Schriftsteller

Uwe Wittstock: Marseille 1940 – Die große Flucht der Literatur

Inhalt:
Juni 1940: Hitlers Wehrmacht hat Frankreich besiegt. Die Gestapo fahndet nach Heinrich Mann und Franz Werfel, nach Hannah Arendt, Lion Feuchtwanger und unzähligen anderen, die seit 1933 in Frankreich Asyl gefunden haben. Derweil kommt der Amerikaner Varian Fry nach Marseille, um so viele von ihnen wie möglich zu retten. Uwe Wittstock erzählt die aufwühlende Geschichte ihrer Flucht unter tödlichen Gefahren. (Klappentext)

Rezension:

In letzter Minute hat Heinrich Mann es geschafft, die Grenze ohne Aufsehen zu überqueren, Teil des kulturellen Exodus’, der das Deutsche Reich mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten, erfasste. Auch andere, die sich politisch mit Werk und Worten gegen die neuen Machthaber positionierten, mussten fliehen. Viele Intellektuelle und Schriftsteller fanden sich darauf hin in Frankreich wieder.

Doch auch hier holt der Krieg jene, die sich in Sicherheit glaubten, ein. 1940 ist Frankreich besiegt, zerstückelt. Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt, Leib und Leben zu riskieren, sich außer Reichweite der Häscher zu bringen. In der unbesetzten Zone wird die Stadt Marseille zum Schicksalsort, an dem sich alles entscheidet.

Nach seinem Werk “Februar 33 – Der Winter der Literatur” nimmt sich der Autor Uwe Wittstock nun erneut einen kulturellen Wendepunkt an, der der Erzählung des Exodus des intellektuellen Lebens nach der Machtergreifung Hitlers in nichts nachsteht. Spannend, erzählt er die Geschichte derer, die sich versuchen, in Sicherheit vor den Zugriff der Nazis zu bringen, und derer, die dies ermöglichen. Biografien werden verwoben, wie Wege, die sich kreuzen. Ausgangspunkte sind ein Schriftsteller-Kongress im Exil, die Beobachtung ausbrechender Gewalt, Tatendrang und unermüdliche Hilfsbereitschaft.

Im Mittelpunkt der Journalist Varian Fry, der es mit seinen Mitstreitern schafft, in aller Kürze ein kleines aber effektives Netzwerk aufzubauen, in Frankreich später selbst die Fäden in den Händen halten muss, welche nicht nur durch das dortige Vichy-Regime unter Druck geraten. Akribisch folgen wir seinen Spuren und derer, denen er die Flucht verhilft.

Alma Mahler Werfel und Franz Werfel, Heinrich Mann, Anna Seghers und viele andere werden so gerettet. Fry und seine Unterstützer werden für einen entscheidenden Moment der Geschichte zu besonderen Menschen in einer besonderen Zeit.

Wie bereits in seinem vorangegangenen Werk werden die dicht gedrängten Ereignisse in Tagebuchform aufgefächert, welche das Drängen, die Eile und nicht selten die Ungewissheiten der Akteure herausstellt, deren Schicksale sich von einem auf dem anderen Tage ändern konnte.

Wieder sind es ausgewählte Personen, deren Wege hier beschrieben werden, stellvertretend für viele, die zwangsweise namenlos bleiben müssen, da wir zu wenig wissen, um von ihnen zu erzählen. Gleich zu Beginn wird dies vom Autoren selbst herausgestellt, dem der Spagat gelungen ist, ein zweites Mal ein literarisches, zudem in unseren Zeiten hoch nachdenklich machendes, Sachbuch zu schaffen.

Anhand von Tagebuchaufzeichnungen, nach dem Krieg niedergeschriebenen Erinnerungen oder Briefen, auf denen sich eine puzzleartige Recherche, die auch nach Marseille selbst führte, stützt, ist damit ein kulturelles Portrait entstanden. Kurzbiografien am Ende des Buches geben über das weitere Schicksal Aufschluss. Aufgelockert wird die Lektüre durch Kartenmaterial in den Innenseiten und zahlreichen Abbildungen, welche im Zusammenspiel diese Tage lebendig werden lassen.

