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Anne Mette Hancock: Heloise Kaldan 2 – Narbenherz

Bücher der Reihe:

Anne Mette Hancock: Heloise Kaldan 1 – Leichenblume

Anne Mette Hancock: Heloise Kaldan 2 – Narbenherz

Anne Mette Hancock: Heloise Kaldan 3 – Grabesstern

[Einklappen]

Inhalt:

Kopenhagen: Investigativ-Journalistin Heloise Kaldan hat gerade eine Recherche zu traumatisierten Soldaten begonnen, als sie eine persönliche Entscheidung treffen muss über Leben uns Zukunft. Noch bevor sie irgendetwas tun kann, erfährt sie vom Verschwinden eines zehnjährigen Jungen.

Vor Ort trifft Heloise ihren guten Freund Kommissar Erik Schäfer, der in dem Fall ermittelt. Die Spuren zu dem Jungen sind verwirrend, nichts passt zusammen. Heloise versucht, Erik Schäfer zu helfen, das entscheidende Muster zu erkennen. Und begegnet ihren innersten Dämonen.
(Klappentext)

Rezension:

Das Verschwinden des eigenen Kindes, es ist die Urangst aller eltern und doch geschieht es am hellichten Tage vor einer Kopenhagener Schule. Vom zehnjährigen Lukas fehlt plötzlich jede Spur. Die Hinweise, die es gibt, führen ins Leere oder passen nicht zusammen.

So hatte sich Kommissar Erik Schäfer die Rückkehr aus seinem Urlaub nicht vorgestellt und auch Heloise Kaldan, Invesitigativ-Journalistin Heloise Kaldan, die mit ihrer derzeitigen Artikelrecherche zu traumatisierten Soldaten kaum vorankommt, zudem mit privaten Problemen zu kämpfen hat, wird auf die Vorkommnisse aufmerksam, weiß zunächst jedoch ebenfalls nicht weiter. Beide sind beunruhigt, erkennen zunächst keine Zusammenhänge. Was haben sie übersehen? Nur eines wissen sie zu gut.

Bei verschwundenen Kindern zählt jede einzelne Minute.

Der zweite Band um die Journalistin Heloise Kaldan und Kommissar Erik schäfer führt uns erneut in die dänische Hauptstadt und wartet mit einem spannenden Auftakt an, dessen Moment sich bis zum Ende halten wird. Tatsächlich ist hier gar nichts mehr vom melancholischen Mehltau früherer skandinavischer Krimis zu spüren.

Die Autorin legt einen kompakten Schreibstil an den Tag, mit relativ hoher Schlagzahl und ebenso vielseitigen Perspektivwechseln. Konzentriert ist alles auf zwei Erzählstränge, die zunächst verhältnismäßig parallel verlaufen, sich hin und wieder kreuzen und später langsam zusammengeführt werden.

So wird die Sichtweise der beiden Hauptprotagonisten herausgestellt, die den Fall aus den verschiedenen Blickwinkel ihrer beruflichen Vorgehensweisen betrachten und somit Schritt für Schritt die verschiedenen Puzzelteile aufdecken, schließlich zusammensetzen.

Das funktioniert auch, wenn man den Auftakt, der bisher auf drei Teile angelegten Reihe, nicht gelesen hat. Die privaten Zusammenhänge und Zwischenmenschlichkeiten werden ohne sich aufzudrängen erklärt bzw. erschließen sich beim Lesen. Der Fall selbst kann, wie üblich, unabhängig gelesen werden. Bezeichnend ist hier, dass es die Autorin schafft, eine Vielzahl von Themen in Zusammenhang zu bringen und dabei keines bis zum Ende aus den Augen zu verlieren.

Der Umgang mit traumatisierten Soldaten durch Staat und Gesellschaft wird ebenso thematisiert, wie die Schludrigkeit der Behörden im Umgang mit Eltern und deren Kindern. Zuweilen ist dies harter Tobak, Hancock webt jedoch daraus eine geschichte mit unvorhersehbaren Wendungen und einem Figurennetz, welches einem mehr als einmal auf die falsche Fährte bringt.

Das Privatleben der beiden Hauptprotagonisten ist hier Beiwerk und wird genutzt, um manches Handeln der Personen zu erklären, nicht jedoch, um das Gesamtwerk ins Kitschige zu ziehen, was diesen Krimi, für einen Thriller ist die psychische Spannungslage dann doch ein wenig dünn, wohltuend von anderen abhebt.

Autorin:

Anne Mette Hancock wurde 1979 geboren und ist eine dänische Schriftstellerin. Sie studierte Geschichte und Journalismus in Roskulde, bevor sie als freie Journalistin für Tageszeitungen und verschiedene dänische Magazine im Lifestyle-Bereich arbeitete. Nach Aufenthalten in Frankreich und den USA lebt sie mit ihrer Familie in Kopenhagen. Ihre Thriller wurden bereits mehrfach übersetzt und ausgezeichnet.

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Kyle Perry: Die Stille des Bösen

Inhalt:

Das Verschwinden einer Gruppe Teenager in der abgeschiedenen Wildnis der tasmanischen Berge versetzt das Städtchen Limestone Creek in Alarmbereitschaft. In den Achtzigern sind hier schon einmal junge Mädchen verschollen, und die Legende des Hungermanns verfolgt die Gemeinde noch immer.

Als schließlich die übel zugerichtete Leiche eines der Mädchen am Fuß eines Berges gefunden wird, fällt der Verdacht auf wilde Tiere. Doch Detective Badenhorst ist skeptisch – warum ist die Leiche barfuß? Und wie kommen ihre Schuhe auf den Gipfel des Felsens, fein säuberlich zugeschnürt? (Klappentext)

Rezension:

Jeder Ort hat seine ihm ganz eigenen Geheimnisse und nicht alle legen wert darauf, entdeckt zu werden und so quält sich ein kleiner Ort inmitten Tasmaniens mit der grausigen Legende des Hungermanns, der der Meinung der Einheimischen nach, in den 1980er Jahren mehrere Mädchen hat verschwinden lassen. Als plötzlich erneut mehrere Teenager verschwinden und die Geister der Vergangenheit geweckt zu sein scheinen, werden Ereignisse von ungeheurer Tragweite in Gang gesetzt.

