Sohn

Michel Bergmann: Mameleben oder das gestohlene Glück

Inhalt:

Großartig und nervtötend, liebevoll und erdrückend, aufopfernd, aber auch übergriffig – Michel Bergmann liebt seine Mutter Charlotte und hält sie manchmal nicht aus. Und erzählt in diesem Buch, in dem er nichts und niemanden schont, die Geschichte einer eigenwilligen, starken Frau: ihre Vertreibung aus Deutschland, der Verlust fast der gesamten Familie, das Glück, ihren künftigen Ehemann wiederzufinden, und dennoch ein Schicksal, bei dem sie allzu oft ganz auf sich allein gestellt ist.

Ein bewegendes Buch über eine faszinierende Frau und Mutter. (Klappentext)

Rezension:

“Woody Allen hat gesagt: Das schlechte Gewissen ist eine jüdische Erfindung. Recht hat er.”

Michel Bergmann: Mameleben oder das gestohlene Glück

“Dafür nun habe ich überlebt.”, so oder ähnlich klingen die Vorwürfe, die sich Michel Bergmann Zeit seines Lebens anhören muss, aus dem Munde derjenigen, die ihm am nächsten stehen sollte. Das tut sie auch, doch das Leben spielte der Mutter, wie allzu vieler ihrer Generation übel mit. Geschehnisse, die lange danach noch Wirkung zeigen, in den Familien übergreifend. Der Autor schaut, Jahre nach dem Tod, zurück, sucht die Wegmarker und Wendepunkte und damit, seine Mutter mehr zu verstehen als er es zu ihren Lebzeiten konnte. Entstanden ist eine Mischung aus Romanbiografie, Familienepos, Ode und Psychogram, hart zu der Frau, die er zu seiner Hauptprotagonistin macht, aber auch sich selbst nicht schonend.

Der Filmemacher weiß sich unterschiedlicher Genre zu bedienen und setzt deren Elemente gekonnt um. Der Handlungsverlauf gleicht im Spannungsverlauf eben dem eines guten Films, während dessen er sich an den biografischen und neuralgischen Punkten des Lebens seiner Mutter entlang hangelt. Zuweilen ist das fast wie ein Krimi zu lesen, aber eben in Romanform erzählt Michel Bergmann liebevoll aus dem Leben seiner Mutter. Ihre und seine Perspektive sind die bestimmenden Elemente, die Abwechslung in diese kurzweilige Erzählung bringen. Die Kapitel sind benannt nach den einzelnen Stationen dieser bewegten Biografie, bei der man immer wieder innehalten muss. Um zu schmunzeln, laut loszulachen, auf das einem das Lachen im nächsten Moment im Halse stecken bleibt.

Erzählt wird die Geschichte der Mutter über die gesamte Lebensspanne, konzentriert auf die neuralgischen Punkte. Der Autor könnte noch viel mehr erzählen, doch beherrscht er des Berufs wegen die Kunst des Reduzierens. Auf die Leinwand kann man schließlich auch nicht alles bringen, was man gerne möchte. Überflüssige Zeilen gibt es hier auch zwischen den Buchdeckeln nicht. Dabei lässt Michel Bergmann die unterschiedlichsten Handlungsorte vor dem inneren Auge entstehen. Wir folgen der Protagonistin, deren Ansichten sich über die Jahre verhärten werden, in der Rückschau wird das Schicksal sie verbittern lassen, durch Deutschland in seiner schlimmsten, später auch in seiner besten Zeit, in die Schweiz und nach Frankreich. Wenige Worte genügen hier manchmal, um ganze Welten lebendig erscheinen zu lassen.

Hauptfiguren bilden der Erzähler selbst und seine Protagonistin, die wie zwei gegensätzliche Pole einander abstoßen, aber doch nicht ohne einander können. Diese Konstellation kommt aber auch bei den Nebencharakteren zum Tragen, doch während der Sohn mit dem Abstand der Generation das Konfliktpotenzial sieht und zu bewältigen weiß, kann sich die Mutter nicht davon befreien.

“Und die Ingredienzen dieses neuen Lebens durch Überleben haben nicht nur psychische Schäden verursacht. Sie haben Krankheiten und Todesursachen provoziert und letztlich auch die Gene verändert, die an uns weitergegeben wurden. Bis heute werden die Auswirkungen dieser schweren, lebensbedrohlichen Jahre der Schoah unterschätzt. Wir alle wären andere. Und unserer Kinder ebenfalls. Davon bin ich zutiefst überzeugt.”

Michel Bergmann: Mameleben oder das gestohlene Glück

Brüche in der Erzählung ergeben sich durch die Protagonisten selbst, nicht zuletzt durch den Erzählenden, der zwischen den Zeiten springt, um damit andere Punkte dieser Geschichte unterfüttern. Im Lesefluss selbst ist das keinesfalls störend. Es ergibt sich sogar eine gewisse Dynamik und ein Erzähltempo, welches es verhindert, dass man vollends in nicht enden wollende Melancholie hinabstürzt, aus der man nicht wieder hinausfinden würde. Dem Lesenden wachsen die Figuren mit all ihren Ecken und Kanten ans Herz. Vielleicht sollten wir alle uns die Geschichte unserer Eltern anschauen, mag man hinterher meinen, um sie zu begreifen, um sich selbst besser zu verstehen.

Der Autor weiß die Wirkung von Sätzen und sprachlichen Bildern zu nutzen, setzt sie gekonnt und nicht über die Maßen ein, setzt damit seiner Mutter, die er zur Hauptprotagonistin macht, ein Denkmal, nicht ohne dieses selbst zu hinterfragen. Immer wieder steht die Frage im Raum, was wäre wenn, um im gleichem Atemzuge beantwortet zu werden, mit: “So. Und nicht anders.” Diesem Stil kann man sich nicht entziehen, möchte man auch nach wenigen Seiten schon nicht, trotz einer Figur, die in Teilen unnahbar, manchmal fast unangenehm bleiben wird.

“Ich lehne mich zurück, atme tief durch. Was für eine Geschichte! Meine Mutter ist aber auch schrecklich. Ich muss lachen. Ich liebe sie.”