Auch hier hat man, wie in “Februar 33” erneut das Gefühl, allen Personen so nahe zu sein, als würde man daneben stehen, gegen alle Widrigkeiten Fluchten zu organisieren oder zu bestreiten. Diese Chronologie geht unter die Haut, mit einem sogar noch etwas flüssiger wirkenden Schreibstil als beim Vorgänger. Ein Buch über Menschlichkeit und Mut, über unwägbare Faktoren und Sekunden, die über Gelingen oder Scheitern entschieden.

Eine unbedingte Leseempfehlung.

Autor:

Uwe Wittstock wurde 1955 in Leipzig geboren und ist ein deutscher Literaturkritiker, Lektor und Autor. Zunächst arbeitete er als Journalist der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, wo er von 1980 bis 1989 der Literaturredaktion angehörte, danach wirkte er als Lektor beim S. Fischer Verlag.

Zur gleichen Zeit war er Mitherausgeber der Literaturzeitschrift Neue Rundschau. Im Jahr 2000 wurde er stellvertretender Feuilletonchef der Tageszeitung Die Welt, zwei Jahre später Kulturkorrespondent in Frankfurt/Main. Bis 2017 arbeitete er als Literaturchef des Magazins Focus. Zu seinen Werken zählen mehrere Sachbücher. 1989 erhielt er den Theodor-Wolff-Preis für Journalismus.

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Uwe Wittstock: Februar 33 – Der Winter der Literatur

Inhalt:

Es ging rasend schnell. Der Februar 1933 war der Monat, in dem sich auch fir Schriftsteller in Deutschland alles entschied. Uwe Wittstock erzählt die Chronik eines angekündigten und doch nicht für möglich gehaltenen Todes. Von Tag zu Tag verfolgt er, wie das glanzvolle literarische Leben der Weimarer Zeit in wenigen Wochen einem langen Winter wich und sich das Netz für Thomas Mann und Bertolt Brecht, für Else Lasker-Schüler, Alfred Döblin und viele andere immer fester zuzog. (Klappentext)

Rezension:

Die Geschichte der letzen Tage, sie beginnt mit einem Tanz auf den Vulkan. Der Schriftsteller Carl Zuckmayer, der mit den Drama “der Hauptmann von Köpenick” ein paar Jahre zuvor seinen größten Erfolg feierte, begibt sich zum Presseball, einer Berliner Institution. Alles, was Rang und Namen hat, gibt sich dort die Ehre. Die künstlerische Elite versammelt sich. Doch, die Atmosphäre ist getrübt. Nicht wenige Anwesende ahnen, dass sich die Zeiten gerade ändern. Welche Folgen dies langfristig haben wird, ist kaum jemanden klar. Am nächsten Tag, den 30. Januar 1933, wird Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt.

Es ist die Geschichte einer flirrenden Zeit. Einen Monat, in etwa so lang, wie ein ausgedehnter Sommerurlaub, brauchte es, um die Demokratie auszuhölen und durch ein System der Willkür und Tyrannei zu ersetzen, doch zunächst war nicht sicher, ob nicht die Nazis genau so schnell verschwinden würden, wie andere Regierungen zuvor. Der Krieg noch nicht in sicht, begann die Konsolidierung der Macht jedoch bereits vom ersten Tag an. Schriftstellende, Journalisten und Künstler mussten sich entscheiden. Bleiben, wie der Autor Erich Kästner etwa oder die Flucht ins Exil, wie sie Thomas und Heinrich Mann ergriffen.

Der Autor und Literaturredakteur Uwe Wittstock erzählt von einem beispiellosen kulturellen Exodus, nachdem nichts mehr so sein sollte, wie zuvor.

