht jedoch auch deutlich, welcher Drahtseilakt damit oftmals verbunden und warum das richtig ist. Die Unantastbarkeit der Justiz sollte ein hohes Gut für alle Beteiligten sein.

Nicht selten ist es jedoch so, wie es zunächst scheint. An den exemplarischen Fällen wird dies deutlich, zumal der Zwiespalt zwischen Recht und Gerechtigkeit für beide Seiten in einem Prozess offensichtlich ist.

Der Anwaltsberuf ist nicht nur das kalte Paragraphenreiten. So wird deutlich, dass auch Steohan Lucas die sich im Gerichtssaal und in seiner juristischen Vorarbeit sich auftuenden Abgründe nicht kalt lassen. Wenn der pädophile Täter sich dem Gerichtsverfahren entzieht und hinterher vieldeutige Fotos aus Asien schickt, ist es auch für den Autoren ein Tiefschlag.

Alleine schon dem Verarbeitungsprozess des Opfers hätte man eine abgeschlossene Verhandlung samt Verurteilung des Täters geschuldet.

Dieser Zwiespalt und tägliche Spagat wird hier Zeile für Zeile gut herausgearbeitet. Gleichzeitig hätte ich mir noch mehr Fälle und Tiefe gewünscht, um die Komplexität bestimmter Sachverhalte zu verdeutlichen und auch richterliche Entscheidungen verständlicher zu machen.

Das fehlt ein wenig, ist vielleicht auch der anwaltlichen Schweigepflicht geschuldet. Die beschriebenen Prozesse sind natürlich anonymisiert und so weit abgewandelt, dass nur die Betroffenen und vielleicht die mit den Fällen befassten Juristen die wahren Fälle erkennen können. Trotzdem wäre etwas mehr Ausführlichkeit hier gut gewesen.

Stephan Lucas zeigt, dass auch sein Beruf kein reiner Schreibtisch-Job ist und der Gerichtssaal keine Bühne. Zumindest nicht immer. Er lüftet den Vorgang ein wenig und zeigt, dass hinter der Oberflächlichkeit der Medien, die nur zu gern stichwortartig Fälle der Justiz aufgreifen und dabei einen Großteil an Hintergründen unterschlagen, die notwendig sind, um richterliche Entscheidungen komplett nachzuvollziehen, auch auf der Seite des Bösen das Recht geachtet werden muss.

Schließlich gilt ein Täter bis zur richterlichen Entscheidung als unschuldig.

Im Namen des Volkes ergeht folgendes Urteil: Kann man lesen.

Autor:

Stephan Lucas wurde 1972 in Frankfurt/Main geboren und ist ein deutscher Rechtsanwalt. Nach der Schule studierte er Jura und legte 1996 und 1999 seine Staatsexamina ab, erhielt seine Zulassung zm Rechtsanwalt. Nach Stationen in Heidelberg und München gründete er seine eigene Kanzlei und spezialisierte sich auf Strafrecht.

Zudem ist er im TV in mehreren Reality-Formaten zu sehen gewesen und veröffentlichte 2012 sein erstes Buch.

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Monika Rech-Heider: Auf nach Neuland

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Auf nach Neuland Monika Rech-Heider Verlag: Benevento Erschienen am: 20.02.2020 Seiten: 271 ISBN: 978-3-7109-0086-0

Inhalt:

Raus aus der Job-Familie-Alltag-Tretmühle und rein ins Abenteuer. Monika Rech-Heider und ihr Mann nehmen ihre Kinder aus Schule und Kindergarten und durchqueren mit ihrem Bulli ein Jahr lang Europa.

Auf nach Neuland – ein Kontinent ohne Grenzen, ein Leben in Freiheit mit ganz viel Zeit. Vor allem aber eine Reise, die alles andere als geplant verläuft und nach der nichts mehr ist, wie es vorher war. (Klappentext)

Rezension:

Wir wollten den Kindern zeigen, dass das leben gut ist. Dass Europa gut ist. Dass wir hier zu Hause sind dass uns nichts passiert. Und der Plan ist aufgegangen.

Monika Rech-Heider “Auf nach Neuland”

Der Anfang dieses Roadtrips quer durch Europa liegt in einer vielschichtigen Sinnkrise und so ist der Bericht nicht nur Reisereportage, Selbsthilfebuch und Erfahrungsbericht, sondern die Geschichte einer Familie, auf den Weg zu sich selbst.

Aus dem gleichnamigen Blog heraus entstanden, den die Familie während der Reise führte, die zunächst mit einer Sinnkrise begann, erzählt die Autorin, wie es ihrem Mann, den Kindern und ihr selbst gelang, sich als Familie wieder zu finden und neu zu sortieren.

Einfühlsam und nahbar beschreibt Rech-Heider zunächst den Ausgangspunkt, der zu einem Trip mit großen Stolpersteinen führen sollte, die letztendlich nur überwindbare Herausforderungen darstellen sollten.

Für ähnliche Vorhaben gibt sie Tipps und Anregungen, etwa was die Organisation der Kinder angeht, da in Deutschland Schulpflicht herrscht und Ausbrüche aus dem system so nicht vorgesehen sind. Entgegen dem Gehalt vieler anderer Reiseberichte, beschreibt die Autorin hier, welche Probleme solch ein Vorhaben mit sich bringt.

Nichts wird beschönigt, weder fahrzeugtechnische Herausforderungen, noch familiär emotionale Achterbahnfahrten.

Dies ist die Stärke des Berichts, dessen kurzweilige Kapitel einen Lesefluss entstehen und so nicht nur die rein geografische Reise nachvollziehen lassen. Immer wieder gibt es Sprünge zwischen den einzelnen Zeitpunkten der Reise, sowie Rück- und Ausblicke ins Familienleben. Zeitrechnung, vor und nach der Reise.

