Roman

Florian Schwiecker/Michael Tsokos: Eberhardt & Jarmer 3 – Die letzte Lügnerin

Bücher der Reihe:

Inhalt:

Ein Polit-Skandal erschüttert Berlin: In einem geleakten Video ist zu sehen, wie Bausenator Dieter Möller schmutzige Immobiliendeals mit einem russischen Oligarschen aushandelt – auch der Vater von Strafverteidiger Rocco Eberhadt soll darin verwickelt sein.

Als der für das Video verantwortliche Tontechniker auf dem Seziertisch von Rechtsmediziner Dr. Justus jarmer landet, lautet die Anklage gegen Möller plötzlich auf Mord. In die Enge getrieben, bittet er Rocco um Hilfe und beteuert seine Unschuld.

Doch die ermittelnde Kommissarin findet immer mehr Beweise gegen den Bausenator, und Rocco muss sich fragen, ob sein Vater einen Mörder deckt … (Inhalt lt. Verlag)

Rezension:

Ein Treffen in den Hinterzimmern der Macht, eine heimliche Aufnahme und ein anonym weitergereichtes Video. Es gab Zeiten, da hat schon viel weniger auch große Politiker zu Fall gebracht und in sofern haben die Autoren, der Rechtsmediziner Michael Tsokos und der ehemalige Strafverteidiger Florian Schwiecker auch das Rad nicht neu erfunden, dennoch liegt mit “Die letzte Lügnerin” nun ein weiterer spannender Justiz- und Politkrimi vor.

Im dritten Band um Rechtsmediziner Justus Jarmer und Strafverteidiger Rocco Eberhardt entführen uns die Schreibenden in die Abgründe kommunalpolitischen Geschehens, welche sich zu einem handfesten Skandal auswachsen. Das Ausgangsszenario, siehe oben, ist klar gezeichnet. Ein Gespräch hinter verschlossenen Türen, welches den Beteiligten um die Ohren fliegt und mehr als nur einen Stein ins Rollen bringt.

Auch ohne Vorkenntnisse der voranstehenden Bände findet man schnell den Einstieg in die Geschichte, derer beider Hauptprotagonisten klar umrissen sind. Dabei wirkt die Figur des Dr. Justus Jarmer nahezu blütenweiß, während die Eberhardts schon zu Beginn Ecken und Kanten aufweist. Das muss auch so sein, schließlich muss sich der Strafverteidiger erneut auch mit seinem Vater auseinander setzen, ohne zu wissen, welche Kreise dies ziehen wird.

Mit Hilfe einer dichten Taktung in der Erzählfolge wird, immerhin nicht ganz so blutig, die Handlung sehr rasant vorangebracht. Ein steter Perspektivwechsel und kurz hintereinander weg folgende Kapitel tun ihr übrigens, um die Dynamik zu verschärfen.

Im Gegensatz zu anderen Werken aus der Feder Michael Tsokos’ liegt hier der Fokus ganz klar auf die Erarbeitung des Falls im Gerichtssaal, in dem die Szenarien erarbeitet werden und die Figuren an Profil bekommen. Zu Beginn spielen die Autoren hier mit dem Gegensatz der um die beiden Hauptprotagonisten platzierten Figuren, welcher im Verlauf immer mehr und deutlichere Risse bekommt.

Der geübt Lesende ahnt eventuell sehr schnell des Rätsels Lösung, doch tut dies der spannungsgeladenen Atmosphäre keinen Abbruch. Die eine oder andere Länge im Erzählstrang, dessen einzelne Fäden nie aus den Augen verloren werden, fällt da nicht weiter ins Gewicht.

In sich schlüssig und ohne große Logikfehler ist die sehr kompakt wirkende Erzählung aufgebaut, die vielleicht sprachlich nichts Besonderes hergibt, aber sehr gut unterhält und ohne Splatter-Effekt auskommt. Tatsächlich aber wird man sich bei dem Gedanken erwischen, dass es genau so läuft in der hauptstädtischen Politik, ohne jedoch Zeile für Zeile eine Provinz-Schreibe ertragen zu müssen. Trotzdem kann man sich auch diesen, wie die anderen Bände zuvor sehr gut als Verfilmung vorstellen. So einprägsam sind Örtlichkeiten beschrieben.

Es ist spannend, Eberhardt und Jarmer auf ihrer Spurensuche zu begleiten, zudem auch diese beiden positiv besetzten Protagonisten in ihren Charaktereigenschaften doch gegensätzlich ausgestaltet wurden. Dem Text merkt man an, wo die Sachkenntnis welchem der beiden Autoren eingeflossen ist, was der Erzählung gut tut.

Wer einfach nur gut unterhalten werden möchte, ohne große Ansprüche einer Handlung folgen will, die spannend ist, jedoch ohne wirkliche Effekthascherei auskommt, ist auch mit diesem Band, den man unabhängig von den Vorgängern lesen kann, bedient.

Der gerichtsmedizinische Anteil ist dabei gering gehalten. Blut fließt also nicht allzu viel. Vor allem die Gerichtsszenen, wahrscheinlich das, was im Deutschen am wahrscheinlichsten an einem Grisham herankommt, sind es, die “Die letzte Lügnerin” zu einer über Strecken durchaus in den Bann ziehenden Lektüre machen.

Damit ist dann auch das Trio perfekt. Gegen einen weiteren Band wäre dennoch nichts einzuwenden. Im Zusammenspiel mit den beiden Protagonisten könnte man noch so einige Geschichten erzählen.

Autoren:

Michael Tsokos wurde 1967 in Kiel geboren und ist ein deutscher Rechtsmediziner und Professor an der Charite Berlin. Seit 2007 leitet er dort das Institut für Rechtsmedizin und das Landesinstitut für gerichtliche und soziale Medizin in Berlin-Moabit. Zudem ist er als Autor von Sachbüchern und Thrillern, oft in Kombination mit anderen Autoren tätig.Seit 2014 engagiert er sich als Botschafter des Deutschen Kindervereins.

Florian Schwiecker wurde 1972 in Kiel geboren und ist vom Beruf Strafverteidiger. 2017 erschien sein erster Thriller. Für eine Zeitung schreibt er regelmäßig eine Thriller-Kolumne.

Der Autor lebt in Berlin.

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Claudia Eilles: Einstweilen ertrunken

Inhalt:

“Die können dir helfen.” Ein freundlicher, ein harmloser, ein verheerender Satz. Ein Trojanisches Pferd. Im Inneren klebrige Krieger, deren Auftrag darin besteht, deine Würde zu zersetzen.

Schulden, Affären und die Folgen eines Kletterunfalls. Carlo, einst kreativer Werbetexter und Lebenskünstler, steckt in einer Krise. Dort, im Basislager der Neurotiker, betäubt er seine Ängste mit Alkohol, bis der Anruf eines internationalen Unternehmens die Wende verspricht: Geld, erfolg, die Chance auf ein neues Leben.’

Und während carlo im täglichen Irrsinn einer Großstadt um den auftrag kämpft, bahnt sich eine wandlung an. in der Beziehung zu seiner besten Freundin Sue. Vor allem aber in ihm selbst. Am Ende steht er vor einer Entscheidung. Und vor der Frage: Wer will er sein?
(Klappentext)

Rezension:

Was macht man, nachdem man sich aus einer Welt des Dazwischen herausgekämpft hat? Wie funktioniert das überhaupt? Carlo ist gerade dabei, den für sich richtigen Weg zu suchen und sich für eine Richtung zu entscheiden. Noch liegt er am Boden, versucht gerade wieder aufzustehen. Was macht das also mit einem? Von dieser Phase handelt das Romandebüt von Claudia Eilles.