Er hockt in den Bergen versteckt, um zu töten.
Er hockt in den Höhlen versteckt, um zu warten.
Der Hungermann, der Hungermann,
er steht auf kleine Mädchen,
auf die hübschen Gesichter aus unserem Städtchen.
Glaub ja nicht, was die Erwachsenen sagen,
der Hungermann wird’s wieder wagen.
Drum geh ich da oben nie allein durch den Wald,
sonst kommt der Hungermann und macht mich kalt.

Kyle Perry: Der Hungermann

So beginnt das Thriller-Debüt des australischen Sozialarbeiters Kyle Perrys, der seine Leserschaft in die magische und auch harte Welt der größten Insel Australiens mitnimmt und auf eine Berg- und Talfahrt sondergleichen schickt. Dabei hält sich der Autor nicht großartig mit einer ausführlichen Einführung der Protagonisten auf. Zu umfangreich ist die Seitenzahl.

Man wird später noch genug Zeit haben, die Charaktere kennen zu lernen. Die Geschichte beginnt sofort mit der auslösenden Handlung und setzt sich in einem immer höheren Erzähltempo fort. Der Schreibstil wirkt zunächst hölzern, je mehr die Protagonisten durch Perry geformt werden, um so feingliedriger jedoch wird die Handlung, die aus Sicht der Charaktere kapitelweise erzählt wird.

Dabei hat sich der Autor viel vorgenommen. Erzählt wird von der Eigensinnigkeit der Kleinstadtbewohner ebenso, wie von den Gegensätzen zwischen Einheimischen und Fremden, ganz normalen Teenager-Problemen und Erscheinungen unserer Zeit in ihren schrecklichsten Formen. Das funktioniert, da Perry in seinem Debüt nichts an Schilderungen ausspart, die Handlung jedoch nur gerade so ausbreitet, wie es notwendig ist, den Geschehnissen zu folgen und ansonsten bis beinahe zum Ende im Unklaren zu bleiben.

Die Protagonisten sind mit Ecken und Kanten versehen, bleiben fast durchgehend glaubwürdig. Nur zum Ende hin wirkt die Geschichte eine Spur zu dick aufgetragen. Da merkt man das Debüt dann doch, ansonsten wird ein Spannungsbogen von Beginn an gezogen, den man mit leichtem Schauer verfolgt. Pluspunkt, Perry bleibt in seinen Schilderungen von Gewalt zurückhaltend, setzt diese nur dort, wo es für die Handlung notwendig und folgerichtig erscheint. Ansonsten ist „Die Stille des Bösen“ ein Psychothriller mit hohem Kriminalromananteil.

Wem dies liegt, kann sich gerne auf die Spuren des Hungermanns begeben. Mit aller Vorsicht.

Autor:
Kyle Perry lebt in Tasmanien und arbeitet als Therapeut und Sozialarbeiter in verschiedenen Highschools, Jugendeinrichtungen und Entzugskliniken. Er stammt aus der Gegegnd der Great Western Tieras, die in seinem Debüt eine bedeutende Rolle spielen. “Die Stille des Bösen” ist sein Erstlingswerk.

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Andreas Moster: Kleine Paläste

Inhalt:

Mehr als dreißig Jahre haben sich die früheren Nachbarskinder Hanno Holtz und Susanne Dreyer nicht gesehen. Als jugendlicher verließ Hanno die heimatliche Kleinstadt urplötzlich, nun ist er zurückgekehrt, um sich nach dem Tod der Mutter um den Vater zu kümmern. Unsicher streift er durch eine Welt, die im näher und fremder nicht sein könnte. Susanne sieht ihm dabei zu.

Seit Jahrzehnten hat sie das Haus der Familie Holtz nicht aus den Augen gelassen. Als sie Hanno ihre hilfe anbietet, treffen Erinnerungen an ein Fest im Sommer 1986 aufeinander. Niemand blieb damals unversehrt – und niemand kann nun verhindern, dass immer mehr Licht durch die Risse der kleinen Paläste dringt. (Klappentext)

Rezension:

Das Haus herausgeputzt, den Sohn vor versammelter Nachbarschaft dazu angetrieben, sein Instrumentenspiel vorzuführen. Schiefe Töne, schiefe Blicke. Des Nachbarsmädchens und der Nachbarn, jene Gemeinschaft, die sich allesamt näher sind als sie glauben und doch wie Geier einander umkreisen. Nur keine Schwäche zeigen. Nur die Fassade wahren. Keinen Blick dahinter zulassen.

Der Übersetzer und Schriftsteller Andreas Moster hat sie geschrieben, diese Erzählung, die nach und nach unter die Haut geht, niemanden unberührt lässt. Es ist ein leiser Roman, zumindest zu Beginn beinahe unscheinbar. Langsam ist das Erzähltempo, doch schon die ersten Kapitel fordern die Lesenden heraus.

Perspektiven wechseln ebenso abrupt, wie Zeitebenen, ohne dass dies besonders gekennzeichnet wäre. Nur in der Draufsicht bemerkt man, wer wen beobachtet. Erinnerungen werden aus der Sicht der Protagonisten, alles kreist um die beiden Hauptfiguren, die nach und nach das Puzzle der Vergangenheit freisetzen, klarer.

Dieser Gesellschaftsroman zeigt die typische Dynamik einer Kleinstadt auf, in der alle einander zu kennen glauben und doch, einmal aufgedeckt, nichts mehr ist, wie es mal war. Die Fallhöhe der Protagonisten, in die der Autor mit immer schnelleren wechseln, die jedoch allesamt nachvollziehbar bleiben, ist unglaublich hoch.

Die Lesenden beobachten, was über Jahrzehnte zwischen den beiden Hauptfiguren unausgesprochen bleibt. Als würde man direkt in deren Umgebung sein und einem Konflikt beiwohnen, der nur sie etwas angeht. Hölzern, fast linkisch, scheu begegnen sie sich zunächst und spielen sich ein. Ein Team wider Willen und doch willens. Mit inneren ungelöst aufgestauten Konflikten.

Sprachlich ist das so unscheinbar ausgearbeitet, dass einzelne Sätze einem mit einer Wucht überfallen, die man nicht erwartet, die einem nachdenklich werden lassen. Was wäre, wenn Unaussprechliches in unserer unmittelbaren Nachbarschaft geschehen würde?