Der emotionale Zugang wird dadurch hergestellt. Ein Leser kann sich sofort mit dem Ausbruchswillen aus dem alltäglichen Trott identifizieren. Auch die Freiheiten und Vorteile, jedoch auch Probleme Europas kommen zur Sprache.

Gleichzeitig wirken manche Beschreibungen zwar als für die Autorin selbst wichtig, für den Konsumierer der “Blogartikel” auch mal belanglos. Dies stört und hemmt den Lesefluss, im nächsten Moment ist man jedoch gleich wieder in einer anderen Ecke Europas angelegt.

Monika Rech-Heiders Bericht lebt von den Beschreibungen der Begegnungen mit Menschen, die man wohl landläufig als Zufallsbekanntschaften bezeichnet, die die Familie auf ihren Weg hin machte, sowie der Gewissheit, dass es hier durchaus gelang, ein wenig aus diesem Abenteuer in die Zeit nach den Trip hinüber zu retten.

Natürlich muss eine Sinnkrise nicht unbedingt mit einer Auszeit oder einer Reise bewältigt werden, doch die kurzen Texte, die nach den jeweiligen Reiseabschnitten gegliedert sind, zeigen zumindest diese Möglichkeit auf.

Immerhin dies. In der Art mündlich vorgetragen, kommt der Bericht sicher noch emotionaler und tiefgehender rüber, schriftlich fehlt hier noch das gewisse Etwas. Als Anregung, für sich selbst einen Weg aus der Gleichförmigkeit des Alltags zu entrinnen, funktioniert “Auf nach Neuland” dennoch.

Autor:

Monika Rech-Heider ist Geografin, Journalistin und Inhaberin einer kleinen PR-Agentur. Ihr Mann ist freiberuflicher Architekt. Zusammen reisten sie und ihre Kinder ein Jahr durch Europa. Aus dem zugehörigen Blog entstand das gleichnamige Buch.

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Christian Hardinghaus: Die verdammte Generation

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Die verdammte Generation Christian Hardinghaus Europa Verlag Erschienen am: 21.02.2020 Seiten: 328 ISBN: 978-3-95890-297-8

Inhalt:

Holocaust und Judenverfolgung haben seit Jahrzehnten ihren berechtigten Platz im kollektiven Gedächtnis, doch wie sieht es aus, die Soldaten zu befragen, die auf deutscher Seite im Zweiten Weltkrieg gekämpft haben.

Ein Versäumnis, welches begann, als man in Deutschland bereit war, ein Stück Geschichte aufzuarbeiten. Bisherige Versuche einer differenzierten Betrachtung scheiterten. Der Historiker Christian Hardinghaus befragte dreizehn Zeitzeugen, die schonungslos ehrlich über das Kämpfen und Töten im Zweiten Weltkrieg berichten.

Damals und retroperspektivisch. Es sind die <berichte einfacher Soldaten und somit ein wichtiger Beitrag unserer Erinnerungskultur. (eigene Inhaltsangabe)

Rezension:

In den letzten Jahren füllten sich zunehmend die Archivsammlungen mit Zeitzeugenberichten und Interviews, die uns zur Aufgabe machen, diese Erinnerungen zu bewahren und nicht zu vergessen.

Als nachfolgende Generation sind wir für damalige Taten und Ereignisse nicht verantwortlich, doch tragen wir Verantwortung dafür, mit den Erkenntnissen daraus verantwortungsvoll umzugehen und diesen gerecht zu werden.

In verschiedenen Bereichen gelingt dies mehrheitlich. Doch, immer noch gibt es Themen, die weitgehend unbesprochen sind, so zum Beispiel die Rolle des einfachen Soldaten an den Fronten des Zweiten Weltkrieges, der ein kleines Rädchen im großen Getriebe war, auf die Entscheidungen der Politiker und obersten Führungsriege jedoch keinen Einfluss hatte.

Wie gehen wir damit um? Zurzeit zeichnen sich zwei Wege ab. Einmal, die totale Verklärung, was falsch ist. Zum anderen, die totale Negierung von bestimmten Ereignissen im Zweiten Weltkrieg, was ebenso nicht richtig erscheint.

Eine differenzierte Betrachtung, eben nicht nur der Extreme, sondern auch der Graustufen dazwischen, ist kaum vorhanden. Dies versucht der Historiker und Autor Christian Hardinghaus nun in seinem neuesten Werk und befragte dazu mehrere Zeitzeugen, unterschiedlicher Jahrgänge, die an verschiedenen Fronten des grausamsten aller Kriege auf deutscher Seite kämpfen mussten.

Als einfache Soldaten. Und stößt damit ein Stück Erinnerungskultur an, die in anderen Ländern selbstverständlich ist, hierzulande jedoch stiefmütterlich behandelt wird.

Die ehemaligen Soldaten berichteten dem Autoren nun in Abstand der vergangenen Jahrzehnte von ihren Erlebnissen mit einer differenzierten Selbstreflektion über das Leben als einfacher Soldat, das Töten und Sterben an der Front und den Grausamkeiten des Krieges an forderster Linie, ohne Holocaust und Verfolgung, hinter den Frontlinien zu negieren oder zu beschönigen.

Stärke ist hier die Sicht des persönlichen Erlebens, welche den Lesern zugänglich gemacht wird, ohne dass dies Christian Hardinghaus wertet. Vielmehr dürfen und können die Leser sich eine eigene Meinung bilden. Fazit vielleicht, Krieg bringt nichts, er zerstört nur.

Eben auch die Leben derer, die als Soldaten kämpfen müssen. Egal, ob freiwillig oder dazu gezwungen.

So ist diese Gesprächssammlung, nichts weniger ist das vorliegende Werk, eine Ergänzung, die dazu anregen sollte, sich mit allen Perspektiven des Zweiten Weltkrieges zu beschäftigen und sich eben nicht nur auf bestimmte zu konzentrieren.

Die bisherige Aufarbeitung ist richtig und wichtig, jedoch noch nicht vollständig. Gerade hierzu leistet der Historiker Hardinghaus einen wichtigen Beitrag, der durchaus, auch, kontrovers zu diskutieren ist.