Anhand ausgewählter Biografien beschreibt der Autor Tage der Entscheidung. Rettet man mit der Flucht ins Exil sein eigenes Leben oder wartet man nicht lieber ab, bis der Spuk vorbei ist? Muss man überhaupt fliehen? Ist man von den Ausfällen der Machthaber selbst betroffen oder kann sich gar mit der neuen Situation arrangieren?

Was nimmt man mit, was versteckt man? Wo taucht man unter? Wie und wovon lebt man dann dort? Uwe Wittstock erzählt aus der Sicht der Manns, Döblins oder etwa Ricarda Huch und Gottfried Benn, welchen Fragen und Entscheidungen die ausgesetzt waren, die sich schon längst mit ihrem künstlerischen Schaffen positioniert hatten. Er berichtet von der Vernetzung einer Schicht, die die Nazis innerhalb weniger Tage zerschlugen.

Mit der Form eines literarischen Sachbuchs macht Uwe Wittstock eine Zeit lebendig, deren Folgen die Protagonisten damals nur ahnen konnten, die später einen ganzen Kontinent und noch mehr ins Unglück stürzte. Fakten verpackt er in erzählerischer Form. An manchen Stellen muss man durchatmen und sich vergewissen, was man mit “Februar 33 – Der Winter der Literatur” eigentlich vor sich hat. Nicht doch einen Roman?

Aus Tagebuchaufzeichnungen, Notizen und Briefen, teilweise autobiografischen Schriften, hat Wittstock ein lebendiges Bild ausgewählter Männer und Frauen gewoben, die alle auf unterschiedliche Art und Weise sich entscheiden mussten, manchmal von einer Minute auf die andere. Dabei handelt es sich um Ausschnitte.

Ein Ding der Unmöglichkeit ist es, die Wege der gesamten künstlerischen Elite jener Zeit darzustellen, doch die Auswahl der Lebensläufe zeigt ein breites Spektrum auf. Der Autor ruft so jene Zeit ins Gedächtnis, in der noch niemand sicher sagen konnte, ob dieser oder jene Weg der richtige sein sollte. Viele Akteure indes, konnten später nicht mehr an ihre Erfolge vor Februar 1933 anknüpfen. Anderen wurde die Kooperation mit den Nazis zum Verhängnis. Wenige nur konnten auch in der Nachkriegswelt künstlerisch Fuß fassen.

Wittstock erzählt chronologisch. Die Kapitel sind in Form von Tagesdaten untergliedert, was die Brisanz und die Schnelligkeit verdeutlicht, mit der sich alles änderte. In wechselnder Perspektive werden die Schwierigkeiten und Fragestellungen klar, denen sich die Akteure ausgesetzt sahen. Auch, was danach geschah, bleibt nicht unerwähnt. Zur Abrundung werden im Anschluss Kurzbiografien aufgeführt. Das Sachthema erzählerisch in dieser Form lebendig werden zu lassen, funktioniert hier sehr gut.

An manchen stellen wirkt das so, als würde man selbst etwa an einer Straßenkreuzung stehen und müsste sich entscheiden, ob man zur Wohnung geht, in der Gefahr, den eigenen Häschern in die Arme zu laufen, oder doch zum Bahnhof, um in den nächsten Zug zu steigen und Richtung Grenze zu fahren, so lange dies noch möglich ist. Manche Biografien sind bekannt, trotzdem schwitzt man beim Lesen teilweise Tropf und Wasser. Eine nüchterne Abhandlung ist etwas anderes.

Autor:

Uwe Wittstock wurde 1955 in Leipzig geboren und ist ein deutscher Literaturkritiker, Lektor und Autor. Zunächst arbeitete er als Journalist der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, wo er von 1980 bis 1989 der Literaturrerdaktion angehörte, danach wirkte er als lektor beim S. Fischer Verlag.

Zur gleichen Zeit war er Mitherausgeber der Literaturzeitschrift Neue Rundschau. Im Jahr 2000 wurde er stellvertrender Feuilletonchef der Tageszeitung Die Welt, zwei Jahre später Kulturkorrespondent in Frankfurt/Main. Bis 2017 arbeitete er als Literaturchef des Magazins Focus. Zu seinen Werken zählen mehrere Sachbücher. 1989 erhielt er den Theodor-Wolff-Preis für Journalismus.