Was würde passieren? Wie würden Verhältnisse sich neu ordnen? Welche Bindungen wären nicht mehr zu kitten? Was wäre für immer zerstört? Wie hätte man eingreifen, bestimmte Dinge verhindern können? Große Fragen, die Protagonisten beginnen zu Beginn der Geschichte die Verarbeitung.

Jeder Handgriff am pflegebedürftigen Vater Hannos, jeder Handgriff am renovierungsbedürftigen Elternhaus steht symbolisch dafür. Der leise Schrei, der hätte laut sein sollen, aber nie die Chance dazu hatte, so zu werden. Andreas Moster ist das Kunststück gelungen, dies auf Papier zu bringen.

Autor:

Andreas Moster wurde 1975 in der Pfalz geboren und ist ein deutscher Übersetzer und Schriftsteller. Zunächst studierte er Englische Philologie, Geschichte und Kommunikationswissenschaften und arbeitete danach als freier Übersetzer. 2017 erschien sein erster Roman “Wir leben hier, seit wir geboren sind”. Er lebt mit seiner Familie in Hamburg.

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Ariel Magnus: Das zweite Leben des Adolf Eichmann

Inhalt:
Ein Roman aus der Perspektive Adolf Eichmanns über seine Zeit in Argentinien.

Mit beißendem Spot nimmt uns Ariel Magnus mit ins Innere des unbelehrbaren Nazis, dessen antisemitischer Irrglauben auch im argentinischen Versteck ungebrochen war und der dort bar jeder reue und völlig unbehelligt von einer Rückkehr nach Deutschland träumen konnte – bis zu seiner Verhaftung 1960.
(Klappentext)

Rezension:

Buenos Aires, 11. Mai. Ein Mann, seit fünfzehn Jahren auf der Flucht. Dann geht alles sehr schnell. Die Überwältigung und Entführung Adolf Eichmanns durch Agenten des israelischen Geheimdiensts Mossad im Jahr 1960 sorgte weltweit für Aufsehen.

Einem der größten Schreibtischtäter und Organisatoren des Holocausts sollte der Prozess gemacht und einem gerechten Urteil zugeführt werden. Seit 1950 versteckte sich der Bürograt des Todes, der einst die Deportationszüge in die Konzentrationslager organisierte und bei der berüchtigten Wannsee-Konferenz Protokoll führte, in Argentinien, unter falschen Namen, von den Geheimdiensten mehrerer Staaten schon länger beobachtet.

In Tel Aviv vor Gericht gestellt, plädiert der Mann, der sich als bloßer Befehlsempfänger sieht, auf „Nicht schuldig!“. Eichmann zeigt keine Reue und wird wegen seiner Taten zum Tode verurteilt. So viel zu den tatsächlichen Geschehnissen, doch wie kam es zu der Entdeckung des Mannes, der sich so lange einer gerechten Strafe entziehen konnte?

Wie lebte, was dachte der Mann, der Millionen von Menschen auf dem Gewissen hatte? Der Journalist und Schriftsteller Ariel Magnus hat einen Blick hinter der Fassade versucht. Dabei ist ein Roman entstanden, den man sich kaum entziehen kann.

Es ist eine Qual, in die Geschichte einzufinden, da gleich von Beginn an aus der Perspektive Eichmanns erzählt wird. Die Sicht eines Mannes, der verdrängt, wird eingenommen, nichts schlechtes an seinen Taten und Entscheidungen sehen will und sich dennoch ständig vor Familie und anderen Untergetauchten, nicht zuletzt vor sich selbst rechtfertigt. Dabei wirken die Sätze so spröde und starr, wie man sie nur einem Bürokraten angedeihen lassen kann, nicht leicht zu lesen.

Ariel Magnus hat es geschafft, dass immer eine gewisse Distanz zum Hauptprotagonisten gehalten wird, zugleich jedoch unwillentlich fasziniert ist von dieser Figur. Dabei bleibt der Autor sehr dicht an verbürgten Geschehnissen, Ergebnis intensiver Rechercheleistung. Ein paar Dialoge mögen der schriftstellerischen Phantasie entsprungen sein, der Rest lässt sich anhand von Protokollen etwa, Beobachtungen oder Tonbandaufnahmen aus dieser Zeit verifizieren.

“Erstens muss ich Ihnen sagen, mich reut gar nichts”, sagte er, auch wenn er vorgehabt hatte, das am Ende zu sagen. “Es wäre sehr leicht für mich, mich reuig zu zeigen, so zu tun, als wäre aus einem Saulus ein Paulus geworden.”

Ariel Magnus: Das zweite Leben des Adolf Eichmann

Auch wenn man die Geschichte und ihren Ausgang kennt, hat man einen ungeheuer dicht erzählten und spannenden Roman vorliegen, in dem der Protagonist verklärt auf seine Taten blickt, versucht, seine neue Rolle zu finden, in ständiger Angst, doch noch entdeckt zu werden. Die ständige Anspannung ist zwischen den Zeilen zu spüren, wird mit fortschreitender Handlung größer. Der Schriftsteller indes ist fortwährend bei einem eher ruhigen Erzählstil geblieben und hat es dabei auch noch geschafft, einen Teil seiner eigenen Familiengeschichte mit einzuweben.

Bleibt die Frage, darf man das? Einem der größten und schrecklichsten Schreibtischtäter des Holocausts in gewisser Weise wieder lebendig werden lassen? Ariel Magnus schafft es, Eichmann zu entlarven, als das was er war. Mittelmäßiger Trottel, Rachsüchtiger mit Komplexen. Ein Kackhaufen, dem es lange genug gelungen war, seinen Geruch zu verschleiern. So beschreibt ihn der Autor. Vielleicht ist es das, was aus der Erzählung mitgenommen werden kann? Irgendwann fällt jeder Geruch auf.

Die wahre Geschichte:

Wikipedia I Biografie I Operation Adolf Eichmann

Autor:

Ariel Magnus wurde 1975 in Buenos Aires geboren und ist ein argentinischer Schriftsteller und Übersetzer. Er besuchte die deutsche Schule und studierte von 1999 an Romanistik und Philosophie in Heidelberg und Berlin. An der Humboldt-Universität arbeitete er zudem am Lehrstuhl für Spanische Literatur. Für verschiedene argentinische zeitungen und Zeitschriften schreibt er regelmäßig Beiträge und veröffentlichte 2007 einen Roman, für den er mit dem Literaturpreis La otra Oriella ausgezeichnet wurde. Seine Werke wurden in zahlreichen Sprachen übersetzt. Bekannt wurde er einer breiteren Öffentlichkeit mit seinem 2006 veröffentlichten Buch , in welchem er seiner deutsch-jüdischen Großmutter ein Denkmal setzte, welches 2012 ins Deutsche übersetzt wurde und unter dem Titel “Zwei lange Unterhosen der Marke Hering” erschien.