Diese Diskussion jedoch erst einmal anzustoßen, ist in unseren turbulenten Zeiten der Meinungsfrontenbildung wichtig, um ein differenziertes und ausgewogenes Bild zu bekommen.

In kurzen übersichtlichen Kapiteln ist diese Sammlung der Gespräche gegliedert, abschließend mit jeweils drei ergänzenden Fragen an die Interviewpartner gestellt, die die Gespräche einordnen. Eine ausführliche Einführung in die Texte ist ebenso gegeben, wodurch das Ganze abgerundet wird.

Ein wichtiges Dokument, welches den geschichtlichen Diskurs ergänzen sollte, wenn mir auch die Anzahl der geführten Gespräche als fast zu wenig erscheint, was jedoch dem zeitlichen Kontext geschuldet sein dürfte.

Autor:

Christian Hardinghaus wurde 1978 in Osnabrück geboren und ist ein deutscher Historiker, Schriftsteller und Fachjournalist. Nach seinem Studium der Geschichte, Literatur- und Medienwissenschaft (Film und TV) promovierte er an der Universität Osnabrück im Bereich Propaganda- und Antisemitismusforschung.

Im gleichen Jahr absolvierte er den Lehrgang Fachjournalismus an der Freien Journalismusschule. 2016 erwarb er zudem den Abschluss für das gymnasiale Lehramt in den Fächern Deutsch und Geschichte. Er ist Autor zahlreicher Sachbücher und Romane. Hardinghaus lebt in Osnabrück.

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Sven Felix Kellerhoff: Eine kurze Geschichte der RAF

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Eine kurze Geschichte der RAF Autor: Sven Felix Kellerhoff Klett-Cotta Erschienen am: 22.02.2020 Seiten: 208 ISBN: 978-3-608-98221-3

Inhalt:

Die RAF hatte dem Rechtsstaat den Kampf angesagt. Sie stürzte die Bundesrepublik in ihre bis dahin tiefste Krise. Welche Rolle spielten die Baader-Meinhof-Anwälte? Warum wurde an den Mythos der “Vernichtungshaft” geglaubt?

Wie machte die RAF nach dem “Deutschen Herbst” 1977 weiter? Der Autor zieht pointiert Bilanz und enthüllt die konzise Gesamtgeschichte des Linksterrorismus in Deutschland, der schonungslos gegen die Demokratie ins Feld zog. (Klappentext)

Rezension:

Aus kleinen Teilen einer Portestbewegung heraus entstand Ende der 1960er Jahre eine Terrororganisation, die mehr als dreißig Jahre die Bundesrepublik in Atem hielt, die Gesellschaft und den Rechtsstaat herausfordern sollte.

Zunächst getragen von Sympathien, anfangs von Teilen der Studentenschaft und Intellektuellenkreisen, verschaffte sie sich durch Anschläge auf Personen und Institutionen der Medienwelt, Wirtschaft und Politik Aufmerksamkeit, doch bröckelte der Rückhalt mit den Jahren, spätestens aber mit der Nacht von Stammheim zusehens.

Immer schwieriger wurde es, für vermeintliche und tatsächliche Ziele Personal zu requirieren und so lief die als “Proejekt Stadtguerilla” gegründete Terrororganisation nach drei Generationen aus.

Die Rote Armee Fraktion scheiterte an der Gesellschaft und Hartnäckigkeit des Staates. Viel ist darüber geschrieben wurden, über die Täter und die Entwicklung dieser Bewegung, nicht zuletzt in den Monumentalwerken Stefan Austs und Butz Peters, die damit Standartliteratur geschaffen haben.

Doch, ist es möglich, die Perspektive der Opfer einzunehmen und eine Kurzfassung darüber zu schreiben? Sven Felix Kellerhoff hat dies versucht.

Knapp 208 Seiten umfasst das vorliegende Werk, wenn man Inhalts- und Quellenverzeichnisse mitzählt und so erhält man eine wahrhafte Kompaktfassung, die mit “Eine kurze Geschichte der RAF” dies auch im Titel deutlich macht.

Das knapp gehaltene Sachbuch umfasst die wesentliche Geschichte der die Bundesrepublik Deutschland prägenden Terrororganisation, die an ihren beteiligten Personen, der Politik und letztendlich auch an der Gesellschaft scheitern sollte. Die Recherchearbeit merkt man dem Autoren an.

Es ist jedoch schade, dass es ihm nicht so gelungen ist, wie auf den ersten Seiten geschildert, hier den Opfern der Anschläge genug Raum zu geben.

Doch ist es erstaunlich, auf wie wenig Seiten sich die Geschichte der RAF raffen lässt, die selbst heutzutage kaum lesbare Pamphlete als Rechtfertigung für ihre Anschläge schrieb.

Kellerhoff zeichnet so knapp wie möglich die Entwicklung der Roten Armee Fraktion nach, wie es wohl kaum einem Autoren vor ihm gelungen ist. Viel neues wird einem Kenner der Materie jedoch nicht begegnen. Gut recherchiert ist es jedoch und so nah geschrieben, dass es sich als Einführung gut lesen lässt, was nun im Klett-Cotta Verlag erschienen ist.

“Eine kurze Geschichte der RAF” ist Einführungsliteratur, nicht mehr, jedoch auch nicht weniger. Wer sich jedoch weitergehend informieren möchte, etwa zu Mogadischu, den Anschlag in Stockholm oder den vorangegangenen Ereignissen der Gründung der RAF sollte auf andere Literatur umschwenken, bzw. diese nachfolgend lesen.

Nichts destotrotz wird Kellerhoff künftig im Kanon der Geschichtsliteratur zur Roten Armee Fraktion zu Recht zu finden sein.