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Anatol Regnier: Jeder schreibt für sich allein

Jeder schreibt für sich allein Book Cover
Jeder schreibt für sich allein Anatol Regnier C.H. Beck Erschienen am: 17.09.2020 Seiten: 366 ISBN: 978-3-406-75592-7

Inhalt:

Dieses Buch handelt von Schriftstellern im nationalsozialistischen Deutschland, ihrem Spagat zwischen Anpassung und künstlerischer Integrität unter den Bedingungen der Diktatur.

Opportunisten und Konjunkturritter sind dabei, aber auch Autoren, die nur ihrer Arbeit nachgehen wollten und versuchten, moralisch sauber zu bleiben. Mit leichter Hand verknüpft Anatol Regnier die Biografien von Hans Fallada und Erich Kästner, Agnes Miegel und Ina Seidel, Gottfried Benn, Hanns Johst und Will Vesper. Es sind Geschichten von überraschender Widersprüchlichkeit, die das ganze Spektrum menschlichen Verhaltens im Dritten Reich abbilden. (Klappentext)

Rezension:

Als im Jahr 1933 die Nationalsozialisten an die Macht im Deutschen Reich gelangten, begann gerade im kulturellen Bereich ein beispielloser Exodus. Schriftsteller, wie der Nobelpreisträger Thomas Mann oder Literaturkritiker, wie Alfred Kerr, flohen ins Ausland. Nur zu gut waren ihre Positionen zu den neuen Machthabern bekannt, die ihre Ziele kaum verheimlichten. Mit einem Schlag war Deutschland einem Großteil seines kulturellen Lebens beraubt. Doch, viele SchriftstellerInnen und DichterInnen blieben, da sie nicht fliehen wollten oder konnten. Dies ist ihre Geschichte.

Anatol Regnier, Enkel des im Jahr 1918 verstorbenen Dramatikers Frank Wedekind, hat mit “Jeder schreibt für sich allein” ein bemerkenswertes Porträt geschaffen, jener Zeit, in der man sich teilweise bis zur Unkenntlichkeit verbiegen musste, um bestehen zu bleiben und überleben zu können. Doch, wie weit musste man als Schriftsteller gehen, der ständig durch das Damoklesschwert Schreibverbot bedroht wurde, zudem, jede Zeile, sei sie auch noch so wohlwollend, kritisch beäugt sah.

Wie gingen Literaten, wie Erich Kästner, der bereits weltbekannt war, als die Nazis die Macht erlangten damit um, wie ein psychisch angeschlagener Hans Fallada und was erhofften sich Ina Seidel und Will Vesper? Anatol Regniers dokumentarischer Bericht zeigt anhand der Werke einer Auswahl von Autoren, was die Zwänge der Diktatur mit den Menschen machten, wozu diese teilweise durch das Regime getrieben wurden.

Hier wird detailliert auf einzelne Biografien Bezug genommen. Andere fallen dabei unter den Tisch. Teils, weil sie zu umfangreich wären für einen Gesamtüberblick, da dies nur eine Übersicht darstellen soll, aber auch, da die ganze Blut-und-Boden-Literatur nur gestreift wird. Vielmehr geht es Regnier, um die jenigen, die zwischen den Stühlen standen und sich nach dem Krieg vor Größen, wie Thomas Mann, verteidigen mussten. Für jede Zeile, die auch nur ansatzweise anrüchig klang.

Der Autor seziert einzelne Werke gründlich. Als Lesender kann man nur vermuten, welche Rechercheleistung dahinter steckt, aber auch die Liebe zur Literatur, die gerade aus dieser Zeit mehrdeutig betrachtet werden muss. Sachlich nüchtern präsentiert der Autor die schreibenden Kollegen jener Zeit, die sich hinterher rechtfertigen mussten und praktisch mit dem Rücken zur Wand standen.