Die vorliegende Erzählung erzählt sehr kompakt von dem, was sich in unserem Inneren abspielt, wenn wir mögliche Auswege aus einer Krise suchen, von dem Moment, an dem wir uns entscheiden, wenigstens zu versuchen, der Ausweglosigkeit zu entkommen. Innerhalb sehr kompakt wirkender Kapitel begleiten wir den Protagonisten, der zu Beginn nicht wirklich weiß, wie es weitergehen soll als er vor den Trümmern seines Lebens steht. Wieder zurück in Altbekanntes? Die Chance bietet sich, als er in das Auswahlverfahren eines globalen Konzerns gerät. Oder doch etwas ganz anderes? Nur, was ist das genau?

Schritt für Schritt baut die Autorin das Szenario auf. Der Protagonist bekommt nach und nach seine Konturen. Dabei hilft, dass die Umgebung verhältnismäßig blass gezeichnet wirkt, zudem sich Claudia Eilles auf ein überschaubares Figurenensemble beschränkt. Der Fokus selbst liegt auf Carlo. Ihn mag man für seine Schwächen, für die Konsequenzen, die er daraus ziehen wird am Ende der Handlung. Nicht zuletzt, da das Gegenüber, was der Protagonist einmal selbst gewesen ist und ihm droht, wieder werden zu können, schnell klar ist. Auch dieser Antagonist ist sehr stark formuliert. Wird Carlo dem widerstehen können?

Kaum ein Wort ist überflüssig. Sehr kompakt beschreibt Claudia Eilles die wenigen Wochen, die hier erzählt werden, in denen alles zusammenkommt. Und auch, wie schnell sich Leben eben ändern können. Mit feiner Nadel ist das gestrickt, nicht immer ganz einfach zu lesen. Zuweilen nervig. Man möchte den Protagonisten schütteln, der um die notwendigen Konsequenzen fürchtet, aber im Innersten schon zu Beginn weiß, dass sich etwas ändern muss.

Das Szenario, in das sich der Protagonist hineinzubewegen droht, ist dass der Unternehmensberatung, wo mit Worten und Versprechungen viel Geld gemacht werden, die zum überwiegenden Teil nur aus leeren Hülsen bestehen, woraus aber ein erbitterter Kampf gemacht werden kann. Ansätze davon kennen womöglich alle, die auch nur einmal Kommunikationsschulungen oder irgendwelche Vorstellungsspielchen über sich ergehen haben lassen müssen. Die Zahl derer, die so etwas mögen, dürfte überschaubar sein. Dies und die wenigen Figuren, allem voran Carlo, sind es, die die Geschichte bestimmen. Mehr braucht es nicht. Mehr wäre zu viel.

Die Erzählperspektive wechselt nur absatzweise, nur am Ende dann noch etwas prägnanter. Ansonsten folgen wir dem Hauptprotagonisten von Herbst bis Jahresende. Kalenderdaten bilden die Kapitelüberschriften. Mehr wäre kitschig. Der Roman wirkt in sich schlüssig, hat jedoch einige Längen. Entweder ist das ein Kunstgriff, der die Sinnsuche verdeutlichen soll oder einfach der Punkt, an dem man der Autorin ihr Schreibdebüt anmerkt. Kann man sich aussuchen, wobei es manchmal schon arg an Vorabendfilm und Telenovela vorbeischrammt. Nur ist der Protagonist eben männlich.

Carlo legt die Bruchstücke, die Anfang fehlen, um Zugang zur Figur zu finden, selbst offen. Immer mehr erfahren wir von seinen Hintergründen. Um so klarer das Bild der Vergangenheit, um so fester umrissen wird der Weg, für den der Protagonist sich wohl entscheiden wird. Mit zunehmender Zeilenanzahl weiß man rein intuitiv, worauf das ganze hinauslaufen wird. Nur um dann vor einem halboffenen Ende zu stehen. Vielleicht ist das aber besser so. Immer ein guter Kniff, um Kitsch zu vermeiden.

Insgesamt kann man sich das alles gut vorstellen. Die wenigen Figuren sind klar gezeichnet, die Hauptfiguren mit etwas mehr Ecken und Kanten, hier würde auch der Begriff Dellen passen. Die Schausplätze sind mal aalglatt, mal stehen sie sinnbildlich für den Niedergang. Alles könnte tatsächlich so oder so ähnlich passieren. Das macht die Eindrücklichkeit der Erzählung aus. Doch so wie “Einstweilen ertrunken” eine Geschichte des Dazwischen ist, ist auch das Lesen des Romans selbst. Etwas Futter für Zwischendurch. Nicht besonders anspruchsvoll, man hat das schnell wieder vergessen, aber weit weg von Zeitverschwendung ist es eben auch.

Interessant wäre hier, und das kann ich nicht beantworten, wie die Erzählung wirken würde, wäre man selbst schon einmal so tief im Schlamm versunken, in den Abgrund hinein gefallen? Bekommt der Roman dann einen ganz anderen Dreh? Oder sollte man den Text dann lieber gar nicht lesen. Weil er da vielleicht um so heftiger wirkt? Das müssen andere beantworten.

Was mich beeindruckt hat, ist dann auch eher einer der Szenarien, die beschriebene Welt der Kommunikationsunternehmen, wie oben erwähnt, in denen aus Nichts Gold gemacht wird. Ein hartes Geschäft des Scheins, welches um seiner selbst Willen existiert, aber real kaum einen Nutzen für jene bringt, denen es Nutzen suggeriert. Hier merkt man den praktischen Hintergrund der Autorin an. Sie führt übrigens eine Praxis für Konfliktmanagement und Coaching.

Autorin:

Claudia Eilles ist promovierte Psychologin und führt eine Praxis für Coaching und Konfliktmanagement in Frankfurt/Main. Sie ist Autorin mehrerer Artikel und Kolumnen und hat bereits mehrfach an psychologischen Fachbüchern mitgearbeitet. 2018 erschien ein Sachbuch im Campus-Verlag, “Einstweilen ertrunken”, ist ihr erster Roman.

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Stefan von der Lahr: Bariello & Montebello 3 – Dämonen im Vatikan

Inhalt:

Mitunter ist man im Vatikan der himmlischen Ruhe näher, als einem lieb ist. Diese Erfahrung macht auch das Ermittlerduo Commissario Bariello und Weihbischof Montebello in seinem dritten Fall: Als die Archäologie geheiligte Glaubensgrundsätze zu erschüttern droht, ruft sie Verteidiger auf den Plan, die vor nichts zurückschrecken. In einem Nebel aus Lügen, Intrigen und rätselhaften Todesfällen scheint ein unseliges Machtkartell auf dem Weg zum ewigen Heil sehr irdische Interessen zu verfolgen. Hinter den Mauern des Vatikans ist bald schon niemand mehr sicher. (Klappentext)

Einordnung in der Reihe:

Stefan von der Lahr: Bariello & Montebello 1 – Das Grab der Jungfrau
Stefan von der Lahr: Bariello & Montebello 2 – Hochamt in Neapel
Stefan von der Lahr: Bariello & Montebello 3 – Dämonen im Vatikan

[Einklappen]

Rezension:

Selbst Rom kann sehr kalt sein. Dennoch ist Commissario Bariello überrascht, als er zu einem Toten gerufen wird, der offenbar erfroren ist. Wie das im Hochsommer möglich ist, ist zunächst völlig unklar, ebenso, was es mit den Dämonen auf sich hat, die das Opfer, ein Priester und Redakteur des Osservatore Romano zuvor zu sehen geglaubt hatte.