Autor:

Sven Felix Kellerhoff wurde 1971 in Stuttgart geboren und ist ein deuterscher Journalist, Historiker und Autor. Nach der Schule studierte er an der Freien Universität Berlin Neuere und Alte Geschichte, Publizistik und Medienrecht.

Er arbeiete zunächst für verschiedene Zeitungen und Fernsehsender, absolvierte 1997/1998 die Berliner Journalisten-Schule. Seit 1998 arbeitet er für den Axel Springer Verlag. Dort war er von 2000-2002 Leiter der Wissenschaftsredaktion der Berliner Morgenpost und danach Verantwortlicher für die Kulturberichterstattung.

Seit 2003 ist er leitender Redakteur für Zeit- und Kulturgeschichte der Welt und Berliner Morgenpost. Seit 2012 ist er verantwortlich für den Geschichtskanal der Welt/N24.

Kellerhoff ist Autor verschiedener Sachbücher und war von 2005-2008 Beisitzer im Vorstand des Landesverbands Berlin des Deutschen Journalisten-Verbands.

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Christopher Kloeble: Das Museum der Welt

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Das Museum der Welt Autor: Christopher Kloeble Verlag: dtv Erschienen am: 21.02.2020 Seiten: 528 ISBN: 978-3-423-28218-5

Inhalt:

Bartholomäus ist ein Waisenjunge aus Bombay, er ist mindestens zwölf Jahre alt und spricht fast ebenso viele Sprachen.

Als Übersetzer für die deutschen Brüder Schlagintweit, die 1854 mit Unterstützung Alexander von Humboldts zur größten Forschungsexpedition ihrer Zeit aufbrechen, durchquert er Indien und den Himalaya.

Bartholomäus verfolgt jedoch einen ganz eigenen Plan: Er selbst möchte das erste Museum seines großen und widersprüchlichen Landes gründen. Dafür riskiert er alles, was ihm etwas bedeutet, sogar sein Leben. (Klappentext)

Rezension:

Als das British Empire an seinen Rändern erste Auflösungserscheinungen zeigt, die Kolonien in Neuengland strebten Mitte des 19. Jahrhunderts nach Unabhängigkeit, begann man anderswo gerade erst, seine Vorherrschaft zu festigen.

Mit Hilfe von Pionieren, Glücksrittern und Entdeckern, dem Handel und starken Militär sicherte sich England den riesigen indischen Subkontinent im Spiel der Großmächte. Expeditionen wurden gefördert, um weiße Flecken von der Landkarte zu tilgen und Besitzanspruch zu markieren. Mittendrin drei Deutsche, deren Weg heute fast vergessen ist.

Unter Fürsprache des preußischen Königs und Empfehlung Alexander von Humboldts machten sich 1854 die Gebrüder Schlagintweit auf, Indien für das englische Königshaus und die britische East India Company zu ergründen. Die Bergsteiger und Wissenschaftler unternahmen eine bis dato beispiellose Expedition, erforschten mal gemeinsam, mal getrennt, von Bombay ausgehend, atemberaubende Landschaften, drangen bis nach Nepal und Tibet vor, um ihren in Europa gegebenen Auftrag zu erfüllen.

Unter all den Dingen, zu denen ich mitgewirkt, ist Ihre Expedition bzb eube der wichtigsten geblieben. Es wird mich dieselbe noch im Sterben erfreuen.

Alexander v. Humboldt, Brief an die Brüder Schlagintweit, im Roman abgedrucktes Zitat.

Der Schriftsteller Christopher Kloeble hat sich nun diesem historischen Stoff angenommen und daraus einen Abenteuer- und Expeditionsroman gewoben, der seines Gleichen sucht. Hauptfigur hier, der Waisenjunge Bartholomäus, der zunächst unwillig die drei Brüder begleitet, beobachtet und nicht nur die Ingrez, Indien und schließlich sich selbst kennenlernt.

Aus der Sicht des Hauptprotagonisten wird die Geschichte erzählt. Detailreich lässt der Autor das Indien der Kolonialzeit wieder aufleben, zeigt, wie erste zarte Sprosse einer Unabhängigkeitsbewegung wuchsen, die erst etwa hundert Jahre später zum Erfolg führen sollten.

Zugleich ist dem Autor ein wunderbarere Coming of Age Roman gelungen, der feinfühlig vom Aufwachsen in unklaren Verhältnissen, Ängsten berichtet, parallel Bartholomäus mit zunehmender Seitenzahl Erfahrung und Selbstsicherheit angedeihen lässt. Umgeben von Lüge und Verrat.

Werde ich den Verräter auch bald als Freund bezeichnen?

Der Hauptprotagonist Batholomäus in “Das Museum der Welt” von Christopher Kloeble.

Die Spannung eines solchen starken Stoffes fehlt nicht. Tatsächlich hat Kloeble hier keine Längen entstehen lassen, sondern das richtige Maß gefunden, etwa zwischen ausführlicher Beschreibung von Handlungen und Landschaften, ohne in irgendeinem Bereich zu übertreiben oder seine Leser zu unterfordern. Auch kitschig wirkt das alles nicht.

Die Kapitelgliederung folgt der Expedition, deren Beschreibung nahe an der Wahrheit liegt, zumindest im Verlauf, und den Beobachtungen des jungen Bartholomäus’. So werden nicht nur Orte und Gegenstände zu bemerkenswerten Objekten, auch die Protagonisten unter dem sensiblen Augenmerk des Hauptprotagonisten.

Dies hält den Spannungsbogen, der von der klaren und dichten Sprache des Autoren bestimmt ist. Dieser Roman ist eine gelungene Mischung aus Expeditionsgeschichte, Abenteuer und Coming of Age, Gesellschaftskritik und Landesgeschichte, wie sie nur selten zu finden ist. Somit ist das Werk Teil des Museums der Welt, des ersten Museum Indiens, welches Bartholomäus zusammentragen möchte.

Ich kann nur jedem Leser empfehlen, es zu ergründen.