Michel Bergmann: Mameleben oder das gestohlene Glück

Es ist ein Buch über ein Blick hinter die Fassade eines Menschen und auch die Suche des Autoren nach sich selbst. Am Ende scheint Michel Bergmann auf viele seiner Fragen Antworten gefunden zu haben. Diesen Weg zu verfolgen, durch sprichwörtlich viel zu viele und zu tiefe Täler, immer wieder aber auch Berge des Glücks, okay, das klingt jetzt kitschig, war interessant und lesenswert. Gelernt hat man am Ende auch etwas dabei und sei es nur eine ganze Reihe jüdischer Ausdrücke und Begrifflichkeiten, die Bergmann am Ende des Romans, der eigentlich eine Biografie, eine Suche und auch sonst darstellt, erläutert. Ein Text der so viel schafft, den Autoren sicherlich und nicht zuletzt, die Lesenden selbst herausfordert, den kann man nur empfehlen.

Autor:

Michel Bergmann wurde 1945 in Basel geboren und ist ein schweizerisch-deutscher Filmproduzent, Regisseur und Schriftsteller. Nach dem Studium absolvierte er eine Ausbildung bei der Frankfurter Rundschau und war anschließend als freier Journalist tätig.

Später wechselte er in die Filmbranche und arbeitet seither als Drehbuchschreiber, Regisseur und Produzent. Sein erster Roman wurde im Jahr 2010 veröffentlicht, weitere folgten, 2021 seine erster Kriminalroman. Er erhielt u. a. den Deutschen Industriefilmpreis und den New York Film Award.

Michel Bergmann: Mameleben oder das gestohlene Glück Read More »

Empfehlung: e. o. plauen (Erich Ohser) – Vater und Sohn

Manche Werke benötigen aus verschiedenen Gründen keine Bewertung, sind es aber wert, vorgestellt und erwähnt zu werden. Für genau solche ist diese Kategorie.

Die bekannten Bildergeschichten des Berliner Zeichners und Karikaturisten Erich Ohser, die er unter dem Künstlernamen e. o. plauen veröffentlichte, begeistern seit Generationen die Menschen. Die Geschichten handeln von einem Vater und seinem kleinen frechen Sohn, die mit den alltäglichen Problemen kämpfen und dabei auch allerlei Abenteuer erleben.

In diesem Buch sind sämtliche Abenteuer und Streiche vereint. (Klappentext)

Manche Sammlungen sind einfach nur lieb und unscheinbar, doch um so eindrücklicher kann die Geschichte sein, die sich dahinter verbirgt. So ist das auch mit den großen und kleinen Abenteuern von Vater und Sohn, die in kurzen Comic-Strips die Herzen ihrer Leser und Leserinnen erobert haben. Und das weltweltweit. Zum Leben erweckt hat sie Erich Ohser unter Pseudonym.

Vormals als politischer Zeichner tätig, durfte er unter den Nazis nur mehr ohne Politikbezug und unter falschen Namen tätig bleiben, konnte aber seine Abscheu vor den Zielen des NS-Regimes nicht verbergen, was ihm schließlich zum Verhängnis wurde. Dem Prozess vor dem Volksgerichtshof, der wahrscheinlich mit einem Todesurteil geendet hätte, entzog sich Ohser durch Suizid. Geblieben sind u. a. diese Geschichten.

In dieser Ausgabe sind sämtliche Comic-Strips versammelt, die so liebevoll gezeichnet sind, dass man beim Blättern darin versinkt, immer wieder schmunzeln und manchmal herzhaft auflachen muss. Die meisten dieser Geschichten sind zeitlos, einige im Kontext ihrer Entstehungszeit einzuordnen.

Für alle Liebhaber der Zeitungscomics und auch sonst, sehr zu empfehlen.

Der virtuelle Spendenhut

Dir hat der Beitrag gefallen? Dann freue ich mich über eine virtuelle Spende. Vielen lieben Dank.

Empfehlung: e. o. plauen (Erich Ohser) – Vater und Sohn Read More »

Charles Lewinsky: Sein Sohn

Inhalt:

Louis Chabos wächst in einem Kinderheim in Mailand auf. Nachdem er in Napoleons Russlandfeldzug den Krieg kennengelernt hat, möchte er nur noch eins: endlich zu einem menschenwürdigen Leben finden und Teil einer Familie werden. In Graubünden erlangt er ein kleines Stück des erhofften Glücks. Doch das verspielt er, als die Sehnsucht nach dem unbekannten Vater ihn nach Paris ruft und er zwischen Prunk und Schmutz seine Bestimmung sucht. (Klappentext)

Rezension:

Zwischen Realität und Fiktion schwankt diese Geschichte, in derer dem Hauptprotagonisten in seinem Leben gleich mehrere Schläge in die Magengrube gegeben werden. Dies ist die Grundlage vieler Erzählungen um fiktive und verbürgte Waisenkinder, die in diesem und nächstliegenden Zeitkolorit gesetzt werden, zumal seit “Oliver Twist” von Charles Dickens. Nun gibt es eine ähnliche Geschichte aus der Feder eines Namensvetters (nur vom Vornamen her). Diese entführt uns Lesende nach Zentraleuropa.

Zuweilen nicht ganz so düster wie im englischen Vorbild wirkt Charles Lewinskys Roman “Sein Sohn” und dessen Hauptfigur Louis Chabos, der zunächst das Glück für sich gepachtet zu haben scheint und der Suche nach seiner Herkunft immer wieder ein Stück weit näher kommt. Die Härte des Waisenhauses kommt Louis Chabos schon früh zu Gute, nicht zuletzt begegnet er den richtigen Menschen, durchbricht die Heimatlosigkeit gar. Vollkommen ist mit dem Finden einer Familie jedoch noch lange nichts. Für die Suche nach seinem Vater setzt er dann alles aufs Spiel.

So viel zur Geschichte, die so aufgeschrieben, viel harmloser wirkt, als sich der Text letztendlich liest. Der vom Autor ausgestaltete Hauptprotagonist hat im ersten der dreiteiligen Erzählung alle Sympathien auf seiner Seite, was sich im weiteren Handlungsverlauf verfestigt, gleichwohl schon da Widersprüche eingewoben werden, die im letzten Drittel des Romans aufbrechen. Der tiefe Fall folgt auf einem langen steinigen Weg zum Glück, welches Louis Chabos sogar in Großteilen verspielt.

Hier ist man lesend in der besseren Position. Man ahnt mit jeder Zeile mehr, mit jeder gelesenen Seite, dass das Unglück naht. Möchte den Protagonisten schütteln, stoßen. Der erwachsene Protagonist wirft weg, was das Kind Oliver Twist im gleichnamigen Vorbildroman mit allen Händen festhalten kann, sobald es das einmal erreicht hat. In dieser Warte schaut man lesend voraus, hofft dennoch auf eine Wendung, doch noch die glückliche Fügung, weiß, dass das alles nicht so enden wird, wie man sich es wünscht.