Vor einem ganz anderen Rätsel steht indes Montebello, der Weihbischof von Neapel, der in einer einzigartigen Ausgabe der Legenda Aurea, einst das meistgelesene Buch des Mittelalters, Zeichnungen entdeckt, die die Grundfeste der katholischen Kirche erschüttern könnten. Beide Nachforschungen stören schnell offenbar gleichermaßen die Interessen von Wirtschaftspotentaten und Kirchenfürsten. Sehr schnell häufen sich die Todesfälle. Innerhalb der Mauern des Vatikans ist bald niemand mehr sicher.

Dass das Machtzentrum der katholischen Welt sich für packende Geschichten förmlich anbietet, dürfte spätestens mit den Veröffentlichungen von dan Brown oder etwa Robert Harris jedem bewusst sein. Auch im Verlag C. H. Beck, der jetzt nicht gerade für packende Krimis bekannt ist, die gehören normalerweise nicht zum Verlagsprogramm, ist eine derart und doch sehr besonders angelegte Reihe zu finden, die es in sich hat. Vorausgeschickt, die vorangestellten Bände sind mir noch unbekannt, und so habe ich den dritten sozusagen als Stand Alone ohne Vorwissen mir zu Gemüte geführt. Das funktioniert mit Kriminalromane recht gut und auch hier wurde ich nicht enttäuscht, konnte ohne Probleme in die Geschichte eintauchen.

Stefan von der Lahr hat hier nur wenige Seiten benötigt, um die Vorgeschichte aufzubauen, die für einen Kriminalroman zunächst relativ unscheinbar beginnt, gleichwohl man ahnt, dass mit wenigen Sätzen eine Dynamik angelegt wird, derer man sich lesend kaum entziehen wird können. Schnell gewinnt die Geschichte an Tempo. Vielleicht muss man, wer jetzt nicht häufig mit südländischen Namen in Berührung und von kirchlichen Hierarchien keine Ahnung hat, das eine oder andere Mal innehalten, aber das gibt sich schnell. Genau so wie die Perspektivwechsel der sehr kompakt angelegten Kapitel, die ihren Anteil zur Dynamik beitragen.

Interessant ist, das wird mit den vorangegangenen Bänden nicht anders sein, die Figurenkonstellation, durch die zunächst getrennte Ansätze in der Ermittlung durchgeführt, jedoch sehr schnell zusammengeführt werden müssen. Diese unterschiedlichen Sichtweisen des Ermittler-Duos, diese Perspektiven werden spannend dargestellt, was jedoch dem Autoren nicht genügt. So hat von der Lahr auch die Sichtweisen der Gegenspieler eingewoben, ohne sich in der Vielzahl der Handlungsstränge zu verlieren. Der Autor behält den Überblick bis zuletzt, den sich die Lesenden zusammen mit den beiden sympathischen Protagonisten Bariello und Montebello erst schaffen müssen.

Beide Charaktere sind gut ausgestaltet, wozu man jetzt keine Vorkenntnisse aus den vorherigen Bänden haben muss, wenn auch Anspielungen natürlich vorhanden sind. Die sind dann durch Fußnoten gekennzeichnet. Nicht nur daran erkennt man übrigens, die Nähe des Autoren zum Verlagshaus. Das dem Roman zugrunde liegende Recherchematerial, welches zur Konstruktion des Szenarios verwendet wurde, wird ebenso aufgelistet, wie verschiedene Begriffe innerhalb eines Glossars und richtig gut, ein Personenverzeichnis. Könnte dies bitte jeder Roman oder Krimi bekommen? Es erleichtert wirklich das Behalten des Überblicks ungemein.

Mit diesen Aspekten versehen liegt hier eine sehr spannende und schlüssige Erzählung vor, in der penibel darauf geachtet wurde, keine sichtbaren Logikfehler aufkommen zu lassen. Um dies so auszugestalten braucht es die für das Genre doch im Vergleich zu anderen Werken relativ hohe Seitenzahl. Keine Zeile ist überflüssig, jedes Wort ist notwendig und keines zu viel. Auch das trägt zur Spannung bei, wie auch zahlreiche Wendungen, die vor allem in der Zahl der den Handlungssträngen zu Opfer fallenden begründet liegen. Gefühlt zumindest stirbt ständig jemand. Ob das wirklich so ist, ist es wert, das selbst herauszufinden.

Stefan von der Lahr schafft es damit, die Lesenden in diese sehr eigentümliche Welt, in der nicht nur religiöse Interessen verfolgt werden, hinein zu ziehen. Fast meint man, die Abläufe hinter den Mauern des Vatikans sich genau so vorstellen zu können. Das ist dann auch irgendwie bezeichnend für die reale Instution. Den Weg der Auflösung des Falls und die Zusammenhänge zu ergründen, ist ungeheuer spannend, nicht nur für Fans der an solch besonderen Orten spielenden Geschichten, die natürlich für eine sehr eigene Atmosphäre sorgen.

Auch Lesende klassischer Krimis mit einem einnehmenden Ermittler-Duo im Vordergrund kommen auf ihre Kosten. Wer dazu noch schon Gelegenheit hatte, einmal die italienische Hauptstadt und den Vatikan selbst zu besuchen, für dem ist das entstehende Kopfkino perfekt. Ob man wohl mit diesem Krimi in der Tasche eingelassen werden würde?

Nochmal zu den Vorkenntnissen, weder religiöse noch zu den vorangegangenen Bänden muss man welche haben. Unklarheiten werden durch die Figuren selbst beseitigt. Die Lust, Buch 1 und 2 zu lesen, ergibt sich ohnehin durch die Lektüre. Und das muss ein dritter Band auch erst mal schaffen. Es lohnt sich sicherlich und es bleibt zu hoffen, dass mögliche Nachfolge-Bände genau so packend sein werden. Der Spurensuche Bariellos und Montebellos folgt man nämlich gern.

Autor:

Stefan von der Lahr ist promovierter Altertumswissenschaftler und arbeitet seit dreißig Jahren bei C. H. Beck.

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Empfehlung: Rafik Schami – Sieben Doppelgänger

Er kann einfach nicht nein sagen. Immer wenn ein Buchhändler, eine Volkshochschule oder eine andere Kulturinstitution anruft und um eine Lesung oder einen Vortrag bittet, sagt er zu. Also hetzt der begnadete Erzähler kreuz und quer durch Deutschland, kennt jedes Hotel – und wird sich selbst dabei ganz fremd. Da bringt ihn eines Tages ein Freund auf die Idee, sich zu vervielfältigen. Mit einer Zeitungsannonce werden Doppelgänger gesucht, die fortan für ihn auf Reisen gehen sollen, während der echte Rafik Schami zu Hause in Ruhe neue Bücher schreiben kann. Doch die Katastrophe bleibt nicht aus … (Inhalt lt. Verlag)

Autor:
Rafik Schami wurde 1946 in Damaskus geboren. Er studierte Chemie und zählt zu den erfolgreichsten Schriftstellern in deutscher Sprache und wurde in zahlreichen Sprachen übersetzt.

Diesen kleinen Roman möchte ich einmal ohne Rezension grundsätzlich empfehlen oder zumindest präsentieren, da ich mich mit “Sieben Doppelgänger” mit Rafik Schamis Schreiben versöhnt habe. Vor Jahren hatte ich eine Kurzgeschichten- oder Kolumnensammlung von ihm zur Hand genommen und das hat für mich ganz eindeutig nicht funktioniert. Zugegeben, damals wusste ich vielleicht auch nicht, dass für mich Kolumnen und Kurzgeschichten nur bedingt bis gar nicht funktionieren.