Autor:

Christopher Kloeble wurde 1982 in München geboren und ist ein deutscher Schriftsteller und Drehbuchautor. Er war Mitglied im Tölzer Knabenchor und besuchte bereits als Schüler den Manuskriptum-Kurs der Ludwig-Maximillians-Universität München.

Er studierte am Deutschen Literaturinstitut Leipzig und veröffentlichte in diversen Zeitschriften. Parallel dazu schrieb er diverse Drehbücher für Film und Fernsehproduktionen. Für seine Werke erhielt er zahlreiche Stipendien und Preise. Kloeble lebt in Neu-Dehli und Berlin.

Zusatzinformationen:

Die Nachfahren der realen Gebrüder Schlagintweit haben hier Informationen und Hintergründe zur Geschichte ihrer Vorfahren zusammengestellt. Die abgebildete Karte findet sich auch im Roman wieder.

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Peter Balko: Zusammen sind wir unbesiegbar

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Zusammen sind wir unbesiegbar Peter Balko Hanser/Zsolnay Verlag Erschienen am: 17.02.2020 Seiten: 157 ISBN: 978-3-552-05974-0 Übersetzerin: Zorka Ciklaminy

Inhalt:

Nichts kann sie auseinander-bringen, davon sind Leviathan und Kapia überzeugt. Bis eines Tages die Ereignisse rund um einen harmlosen Kuss ihre Freundschaft doch gefährden… Peter Balko erzählt unterhaltsam und sehr warmherzig die Geschichte von Tom Sawyer und Huckleberry Finn an der ungarisch-slowakischen Grenze. (Klappentext)

Rezension:

Eine Geschichte wie ein Knall und eine Erzählung, die ihre Leser fordert. So kommt Peter Balkos Kurzroman, gleichsam Novelle, “Zusammen sind wir unbesiegbar” daher, die kürzlich aus dem Slowakischen übersetzt wird.

Das Autorendebüt nimmt sich den Zusammenhalt, oder auch nicht, einer Kinderfreundschaft vor, die zumindest auf den ersten Blick ungewöhnlicher nicht sein könnte. Gegensätze ziehen sich ja bekanntlich an und gleichen sich zuweilen aus.

Eine Kleinstadt an der slowakischen ungarischen Grenze, lebendig durch die Beschreibung ihrer schrulligen Protagonisten, erlebt durch die zwei Hauptfiguren, die dies zu ihrem Kindheitsparadies machen. Erzähler ist der etwa achtjährige Leviathan, Anspielungen an die mysthische Figur aus antiker Zeit sind durchaus gewollt, der ungelenk und schüchtern seinen Platz in der Familie, der Klasse und seiner Umgebung sucht.

Sein Blick ist es, an dem die Leser sich heften und die Geschichte verfolgen werden, auch auf den gegensätzlichen Freund Kapia schauen, der grob, brutal, doch voller Phantasie und loyal gegenüber Leviathan ist. Beide schließen ob der Ereignisse um ihnen herum eine scheinbar unüberbrückbare Freundschaft.

Erzählt wird vom rauen und nicht einfachen Leben in einer Kleinstadt, in der jeder jeden kennt und die einzelnen Marotten ihrer Bewohner den Verlauf der Geschichte bestimmt. Schule, Kinderstreiche und -ängste bestimmen den Alltag, bei genauerer Sicht auch das Schicksal zerüttelter Familien und die Nachwirkungen der Zeit.

Die heilt, zumindest hier, nicht alle Wunden. Die erste Liebe wird ebenso thematisiert, wie der Tod, dies alles mit einem humorigen Blick, den der Autor behutsam einfließen lässt. Wie käme man sonst dazu, ein Meerschwein Ivan den Schrecklichen zu nennen?

Die Mischung wird nicht jedem liegen. Über Strecken ergeben sich Längen, die die Erzählung nicht schnell konsumieren lassen. Doch insgesamt funktioniert die Vielfalt gut, wenn Peter Balko auch gut daran getan hätte, hier und da zu kürzen, zu verdichten, an anderer Stelle widerum mehrere Seiten hinzuzufügen.

Das Ende der Geschichte geben Klappentext und die Namen der Protagonisten vor. Der Knall könnte kaum größer sein. Der Autor scheint überhaupt eine Vorliebe für scharfe Brüche zu haben. Hier passt es mal.

Wer schwierige flirrende Novellen nicht scheut, ist mit dieser Geschichte gut bedient. Für alle anderen braucht’s schon eine besondere Stimmung, sich diese Erzählung zu Gemüte zu führen, zumal der Autor sich nicht ganz einfacher Elemente seiner Biografie bedient. Als wäre alles andere nicht schon Stoff genug.

Autor:

Peter Balko wurde 1988 in Lucenec geboren und ist ein slowakischer Schriftsteller und Drehbuchautor. “Zusammen sind wir unbesiegbar”, ist sein Autorendebüt, für das er bereits zahlreiche Preise erworben hat. Sein Werk wurde 2020 erstmalig ins Deutsche übersetz

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Jasmin Schreiber: Marianengraben

Marianengraben Book Cover
Marianengraben Jasmin Schreiber eichborn Verlag Erschienen am: 28.02.2020 Seiten: 254 ISBN: 978-3-8479-0042-9

Inhalt:
Paula braucht nicht viel zum Leben: ihre Wohnung, ein bisschen Geld für Essen und ihren kleinen Bruder Tim, den sie mehr liebt als alles andere auf der Welt. Doch dann geschieht ein schrecklicher Unfall, der sie in eine tiefe Depression stürzt.

Erst die merkwürdige Begegnung mit Helmut, einem schrulligen alten Herrn, erweckt wieder einen Funken Lebenswillen in ihr. Und schließlich begibt Paula sich zusammen mit Helmut auf eine abenteuerliche Reise, die sie Beide zu sich selbst zurückbringt – auf die eine oder andere Weise. (Klappentext)

Rezension:
Es passiert eigentlich nicht viel im neuesten Roman von Jasmin Schreiber und doch eine ganze Menge, lesen so einen wunderbar schmerzhaften, bedrückenden und dennoch lebensbejahenden Roman. Wie das zusammenpasst? Zu Beginn steht die Trauer der Hauptprotagonistin, der ein Leser sofort in sein Herz schließen wird.