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Philipp Blom/Veronica Buckley: Das Russische Zarenreich – Eine fotografische Reise 1855-1918

Inhalt:

Zwischen 1855 und 1918 bedeckte Russland ein Sechstel der Erdoberfläche. es reichte von Polen bis nach Japan, vom arktischen Meer bis an die Grenzen der Türkei, den Himalaya und China.

Philipp Blom und Veronica Buckley unternehmen eine Reise durch dieses faszinierende Reich, ihre Reisebegleiter sind zeitgenössische Fotografen wie Carl Bulla und Schriftsteller wie Leonid Andrejew, Leo Tolstoi und Anton Tschechow. Durch ihre Augen entdecken wir eine enorm vielseitige Welt, von großer Armut gezeichnet und zugleich von immensem Reichtum und erstaunlicher Modernität.

Die atemberaubenden Farbfotografien in diesem Band stammen großteils von Sergei Prokudin-Gorski, es sind Schnappschüsse aus einem untergegangenen Reich. Und dennoch wirken Gesichter und Gesten, Gebäude und Landschaften überraschend gegenwärtig. (Klappentext)

Rezension:

Je mehr das Land im Laufe der Jahrhunderte ausgedehnt wurde, um so schwieriger war es für außenstehende Beobachter zu verstehen und auch für die Bewohner des Riesenreiches war der Streit um die Ausrichtung Russlands, spätestens seit Zar Peter I., entscheidend. Wohin sollte man sich orientieren? Nach Europa mit seinen Handelsnetzen und Industrieregionen oder nach Asien, schließlich war der Großteil Russlands dort beheimatet. Die Frage ist zu weilen heute nicht geklöst, ja kaum fassbar. Zumindest fotografisch wollte man dies versuchen.

Der Zar beauftragte Fotografen, das Land bildlich festzuhalten. Heute geben diese Fotografien einen Eindruck vom Leben der Menschen in dieser Zeit und auch später hielten Fotografen den Lauf der Dinge fest. Reges Treiben auf Märkten in quirligen Innenstädten ist zu sehen, eben so wie ärmliches Leben auf dem Land, Tischgesellschaften der Oberschicht, der letzte Zar und seine Familie, aber auch Burjaten und Usbeken in traditioneller Tracht, Arbeiter an den Gleisen der zur damaligen Zeit gerade in Entstehung begriffenen Transibirischen Eisenbahn.

Das beeindruckt durch die teilweise sehr gute Qualität der Fotografien, nicht zuletzt derer in Farbe, eine Technik, die es um die Jahrhundertwende erst seit kurzem gab. Szenarien wechseln sich ab mit Architekturfotografien, Natur- und Landschaftsaufnahmen, Portraitabbildungen. Bildunterschriften und Zitaten aus Dokumenten damaliger Zeitgenossen ergänzen dies. Letztere werden in einem hintenangestellten Glossar aufgelistet und per Kurzbiografie vorgestellt. Sowohl Fotografierende als auch Zitatgeber.

Aufnahmen in diesem großformatigen Werk werden nicht nach den Jahren der Entstehung aufgelistet, sondern innerhalb der Region, in der sie entstanden sind. So kann man das Riesenreich Russland noch einmal bereisen, zumindest gedanklich. Für Interessierte an der Historie, Fotografiebegeisterte und Russlandinteressierte ein sehr schönes Werk, in den man sich verlieren kann, mit einer beeindruckenden Auswahl an Bildmaterial.

Autoren:

Philipp Blom wurde 1970 geboren und ist ein deutscher schriftsteller, Historiker, Journalist und Übersetzer. Er studierte Philosophie, Judaistik und moderne Geschichte in Wien und Oxford, schreibt Romane und Sachbücher. Seine Werke wurden mehrfach übersetzt und ausgezeichnet.

Veronica Buckley studierte Sprachen, Musik und Geschichte in Neuseeland, sowie in London und Oxford. Sie lebt als Autorin, Journalistin und Übersetzerin in Wien.

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Michael A. Meyer: Leo Baeck – Rabbiner in bedrängter Zeit

Inhalt:

Rabbiner, Intellektueller, Liberaler und sprecher der jüdischen Gemeinde in dunkelsten Zeiten der Verfolgung: Leo Baeck gehört zu den faszinierendsten Persönlichkeiten der jüdischen Geschichte. Michael A. Meyer lässt in seiner anschaulichen Biografie einen engagierten Denker lebendig werden, der hinter seiner Rolle als Ikone der deusch-jüdischen Geschichte zu verschwinden drohte. (Klappentext)

Rezension:

Oft genug kommen bei vielen namhaften Persönlichkeiten öffentliche Wirksamkeit und Privatleben nicht zur Deckung, Bei viel zu wenigen ist die Übereinstimmung zwischen Gesagten und letztendlichen Taten so groß, wie bei Leo Baeck.

Doch, wer war dieser Mann, der als oberster Repräsentant der organisierten deutsch-jüdischen Gemeinschaft nicht nur ein beeindruckendes Pensum an wissenschaftlichen Ausarbeitungen vorweisen konnte, auch Menschen jüdischen Glaubens half, unterzutauchen, zu emigireren oder wenigstens die Moral derer zu stärken und Nöte zu lesen, von denen, die keine andere Wahl hatten als in Deutschland zu bleiben?

Wie ist sein Wirken im Berlin der Nazi-Zeit, im Ghetto Theresienstadt und nach Kriegsende zwischen Amerika und London zu beurteilen und was bleibt von der Person Baecks in der heutigen Zeit? Der Historiker Michael A. Meyer begab sich auf Spurensuche. Dabei ist die vorliegende, sehr eindrucksvolle Biografie entstanden. Unter den zahlreichen Persönlichkeiten, deren Wirken heute teilweise fast vergessen ist, nimmt Leo Baeck eine Sonderstellung ein. An einzelne Abschnitte wird heute erinnert, doch wie ist der Rabbiner, der Wissenschaftler, der Denker und die Person in ihrer Gesamtheit zu beurteilen.