Vom Umfang her klappt das mit kürzeren Romanen oder Novellen besser. Während also eine seiner Kurzgeschichtensammlungen bei mir durchfiel, hat dieser Roman, bei dem Figuren genug Platz bekommen haben, um ausgestaltet zu werden, doch zumindest so funktioniert, dass ich mich mit dem Werk des Autors versöhnt habe. Ob ich nochmal ein Buch von Rafik Schami lesen werde, steht indes in den Sternen. Dafür ist mein Stapel ungelesener Bücher einfach sehr groß, aber zumindest möchte ich es nicht mehr ausschließen. Das sah vorher anders aus. Daher zumindest diese kleine kurze Empfehlung hier.

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Thore D. Hansen: Taupunkt

Inhalt:

Unter Ausschluss der Öffentlichkeit hat Wissenschaftler Tom Beyer das auch im Weltklimarat umstrittene Phönix-Programm entwickelt, das schwerste Eingriffe in das gewohnte Leben der Menschen nach sich ziehen würde. Kein Wunder, dass die Regierungen der Welt nichts davon wissen wollen.

Frustriert zieht sich Tom nach Deutschland zurück, wo er mit seinem Forderungskatalog an die Öffentlichkeit tritt. Damit löst er eine mediale Hetzjagd aus, die sogar sein Leben bedroht. Auch der seit Jahrzehnten schwelende Konflikt mit Toms Bruder Robert spitzt sich zu. Robert ist Großlandwirt in Norddeutschland, sein Land leidet unter der Dürre, er sieht seine wirtschaftliche Existenz bedroht und verliert sich in Verschwörungstheorien.

Doch dann verändert eine nie da gewesene Hitzewelle den lauf der Geschichte. Alleingelassen auf Roberts Hof, kämpft Familie Beyer ums physische Überleben und muss sich ihren Dämonen stellen. Die Trümmer vor Augen, wissen alle, dass etwas geschehen muss … (Klappentext)

Rezension:

Unser Klima verändert sich in einem atemraubenden tempo. Irgendwann wird diese Geschwindigkeit so sehr überhand nehmen, dass wir laufen müssen, um nicht zurückzubleiben. Das erfordert schon heute Maßnahmen im Kleinen wie Großen.

Die wissenschaftlichen und technischen Möglichkeiten stehen uns zur Verfügung, zumindest in den Industrienationen auch das dafür notwendige Know How und Geld. Nur, die politischen Entscheidungsträger agieren zu zögerlich, entweder da sie um die nächste Wiederwahl fürchten oder von Wirtschaft und Lobbyismus getrieben, praktisch wissend der Katastrophe entgegengehen. Nur, wozu führt das?

Der vorliegende Roman aus der Feder des Politikwissenschaftlers und Soziologen setzt einige Jahre danach an, nicht mehr weit, fürchtet man berechtigterweise beim Lesen und führt uns vor Augen, was es bedeutet, wenn alle notwendigen Maßnahmen soweit aufgeweicht wurden und zwangsläufig gescheitert sind, dass auch Mitteleuropa mit den unmittelbaren Wandel des menschengemachten Klimawandels zu kämpfen hat.

Kurzweilig und auf neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen basierend entwirft der Autor ein Szenario, wie es eintreten könnte. Waldbrände an vielen Stellen in Deutschland gleichzeitig, dicht aufeinanderfolgende Dürreperioden, die auch hier Maßnahmen wie das Abstellen und Rationieren von Trinkwasser notwendig machen, flächendeckende Triage in Krankenhäusern, die aufgrund von dehydrierten Menschen vollkommen überlastet sind.

Dies ist der Raum in dem sich die Handlungsstränge dieser modernen Dystopie bewegen. Einerseits verfolgen wir hier dem Weg des Wissenschaftlers, der sowohl auf taube Ohren bei der Politik als auch bei der Öffentlichkeit stößt, die die Wahrheit nicht erträgt, andererseits mit den Dämonen der eigenen Familie. Toms Bruder ist als Landwirt direkt betroffen, bekommt die Auswirkungen unmittelbar zu spüren und leugnet dennoch, was er sieht.

In diesen Sphären bewegen wir uns im Laufe der Geschichte, in der Perspektive von Kapitel zu Kapitel wechselnd. Sehr sachlich ist das immer dann, wenn der Autor einem seiner Hauptprotagonisten praktisch “Fachvorträge” in den Mund legt.

Die Dynamik in der Geschichte entsteht jedoch vor allem durch die Konfrontation der Gegensätze in Form der unterschiedlichen Ansichten der Figuren. Wohltuend ist es, dass sich der Autor nicht nur bemüht hat, eine Seite auszuformulieren. Man kann die Gründe für das Denken der Gegenseite, hier in Figur von Toms Bruder, dadurch zumindest nachvollziehen.

Das gleicht entstandene Längen aus, führt dazu, dass man die spannende Geschichte weiterverfolgt, die innerhalb eines Zeitraums von wenigen Wochen spielt.

Auch das Wechselspiel zwischen den handlungsorten, der weltpolitischen Bühne des Weltklimarats, der Großstadt Berlin und der ländlichen Einöde tragen maßgeblich dazu bei, dass die Erzählung nicht kippt, sondern immer neue Punkte hineinbringt, die auch konsequent weiterentwickelt werden.

Der Autor hat sich in diesem Roman auf wenige Figuren konzentriert, diese auszugestalten, und zeigt dennoch gleichermaßen damit die Dramatik im Großen wie Kleinen gleichermaßen auf, während Nebenfiguren relativ blass bleiben. Diese spielen jedoch auch keine so große Rolle, als dass das entscheidend wäre. Die eine gewichtige Rolle spielenden Gegensätze sind nicht nur anhand dieser aber sehr minutiös ausgearbeitet, gerade das macht die Handlung oder die Entscheidungen der Figuren jedoch glaubhaft.

Mit den Figuren wechselt auch die erzählerische Perspektive. Fakten werden innerhalb der eingearbeiteten Vorträge eingebracht. Alleine für dieses Zusammentragen von Informationen, der plastischen Beschreibung, was dies gerade für Deutschland bedeuten kann, muss man dem Autoren Respekt zollen.

Beim Lesen hat man den Eindruck, dass Hansen immer wieder den Finger in die Wunde legen wollte, um aufzuzeigen, dass das, was heute gar nicht oder nur mit Lethargie angegangen wird, uns eines Tages auf die Füße fallen könnte, und nie dagewesene Maßnahmen erfordern würde. Und dafür ist ein Roman vielleicht die geeignetere Form. Einen solchen liest man eher als ein trockenes Sachbuch.

Der Roman ist mit all diesen Punkten sehr schlüssig, dazu spannend geschrieben. Interessant ist zudem das halboffene Ende, was zwar in seiner Ausgestaltung nicht verraten werden soll, aber auch hier wieder ein Fingerzeig des Autoren und vieler Wissenschaftler darstellt. So könnte es aussehen, wenn wir nicht aufpassen. Bei uns und nicht irgendwo anders auf der Welt, wo uns das “egal” sein könnte. Das wirkt unglaublich stark.

Ab Mitte der Erzählung gewinnt der Roman zudem gehörig an Erzähltempo, welches einem noch mehr in dieses Szenario hineinzieht, als man das zu Beginn des Lesens vielleicht ahnt. So schnell wie die Kapitel hochzählen, passend in Grad Celsius angegeben, die Anzeige des Thermometers klettert unerbittlich, so fix scheinen sich die Befürchtungen des einen Protagonisten zu bewahrheiten, wie auch ein immer bedrohlicher werdender Unterton im Text den Raum einnimmt.

Da das alles in Deutschland spielt und nicht irgendwo anders kann man sich als hier lebender Lesender gut vorstellen, wissen wir doch um staubtrockene Böden in Ostdeutschland, stetig steigende Waldbrandgefahr im Hochsommer oder Niedrigpegel in Flüssen, die für die Binnenschifffahrt oder zum Betrieb von Kraftwerken wichtig sind. Auch wegen Hitze strapazierte Straßen gab es hierzulande ja schon.