Nur eine Sichtweise verfolgt Charles Lewinsky, nicht alles wird gesagt. Viele Bilder entstehen trotz eines fast nüchternen klaren Schreibstils im Kopf. Ruhig wird dieses, ja fast Märchen erzählt, welches inmitten von drei in Umbrüchen befindlichen Ländern spielt. Der Protagonist nimmt Blick auf seine Umgebung. Einzelne Gegenstände, Häuser, Personen bekommen so Konturen. Nebensächliches verblasst dagegen. Wer auf ausschweifende Erzählweise Wert legt, wird enttäuscht werden. Es bleibt jedoch auch so genug Stoff im Kopf hängen, um den Gedanken nachzugehen.

Die Stärke des Autors liegt hier vor allem im Einweben des historischen Kolorits. In die Zeit Napoleons einzutauchen, ebenso, wie die Zeit der Restauration wird ebenso möglich, wie auch den Bezug zu unserer Zeit. Nur schlägt hier die Cholera Schneisen des Leides durch Landschaften und Städte. Zeitweise ist es interessanter, dem nachzugehen, als dem Empfinden des Hauptprotagonisten. Nur um dann dem nächsten Schicksalsschlag ausgeliefert zu sein. Vorsicht, in welcher Stimmung man das liest.

Autor:

Charles Lewinsky wurde 1946 in Zürich geboren und ist ein Schweizer Drehbuchautor und Schriftsteller. Zunächst studierter er Germanistik und Theaterwissenschaft in Zürich und Berlin, bevor er als Dramaturk und Regisseur am Theater, sowie als Redakteur des Schweizer Fernsehens tätigt wurde. 1984 veröffentlichte er seinen ersten Roman. Es folgten weitere Bücher und Produktionen, für die er mehrfach ausgezeichnet wurde. 2011 wurde Lewinsky erstmals für den Schweier, 2014 für den Deutschen Buchpreis nominiert. Sein Werk wird in mehr als 14 Sprachen übersetzt.

Charles Lewinsky: Sein Sohn Read More »

Saphia Azzeddine: Mein Vater ist Putzfrau

Inhalt:

Was tut ein vierzehnjähriger Pariser Vorstadtjunge aus prekären Verhältnissen abends in der Bibliothek? Er hilft seinem Vater, der den Lebensunterhalt der Familie als Putzkraft verdient, und wischt Staub von den Büchern. Hin und wieder schlägt er eines auf, lernt neue Wörter und lacht sich kaputt.

Saphia Azzeddine erzählt leichthändig und schnell eine liebevolle Vater-Sohn-Geschichte voller Situationskomik und Galgenhumor. Ein unterhaltsamer, ironischer Bildungsroman über das bittere Leben am gesellschaftlichen Rand, der fest daran glaubt, dass nichts verloren ist, so lange es Bücher gibt. (Klappentext)

Rezension:

Gesellschaftskritik, Bildungsroman, Coming of Age, dieses Kurzstück ist irgendwie alles, soweit das möglich ist in dieser kompakten Form, die zwischen den Fingern zerrinnt, gleichsam eines Arthouse-Films, wie Fäden geschmolzenen Käses. Zunächst, das muss nichts schlechtes sein, funktioniert es unter der Feder Saphia Azzeddines’ im Großen und Ganzen gut.

Wir begleiten den Jungen Paul, von seiner Familie Polo genannt, durch die Pubertät bis hinein ins junge Erwachsenenalter. In einer Zeit, die für die meisten seiner Altersgenossen ohnehin schon anstrengend genug ist, unterstützt er seinen Vater dabei, den Lebensunterhalt für die Familie als Reinigungskraft zu verdienen. Auch in einer Bibliothek finden sich die beiden wieder. Die Welt der Wörter wird für den Jungen fortan Flucht- und Mittelpunkt, nicht zuletzt auch, um mit der realen Welt klarzukommen.

Im Laufe der Zeit entdeckt der Junge immer neue Wörter und macht sie zu seinen eigenen, vergrößert damit gleichsam seinen Horizont. Doch, hilft das, sich ein besseres, ein anderes Leben als das seines Vaters aufzubauen? Seiner Schicht zu entfliehen? Emotional an der Grenze zur Nüchternheit erleben wir Lesende die Welt aus den Augen eines Jungen, der außerhalb der beinahe zum Ritual für Vater und Sohn werdenden Ausflüge kaum aus seinem Stadtviertel herauskommt und nebenbei den ganzen Ballast von Problemen, mit denen er jonglieren muss.

Beachtung, Nichtbeachtung, Wut und Verzweiflung, Melancholie, die erste Liebe. Die Autorin packt die großen Themen, reißt sie an, lässt sie offen. Nicht alle wird der Protagonist auflösen können. Das Leben ist nicht perfekt. Ein paar kluge Gedankengänge verlieren sich zwischen den Buchstaben. Andere Handlungsstränge werden weiter verfolgt.

Nur so hat es die Autorin geschafft, fast die Novellenform zu halten, trotz des umfassend beschriebenen Zeitraums. Um Gegensätze streift die Figur, berührt sie ab und an, durchbricht sie selten. Die Konzentration auf Dreh- und Angelpunkt wird beinahe stoisch gehalten. Kürzen kann man hier kaum mehr etwas. Ein paar Seiten mehr, dazu Tempo und weniger Melancholie hätten dem Roman gut getan.

Neben der Hauptfigur gewinnt nur der Vater des Protagonisten, zwangsläufig durch die Handlung bedingt, an Kontur, alles andere verblasst vor den Grautönen der Banlieue.

Wo es Paul fehlt, mangelt es auch dem Lesenden, wenn auch nicht an Schlüssigkeit und Konsequenz. Die wird fast bis zum Ende durchgehalten. Ohne näher darauf einzugehen, das ist weder zu klischeehaft, noch raffiniert gelöst. Die leichteste aller Varianten wurde da gewählt.

Da fehlt die sprichwörtliche Sahne auf den Kuchen, der auch ohne die sonst obligatorische Kirsche auskommen muss. Das entspricht ungefähr diesem Text. Man wird satt, bleibt das auch, weil’s nicht schlecht war, aber eben Standardessen. Man spürt den Staub, von dem Polo die Bücher befreit förmlich in den eigenen Atemwegen, stirbt aber auch nicht daran. Große Überraschungen darf man hiervon nicht erwarten, zumal nur Details erzählt werden, wenn sie das Interesse der Hauptfigur auf sich ziehen. Da sich daran von Beginn an nichts ändert, merkt man schnell, wohin die Geschichte führt, oder eher, wo sie stehenbleibt.