Was bleibt, wo heute das Leben und die Arbeit anderer intellektueller Größen mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird und an was sollte erinnert werden, gerade bei Baeck, der es von Beginn an geschafft hatte, den unterschiedlichen Strömungen des jüdischen Glaubens eine Stimme zu geben und gerade in Zeiten akuter Bedrohung, zumal für das eigene Leben, zwischen den Stühlen auch seinen Gegnern die Stirn zu bieten.

Welche Diskussionen stieß er in seiner Glaubensgemeinschaft an. Was bedeutete die Person Baecks für die jüdische Gemeinden in Oppeln, Berlin und später in seiner Funktion im Ältestenrat im Ghetto Theresienstadt?

Die Tür öffnete sich und ein SS-Offizier trat ein. Es war Eichmann. Er war sichtlich betroffen, mich zu sehen. “Herr Baeck, Sie leben noch?” Er sah mich sorgfältig an, als wenn er seinen Augen nicht traute, und fügte kalt hinzu: “Ich dachte, Sie wären tot.” “Herr Eichmann, Sie scheinen ein zukünftiges Ereignis vorauszusagen.” “Jetzt verstehe ich. Totgesagte leben länger, nicht wahr?”

Michael A. Meyer: Leo Baeck – Rabbiner in bedrängter Zeit

Michael A. Meyer ist ein Kenner der Schriften Leo Baecks, hat diese ausgewertet und nun in einer eindrucksvollen Biografie zusammengefasst. Erstmals werden Denken, wissenschaftliches und religiöses Arbeiten, sowie der Mensch Baeck gemeinsam bedrachtet und einer Wertung unterzogen, die nur respektvoll und voller Hochachtung vor dieser Person sein kann.

Dabei hält sich der Historiker strikt an die biografischen Stationen und stellt kompakt das Wirken Baecks anhand seiner Schriften dar, zeigt, wo dem rabbiner Grenzen gesetzt waren und welche zweifelhaften Entscheidungen er mitunter auch fällen musste.

Wie Leo Baeck selbst, ist der Historiker Meyer ein Mensch der leisen Töne, was der Biografie mehr als gut tut. Die einzelnen Ausschnitte aus Baecks Arbeiten sind nicht immer leicht zu lesen. Seicht ist etwas anderes. Hierauf muss man sich einlassen. Vorkenntnisse, insb. im Bereich der Strömungen innerhalb der jüdischen Religion, schaden nicht, aber auch sonst vermittelt dieses Werk, welches zu einer Standardlektüre avancieren könnte, viel Information und Wissen über den Menschen, den Gelehrten und Rabbiner Baeck und dessen Zeit.

Immer wieder im Wechsel werden wissenschaftliches Arbeiten, religiöses und gesellschaftliches Wirken beleuchtet und dem Wenigen gegenüber gestellt, was vom Privatmenschen Leo Baeck bekannt ist. Diese Schablonen, entstanden nach intensiver Rechercheleistung, so übereinander gelegt, ergeben ein beeindruckendes Bild, welches noch nach dem Lesen wirkt.

Autor:

Michael Albert Meyer wurde 1937 in Berlin geboren und ist ein US-amerikanischer Historiker der neuzeitlichen jüdischen Geschichte. Nachdem seine familie über spanien in die USA emigrierte wuchs er in Los Angeles auf und studierte an der University of California Geschichte. Am Hebrew Union College Cincinnaty (HUC) promoviererte er und lehrte ab 1964, wurde drei Jahre später Mitglied des HUC.

Zwischen 2000 und 2008 nahm er zudem regelmäßig Lehraufträge der Hebräischen Universität Jerusalem an. Meyer widmetee sich der Erforschung des Reformjudentums und der Herausgabe verschiedener Schriftebn u.a. Leo Baecks und von Joachim Prinz. Zudem ist er Mitherausgeber einer vierbändigen Deutsch-Jüdischen Geschichte. Von 1991 bis 2013 war er Präsident des Leo-Baeck-Instituts. Im Jahr 2001 erhielt er die Ehrendoktorwürde des Jewish Theological Seminary of America.

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Ulrich Woelk: Für ein Leben

Inhalt:

Als die Berliner Ärztin Niki kurz nach dem Mauerfall aufgrund einer Ferhldiagnose einem Patienten beinahe schweren Schaden zufügt, ahnt sie nicht, dass sie ihn einmal heiraten wird. Ebenfalls im krankenhaus lernt Niki, geboren in Afghanistan als Kind deutscher Hippies, die schillernde Lu kennen. Die Begegnung der zwei jungen Frauen hat Folgen, die sie niemals erwartet hätten… (Klappentext)

Rezension:

Ein Roman, eine Erzählung wie die Stadt selbst. Berlin ist ein Moloch, aber auch Sehnsuchtsort vieler, ist in der Stadt an der Spree doch die Welt zu Hause. Dazu kommt eine unglaubliche Wandlungsfähigkeit, die Toleranz der Einheimischen und eine Geschichte, die von Symbolen nicht hätte überladener sein können, als dies bis heute der Fall ist. Was liegt da näher als eine Geschichte, nein, mehrere, zu erzählen, wie man sie nur dort glaubwürdig ansiedeln kann? Ob das Konstrukt dann gelingt, ist eine andere Frage.

Erzählt wird die Geschichte zweier Frauen, deren Leben sich zu Wendezeiten kreuzen, als aus zwei Städten wieder eine werden soll, sowie auch die Protagonistinnen zunächst umeinander kreisen und schließlich zueinander finden. Doch, genau wie der Schauplatz, hält auch das Leben beider Geheimnisse der Vergangenheit und Überraschungen in der Zukunft bereit, was bei beiden schon mit jeweils problembehafteten Familiensituationen beginnt, die Auswirkungen auf das restliche Leben von Niki und Lu haben werden.

Dabei zeichnet der Autor ein sehr vielschichtiges Bild seiner Hauptfiguren und einer Stadt im Wandel, die sie so sonderbar ist, wie die Menschen, die dort leben. Die restlichen Protagonisten bleiben dabei vergleichsweise blass.