Thore D. Hansens Szenario lässt nachdenklich zurück. Möchten wir wirklich so etwas wie dieses erleben oder sollten wir nicht endlich etwas tun, klein im Privaten, groß in der Gemeinschaft. Wer mit wissenschaftlichen Studien nichts anfangen kann, diese schwer zugänglich findet, ist mit diesem wissenschaftlich unterfütterten Roman gut bedient, um Ansätze zu finden, wegen des Warums. Danach ist es vielleicht einfacher, sachlich über das Wie zu diskutieren. Wenn dazu Thore D. Hansens Text beitragen kann, ist viel gewonnen.

Autor:

Thore D. Hansen wurde 1969 geboren und ist ein deutscher Journalist und Schriftsteller. Er studierte zunächst in Hamburg und Boston Politikwissenschaft und Soziologie, bevor er für verschiedene Tageszeitungen und Magazine in Europa zu arbeiten begann. Stationen waren u. a. Deutschland, Österreich und Spanien. Für das Magazin Tomorrow begleitete er den Aufstieg und Fall der New Economy 2001 als Wirtschaftsredakteur, bevor er als Pressesprecher verschiedener Banken arbeitete. Seit 2010 ist er vorwiegend als Schriftsteller tätig. Mitglied des PEN-Zentrums Deutschland ist er seit 2019.

Nach verschiedenen Arbeiten, etwa zu den Geheimdiensten oder zur Hochfinanzkrise, veröffentlichte er 2017 die Einordnung der Biografie Brunhilde Pomsels, welche die Sekretärin Joseph Goebbels gewesen ist. Basierend auf 30 Stunden Interviewmaterial des gleichnamigen Dokumentarfilms (“Ein deutsches Leben”) nimmt er in einen historischen Vergleich Analogien der Gegenwart auf.

Immer wieder verarbeitet Hansen so hochaktuelle und diskutierte Themen in seinen Werken.

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Esther Schüttpelz: Ohne mich

Inhalt:

Sie ist Mitte zwanzig, gerade fertig mit dem Studium und genau so frisch verheiratet wie getrennt. Was tun, nachdem eine erste große Liebe krachend gescheitert ist? Die Erzählerin von Esther Schüttpelz’ Roman sucht. Nach einem Grund für die Trennung. Nach einem Plan für die Zukunft. Nach Freundschaft und nach Nähe und Rausch und Vergnügen. Scharfzüngig, verletzlich und komisch erzählt sie von einem Jahr des Danach und Dazwischen, von der Sehnsucht nach Verbundenheit in einer distanzierten Welt. (Klappentext)

Rezension:

Romane, die Zwischenräume suchen und dabei direkt ins Innerste treffen, was uns zudem macht, was wir sind. Gefühle können uns umher werfen. Davon hat die Erzählerin gerade ganz viele. Nur welche, ob immer wieder andere oder alle gleichzeitig, ist ihr selbst nicht wirklich klar und so entspannt sich in “Ohne mich” ein über weite Strecken innerer Monolog der Verarbeitung, des Bewertens von Vergangenem und nicht zuletzt die Suche nach den zukünftigen Weg.

Wir begleiten die Protagonistin vom Anbeginn eines Entwicklungsprozesses, der nach und nach immer größere Steine ins Rollen bringt. Schwermütig, melancholisch seziert Esther Schüttpelz’ Figur ihre inneren Verletzungen, ist auf der Suche nach Halt. Der gesamte Text ist durchdrängt von der Sehnsucht danach und zugleich nach etwas Neuem. Wie das aussehen soll? Wer weiß das schon? So schwer, wie der Erzählenden oder Monologisierenden diese ersten Schritte fallen, so schwierig ist es, sich einzufinden in den Text. Es braucht, bis man mit dem Erzähltempo warm wird. Das ist zwar nicht mit Mehltau gleichzusetzen, wirkt aber mitunter genau so zäh. Alleine, hier passt es zur Geschichte. Nach und nach enthüllt die Protagonistin die ihre, vor uns Lesende, ihren Mitmenschen und vor sich selbst.

Es ist eine Geschichte vom Vergehen und Enden, vom beschwerlichen Weg zu einem Neubeginn. Manchmal kommt das sehr nüchtern daher, um dann die Lesenden mit allen Gefühlswelten zu konfrontieren, die es gibt. Himmelhoch jauchzend, in kleinen Momenten des Glück. Zu Tode betrübt, die Beziehung hatte doch vielversprechend begonnen, oder? Oder? Sehr kompakt wird der Zeitraum fast eines Jahres aus erzählt. Der Entwicklungsprozess gibt der Protagonistin Konturen. Anfangs kann man diese kaum fassen, findet sie zuweilen unsympathisch oder zumindest nicht einfach. Doch wer mit der Belastung eines Beziehungschaos’ im Hintergrund, eines Trümmerhaufen an Gefühlen, wäre das nicht?

Die Autorin hat sich innerhalb ihrer kompakt wirkenden Kapitel für die Ausgestaltung nur einer Figur entschieden. Alle anderen bleiben verhältnismäßig konturlos. Es braucht sie aber auch über weite Strecken schlichtweg nicht, wenn dann nur, um der Protagonisten den Spiegel vorzuhalten. Selbst der Antipol, die Figur des Exfreundes, bleibt blass, während Schüttpelz das Gefühlsleben der Erzählenden in allen Farben beschreibt. Parallelen übrigens zum Leben der Autorin dürfen dabei nicht fehlen. Auch der Autorin alter Ego ist Juristin (oder werdende) und Musikerin. Wie viel Verarbeitetes ansonsten in der Geschichte steckt, wer weiß das schon?

Aber das schafft eine ehrliche Nähe, in sich verständlich und schlüssig. Spannend ist hier vor allem, wie Schüttpelz den Knoten auflöst, ohne ins Kitschige zu geraten. Nach und nach erfährt man mehr Hintergründe, die gleichsam eines Puzzles am Ende ein komplettes Bild ergeben. An einigen Stellen wird das etwas anders aussehen, als man zu Beginn glaubt. Rückblenden lockern die Melancholie auf, nur um im nächsten Moment neue zu schaffen. Ein Verarbeitungsprozess soll hier dargestellt werden, mit vielen Hindernissen. Man hat dabei nicht das Gefühl zu viel Überflüssiges zu lesen. Fast jedes Wort sitzt und fühlt sich, im Rahmen des Romans, richtig an.

Den Roman als sehr rational denkender Mensch zu lesen, ist aber das eine. Wie ist es, wer sich lesenden von seinen Gefühlen mitreißen lässt? Wo hier der Rezensent über manche Abschnitte nur die Augen rollen kann oder anders, einem Tunnelblick entwickeln und einfach einen neuen Anfang wagen würde, gleichwohl sich manchmal an die Stirn fasst, was macht das mit jene, die sich beim Lesen in die Gefühlswelten der Protagonistin hineinsteigern können? Wie wirkt dann die Erzählung? Wer “Ohne mich” so gelesen hat, möge mir das bitte sagen.

Positiv fallen die klar formulierten Sätze auf, die an einigen Stellen den Rhythmus von Songs haben. Man stelle sich das als Album vor, dessen Titel in einem Club gespielt würden. Oder nein, vielleicht wäre das wiederum zu traurig, zu düster. Durch die Ausarbeitung der Protagonistin kann man sie sich dagegen sehr gut vorstellen, genau so die Umgebung, die mal in den leuchtenden Farben beschrieben wird, mal einfach nur grau bleibt. Dieser Wechsel gibt dann auch das Lesetempo vor.