Er zeigt, welchen Einfluss oder auch nicht, einzelne Kulturschaffende hatten, wie diese sich teilweise bei Behörden und Ministern für ihre Kollegen einsetzen und um jede Zeile kämpfen mussten. Mal mehr, mal weniger. Sehr kompakt geschrieben ist dies, trotzdem spürt man auch beim Lesen des Sachbuchs die ständige Bedrohung, der die Schriftsteller im Nationalsozialismus unterlagen.

Was dabei herauskam, lässt sich heute noch anhand ihrer Werke nachvollziehen, wobei es Autoren wie Erich Kästner auch im Nachkriegsdeutschland gelang, wieder Fuß zu fassen. Anderen, berechtigterweise nicht. Der Zwist der Vielen, die dazwischen standen, ist heute fast vergessen. Um so wichtiger, dieses Buch, welches z.B auch parallel zu Volker Weidermanns “Buch der verbrannten Bücher” gelesen werden kann. Einige Autoren finden sich auch dort wieder.

Autor:

Anatol Regnier wurde 1945 in Sankt Heinrich geboren und ist ein deutscher Schriftsteller, Chansonsänger und Gitarrist. Sein Großvater ist der Dramatiker und Schriftsteller Frank Wedekind, über den er 2008 eine Biografie veröffentlichte.

Regnier selbst, studierte am Royal College of Music in London und dozierte selbst am Konservattorium in München. Mitte der 1980er Jahre lebte er in Australien. Im Jahre 2003 erschien seine Familienbiofie. Zwei Jahre später erhielt er den Ernst-Hoferichter-Preis der Stadt München, sowie den Schwabinger Kunstpreis, 2012. Er ist Mitglied des PEN-Zentrums Deutschland und lebt heute in München.

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Andreas Guski: Dostojewskij – Eine Biographie

Dostojewskij - Eine Biografie Book Cover
Dostojewskij – Eine Biografie Andreas Guski C.H. Beck Verlag Erschienen am: 15.08.2018 Seiten: 460 ISBN: 978-3-406-71948-6

Inhalt:

Mit “Schuld und Sühne” hat Dostojewskij, so Thomas Mann, “den größten Kriminalroman aller Zeiten” verfasst. Kaum weniger fesselnd als seine großen Romane ist sein von äußeren und inneren Dramen geprägtes Leben. Als junger Mann verbringt er vier Jahre im Zuchthaus, am Ende seines Lebens wird er als Prophet der Nation gefeiert.

Dazwischen liegen die Höhen und Tiefen seines literarischen Glücks wie seiner verzehrenden Spielsucht. Der Slawist Andreas guski legt die erste Biographie in deutscher Sprache seit über 25 Jahren vor. Anschaulich erzählt er dostojewskijs Leben und erschließt sein gewaltiges OEuvre im Kontext der Zeit. (Klappentext)

Rezension:

Heute zählen seine Werke unbestritten zu den Klassikern russischer Literatur, doch war dem nicht immer so. Im Gegenteil, zu Beginn seines schriftstellerischen Wirkens war Dostojewskij umstritten, seine Erzählkunst wurde angezweifelt, dazu kamen schier unüberwindbare Überliteraten, wie Puschkin und Tolstoi, und bis zuletzt hatte er mit seiner schon im frühen Erwachsenenalter aufkeimenden Spielsucht zu kämpfen.

Und doch veränderte und erweiterte der mann, der schon immer Schriftsteller sein wollte, die Literatur mit seinen großen Romanen “Schuld und Sühne” und “Der Idiot”, sowie in zahlreichen Zeitungsartikeln Land und Leser gleichermaßen.

Über sein Wirken, ein abwechslungsreiches, von vielen Fallgruben und wenigen erfolgen gekennzeichneten Leben liegt nun diese Biographie vor.