“Für ein Leben” ist viel. Viel zu viel, möchte man meinen. Woelk bringt hier nicht nur eine Zeitenwende ins Spiel, auch die Geschichte zweier Frauen und ihrer Familien, Gender und Diversity, das Leben im Westen der Stadt zu Zeiten der Teilung, spirituelle Suchen nach den Sinn des Lebens, gewürzt mit Einblicken ins alternative Szenenleben.

Wer bei so vielen Handlungssträngen noch den Überblick behalten kann, verdient Hochachtung. Der Autor scheint, wie Berlin selbst, nicht wirklich zu wissen, wohin er mit seinen Figuren möchte. allzu oft werden Handlungsstränge nicht genug ausgeführt, viel zu wenig wurde gestrafft und die Zusammenführung der Handlungen wirkt an manchen Stellen zu gewollt. So funktioniert das leider nicht. Der Schreibstil lässt zwar keine größeren Längen zu, wer jedoch z. B. “Der Sommer meiner Mutter” von ihm gelesen hat, sollte nicht mit der gleichen Erwartungshaltung an dieser Erzählung herangehen. Das funktioniert nicht.

Autor:

Ulrich Woelk wurde 1960 in Bonn geboren und ist ein deutscher Schriftsteller. Von 1980-1987 an, studierte er physik und Philosophie an der Universität Tübingen. Er arbeitete bis 1995 an der Technischen Universität Berlin, sowie in Göttingen als Astrophysiker. Seinen ersten Roman veröffentlichte er 1990. 1991 promovierte er über Weiße Zwerge in engen Doppelsternsystemen. Seit 1995 lebt Woelk als freier Schriftsteller in Berlin. Er schreibt Theaterstücke, Romane und Hörspiele. Seine Werke wurden mehrfach ausgezeichnet und in mehrere Sprachen übersetzt.

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Janina Hecht: In diesen Sommern

Inhalt:

Behutsam tastet sich Teresa an ihre Kindheit und Jugend heran, ihr Blick in die Vergangenheit ist vorsichtig geworden. erste unsichere Versuche auf dem Fahrrad an der Seite des Vaters, lange Urlaubstage im Pool mit dem Bruder, Blumenkästen bepflanzen mit der Mutter in der heißen sommersonne.

Doch die unbeschwerten Momente werden immer wieder eingetrübt von Augenblicken der Zerrüttung, von Gefühlen der Hilflosigkeit und Angst. Da schwelt etwas Unausgesprochenes in dieser Familie – alle scheinen machtlos den Launen des Vaters ausgeliefert zu sein, Situationen beginnen gefährlich zu entgleisen. (Inhaltsangabe des Verlags)

Rezension:

Warum sich Erinnerungen vermischen, gute die weniger schönen manchmal überdecken, doch schlechte nicht ganz vergessen werden können, kann sich Teresa nicht erklären. Spielt dies überhaupt eine Rolle, wenn man den Ausgang einer Geschichte kennt? Wie wichtig ist es, nicht nur die gegenteiligen Seiten zu betrachten, sondern auch die Zwischentöne? Janina Hecht beschreibt in ihrem Debüt die Geschichte einer Familie, der sich diese Fragen stellen.

“Manchmal würde ich gerne einer Version meines Vaters vertrauen. Eine Antwort haben auf die Frage, wer er war. Ich lege die Ereignisse wie Schichten aus Transparentpapier und versuche zu erkennen, was durchscheint.

Janina Hecht: In diesen Sommern

Das Zitat beschreibt übrigens sehr gut den Aufbau des Romans.

Die ersten Gedanken an die Kindheit werden beherrscht von schönen Gedanken. Das gemeinsame Bepflanzen von Blumenkästen mit der Mutter, der Vater, der der Tochter das Fahrradfahren lehrt. Das Kind saugt dies alles auf und beobachtet ihre Umgebung, die Eltern und den zwei Jahr jüngeren Bruder. Doch schon zu Beginn mischen sich ernstere Momente unter, die das Schulkind zunächst nicht einordnen kann, doch mit den Jahren werden die Ausfälle des Vaters häufiger. Die Angst verhindert da noch das Auseinanderbrechen.

“Ich merke, wie ich manchmal Momente gegeneinander abwäge. Und mich frage, ob man das überhaupt tun darf. Ob man Szenen ausstreichen kann, die nicht ins Bild passen und für Unruhe sorgen.”

Janina Hecht: In diesen Sommern

Aus Sicht von Teresa wird sehr leise eine Geschichte erzählt, die unscheinbar daherkommt und zunächst nur Andeutungen macht, die ähnlich den beschriebenen Ereignissen immer mehr an Konturen gewinnt, je näher diese der erzählenden jungen Erwachsenen liegen. Nur langsam schält sich das Problem des Vaters heraus und rückt in den Vordergrund. Ein jeder der Anderen muss damit umgehen und tut dies auf eigene Weise. Schnell wird klar, so wie es nicht für alles eine Erklärung gibt, ist die Lösung niemals einfach.

Kompakt erzählt Janina Hecht eine Geschichte, wie sie in ähnlicher Form wohl in vielen Familien vorkommt. Dicht folgen die Kapitel aufeinander. Zwischentöne werden nach und nach durch klare Schilderungen ersetzt. Wer das dann liest, sollte das passende Nervenkostüm besitzen. Es ist ein Roman, bei dem ernsthaft über den Sinn einer Spoilerwarnung diskutiert werden kann.

Der Textauszug, den der Verlag in der Erstauflage statt des Klappentextes druckt, dürfte dies verdeutlichen, gibt jedoch auch einen guten Eindruck vom Erzählstil wieder, der nicht viele Worte benötigt, Geschehen unausgesprochen lassen kann. Trotzdem entstehen sofort Bilder, die nicht so schnell loslassen.

“Mein Vater, wie er ganz ruhig den Tag beginnt, nicht ausgeglichen, aber stabil. Nie schrie er am Beginn des Tages, er ging mit vorsichtigen Schritten, manchmal etwas Weiches in seinem Gesicht. Als hätte sich erst danach etwas verändert, als führten erst der Mittag und der Nachmittag in eine andere Richtung, und an jedem Morgen hätte es die Möglichkeit zu einem anderen Verlauf der Geschichte gegeben, die ich schreibe.”