Nicht nur das Portrait einer jungen Frau, einer Suche liegt hier vor. “Ohne mich” ist vor allem für alle, die sich für Verarbeitungsprozesse interessieren, Figuren, die an ihrer inneren Zerrissenheit leiden und einen Weg finden müssen. Der Roman ist für jene, die vielleicht schon etwas ähnlich Geartetes durchleben mussten, nicht für jene, die gerade in einer Beziehungskrise stecken, möchte man meinen. Dann hätte die Erzählung nochmal eine ganz eigene Wucht. Vielleicht sollte man aber auch nicht allzu nüchtern an die Lektüre rangehen. Dann funktioniert das an einigen Stellen leider nicht. Aber ihr seid ja nicht so.

Autorin:

Esther Schüttpelz wurde 1993 geboren und studierte zunächst Jura in Münster, arbeitete als Rechtsanwältin, bevor sie zu schreiben begann. Zudem schreibt sie eigene Songs und macht Musik. Mittlerweile lebt sie in Berlin. Für ihr Werk “Ohne mich”, erhielt sie den lit.cologne-Debütpreis 2023.

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Michel Bergmann: Mameleben oder das gestohlene Glück

Inhalt:

Großartig und nervtötend, liebevoll und erdrückend, aufopfernd, aber auch übergriffig – Michel Bergmann liebt seine Mutter Charlotte und hält sie manchmal nicht aus. Und erzählt in diesem Buch, in dem er nichts und niemanden schont, die Geschichte einer eigenwilligen, starken Frau: ihre Vertreibung aus Deutschland, der Verlust fast der gesamten Familie, das Glück, ihren künftigen Ehemann wiederzufinden, und dennoch ein Schicksal, bei dem sie allzu oft ganz auf sich allein gestellt ist.

Ein bewegendes Buch über eine faszinierende Frau und Mutter. (Klappentext)

Rezension:

“Woody Allen hat gesagt: Das schlechte Gewissen ist eine jüdische Erfindung. Recht hat er.”

Michel Bergmann: Mameleben oder das gestohlene Glück

“Dafür nun habe ich überlebt.”, so oder ähnlich klingen die Vorwürfe, die sich Michel Bergmann Zeit seines Lebens anhören muss, aus dem Munde derjenigen, die ihm am nächsten stehen sollte. Das tut sie auch, doch das Leben spielte der Mutter, wie allzu vieler ihrer Generation übel mit. Geschehnisse, die lange danach noch Wirkung zeigen, in den Familien übergreifend. Der Autor schaut, Jahre nach dem Tod, zurück, sucht die Wegmarker und Wendepunkte und damit, seine Mutter mehr zu verstehen als er es zu ihren Lebzeiten konnte. Entstanden ist eine Mischung aus Romanbiografie, Familienepos, Ode und Psychogram, hart zu der Frau, die er zu seiner Hauptprotagonistin macht, aber auch sich selbst nicht schonend.

Der Filmemacher weiß sich unterschiedlicher Genre zu bedienen und setzt deren Elemente gekonnt um. Der Handlungsverlauf gleicht im Spannungsverlauf eben dem eines guten Films, während dessen er sich an den biografischen und neuralgischen Punkten des Lebens seiner Mutter entlang hangelt. Zuweilen ist das fast wie ein Krimi zu lesen, aber eben in Romanform erzählt Michel Bergmann liebevoll aus dem Leben seiner Mutter. Ihre und seine Perspektive sind die bestimmenden Elemente, die Abwechslung in diese kurzweilige Erzählung bringen. Die Kapitel sind benannt nach den einzelnen Stationen dieser bewegten Biografie, bei der man immer wieder innehalten muss. Um zu schmunzeln, laut loszulachen, auf das einem das Lachen im nächsten Moment im Halse stecken bleibt.

Erzählt wird die Geschichte der Mutter über die gesamte Lebensspanne, konzentriert auf die neuralgischen Punkte. Der Autor könnte noch viel mehr erzählen, doch beherrscht er des Berufs wegen die Kunst des Reduzierens. Auf die Leinwand kann man schließlich auch nicht alles bringen, was man gerne möchte. Überflüssige Zeilen gibt es hier auch zwischen den Buchdeckeln nicht. Dabei lässt Michel Bergmann die unterschiedlichsten Handlungsorte vor dem inneren Auge entstehen. Wir folgen der Protagonistin, deren Ansichten sich über die Jahre verhärten werden, in der Rückschau wird das Schicksal sie verbittern lassen, durch Deutschland in seiner schlimmsten, später auch in seiner besten Zeit, in die Schweiz und nach Frankreich. Wenige Worte genügen hier manchmal, um ganze Welten lebendig erscheinen zu lassen.

Hauptfiguren bilden der Erzähler selbst und seine Protagonistin, die wie zwei gegensätzliche Pole einander abstoßen, aber doch nicht ohne einander können. Diese Konstellation kommt aber auch bei den Nebencharakteren zum Tragen, doch während der Sohn mit dem Abstand der Generation das Konfliktpotenzial sieht und zu bewältigen weiß, kann sich die Mutter nicht davon befreien.

“Und die Ingredienzen dieses neuen Lebens durch Überleben haben nicht nur psychische Schäden verursacht. Sie haben Krankheiten und Todesursachen provoziert und letztlich auch die Gene verändert, die an uns weitergegeben wurden. Bis heute werden die Auswirkungen dieser schweren, lebensbedrohlichen Jahre der Schoah unterschätzt. Wir alle wären andere. Und unserer Kinder ebenfalls. Davon bin ich zutiefst überzeugt.”

Michel Bergmann: Mameleben oder das gestohlene Glück

Brüche in der Erzählung ergeben sich durch die Protagonisten selbst, nicht zuletzt durch den Erzählenden, der zwischen den Zeiten springt, um damit andere Punkte dieser Geschichte unterfüttern. Im Lesefluss selbst ist das keinesfalls störend. Es ergibt sich sogar eine gewisse Dynamik und ein Erzähltempo, welches es verhindert, dass man vollends in nicht enden wollende Melancholie hinabstürzt, aus der man nicht wieder hinausfinden würde. Dem Lesenden wachsen die Figuren mit all ihren Ecken und Kanten ans Herz. Vielleicht sollten wir alle uns die Geschichte unserer Eltern anschauen, mag man hinterher meinen, um sie zu begreifen, um sich selbst besser zu verstehen.

Der Autor weiß die Wirkung von Sätzen und sprachlichen Bildern zu nutzen, setzt sie gekonnt und nicht über die Maßen ein, setzt damit seiner Mutter, die er zur Hauptprotagonistin macht, ein Denkmal, nicht ohne dieses selbst zu hinterfragen. Immer wieder steht die Frage im Raum, was wäre wenn, um im gleichem Atemzuge beantwortet zu werden, mit: “So. Und nicht anders.” Diesem Stil kann man sich nicht entziehen, möchte man auch nach wenigen Seiten schon nicht, trotz einer Figur, die in Teilen unnahbar, manchmal fast unangenehm bleiben wird.

“Ich lehne mich zurück, atme tief durch. Was für eine Geschichte! Meine Mutter ist aber auch schrecklich. Ich muss lachen. Ich liebe sie.”

Michel Bergmann: Mameleben oder das gestohlene Glück

Es ist ein Buch über ein Blick hinter die Fassade eines Menschen und auch die Suche des Autoren nach sich selbst. Am Ende scheint Michel Bergmann auf viele seiner Fragen Antworten gefunden zu haben. Diesen Weg zu verfolgen, durch sprichwörtlich viel zu viele und zu tiefe Täler, immer wieder aber auch Berge des Glücks, okay, das klingt jetzt kitschig, war interessant und lesenswert. Gelernt hat man am Ende auch etwas dabei und sei es nur eine ganze Reihe jüdischer Ausdrücke und Begrifflichkeiten, die Bergmann am Ende des Romans, der eigentlich eine Biografie, eine Suche und auch sonst darstellt, erläutert. Ein Text der so viel schafft, den Autoren sicherlich und nicht zuletzt, die Lesenden selbst herausfordert, den kann man nur empfehlen.