Es verstört geradezu, dass die Autorin ihrer Hauptfigur so gar keine Ambitionen verschrieben hat, sich, die Beziehung zu dem Vater einmal ausgenommen, da herauszuarbeiten, ansonsten jedoch kann man sich die Tristesse gut vorstellen, wie auch das Gefühlschaos des Jugendlichen. Der Funke, dass der Roman einen bleibenden Eindruck hinterlassen wird, ist aber schlichtweg nicht vorhanden.

Für wen ist dann dieser Durchschnitt französischer Literatur gedacht? Bitte nicht für jene, die damit noch nie in Berührung gekommen sind. Die fassen doch danach kaum mehr als ein Asterix-Heft an? Wobei dort ja auch Staub aufgewirbelt wird, wenn auch nicht über Worte.

Autorin:

Saphia Azzeddine wurde 1979 in Agadir, Marokko, geboren und ist eine französisch-marokkanische Schriftstellerin und Journalistin. Sie wuchs in Frankreich auf, arbeitete als Diamantenschleiferin und studierte anschließend Soziologie. 2008 veröffentlichte sie ihren ersten Roman, zudem schrieb sie mehrere Drehbücher. Sie arbeitet zudem als Journalistin.

Saphia Azzeddine: Mein Vater ist Putzfrau Read More »

Andreas Fischer: Die Königin von Troisdorf

Inhalt:

Die 1960er Jahre. BRD. Im rheinischen Troisdorf betreiben die Eltern des Erzählers ein gutgehendes Fotoatelier. Häuser. Neues Auto. Sonntags Kirchgang. Doch hinter der gutbürgerlichen Fassade legen die Familienmitglieder verstörende Verhaltensweisen an den Tag. Was treibt die Eltern um, die während des Zweiten Weltkriegs bereits junge Erwachsene waren? Warum verabscheut die Oma, die zwei Weltkriege erlebte, ihren Enkel? Eine deutsche Familiengeschichte über 3 Generationen. Ein Kriegsenkelroman.

Rezension:

Mit “Die Königin von Troisdorf”, liegt hier vieles vor, nur kein Roman, wie es der Klappentext des Werks von Andreas Fischer behauptet. Beim Lesen wird man sich einmal mehr fragen, wie Verlage machmal zu ihren Einordnungen kommen. Viel mehr ist dieser Text eine Mischform aus literarischem Sachbuch, Tagebuch, Familien- und nicht zuletzt die Biografie einer Kindheit und Jugend in wirtschaftswunderlichen Zeiten.

Aus der Sicht des Kindes, des Erwachsenen, des Jugendlichen Andreas Fischer wird eine Chronik von Ereignissen aufgefächert, an die sich der Autor zu erinnern vermag, sprunghaft in Episoden erzählt, die erst nach und nach ein komplettes Bild mit all seinen Widersprüchen ergeben. praktisch in Form eines Tagebuch springt der Schreibende vom Erlebten zu Erlebten, versucht jene zu verstehen, die ihn in seiner Kindheit und Jugend umgaben und doch immer fern blieben.

Der Hass meiner Oma auf mich durchzieht das ganze Haus vom Keller bis zum Dach wie ein bestialischer Gestank, dessen Quelle nicht zu orten ist. Ich bin zu klein, um Überlegungen anzustellen, wo die Ursache liegen könnte. Der Gestank ist völlig normal, ganz selbstverständlich gehört er zu meiner Welt wie das Geschäft meiner Eltern, das weiße Schulgebäude und Vaters Schnapsflasche im Kühlschrank.

Andreas Fischer: Die Königin von Troisdorf

Mehrere Facetten versucht Andreas Fischer zu ergründen, nicht zuletzt den Kitt, der diese dysfunktioniale Familie über Jahrzehnte zusammenhält. Wie erklärt sich die Differenz zwischen dem Schein nach außen, der eine heile Welt vorgaukelt und den Kontrollwahn der Großmutter und ihrer Tochter, vom Erzählenden nicht umsonst Hindenburg und Ludendorff genannt, gegenüber dem Kind, welchs Halt sucht und kaum findet, weder dort, noch bei dem trunksüchtigen Vater, der der Nazi-Zeit hinterhertrauert oder dem schlagkräftigen Onkel mit seinem cholerischen Wutanfällen.

Ich habe zu gehorchen, nur ein gehorsames Kind ist ein gutes Kind. Ich habe nichts zu wollen und schon überhaupt nicht etwas nicht zu wollen. Ein Infragestellen der Befehlsgewalt bedeutet für Hindenburg und Ludendorff Hochverrat, eine Gefährdung der Herrschaftsstruktur an und für sich, und an dieser Stelle kennt die Oberste Heeresleitung kein Pardon.

Andreas Fischer: Die Königin von Troisdorf

Über allem schwebt die Frage, welche Nachwirkungen zwei Kriege noch über Jahre hinaus auf diese Familie gehabt haben, welche Konsequenzen vor allem jener zu spüren bekommt, der deren Schrecken, Gnade seiner Geburt, nicht erleben musste. Sprunghaft und fahrig wirkt dies zunächst. Mal wird eine Episode aus dem neunten Lebensjahr, dann wieder vom sechsten, zwischendurch vom dreizehnten des Autors aufgefächert, nur um dann einen Briefwechsel nachzuspüren, den der im Krieg gefallene Sohn der Großmutter hinterlassen hat.

Vergleichbar mit immer wieder mündlich erzählt werdenden Familienereignissen ist dies und entfaltet nach und nach eine ganz eigene Dynamik, derer der Autor sich nicht ganz entziehen kann und nicht verstehen wird. Wer tut das schon, selbst bei der eigenen Familie? So spürt Andreas Fischer “Der Königin von Troisdorf” nach, die als Patriarchin versucht, alle Fäden Zeit ihres Lebens in den Händen zu halten und doch nicht verhindern wird können, dass der Enkel “tüchtig Sand ins Getriebe werfen” wird, zu Zeiten, die weder sie noch die Eltern des später Schreibenden ganz verstehen werden.

Was wäre, wenn das Undenkbare stimmt?
Was wäre, wenn Vater nicht die Wahrheit sagt?
Kann mein Vater mich anlügen?

Andreas Fischer: Die Königin von Troisdorf

Anstrengend zu lesen, für jene, die sich in diesem Stil nicht zurechtfinden, der mir jedoch auch bisher recht selten begegnet ist. Eine Art Tagebuch über Jahre, Rückblicke, Einstreusel, Zeitsprünge. Das muss man mögen. Der Autor beherrscht diese Kunst und vermag es, eine Art Film vor dem inneren Auge ablaufen zu lassen. Vielleicht findet man sogar selbst ein Stück eigene Familiengeschichte wieder.