Janina Hecht: In diesen Sommern

Autorin:

Janina Hecht wurde 1983 geboren und ist eine deutsche Lektorin und Schriftstellerin. Sie studierte zunächst Psychologie, später Neuere deutsche Literatur und Linguistik, arbeitete in verschiedenen Positionen bei Verlagen. Im Goethe-Institut in Tunis absolvierte sie ein Praktikum. “In diesen Sommern” ist ihr Debütroman.

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Hwang Sok-yong: Vertraute Welt

Inhalt:

Am Rand der südkoreanischen Metropole Seoul liegt die “Blumeninsel”, eine gigantische Müllhalde, Lebensgrundlage und Wohnstätte einer Kolonie von Habenichtsen und Ausgestoßenen, die dort ihre Claims abgesteckt haben. Unentwegt durchkämmen sie den frischen Abfall der boomenden Stadt nach Verwertbaren. hier landet der 13-jährige Glupschaug zusammen mit seiner Mutter, nachdem sein Vater von der regierung in ein “Umerziehungslager” gesteckt wurde.

Es ist kein tiefer Fall, denn sie kommen aus den wuchernden Slums der Mega-City, wo seine Mutter Straßenhändlerin ist. Glupschaug hat die Schule abgebrochen und geht seiner Mutter zur Hand, für die sich ein in der Hackordnung weit oben stehender Müllhaldenbewohner interessiert. Dieser “Baron” ist Glupschaug unsympathisch, eine verhasste Stiefvaterfigur. Mit Glatzfleck, dem Sohn des Barons, freundet er sich jedoch rasch an. Glatzfleck nimmt ihn mit auf seine Abenteuergänge und eröffnet ihm eine geheimnisvolle Welt jenseits der gewaltigen Müllberge. (Klappentext)

Rezension:

Das Leben in Millionenstädten ist ein unaufhörlicher Verdrängungswettbewerb, der täglich Existenzen scheitern lässt. Wie Gegenstände, die sich überholt haben oder nicht mehr gebraucht werden, werden auch die Menschen sehr schnell aussortiert, an den Rand gedrängt. In einigen Ländern greift dann ein soziales Netz, welches die schlimmsten Auswirkungen abfedert.

Vielerorts gibt es das jedoch nicht. So finden sich auch der 13-jährige Glupschaug und seine Mutter am Rande einer Mülldeponie wieder, auf der sie fortan leben sollen. Der einzige Platz, der ihnen in der Mega-City Seoul noch bleibt. Glupschaug muss mit der neuen Situation zurechtkommen, denn die Deponie verzeiht nichts, doch findet er schnell Anschluss in dieser eigentümlichen Welt.

In seinem Roman “Vertraute Welt” verdeutlicht der südkoreanische Schriftsteller Hwang Sok-yong die Schattenseiten des Erfolgs seines Landes. “Tigerstaat” nennt man Südkorea zuweilen, dass in Sachen Technologie Spitzenpositionen einnimmt, doch rau ist zu den Menschen, die diesen Fortschritt schaffen.

Wer nicht aufpasst, bleibt zurück, der Fall ist mitunter tief und so nimmt der Autor uns mit zu jenen, die damit nicht mithalten können. All jenen Vergessenen, die die Gesellschaft wie gerade weggeworfene Gegenstände behandelt, gibt er eine Stimme.

Von Beginn an begleiten wir den sehr sympathischen Hauptprotagonisten, einen Jungen, der in dieser rauen Umgebung zu schnell erwachsen werden muss und doch immer wieder an grenzen stößt, die aufzeigen, dass er eben doch nur ein Kind, ein Jugendlicher ist. Wir durchstreifen mit ihm eine eigentümliche welt, die hwang Sok-yong uns sehr plastisch vor Augen führt. . Fast ist es, als würde man den Müll in seiner gaballten Form vor sich sehen, spüren, wie sich Gerüche von Vergangenem in Kleidung und Haut festsetzen, während Gase einen metallischen Geschmack auf der Zunge hinterlassen.

Glupschaug lebte nun schon länger als einen Monat auf der Blumeninsel. Seine Mutter hatte ihm gleich am Anfang einreden wollen, dies sei eben auch nur ein Ort wie viele anderer, wo Menschen hausten. Doch er ließ sich nichts vormachen. Es war ein Mishaufen. Hier landeten Sachen, die man weggeworfen hatte. Verbraucht, nicht mehr interessant, kaputt. Und auch die Menschen, die hier lebten, waren von der Stadt aussortierte und entsorgte Existenzen.

hwang Sok-yong: Vertraute Welt

Viele Worte verliert er dabei nicht, dafür um so härtere. Trotzdem blitzen hin und wieder kleine Momente des Glücks auf, die es auch dort gibt. Sonst würde man die Erzählung kaum durchhalten. Die Figuren sind klar gezeichnet, haben alle ihre Geheimnisse, Ecken und Kanten, auch die Welt des Slums, der ein reales Vorbild nahe dem berühmten Stadtteil Gangnam hat, wird sehr kompakt geschildert. Hart und kompromisslos schildert er diese Leben, immer aus Sicht Glupschaugs.

Für die Entwicklung des Hauptprotagonisten und jenen, die ihn direkt umgeben, gibt Sok-yong dagegen Raum. Wir begleiten Glupschaug, der auf diesen Spitznamen stolz ist, da ehrlich errungen, durch die Müllberge, Hütten aus Wellblech und Pappe Mit jeder voranschreitender Zeile spüren wir die sich heranschleichende Katastrophe, in dieser dennoch irgendwie heilen Welt, wenn man davon sprechen kann.

Der Autor übt Kritik, wie in seinem Leben schon so oft, und legt den Finger in die Wunde. Die Härte der asiatischen Gesellschaft zu den sozial Schwachen wird ebenso dargestellt, wie die Wegwerfmentalität unserer Wohlstandsgesellschaft. Welchen Preis lassen wir die unteren Schichten für unser Leben zahlen? Was wird aus uns, wenn wir selbst aussortiert werden, wie der Müll um uns herum?

Autor:

Hwang Sok-yong wurde 1943 in Xinjing, damaliges Mandschukou, heute zu China gehörig, geboren und ist ein südkoreabnischer Autor, der schon als Schüler Erzählungen schrieb. Er schloss ein Philosophiestudium ab und kehrte 1969 aus dem Vietnamkrieg zurück, engagierte sich später aktiv in der Demokratiebewegung der 1970er und 80er Jahre. In den 1970er Jahren entstanden seine ersten Romane, die sich mit der Frage der Arbeiterbewegung und der Teilung Koreas beschäftigten.