Autor:

Michel Bergmann wurde 1945 in Basel geboren und ist ein schweizerisch-deutscher Filmproduzent, Regisseur und Schriftsteller. Nach dem Studium absolvierte er eine Ausbildung bei der Frankfurter Rundschau und war anschließend als freier Journalist tätig.

Später wechselte er in die Filmbranche und arbeitet seither als Drehbuchschreiber, Regisseur und Produzent. Sein erster Roman wurde im Jahr 2010 veröffentlicht, weitere folgten, 2021 seine erster Kriminalroman. Er erhielt u. a. den Deutschen Industriefilmpreis und den New York Film Award.

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Banana Yoshimoto: Kitchen

Inhalt:

Als Mikage ihre Großmutter verliert, ist sie vollkommen allein in der großen Wohnung. Nur in der Küche, wo sie das Brummen des Kühlschranks in den Schlaf wiegt, kommt sie zur Ruhe. Aus ihrer Einsamkeit holt sie Yuichi. Er schlägt ihr vor, zu ihm und seiner Mutter zu ziehen. Denn Eiriko, die wunderschöne “Mutter” Yuichis, hat eine schillernde Vergangenheit. (Klappentext)

Rezension:

Wer sich vom Klappentext leiten lässt, kommt darin um. Die Inhaltsangabe passt zu einer Geschichte, etwas weiter gefasst zu zwei Erzählungen, jedoch nicht die Handlung derer drei, die in dieser Kurzromansammlung zusammengefasst wurden. Eine Sammlung ist dies, von Texten unterschiedlicher Entstehungszeit, jedoch aus den Jahren, in denen sich die japanische Autorin Banana Yoshimoto noch neu an das Schreiben und Erzählen herangewagt hat.

Doch schon hier werden die großen Themen der Kunst, der Literatur und des Lebens behandelt. Um letzteres geht es auch, genau so wie um Tod, Trauer und den steinigen Weg der Verarbeitung, den man nie ganz verlassen können wird, besonders wenn man einen geliebten Menschen verloren hat.

Alle drei Erzählungen sind für sich genommen kompakt und werden nur durch die Themen zusammengehalten, können jedoch als Einzelwerk gut wirken. Eines mehr als die anderen. In dieser Zusammenstellung wirkt der Mittelteil am schwächsten und verschwimmt mit zunehmender gelesener Zeilenanzahl der dritten Erzählung. Das Lesen hintereinanderweg, wie dies mit einem Großteil der westlichen Literatur funktioniert, ist hier nicht möglich.

Es lohnt sich immer wieder innezuhalten, einzelne Abschnitte, die so kunstvoll geschrieben sind wie ein Gemälde, auf sich wirken zu lassen. Zu erwähnen ist aber auch, dass andere Sätze aber mit der Holzhammermethode aufzeigen, dass sich dahinter noch verschiedene Ebenen verbergen. Ob man die allerdings greifen kann, hängt davon ab, wie viel Erfahrungen man schon mit dieser Art von Texten gesammelt hat.

In allen Erzählungen beschränkt sich die Autorin auf wenige Figuren und einer überschaubaren Anzahl von Perspektivwechseln, die sehr gewählt gesetzt sind, jedoch manche Länge haben entstehen lassen. Das ist schade, denn dem Zugang zu den Geschichten ist dies nicht unbedingt zuträglich.

Auch wirken manche Szenarien wie durch einem Nebelschleier, wenn man auch anerkennen muss, dass die Autorin durchaus gesellschaftliche und literarische Grenzen mit ihren Erzählungen in Japan aufgebrochen hat. Das sagt uns zumindest ein einordnendes Nachwort, hier von Giorgio Amitrano. Unbedingt notwendig für jene, die noch nie etwas von der Autorin gelesen haben oder gar mit Yoshimoto einen Einstieg in die japanische Literatur versuchen möchten. Von Letzteren würde ich allerdings abraten.

Wenn man sie einmal zu fassen bekommt, zerrinnen einem die Figuren im nächsten Moment wieder zwischen den Fingern. Mitfühlen fällt jedoch leichter, wenn man ähnlichen Verlust schon einmal erlebt hat oder benennen kann. Anders ist es schwer, auch wenn man allgemein Probleme damit hat, Gefühl zu beschreiben, zu benennen. Hier hätte vielleicht ein etwas anderer Schreibstil gut getan, was aber auch an der Übersetzung selbst liegen kann.

Spannend ist es für jene geschrieben, denen das Sezieren von Gefühlswelten liegt, große Überraschungen bleiben jedoch auch dann aus. Die braucht es dann jedoch auch nicht.

Wer die Kurzgeschichten wirklich als solche liest und nicht hintereinanderweg schmökert, sondern zwischendurch innehält, gewinnt dadurch mehr. Daher empfiehlt es sich, zwischendurch eine Pause einzulegen. Das sollte man aber vielleicht vorher wissen.

Nun denn, ihr wisst das jetzt. Vielleicht ist euer Urteil dann milder.

Autorin:

Banana Yoshimot ist das Pseudonym der japanischen Autorin Mahoko Yoshimoto. Geboren wurde sie 1964 und studierte nach der Schule japanische Literatur. Für ihre Abschlussarbeit bekam sie 1986 den Dekanspreis ihrer Universität. ein Jahr später für ihre Erzählung “Kitchen” den 6. Kaien-Literaturpreis für Debütanten. Weitere Werke folgten, die mehrfach ausgezeichnet und übersetzt wurden.

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Barbara Constantine: Kleiner Tom, was nun?

Inhalt:

Tom ist elf Jahre alt. Mit seiner viel zu jungen Mutter Joss wohnt er in einem alten Wohnwagen, und weil Joss abends gerne ausgeht, sich verliebt und mit Freunden wegfährt, ist Tom oft allein. Sein Essen klaut er in den Gemüsegärten der Nachbarschaft. Hier rupft er eine Karotte aus der Erde, dort eine Kartoffel. Aber er ist sehr vorsichtig.

Sorgfältig beseitigt er seine Spuren, steckt die Pflanzen zurück in die Erde und buddelt die Löcher wieder zu. Eines Abends, als er einen neuen Garten betritt, um etwas zu essen zu suchen, stolpert er beinahe über die dreiundneunzigjährige Madeleine, die zwischen ihren Kohlköpfen liegt und weint. Tom nimmt sich ihrer an, denn ehrlich gesagt: Zusammen ist man weniger allein … (Klappentext)

Rezension:

Wie schön sind doch Erzählungen, in denen nichts aber eigentlich ganz viel passiert. Als solche entpuppt sich der Roman der französischen Autorin Barbara Constanine, den man nichtsahnend aufschlägt, um sofort in eine liebevolle Geschichte hinein zu geraten.

Lesend folgt man den Fußspuren des kleinen Hauptprotagonisten, der eine viel zu große Last auf seinen schmalen Schultern tragen muss. Tom streift durch die Gärten der Nachbarschaft, um die für seine Mutter und sich ohnehin unregelmäßigen und kargen Mahlzeiten zu ergänzen. Ohne es zu wissen, sind seine Erkundungsgänge schon längst entdeckt. Nicht dies, auch nicht gefundene Möhren oder die Katze der Nachbarn lassen ihn eines Abends aufschrecken. Eine ältere Frau liegt hilflos in ihrem Garten. Tom hilft ihr auf und setzt damit unwissentlich Veränderungen in Gang.