Andreas Guski nähert sich den Leben eines Verrückten oder eines Genies, so genau weiß man das nicht zu sagen, auf der privaten und auf der schriftstellerischen Ebene an. Sein Leben wird im Kontrast zu den seiner Zeitgenossen gestellt, Vergleichslinien gezogen und sehr detailliert aufgesplittet, wo die Wendepunkte lagen, die Dostojewskij bewältigen musste.

Der Autor analysiert im gleichen Atemzug das jeweils zu der beschriebenen Zeit enstandene Werk, zeigt die Arbeitsweise dieses Talents, welches seine Zeitgenossen erst erkennen wollten, als der Schriftsteller Dostojewskij nur noch wenige Jahre zu leben hatte.

Herausgekommen dabei ist ein vielschichtiges Portrait einer wunderlichen epoche und eines Mannes, der nur durch die Betrachtung seiner Werke kaum zu fassen ist. Die Detailiertheit lohnt sich, vor allem wenn man noch keines der Werke Dostojewskijs selbst gelesen hat, oder im Vegrleich dazu eines der anderen schon genannten Schriftsteller.

Guskis Biografie bildet die Grundlage zu verstehen, etwa hinter die verschiedenen Romane zu schauen, die beim oberflächlichen Lesen sonst verloren gehen könnten. Für alle anderen ist es ein interessantes Zeitenportrait, in denen Genie und Wahnsinn sich versammeln. Dostojewski ist beides aber nicht nur er alleine.

Konzentration erfordert die Lektüre, langsames Lesen sowie so. etwas anderes lässt der Schreibstil Guskis nicht zu, die detailliertheit der Recherche jedoch ebenso wenig. Guski lässt die Fassade hinter Dostojewski bröckeln und baut sie zugleich neu auf.

Ein vielschichtiges Werk über ein gewaltiges Stück Literaturgeschichte, die zugleich eine Lebensgeschichte darstellt. Allen Interessenten sei dies empfohlen.

Autor:

Andreas Guski ist Professor für Slawistische Philologie an der Universität Basel. Seine Dissertation schloss er 1970 ab, bevor er 1985 zur Literatur des Stalinismus habilitierte. Seine Forschungsgebiete sind u.a. die russische und tschechische Literaturgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts.

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Dogan Akhanli: Verhaftung in Granada

Verhaftung in Granada Book Cover
Verhaftung in Granada Rezensionsexemplar/Bericht Kiepenheuer & Witsch Taschenbuch Seiten: 222 ISBN: 978-3-462-05183-4

Inhalt:
19. August 2017: Spanische Polizisten verhaften Dogan Akhanli, einen deutschen Staatsbürger, in Granada. Die Türkei hatte ihn über Interpol zur Festnahme ausgeschrieben. Die Tür seiner Zelle schließt sich hinter ihm – wieder einmal:

Wie in einer Zeitkrümmung durchlebt er erneut die Monate und Jahre, die er in der Türkei als politischer Häftling verbracht hat – 1975, 1985-1987 und ab August 2010. “Verhaftung in Granada” ist, bei aller Grausamkeit und allem Unrecht, von denen die Rede ist, eine abenteuerliche, poetische und oft auch humorvolle Reise durch die letzten 40 Jahre, die uns hilft zu verstehen, warum in der Türkei noch immer und wieder Willkür und Gewalt herrschen. (Klappentext)

Rezension:
Eines der beliebtesten Reiseziele der Deutschen, oder was von diesem Status noch übrig ist, trudelt seit der Staatsgründung immer wieder von krise zu Krise.

Eine explosive Mischung aus Machtgier, Neid, Missgunst, falschen Geschichtsbewusstsein und Willkürordnen die Machtverhältnisse in unregelmäßigen Abständen immer wieder neu, was folgt ist ein Unterdrückungsregime im Schafspelzmantel.

Je nachdem, wer an der Macht ist, mit weniger oder eben mehr negativen Auswirkungen. Dogan Akhanli hat sie mehrmals, die harte Hand der diktokratischen Herrscher zu spüren bekommen. Gefängnisaufenthalte, die ihn immer wieder an sich und an die türkische Gesellschaft zweifeln lassen und ihn versuchen zu brechen.