Andreas Fischer versucht mit “Der Königin von Troisdorf” ein Stück Bewältigung der eigenen Kindheit, sowie der Traumen der Vergangenheit, die wie wiederkehrende Nadelstiche, die Familiengeschichte durchziehen. Es ist ein Versuch, zu verstehen, was kaum zu begreifen ist, literarisch in einer wunderbaren Form, zugleich das Psychogramm einer Familie, mit der der Autor erst im Erwachsenenalter einen wie auch immer gearteten Frieden machen wird, was sich nie ganz auflösen wird.

Ja, ich bin der Prinz.
Ich bin einziger Sohn, einziger Neffe, einziger Enkel.
Auf mich läuft alles zu.
Ich bin der Fluchtpunkt.
Ich werde sie alle beerben.
Ich spiele keine Rolle.
Ich bin unsichtbar.

Andreas Fischer: Die Königin von Troisdorf

Für jene, die Geschichte einmal in einer besonderen Form aufgearbeitet erleben möchten, eine unbedingte Empfehlung.

Autor:

Andreas Fischer wurde 1961 in Troisdorf geboren und ist ein deutscher Filmemacher und Autor. Nach dem Abitur absolvierte er eine Ausbildung zum Fotografen und studierte Filmwissenschaft, Ethnologie und Psychologie in Köln und Berlin. Von 1999 bis 2004 war er künstlerisch-wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Kunsthochschule für Medien Köln. 1983 erschien sein erster Kurzfilm, danach zahlreiche Dokumentaqrfilme u. a. “Contergan: Die Eltern” (2004) oder “Söhne ohne Väter (2007). “Die Königin von Troisdorf” ist sein erster Roman.

Andreas Fischer: Die Königin von Troisdorf Read More »

Laurent Petitmangin: Was es braucht in der Nacht

Inhalt:

Fus und Gillou, 10 und 7, sind sein ganzer Stolz. Doch dann stirbt seine Frau, und er steht allein da mit seinen Jungs. Die Arbeit als Monteur bei der Staatsbahn SNCF, Haushalt, Erziehung: Er gibt sein Bestes, bringt die Jungs zum Fußball, zeltet mit ihnen in den Ferien. Die ersten Jahre läuft alles einigermaßen glatt. Nur Fus wird in der Schule schlechter, sodass er schließlich nicht in Paris studieren kann. Der Vater tröstet sich damit, dass zwischen ihnen alles beim Alten bleibt – bis er entdeckt, dass der 20-Jährige mit einer rechtsextremen Clique rumhängt.

Wie fühlt man sich, wenn das eigene Kind in falsche Kreise gerät, die eigenen Werte verrät? Was kann man tun? Eine Tragödie zwingt den Vater zu einer Antwort. (Klappentext)

Rezension:

Eine Geschichte gleichsam eines französischen Films. okay, ganz so schlimm ist die Sache nicht. Vielmehr hat Laurent Petitmangin mit “Was es braucht in der Nacht” ein bezeichnendes Autorendebüt vorgelegt. Hier erzählt er die Geschichte einer Entfremdung. Ein Schicksalsschlag entfernt, zunächst schleichend, den Vater von seinem ältesten Sohn, der haltsuchend in den Einfluss einer rechten Gruppe gerät und somit sich von den elterlichen Idealen immer mehr entfernt.

Der Vater sieht dies mit Sorge, doch, was soll, kann er tun? Im direkten Zusammenspiel ändert sich zunächst auch nichts. Schnell ist eine gemeinsame Ebene gefunden. Der Alltag muss funktionieren, nicht zuletzt auch des jüngsten seiner Söhne wegen. Das tut es, bis sich die Katastrophe Bahn bricht. Doch, was bleibt, was muss, wenn selbst Blut nicht mehr dicker als Wasser zu sein scheint?

Laurent Petitmangin beschreibt einfühlsam das Auseinanderbrechen einer Familie, deren Protagonisten sich immer weiter von einander entfernen und doch nicht ohne einander können. Das Unverständnis des Einen wird ebenso beschrieben, wie auch das Hineinschlittern in eine Gefahrenzone, die beide Protagonisten nicht sehen oder kontrollieren können.

Für Frankreich selbst ist dies eine hoch aktuelle Erzählung, ist sie doch bezeichnend für eine extreme Spaltung der gesellschaftlichen Sichtweisen, für deren in einem Teil eine Fundamentalisierung in Richtung Rechtsextremismus eine annehmbare Option erscheint. Ohne zu sehen, was dies für Folgen haben kann. In einer Zeit, in der eine rechtsextreme Präsidentschaft in Frankreich im Rahmen des Möglichen erscheint. Der Autor nimmt sich die Zeit jedoch auch für das Infragestellen einer Vater-Sohn-Beziehung. Wie weit reicht der Einfluss von Eltern und was tun, wenn dies einmal nicht der Fall ist, und sich alles auf den Abgrund hinzu bewegt?

Es ist ein erschütternder und zugleich nachdenklicher Roman, ruhig in seinen Beschreibungen, ohne lange Strecken vorzuweisen. Das gibt die kompakte Form einfach nicht her. Die Konzentration zudem, auf eine Perspektive, tut ihr übriges, diese Geschichte zu etwas Besonderen zu machen. An der einen oder anderen Stelle bin ich dabei mit der Übersetzung nicht wirklich glücklich. Hier wäre die Vorlage des französischen Originals interessant. Auch das Ende ist vielleicht etwas zu einfach. Ansonsten jedoch hat Petitmangin durchaus eine runde erzählung vorgelegt, für die man sich einen ruhigen Moment nehmen sollte.

Autor:

Laurent Petitmangin wurde 1965 in Lothringen geboren und studierte in Lyon, bevor er für die französische Fluggesellschaft Air France zu arbeiten begann. Nach verschiedenen Stationen rund um die Welt, lebt er heute in Paris. “Was es braucht in der Nacht” ist sein erster Roman.

Laurent Petitmangin: Was es braucht in der Nacht Read More »

Torbjorn Ekelund: Mein Sohn und der Berg

Inhalt:

August ist sieben Jahre alt, als sein Vater Torbjorn Ekelund ihn auf eine erste große Tour in die Natur mitnimmt. Mit Rucksack und Zelt wandern sie durch magische Kiefernwälder und über felsige Pfade. Ihr Ziel: ein Berggipfel südwestlich von Oslo.