Die Studentin Paula hat vor ein paar Jahren ihren kleinen Bruder durch das Meer verloren und ist seit dem tief gefallen. Im übertragenen Sinne bis an den Grund des Marianengrabens, des tiefsten Punkt der Ozeane. Nur ist es hier Lethargie und Depression, unverarbeiteter Schmerz, der die Oberhand hat.

Aus ihrer Perspektive erlebt man nun einen Roadtrip und damit auch ein Auftauchen, beschwerliches Ankämpfen gegen die Schuldgefühle. Gegenpol bildet der zweite Hauptprotagonist. Helmut, ein älterer Herr, der ebenso eine Geschichte zu erzählen hat. Auf diese zwei Figuren ist die Geschichte reduziert. Völlig ausreichend ist das.

Feinfühlig beschreibt die Autorin diesen schmerzhaften Verarbeitungs-prozess. Gebannt wird man in die Geschichte eingesogen. Manch kalter Schauer wird einem bei diesen Zeilen über den Rücken laufen, nur um dann wieder grinsen, manchmal laut auflachen zu müssen.

Diese Kontraste zu schaffen, ist Jasmin Schreiber hervorragend gelungen. Dies lässt in der Geschichte die Protagonisten durchhalten, ebenso fordert dies die Leser dieses gelungen Werks.

Auf Trauer folgt Verarbeitung. Diesen Prozess begleiten die Leser, die nach und nach die Puzzleteile der Geschichten beider Protagonisten erfahren, wenn Paula und Helmut so langsam aus dem sprichwörtlichen Meer auftauchen. Interessant dazu auch die Titelüberschriften.

Jasmin Schreiber hat nicht nur ihr Biologie-Studium der Protagonistin „umgehängt“. Viel steckt von der Autorin in Paula. Jede Zeile so gemeint. Jede Zeile ehrlich.

Dies alles ist die große Stärke von „Marianengraben“. Definitiv ein Highlight für alle, die ihn lesen werden und eine Mahnung, Menschen mit Depression die Hand zu reichen, niemals allein zu lassen, im übertragenen und wörtlichen Sinne, schwimmen zu lernen.

Autorin:

Jasmin Schreiber wurde 1988 geboren und ist studierte Biologin, arbeitet als Kommunikationsexepertin und Autorin. 2018 wurde sie als Bloggerin des Jahres ausgezeichnet. Sie arbeitet ehrenamtlich als Sterbebegleiterin und Sternenkinder-Fotografin. Die Autorin lebt in Frankfurt/Main.

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Sasha Filipenko: Rote Kreuze

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Rote Kreuze Autor: Sasha Filipenko Diogenes Erschienen am: 26.02.2020 Seiten: 288 ISBN: 978-3-257-07124-5 Übersetzerin: Ruth Altenhofer

Inhalt:

Alexander ist ein junger Mann, dessen Leben brutal entzwei- gerisssen wurde. Tatjana Alexejewna ist über neunzig und immer vergesslicher. Die alte Dame erzählt ihrem neuen Nachbarn ihre Lebensgeschichte, die das ganze russische 20. Jahrhundert mit all seinen Schrecken umspannt.

Nach und nach erkennen die Beiden ineinander das eigene gebrochene Herz wieder und schließen eine unerwartete Freundschaft, einen Pakt gegen das Vergessen. (Klappentext)

Rezension:

Nach Tolstoi und Dostojewskij darf man sich die Frage stellen, wie geht russische Literatur eigentlich heute? Zumal der Blogschreiber kaum etwas anderes kennt als Lukianenko oder Glukhovsky, vom letzteren Schreiberling nicht ganz so begeistert war, wie vom ersteren. Wobei, Viktor Jerofejew vermochte zu faszinieren. Nun, also Sasha Filipenko.

Erstmals ins Deutsche übersetzt erzählt der weißrussische Schriftsteller, der auf russisch veröffentlicht und heute in St. Petersburg lebt, von der Begegnung zweier Menschen, die sich nach und nach das Trauma ihrer jeweiligen Leben von der Seele sprechen, dabei nach und nach Vertrauen zueinander finden.

Der zweiperspektivische Roman fokussiert sich ganz auf die beiden protagonisten. Die Eine, über neunzig Jahre alt, erzählt von der Angst, innerhalb eines Regimes zu leben und ein Leben lang auf der Suche zu sein, der andere muss gleichsam ein Drama in seinem noch jungen Leben verarbeiten.

Das Aufeinandertreffen der Beiden ist für die Eine ein Abschluss, für den Anderen der Punkt, über den Sinn des Lebens nachzudenken. So viel zum Inhalt. Mehr sei nicht verraten.

Wie oft begegnen wir einander im Treppenhaus und wissen doch so gut wie nichts, voneinander? Einerseits schön, man kann praktisch überall von Neuem an beginnen, andererseits fehlt die Gemeinschaft in einer immer mehr vereinsamten Gesellschaft.

Dieses Thema als oberflächlicher Aufhänger, nutzt Filipenko geschickt, um ein anderes aufzugreifen, was weder in seiner Geburtsstadt Minsk einfach sein dürfte, noch in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er übt Kritik am Geschichtsverständnis beider Länder, deren obere Zehntausend stetig versuchen, die Deutungshoheit zu gewinnen und umzukehren, und rüttelt dabei an Grundfeste.

Während in den Neunziger Jahren noch Archive geöffnet wurden, von Behörden, Geheimdiensten und anderen Institutionen, stehen Recherchierende heute oftmals vor verschlossenen Türen.