Diese Geschichte ist unter den Deckmantel einer reinen Erzählung zum Wohlfühlen mehr als es Klappentext oder Verlagsinhaltsangabe hergeben, hat es die Autorin doch geschafft auf wenigen Seiten so viel anderes umzubringen. Die Entwicklung einer Mutter-Sohn-Beziehung in vertauschten Rollen, hier ist eindeutig der Kleine der Große, ebenso wie eine anrührende Coming-of-Age-Geschichte sind hier zu finden, ein Roman über Freundschaft und Familie, Veränderungen.

Der Roman spielt in einem nicht näher benannten Zeitfenster, doch dürfte der Handlungsstrang nicht mehr als über ein paar Wochen hinausgehen. Das reicht der Autorin dennoch, um vor allem ihren Hauptprotagonisten Konturen zu geben. Andere Figuren werden im Laufe der Handlung nur soweit ausgearbeitet, wie es zur Erzählung beiträgt, doch hat man gegen Ende das wohltuende Gefühl, nichts zu vermissen. Hier ist weniger mehr, stattdessen Konzentration aufs Wesentliche. Antagonisten braucht Constantine nicht, um zu zeigen, was der Titel des Werks impliziert, welches Susanne van Volxem liebevoll ins Deutsche übersetzt hat.

“Kleiner Tom, was nun?”, wird innerhalb der Kapitel per Perspektivwechsel zwischen den Figuren erzählt. Misslungene Sprünge oder störende Wechsel fehlen, auch das Erzähltempo bleibt nahezu die gesamte Geschichte über unverändert. Vielleicht kann man, außer die Gefahr in Kauf zu nehmen, ins Kitschige zu geraten, was die Autorin umgangen hat, bei dieser Art von Erzählung auch nicht viel falsch machen. Man bleibt dabei, nicht weil es so sehr spannend wäre, was man da vor sich hat, es ist einfach wie etwas, was man konsumiert, um sich hinterher besser zu fühlen. Ohne dafür negative Seiten in Kauf nehmen zu müssen.

Sprachlich ist das alles kein großer Wurf, ein Roman für Zwischendurch ohne besonderen Anspruch. Es genügt, dass man sich in den Hauptprotagonisten hineinversetzen, die Tomaten, die er mopst, förmlich greifen kann, den Hunger spürt, aber auch das Wechselspiel zwischen den Figuren beobachtet. Mehr möchte man dann auch nicht. Vielleicht ein wenig von der Tom Tomatensoße? Das würde schon reichen.

Es ist eine einfache Geschichte für Zwischendurch, um den Kopf frei zu bekommen, aber auch sich berühren zu lassen. Die Welt durch Kinderaugen ist nicht immer einfach, aber manchmal dadurch ein wenig besser.

Autorin:

Barbara Constantine wurde 1955 geboren und ist eine französische Drehbuchautorin, Töpferin und Schriftstellerin.

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Erri de Luca: Die Stadt antwortete nicht

Inhalt:

Von seiner neapolitanischen Kindheit, von wortkargen Fischern, von der Entdeckung der Natur handeln Erri de Lucas Erzählungen; von seinen Jahren als Arbeiter auf dem Bau, seinem politischen Kampf gegen den Klassismus; von der Liebe und dem Heiligen, der Literatur und den Bergen. In seiner behutsamen Prosa lässt der große italienische Autor Erinnerungen lebendig werden und beleuchtet schlaglichtartig die Etappen eines bewegten Lebens. (Klappentext)

Rezension:

Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um. Wer vom Gewohnten abweicht, dem kann das ebenfalls passieren. Dies zeigt der neue Kurzroman aus der Feder von Erri De Luca, der zunächst wie gewohnt mit durch seine Kindheit biografisch angehauchten Episoden beginnt.

Hier zeigt sich der Autor in Bestform, wenn er den Staub der Erinnerung aufwirbelt und seine Klassenkameraden noch einmal einen Aufstand gegen die Lehrerschaft proben, noch bevor gesellschaftliche Revolten sich auch im südlichen Europa ihren Platz im Bewusstsein der Gesellschaft erobern. Im Gegensatz zu seinen erprobten Texten, bleibt De Luca hier jedoch nicht dabei. Es ist diesmal keine Coming of Age Geschichte, die hier mit “Die Stadt antwortete nicht” vorliegt. Im Gegenteil, der Schreibende ist hier vom Erwarteten abgewichen und spannt den Bogen, lässt seinen Protagonisten wachsen. Protest, Wandel und Suche bestimmen dessen Leben, an dessen Ende der zurückblicken wird.

In gewohnt kompakter Form gelingt diese Sammlung von Erzählungen, die zwischen den Zeiten springen und so wirken, als hätten sie bisher für keinen Roman genügt, wie sie der Autor sonst erschafft. Es fehlt hier ein verbindendes Schlüsselereignis, die Konzentration auf einem kleinen Zeitausschnitt, was die Texte Erri De Lucas sonst so besonders macht, wenigstens ist die Tonalität unverändert. Ruhig wirkt das Erzählte, südeuropäische Gelassenheit oder die Milde des Alters, in welchem man auf Vergangenes zurückblickt.

Der Protagonist, beinahe sicher mit dem Autoren gleichzusetzen, was bei den vorherigen Romanen nicht immer ganz so klar ist, welchen Anteil der Biografie der Schreibende eingewoben hat, bleibt gleich, der erzählte Zeitabschnitt ändert sich. Beinahe scheint es, als würde man einzelne Fotos oder Zeitabschnitte in die Hand bekommen, dazu die passende Geschichte erfahren.

Das genügt, um Bilder vor dem inneren Auge entstehen zu lassen, die Gassen der italienischen Stadt am Fuße des Vesuvs, den Geruch betriebsamer Baustellen, aufgewirbelter Staub im Klassenzimmer. Große Überraschungen sucht man hier vergebens, trotz der Sprunghaftigkeit. Das Phänomen, nach Kindheit, nach Ereignissen anderer Leben zu fragen und immer wieder die gleichen Geschichten erzählt zu bekommen, die sich im Laufe der Zeit zu Familienlegenden entwickeln, kennen doch, in irgendeiner Art und Weise alle. So wirkt diese Aneinanderreihung, in die man dennoch versinkt.

Eventuell ist es vielleicht sogar klug, zuerst diesen Erzählband sich vorzunehmen und dann die anderen Geschichten, die in vielen Teilen fiktionaler und nach einem erprobten Schema geschrieben wurden. Dort kommt eher Ruhe hinein, da die Sprünge fehlen und man wird nicht sofort nach einigen Kapiteln wieder aus dem Gelesenen gerissen. Auch sind diese Texte stärker, da kleinere Zeitabschnitte ausgedehnt werden und nicht so viele Jahre auf so wenig Seiten untergebracht werden, wie in dieser Erzählung. Nichts destotrotz kommt man hiermit der Biografie Erri De Lucas wohl am nächsten, sowie einem Italien im Wandel.

Immerhin für diese Perspektive lohnt sich das dann.

Autor:

Erri De Luca wurde 1950 in Neapel geboren und ist ein italienischer Schriftsteller und Übersetzer. In zahlreichen Berufen arbeitet er zunächst und engagierte sich für Hilfslieferung während des Jugoslawien-Krieges. Autodidaktisch brachte er sich mehrere Sprachen bei, u.a. Althebräisch, womit er einige Bücher der Bibel ins Italienische übersetzte. 1989 veröffentlichte er sein erstes Buch. Im Jahr 2013 erhielt er den Europäischen Preis für Literatur, drei Jahre später den Preis des Europäischen Buches. Seine Erzählungen wurden mehrfach übersetzt. Der Autor lebt in Rom.

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