Dabei folgen sie den Spuren eines kleinen Jungen, der 122 Jahre zuvor auf der Route verschwunden ist. Ekelund sucht nach einer Erklärung, was damals passiert sein könnte und beobachtet fasziniert, wie spielerisch sein Sohn sich durch die Landschaft bewegt. Ein zärtlicher Text über unsere Verbundenheit mit den Elementen und die Beziehung zwischen Vater und Sohn. (Klappentext)

Rezension:

In der Nähe von Norwegens Hauptstadt Oslo liegt die kleine, aber doch zerklüftete und immer wieder Überraschungen bereithaltende Gebirgslandschaft des Skrim. Es ist nicht die größte unter den skandinavischen Naturlandschaften, doch betritt man sie, ist man in mitten einer der letzten ursprünglichen Gegenden Nordeuropas. Vor mehr als hundert Jahren spielte sich dort eine der schlimmsten Katastrophen ab, denen Eltern ausgesetzt sein können. Der norwegische Journalist Torbjorn Ekelund begab sich nun auf Spurensuche.

Es ist der Bericht einer faszinierenden Wanderung, die Beschreibung einer Vater-Sohn-Erfahrung und ein Stück nahezu unbekannter Geschichte, die uns hier erzählt wird. Einfühlsam nimmt der Autor seine Leserschaft mit auf eine Reise, die doch nur ein paar Tage andauert, doch deren Strapazen man beim Lesen förmlich selbst in den Knochen spüren wird.

Torbjorn Ekelund lässt sowohl die zuweilen unbarmherzige Natur des Skrim vor den Augen entstehen, nimmt uns zugleich jedoch mit, wenn er die Geschichte des kleinen Hans Torske erzählt, dabei selbst immer auf seinem Sohn ein wachsames Auge hat, der ihn auf die Reise begleitet und die Welt durch Kinderaugen erleben lässt. Für diesen ist es ein Abenteuer zwischen Vater und Sohn, mitten in der Natur. Jeder Stein wird umgedreht, jeder Stock inspiziert. Für den Vater geht es auch um die Erfahrung? Was geschah mit dem Jungen, in dem Alter seines Sohnes? Warum verirrte er sich? Was macht die Natur mit den Menschen?

Es ist ein liebevoller Bericht ohne mahnende Zeigefinger, wenn es um die Schönheit des Naturerlebnisses oder das Aufwachsen von Kindern in heutiger Zeit geht, gleichzeitig natürlich ein Gedenken an ein Stück Geschichte, welche sonst auch innerhalb der Region vor den Toren Oslos verloren ginge. Diese kleinen Erfahrungs-, Reisebericht wird man gerne lesen, nicht unbedingt erforderlich zwar, aber es schadet zumindest nicht. Nur ein Wermutstropfen bleibt. Eine Karte der Wanderung oder zumindest der Landschaft hätte gut als Ergänzung gewirkt.

Autor:

Torbjorn Ekelund wurde 1971 geboren und ist ein norwegischer Journalist und Autor. Er schreibt u. a. für die norwegische Zeitung Dagbladet und ist Mitherausgeber eines kleinen unabhängigen Buchverlags. Er begründete ein Onlinemagazin mit und veröffentlichte mehrere Bücher, die bereits in mehreren Sprachen erschienen sind.

Torbjorn Ekelund: Mein Sohn und der Berg Read More »

Antoine Leiris: Danach, das Leben

Danach, das Leben Book Cover
Danach, das Leben Antoine Leiris S. Fischer Erschienen am: 07.10.2020 Seiten: 192 ISBN: 978-3-10-397044-9 Übersetzerin: Doris Heinemann

Inhalt:

Fünf Jahre nach dem Tod seiner Frau im Pariser Bataclan erzählt Antoine Leiris, wie er ins Leben zurückfand. Für seinen Sohn und gemeinsam mit ihm.

Eines Morgens, ein Jahr danach: Antoine packt die Schätze, die ihm von Helene geblieben sind, in schwarze Säcke. Zusammen mit dem kleinen Melvil trägt er sie nach unten, um sie den Müllmännern zu übergeben. Keine Tränen – Melvil ist stolz, seinem Vater zu helfen. Für Antoine ein Akt der Befreiung, des Loslassens, ein Schritt zurück ins Leben.

Einer von vielen. So zieht sich der Schmerz Stück für Stück zurück, mit jedem Jahr, das vergeht. Doch obwohl die Trauer verblasst, wird Helene ihn nie verlassen. Sie bleibt wie ein guter Geist, die Erinnerung an eine einzigartige Liebe. Er aber ist ein anderer geworden. Ein liebender Vater, der wieder gelernt hat, unbeschwert mit seinem Sohn zu lachen. Gemeinsam sind sie stark, besiegen die Dunkelheit. Ein wahrhaftiges Buch über Trauer, die Liebe und das Leben. (Klappentext)

Rezension:

Plötzlich schien Frankreich für einem Moment still zu stehen. Unzählige Terroranschläge hatte es bereits in Europa gegeben. Am 13. November 2015 wurde die quirlige Stadt an der Seine mitten ins Herz getroffen. Terroristen töteten im Bataclan-Theater 89 Menschen. Unzählige weitere mussten in den umliegenden Cafes udn Restaurants sterben. Mit einem Mal wurden Menschen aus dem Leben gerissen, Familien zerstört. Auch Antoine Leiris’ Glück endete schlagartig, als seine Frau dabei ums Leben kam.

Der Journalist und junge Familienvater tut das, was er am besten kann, schreibt sich seine Trauer von der Seele. Entstanden ist der Text “Meinen Hass bekommt ihr nicht”, später daraus ein Theaterstück. Doch, kann es danach weitergehen? Zuerst nur unmerklich, dann mit immer größeren Schritten findet Leiris ins Leben zurück und beginnt vom Neuen. Für sich. Für seinen kleinen Sohn.

Zu Beginn liest er sich schleppend, der Text, der als Prosa daherkommt und dennoch als Sachbuch vermarktet wird. Literarisches Sachbuch ist das eher, diese Trauerarbeit in Schriftform. Man merkt den Text die anfängliche Schwere an, wenn sich Tage ziehen und sich jede noch so kleine Tätigkeit schwer anfüllt. Immer wieder schweifen die Gedanken des Autors zurück, an das was war.

Durchbrochen nur von den Launen, dem Lachen, dem Weinen seines kleinen Sohnes. Verbindungsglied zu einem vergangenen Leben, gleichsam Dreh- und Angelpunkt des Textes. Um Melvil dreht sich alles, muss sich drehen. Für den kleinen Sohn muss es weitergehen, darf der Vater nicht aufgeben und muss sich wieder ins Leben zurückfinden.