Doch, Akhanli bleibt selbstbewusst und unbequem.

Wer ist dieser Mensch, der inzwischen Deutschland als seine Heimat betrachtet und dessen Name 2017 Schlagzeilen in den Zeitungen und Medienberichten machte?

Weshalb wurde Akhanli wochenlang in Spanien von der spanischen Polizei auf Ersuch des türkischen Präsidenten Erdogan festgehalten und was sagt das über einen Staat aus, der sich international demokratischer Mittel bedient, um Rache und Willkür walten zu lassen?

Wo stand die Türkei in den 70er, in den 80er Jahren, wohin treiben die jetzigen Machteliten dieses Land und wie sieht die Zukunft aus? Fragen, die gestellt werden müssen. Und Akhanli denkt laut darüber nach.

Es ist das Selbstprotrait eines Menschen, der die Ereignisse aus seiner Sicht schildert, die Deutschland beschäftigten und immer noch Probleme bereiten, wenn es um Staatsbürger geht, die als Journalisten unterwegs sind, praktisch von ihrer Arbeit abgehalten werden oder einfach so im Machtbereich der Türkei festgehalten und zum Spielball der Politik werden.

Akhanli schildert, sehr ernst und eindringlich, wie die Mächtigen in der Türkei zu unterschiedlichen Zeiten ihre Bevölkerung unterdrückten und bei unbequemen Fragen selbst unbequem werden. Zu Lasten der Bürger, die nichts anderes kennen, als einen Wechsel von demokratisch scheinenden aber im Grunde willkürlichen Systemen.

Mit Ernst und einer kleinen Prise Humor, anders wären die Qualen wohl kaum zu ertragen gewesen, schildert Akhanli Ursachen und Wirkungen, zieht Linien zur Entstehungsgeschichte und dem dunkelsten Kapitel der türkischen Geschichte, welches erst vor wenigen Jahren z.B. im Deutschen Bundestag geächtet wurde.

Der Autor schildert detailliert die subtilen Ungewissheiten eines menschenverachtenden Systems, welches nicht nur Gehirnwäsche betreibt, sondern auch Gewalt anwendet, ob psychischer oder physischer Natur, wenn niemand genau hinsieht.

Die Niederschrift Akhanli ist eine Ansage, dass es sich lohnt unbequem zu bleiben, dass es aber auch weiterhin hunderte Menschen gibt, Türken oder Ausländer, die unter Erdogans Häschern leiden. Auf dass sie nicht vergessen werden.

Dogan Akhanli hatte das Glück, die richtigen Kontakte und auf die richtigen Menschen zu treffen, bei allen seinen Gefängnisaufenthalten in der Türkei, doch müssen wir uns sein und die anderen Schicksale ständig in Erinnerung rufen, zumal wenn sie keine große Lobby haben.

Nur so besteht vielleicht irgendwann einmal die Chance, dass die türkische Bevölkerung ihren Weg unbesorgter gehen kann. Das Buch des Autoren ist vielleicht ein erster Schritt dazu.

Autor:
Dogan Akhanli wurde 1957 in der Türkei geboren und ist ein türkischstämmiger Schriftsteller. Nachdem er zuerst in seinem Heimatort die Schule besuchte, zog er später nach Istanbul zu einem älteren Bruder, um seine Schulbildung fortzusetzen.

Nach der Schule studierte er geschichte und Pädagogik, wurde 1975 wegen Kaufs einer linksgerichteten Zeitschrift verhaftet und begann sich politisch zu engagieren. Nach den Militärputsch 1980 ging er in den Untergrund, wurde Mitte der 1980er Jahre erneut verhaftet. 1991 floh er nach Deutschland ins politische Asyl.

Seit dem lebt er in Köln. 1998 wurde er von der Türkei ausgebürgert. Er ist Mitglied der Internationalen Schriftstellervereinigung PEN und engagiert sich in sozialen Projekten.

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