1985 formulierte er ein Manifest für die Demokratiebwegung in Korea. Nach Teilnahme an einem Treffen von Schriftstellern in Nordkorea lebte er für mehrere Jahre abwechselnd in Berlin und New York, wurde nach seiner Rückkehr nach Südkorea wegen seiner Besuche im Nachbarland zu sieben Jahren Haft verurteilt. 1998 wurde er begnadigt und zum südkoreanischen Kulturbotschafter für Nordkorea ernannt. Seine Werke wurden mehrfach übersetzt, teilweise verfilmt und ausgezeichnet.

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Nicolai Boudaghi/Alexander Leschik: Im Bann der AfD

Inhalt:

Sie sind jung, neugierig und hoch motiviert. Über Jahre hinweg engagieren sich Nicolai Boudaghi und Alexander Leschik in der AfD. Schnell steigen sie auf. Dabei stehen sie auf der Seite der gemäßigten. Doch irgendwann müssen sie sich eingestehen, dass der radikale Flügel der Partei nicht zu stoppen ist. In diesem verstörenden Insider-Bericht schildern sie ihre Wege und Fehler in der AfD-Jugendorganisation und der Mutterpartei.

Anhand von Chats, Sitzungsprotokollen und vertraulicher Untelagen geben sie einen Einblick in die rechte Partei, deren Weg und wie Spitzenfunktionäre diesen beurteilen, sowie einen Ausblick auf das Kommende. (abgewandelter Klappentext)

Rezension:

Vor Gründung der AfD hielt man eine Partei von derartiger Ausrichtung kaum für möglich und dauerhaft erfolgreich in Deutschland, doch ist diese seit 2013 in sämtliche Landesparlamente und schließlich in den Deutschen Bundestag eingezogen. Eine Alternative zur etablierten Politik wollten ihre Gründer einst schaffen, vieles anders oder besser machen. Seit dem hat sich viel verändert. Mit zunehmenden Erfolg veränderte sich, zunächst schleichend die Zusammensetzung der Mitglieder, mit ihnen die Tonalität innerhalb der Partei und schließlich den Parlamenten. Heute ist die AfD kaum mehr wiederzuerkennen, geben extreme Kräfte den Ton an.

Wie konnte es dazu kommen? Die Autoren Alexander Leschik und Nicolai Boudaghi zeichnen ihren Weg nach, von den zunächst politikinteressierten Jugendlichen, die sie waren, hin zu engagierten mitgliedern, die nach und nach mit ansehen mussten, wie die vernetzte Rechte nach und nach ihre Partei in eine Richtung dreht, die heute nur mehr als gefährlich und abstoßend zu bezeichnen ist.

Welche Position nahmen sie dazu ein, welche Fehler machten sie und wo eigentlich liegt der Kipppunkt in der bisherigen Geschichte einer Partei, die in Gefahr läuft als Gesamtes vom Verfassungsschutz unter Beobachtung gestellt zu werden, deren Landesverbände zerstritten sind und schon mehrere Metamorphosen hinter sich hat, im Laufe derer nur immer noch radikalere Mitglieder die Zügel an sich gerissen haben.

Ungeschönt erzählen die beiden Autoren von Parteiveranstaltungen und Versammlungen, zitieren aus Chatgruppen und internen Dokumenten, wie rechte Netzwerker im Laufe der Jahre immer mehr den Ton vorgaben, von Taschenspielertricks, die die AfD den etablierten Parteien vorwirft, jedoch selbst bis auf die Spitze treibt und von psychologischer Kriegsführung und Tauziehen um Machtpositionen innerhalb der Parteiebenen, welches irgendwann auch die letzten gemäßigten Mitglieder vertreiben oder mit in den Abrgund reißen wird.

Die Autoren zeigen ihren Weg in der Partei auf, verdeutlichen Beweggründe von Beitritt bis zum Austritt aus der AfD, verdeutlichen Kipppunkte, ihre eigenen Fehler und auch, weshalb sich die AfD so schnell radikalisiert hat. Anhand von Chatprotokollen und internen Dokumenten, Zitaten aus der Führungsebene zeigen Boudaghi und Leschik wie die Partei in ihrem Inneren funktioniert, wie sehr sich Innen- und Außenwirkung unterscheiden. Wie radikal ist die AfD heute, whin wird dieser Weg führen? Wer sind die bestimmenden Personen in der Partei heute? Haben die demokratischen Parteien dagegen eine Chance? Wie sieht diese aus?

Das alles ließt sich schwergängig. Man blättert durch die Seiten mit offenen Mund, erlebt die Zeit seit 2013 im Schnelldurchlauf, in der eine Unerhörtheit der nächsten Absurdität folgt. Zu oft kann man nicht fassen, was da in und zwischen den Zeilen steht. Und, Boughadi und Leschik? Ja, es ist wieder ein Buch von Aussteigern und natürlich mit einer gewissen Intension geschrieben, die man beiden jedoch auch abnimmt, zumal wenn man das Verhalten von Abgeordneten der AfD, deren Aussagen betrachtet und all jenen Verknüpfungen, die es in andere radikale Netzwerke hinein gibt, zudem jene Ereignisse vor Augen führt, auf die gewisse Reaktionen folgten.

Dieses Buch dürfte hoffentlich, ja es muss hohe Wellen schlagen. Unbedingt.

TV-Interview Kontraste:

Interview Tim Gabel:

(Interviews, wie auf der Verlagsseite eingebunden)

Autoren:

Nicolai Boudaghi wurde 1991 geboren und trat 2013 der AfD bei. Er arbeitetet im Vorstand des Bezirksverbands Düsseldorf und arbeitete für die Partei im Landtag, sowie in der Nachwuchsorganisation “Junge Alternative” als stellvertretender Bundesvorsitzender. Er studierte Sozialwissenschaften und trat 2020 aus der AfD aus.

Alexander Leschik wurde 2000 geboren und schloss sich mit 15 Jahren der AfD-Nachwuchsorganisation an, bewährte sich als Vize-Kreissprecher in Münster und wurde 2021 in die Arbeitsgruppe Verfassungsschutz vom Bundesvorstand berufen. Er studiert Rechtswissenschaften und verließ 2021 die AfD.

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