Hart zu lesen. Starker Tobak ist das, Zeile für Zeile. Doch, die harte Schale wird aufgebrochen. Immer sensibler werden die beschriebenen Momente. Der Blick des Trauernden, die Perspektive des Autoren beginnt die Vergangenheit zu nehmen und auf das Zukünftige zu fixieren. Förmlich spürt man es beim Lesen, wie das Schreiben leichter von der Hand ging, mit zunehmender Seitenzahl.

Es gibt nur diese eine Perspektive, andere umgebende Menschen werden beobachtet. Deren Leben dreht sich ja auch weiter. Der Sohn noch zu klein, um zu ahnen, dass auch ihn das alles betrifft. Bleibt nur die Frage, warum jemand anderes das lesen soll, lesen möchte? Einen solch persönlichen Text, der alles frei legt. Beinahe zu viel des Gutem?

Lesbar für all jene, die selbst etwas zu verarbeiten haben oder hatten, die versuchen, einen unbegreiflichen Schicksalsschlag irgendwie zu fassen, sich für sich selbst oder für andere wieder aufrappeln wollen, müssen. Dann funktioniert dieses kleine Werk, in dem viel Großes Steckt wunderbar. Alle anderen Lesenden ist “Danach, das Leben” nur mit Vorsicht zu empfehlen.

Wer möchte sich schon freiwillig von melancholischer Schwere, zumindest zu Beginn, erdrücken lassen?

Autor:

Antoine Leiris wurde 1981 geboren und ist ein französischer Journalist. Zunächst arbeitete er für den Radiosender France Info, bevor er 2014 kündigte, um einen Roman zu schreiben.

Stattdessen veröffentlichte ernach dem Tod seiner Frau, die bei dem Anschlag auf den Pariser Bataclan ums Leben kam, seinen Text “Meinen Hass bekommt ihr nicht”, der zu einem Theaterstück verarbeitet wurde. Seit 2018 arbeitet er als Redenschreiber für die Bürgermeisterin Anne Hidalgo. Mit seinem Sohn lebt Leiris in Paris.

Antoine Leiris: Danach, das Leben Read More »

Jens Steiner: Ameisen unterm Brennglas

Ameisen unterm Brennglas Book Cover
Ameisen unterm Brennglas Jens Steiner Arche Verlag Erschienen am: 21.08.2020 Seiten: 240 ISBN: 978-3-7160-2790-5

Inhalt:

Eine Serie von Gewaltakten erschüttert die Schweiz: Ein unbekanntes Paar steckt ein Haus in Brand, schießt auf eine Raststätte, nimmt eine Geisel. Die Medien schreiben den Taten sogleich verschiedenste terroristische Hintergründe zu.

Auch die Bevölkerung versucht, sich einen Reim auf die Vorkommnisse zu machen, unter ihnen: Frühpensionär Toni Manfredi, Mittelschichtsvater Martin Boll und die alleinerziehende Mutter Regina Novotny. Sie alle wünschen sich Halt und Stabilität, doch ihre Welt gerät immer mehr aus den Fugen. Darauf reagieren sie mit Resignation – oder mit lautstarker Entrüstung und Aggression. (Klappentext)

Rezension:

Das brennende Haus zuerst, dann der Überfall auf den Fressbalken? Was mag da noch kommen? Könnte ja alles nur Zufall sein, aber man macht sich schon so seine Gedanken. Die kleine Stadt inmitten der Schweiz ist in jedem Fall in Aufruhr.

Ein jeder versucht, Erklärungen zu finden und geht mit der Situation anders um. Darin verwickelt ist man ja irgendwie auch, schließlich lebt man hier. Doch, was ist nur mit dieser Gesellschaft los? Jens Steiners Roman als Portrait unserer Gesellschaft hält uns LeserInnen den Spiegel vor.

Ameisen, die wir alle auf den Planeten leben, vermögen wir als Einzelne kaum etwas zu bewegen oder zu verändern, wirken jedoch als Gesamtheit dann doch. Nicht nur leider im Guten, sondern vielmehr auch im Schlechten und das beginnt schon bei den Erklärungsversuchen von Ereignissen und den Umgang mit diesen.

Stellvertretend für die Gesamtheit stellt der Autor dies an seiner Auswahl von Protagonisten dar, die allesamt unabhängig von einander agieren, deren Handlungen sich hin und wieder kreuzen, gegenseitig beeinflussen. fein gezeichnet sind sie, diese Charaktere, aus deren Sicht abschnittsweise die Geschichte erzählt wird.

Gemeinsam haben sie nur, die Region in der sie leben, ansonsten wirken sie in diesem Szenario zwar mittendrin, doch irgendwie verloren.

… Ein Abenteuer ist wie ein Fangnetz, da kommst du nicht mehr so schnell raus. Wie Donald Duck, der wieder mal in der Patsche sitzt, zappelst und tobst du, aber das nützt dir gar nichts. Musst eben mitmachen bei dem Abenteuer. Vielleicht ist das deine Mission. Hast nie gewusst, was deine Mission ist. Bitte schön, jetzt hast du eine. Mitmachen und alles sehen. Jedes Abenteuer braucht einen, der alles sieht und in seinem Gedächtnis behält.

Jens Steiner: Ameisen unterm Brennglas

Die Zeitspanne der Handlung ist etwas weniger als eine Woche, entsprechend verdichtet ist die Erzählweise, sehr erstaunlich, wenn man die Vielzahl der Protagonisten betrachtet. Die sind so gewählt, dass jede/r Leser/in seine Identifikationsfigur findet, egal welchen Alters und welcher Lebenssituation zugetan.

Der kleine durch die Gegend streunende Junge, wie das sich sorgende Oberhaupt, welcher sich sowohl in der Familie als auch im Büro zunehmend an den Rand gedrängt fühlt, die mit ihren angehäuften Ehrenämtern überforderte Mutter, wie der nur noch auf den Tod wartende Pensionär. Sie alle kreisen um sich selbst, sowie um die Ereignisse, denen sie sich ausgesetzt fühlen, denen sie nichts entgegenzusetzen haben.

Ratlosigkeit, Hilflosigkeit, der man mit Resignation oder Wut begegnet. Die gegensätzlichen Charaktere reagieren entgegen ihrer Gewohnheiten oder stellen sich auf die veränderten Gegebenheiten ein. Überwiegend still wird die Geschichte aus der Feder Jens Steiners erzählt, unspannend ist das dennoch nicht. Gedankensprünge der Protagonisten bringen Bewegung in die Geschichte und verhindern langwierige Stellen.