Subtil arbeitet sich der Autor daran ab, zumindest seine Leser mitzunehmenund einem Funken der Geschichte aufzugreifen, der heute in Teilen Russlands zu gerne umgedeutet wird. Kritik ist nicht gerne gesehen, doch sowohl Filipenko als auch seine Hauptprotagonistin Tatjana Alexejewna legen ihre Finger in noch nicht längst geschlossene Wunden.

Erzählerisch nimmt der stetige Perspektivwechsel die Position zweier unterschiedlicher Pole ein, die zum Einen Spannung verursachen, im passenden Moment wieder beruhigen.

Das ist notwendig, um nicht in der Falle der Übertreibung zu gelangen und doch einen Spannungsbogen zu schaffen, der einem den Atem gefrieren lässt. Und dies auf, um den Bogen zur klassischen russischen Literatur a la Tolstoi wieder zu schaffen, vergleichsweise wenigen Seiten.

Wenn es überhaupt einen Kritikpunkt gibt, ist diese Stärke zugleich die Schwäche seines Romans. Beim Lesen würde man vielleicht gerne mehr erfahren über die beiden Protagonisten, die einem Seite für seite ans Herz wachsen. Sasha Filipenko beschränkt sich jedoch auf’s Wesentliche.

Auch gut.

Autor:

Sasha Filipenko wurde 1984 in Minsk geboren und ist ein weißrussischer Schriftsteller der auf Russisch schreibt. In seiner Wahlheimat St. petersburg studierte er nach einer abgebrochenen Musikausbildung Literatur und widmete sich der journalistischen Arbeit, war Drehbuch-Autor, Gag-Schreiber für eine satire-Show und Fernsehmoderator.

Dies ist sein erster Roman, der ins Deutsche übersetzt wurde.

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Stefano Mancuso: Die unglaubliche Reise der Pflanzen

Autor: Stefano Mancuso

Titel: Die unglaubliche Reise der Pflanzen

Genre: Sachbuch/Rezensionsexemplar

Art: Hardcover

Seiten: 151

ISBN: 978-3-608-98192-6

Verlag: Klett-Cotta

Übersetzer:Andreas Thomsen

Inhalt:
Pflanzen sind die großen Reisenden in unserer Welt. Sie sind überall angekommen, obwohl sie unbeweglich erscheinen.

Sie machen den Blauen Planeten zur grünen Insel im Weltall: Diese Hommage versammelt die faszinierende Geschichte und die poetischen Schilderungen der größten Gruppe von “Lebewesen”, die wir (noch) nicht hinreichend wertschätzen.

Am weitesten verbreitet auf unserem Planeten sind nicht Menschen, sondern Pflanzen, deren Intelligenz uns das Leben und Überleben überhaupt erst ermöglicht. (Klappentext)

Rezension:
Gerade Pflanzen sind zuweilen so unscheinbar, dass ihr Dasein kaum Beachtung, geschweige denn Wertschätzung findet, obwohl sie erheblich dazu beitragen, dass Leben auf unserem Planeten überhaupt erst zu ermöglichen.

Scheinbar unbeweglich, ortsgebunden, gehen wir achtlos an ihnen vorbei, wenn sie unserem Vorhaben im Weg stehen, vernichten wir sie gnadenlos. Um so wichtiger ist es, Pflanzen als das zu betrachten, was sie sind. Lebewesen, auf die es ankommt.

Der Botaniker und Professor für Pflanzenkunde Stefano Mancuso wirft einen herrlich unaufgeregten Blick auf unsere grünen Gefährten, zeigt, welche faszinierenden Wege Pflanzen zuweilen gehen, um leben und überleben zu können.

Sachbücher funktionieren am Ehesten, wenn die Autoren selbst begeistert und fasziniert von der jeweiligen Thematik sind und Mancuso ist dies ganz sicher.

Einfühlsam führt der Wissenschaftler in sensible wie faszinierende Sachverhalte ein und zeigt, dass Pflanzen eben nicht statische Objekte sind, wie dies auf dem ersten Blick den Anschein haben mag, sondern um zu leben, erstaunlich widerstandssfähig und einfallsreich werden können.

Dies gilt in der Art der Verbreitung, dem Zurechtkommen mit für die jeweiligen Arten eher ungewöhnlichen Bedingungen oder den Lebenszyklen von Pflanzen an sich. In kurzweiligen und nicht allzu langen Kapiteln beschreibt der Wissenschaftler anhand von zuweilen ungewöhnlichen Beispielen, wie es Pflanzen gelingt, sich in ihrer Umwelt zu behaupten, auf Reisen zu gehen und selbst widrigen Bedingungen zu trotzen.

Stefano Mancuso öffnet einen neuen Blickwinkel auf ein faszinierendes Stück Natur, welches ohne uns überleben kann, wir jedoch nicht ohne es. Obwohl wir es derzeit stark in Mitleidenschaft ziehen.

Er zeigt, wie Wissenschaftleer über die Jahrhunderte die Verbreitung der Pflanzen erforscht haben und zugleich, welche faszinierenden Beispiele im Naturreich uns Erfurcht einflößen sollten. Dies geschieht alles mit einem sehr unaufgeregten, ruhigen Schreibstil, der geeignet ist, um sich herum die Welt zu vergessen.

Erwähnenswert dabei sind die immer wiederkehrenden Aquarellzeichnungen von Grisha Fisher, stilisierte Landkarten aus Pflanzenteilen. Ein Eyecatcher, der das Buch wohltuend von anderen Werken ähnlicher Thematik abhebt.

Für Interessierte und die Leser, die sich gerne fallen lassen, neue Blickwinkel auf ein zuallererst unscheinbaren Part unserer Natur bekommen möchten, ist “Die unglaubliche Reise der Pflanzen” geeignete Lektüre.

Gut recherchiert, mit Fachkenntnis und einem humorvollen Blick auf Details ausgearbeitet, lässt sich zudem Wissen herausziehen, welches auf leicht verständliche Art und Weise vermittelt wird. Für jeden mit und ohne grünen Daumen sehr zu empfehlen.