Überraschungen gibt es nur mehr gegen Ende der Geschichte, auch manche Lücken im Handlungsverlauf, die sich jedoch logisch einfügen ins Ganze. Hier ist weniger mehr. Auch die Anzahl der Seiten ist begrenzt. Es zeigt sich, ein guter Roman muss kein Wälzer sein.

Jetzt ist er nur noch müde. Er will nicht mehr abhauen. Außerdem, was bringt es? Er macht ja sowie so alles falsch. Ist immer zur falschen Zeit am falschen Ort. Mama hat schon recht, dass sie ihm nachspioniert. Würde er auch machen, wenn er seine Mutter wäre. Hohlkopf. Volldödel. Hein Blöd.

Braucht man sich nicht zu wundern, wenn man am Schluss in diesem trüben Rübezahl-Landstrich landet. Trübezahl. Trüb und kahl. Müd und fahl.

Jens Steiner: Ameisen unterm Brennglas

Bildlich tauchen die Schauplätze vor den Augen der Lesenden auf. Jens Steiner vermag es, kurzweilig Orte und Situationen zu beschreiben, so dass man sie förmlich greifen kann. Ein Juwel im Bücherregal, ein Roman als Psychogramm der von außen ruhig wirkenden Schweizer Gesellschaft. Vom Autoren sollte noch mehr gelesen werden, unbedingt. Mit dieser verdichteten Erzählung kann man ja den Anfang machen. Der lohnt sich in jedem Falle.

Autor:

Jens Steiner wurde 1975 in Zürich geboren und ist ein Schweizer Schriftsteller. Nach der Schule studierte er Germanistik, Philosophie und Vergleichende Literaturwissenschaft eben dort und in Genf, bevor er als Lehrer und Lektor arbeitete. Seine Werke wurden mehrfach ausgezeichnet und für den Deutschen Buchpreis nominiert. Den Schweizer Buchpreis erhielt er 2013.

Jens Steiner: Ameisen unterm Brennglas Read More »

James Gould-Bourn: Pandatage

Pandatage Book Cover
Pandatage James Gould-Bourn Kiepenheuer & Witsch Erschienen am: 02.05.2020 Seiten: 382 ISBN: 978-3-462-05364-7 Übersetzer: Stephan Kleiner

Inhalt:

Danny Maloony hat es schwer. Ein Glückspilz war er noch nie, aber seitdem seine Frau vor etwas mehr als einem Jahr bei einem Unfall ums Leben gekommen ist, läuft gar nichts mehr glatt.

Sein Sohn Will hat aufgehört zu sprechen, Danny verliert den Job, und als ihm auch noch sein Vermieter mit Rausschmiss droht, kauft er von seinem letzten Geld ein Pandakostüm, um als Tanzbär Geld zu verdienen. Doch tanzen kann er leider auch nicht… (Klappentext)

Rezension:

Dass auch eine grobe Schreibarbeit zu einer wundervollen und berührenden Geschichte führen kann, beweist James Gould-Bourn, der mit seinem Debütroman “Pandatage” eine einfühlsame Erzählung zu Papier gebracht hat. Hauptprotagonist ist der alleinerziehende Danny Maloony, der mit Haushalt, traumatisierten Sohn und seiner eigenen Trauer zu kämpfen hat, nachdem seine Frau bei einem Unfall ums Leben gekommen ist.

Seit dem scheint ihm nichts mehr zu gelingen. Von einem auf den anderen Tag steht der Bauarbeiter beinahe vor dem Nichts. Auf der anderen Seite sein Sohn Will, der ebenso trauert, nicht mehr spricht, in der Schule zum Punchingball der Klassenschläger geworden ist, sich emotional immer mehr von Danny entfernt. Danny sieht in einem Pandakostüm schließlich die Chance auf bessere Tage. Doch, auch das erweist sich als einfacher als gedacht.

Nicht gerade fein ausgearbeitet ist diese Erzählung einer Vater-Sohn-Geschichte, tatsächlich ist der Schreibstil eher platt, die Protagonisten bis auf die beiden Hauptcharaktere sehr einseitig konstruiert und auch der Humor dürfte nicht jedermanns Sache sein. Dennoch hat James Gould-Bourn eine Geschichte geschrieben, die zu berühren mag. In ihrer Gesamtheit ist sie stimmig.

Das war Pandamonium!

James Gould-Bourn: Pandatage, Roman von Kiepenheuer & Witsch.

Das Klischee, dass sonst immer, wenn von Alleinerziehenden die Rede ist, von einer Mutter-Kind-Beziehung gesprochen wird, wird aufgebrochen, stehen doch Männer in dieser Situation vor den gleichen Problemen, auch der Umgang mit Trauer ist hier sehr schön dargestellt, zudem welche Bedeutung Menschen haben, die einfühlsam für einem auch in schlechten Zeiten da sind.

Der Humor des Autors ist speziell, wer sich jedoch darauf einlässt, entdeckt einen nachdenklich schwermütigen Roman, der immer genau dann aufgebrochen wird, wenn den Lesern die Last der Protagonisten förmlich zu erdrücken droht.

Ich wünschte, ich wäre gestorben, mit Mum zusammen, weil ich lieber tot wäre, als allein mit dir zu sein.

James Gould-Bourn: Pandatage. Roman von Kiepenheuer & Witsch.

Das wäre wiederum feinfühlig.

Die Stärke dieser Schreibarbeit liegt hier eindeutig im Beginn und Mittelteil. Der Schluss ist fast zu schnell erzählt. Hier hätte etwas mehr Ausgestaltung der Geschichte gut getan und nur mit den Blick, dass es praktisch egal sein kann, wie man sein Geld verdient, kann man die Auflösung gelten lassen. In der Realität halte ich das für schwierig.

Der Wortwitz und die Protagonisten, die man von der ersten Seite an liebgewinnt, machen “Pandatage” zu einem lesenswerten Roman über Trauer, familie, Freundschaft, Glauben und Zuversicht, der in seiner Gesamtheit ein stimmiges Bild abgibt und funktioniert, da James Gould-Bourn diesen Stil von Beginn bis zum Ende durchhält.

Kurzweilige, flüssig zu lesende Kapitel aus wechselnder Perspektive, zeigen was möglich und dass es durchaus richtig ist, an “Pandatage” zu glauben. Eine lesenswerte Erzählung in Pandakostüm.

James Gould-Bourn: Pandatage Read More »