Autor:
Stefano Mancuso wurde 1965 geboren und ist ein italienischer Biologe, Professor für Pflanzenkunde und Schriftsteller. Seit 2001 arbeitet er als Hochschullehrer an der Universität Florenz und forscht auf dem Feld der Pflanzenneurobiologie.

Seine Untersuchungen veröffentlichte er bereits mehrfach auch populärwissenschaftlich und portraitierte u.a. die Naturwissenschaftler Charles Darwin und Gregor Johann Mendel. Sein Werk “Die Intelligenz der Pflanzen” stand monatelang auf den Bestsellerlisten.

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Michael Pantenius: Die Umsegelung der Welt

Autor: Michael Pantenius

Titel: Die Umsegelung der Welt

Genre: Historischer Roman/Rezensionsexemplar

Seiten: 364

Art: Hardcover

ISBN: 978-3-945424-78-0

Verlag: Morio Verlag

Inhalt:

Im Sommer 1772 bricht James Cook zu seiner zweiten Weltumsegelung auf. Mit ihm an Bord der Resolution sind 112 Männer, darunter der deutsche Naturforscher Johann Reinhold Forster und sein Sohn Georg.

Der Auftrag der britischen Krone lautet: Das sagenhafte Südland muss gefunden werden! Man glaubt seit alter Zeit, es soll das Paradies auf Erden sein. Drei Polarsommer lang kämpfen sich die Männer unter unsäglichen Entbehrungen durch Stürme, Eis und Schnee, immer entlang des 60. Breitgrades.

Gefährlich sind ihre Begegnungen mit den Kanibalen Neuseelands, beeindruckend die mit den Menschen Tahitis und der Kultur auf den von ihnen entdeckten Inseln der Südsee. Doch trotz aller Tapferkeit kommen sie nicht ans Ziel. (Klappentext)

Rezension:

Europa zur Zeit der Aufklärung war vor allem eines, ein Kontinent im Wandel. Kunst und Kultur blühten. Zahlreiche Bauten, Großbauprojekte verschiedener Herrscher entstanden und auch die Wissenschaften machten große Sprünge.

Zugleich versuchten die Nationen einander zu übertreffen. Der Globus sollte erobert, die noch existenten weißen Flecke der Erde endlich kartographiert werden. Länder wie Spanien, Frankreich oder England wollten Kolonien, damit wirtschaftliche und poltische Macht.

Das 18. Jahrhundert war zudem das Zeitalter großer Männer, die im Auftrag ihrer Majestäten zu riskanten, prestigeträchtigen und kräftezehrenden Unternehmungen bereit waren, zu entbehrungsreichen Erkundungsfahrten aufzubrechen und neue Welten zu erobern.

Eine Person sticht dabei besonders heraus, und so setzt der Historiker Michael Pantenius in seinem Roman “Die Umsegelung der Welt”, niemanden Geringeren als James Cooks und seine zweite Erkundungsfahrt der Südhalbkugel in Szene.

In epischer Breite erweckt der Historiker seine Protagonisten zum Leben, dessen Vorbilder Maßstäbe für spätere Erkundungsfahrten setzen sollten und zugleich den Weg bereiten sollten, für die Eroberung der Welt.

Sehr feinsinnig sind die verschiedenen Charakterköpfe ausgearbeitet, wobei natürlich James Cook hervorzuheben ist, sowie der nicht weniger schwierige protagonist, Johann Reinhold Forster, der als deutscher Naturforscher an der Expedition teilnahm, zusammen mit seinem Sohn Georg.

Aus der wechselnden Sichtweise heraus wird dieses große Abenteuer lebendig erzählt. Fast wirkt es so, als wären die Leser selbst mit an Bord der Resolution.

Michael Pantenius hält sich dabei an die Fakten und füllt diese mit Dialogen, wie sie vorgekommen sein könnten,lässt die Konflikte lebendig werden, die entstanden, als man die Mannschaft aus reinen politischen und strategischen Überlegungen heraus zusammenstellte.

Gegensätze und gemeinsame Interessen werden Zeile für Zeile fassbar, wobei keiner der Protagonisten ein wirklicher Sympathieträger wird. Zu schwierig die Charaktere. Der Lesende spürt das Großmachtstreben jener Zeit, jedoch auch Abenteuerlust und Geltungsdrang.

Dies alles ist feinfühlig aufgebaut.

In handlichen Kapiteln, die sich an der vom Schiff James Cooks genommenen Route orientieren, leidet der Leser mit der Crew, erlebt die kleinen Momente des Glücks und der historischen Erfolge.

Dieser historische Roman vermag zugleich als Schnittstelle zum literarischen Sachbuch zu überzeugen.

Ergänzt wird er durch eine Routenkarte der Expedition, sowie einem Glossar, in der historische Begrifflichkeiten erläutert werden, sowie Schifffahrtsvokabeln, die die Dialoge der Protagonisten und den Text durchziehen.

Zudem gibt es biografische Notizen über die realen Vorbilder der Figuren des Romans, sowie ein Quellenverzeichnis, welches die Geschichte ergänzt.

Sehr lesenswert.

Autor:

Michael Pantenius wurde 1938 geboren und ist ein deutscher Buchhändler, Journalist und Schriftsteller. Nachdem er in verschiedenen Berufen, u.a. als Seemann bei der Handelsflotte, tätig war, studierte er zunächst Kulturwissenschaften in Leipzig und wurde in Halle als Historiker promoviert.

Er arbeitete als Werbe- und Presseleiter bei verschiedenen Verlagen, war zehn Jahre lang Feuilletonchef einer Tageszeitung, sowie Cheflektor eines Kinderbuchverlages. Pantenius ist Autor zahlreicher historischer Romane, z.B. über die Mutter Katharinas II., sowie verschiedener Essays, Feuilletons und Reiseführer.

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