Mobbing

Andreas Steinhöfel/Melanie Garanin: Völlig meschugge?!

Inhalt:

Benny, die Umweltaktivistin Charlie und Hamid, der 2015 als Flüchtlingskind aus Syrien kam, sind dickste Freunde. Nichts kann sie auseinander bringen. Nichts? Als Benny von seinem Opa eine Kette mit Davidstern erbt, finden die drei sich in einem Strudel aus Antisemitismus, Mobbing und Gewalt wieder, der sie mit sich reißt und ihre Freundschaft zu zerstören droht. (Klappentext)

Rezension:

Die Geschichte der drei Freunde beginnt mit ihrem Ende. Der zwölfjährige Benny wird verletzt aufgefunden, aus einer alten Höhle geborgen, in der er zuvor gestürzt war. Noch einmal ist er mit den Schrecken davongekommen, doch was war zuvor passiert? Eine beeindruckende Graphic Novel ist hier parallel zur gleichnamigen Jugendserie der Fernsehsender ZDF und Kika erschienen, die mit ihrem Inhalt das Werk in die Reihe der Bücher gegen das Vergessen rückt.

Erzählt wird die Geschichte dreier Freunde. Benny ist Mittelpunkt der Gruppe, sportlich und mitreißend. Charlie gehört nicht nur die Modelleisenbahn, um die sich die Gruppe regelmäßig versammelt, in gelben Gummistiefeln engagiert sich die Vegetarierin zudem für Umwelt- und Naturschutz. Der Dritte im Bunde ist Hamid, der 2015 mit seiner Familie aus Syrien nach Deutschland kam und seine Gedanken und Gefühle in Zeichnungen verarbeitet.

Nichts kann die drei auseinander bringen, doch in der weiterführenden Schule geht es rau zu. Handys verschwinden, Mobbing und Ausgrenzung sind an der Tagesordnung. Als Benny offen eine Kette mit Davidstern trägt, stellt dies auch die Freundschaft zu Hamid in Frage, dem sein älterer Bruder einige krude Gedanken in den Kopf gesetzt hat. Ein Strudel, der sich immer heftiger auftürmenden Gewalt beginnt die Freundschaft der drei zu zerreißen.

Soviel zum Inhalt der Geschichte, die sich trotz der thematischen Schwere leicht lesen und diskutieren lässt, was nicht nur an der grafischen Aufbereitung durch Melanie Garanin liegt, sondern auch an der einfühlsamen Erzählweise durch Steinhöfel, der wie kaum ein anderer deutschsprachiger Kinderbuchautor es schafft, wichtige Fragen aufs Tableau zu bringen, dabei keine Fäden der Handlungsstränge zu verlieren oder ins Klischeehafte abzurutschen. In einer Mischung aus Comic- und Mangastil werden Mobbing, Antisemitismus und Ausgrenzung, Freundschaft und Mut so aufbereitet, dass sich dies gemeinsam, z. B. im Unterricht oder alleine gut lesen lässt, finden doch alle entsprechende Äquivalente in der realen Welt.

Vergleichsweise ausführlich orientiert sich das Werk sehr eng an der gleichnamigen, ebenfalls sehenswerten TV-Serie, die parallel dazu entstand. Die Kapiteleinteilung entspricht der Benennung der einzelnen Folgen. Durch die Erzählweise entfallen in beiden Medien Längen. Zudem fehlt der erhobene Zeigefinger fast gänzlich.

In der Serie sind die Charaktere wechselseitig perspektivgebend, während die Graphic Novel vor allem aus der Sicht von Charlie erzählt wird. Doch die drei Hauptcharaktere sind hier wunderbar ausgestaltet, haben allesamt Ecken und Kanten, in ihren Reaktionen nachvollziehbar. Der erzählte Zeitraum ist unbestimmt, es kann sich dabei jedoch nur um wenige Wochen handeln. der Handlungsort könnte überall in Deutschland sein. Gegensätzliche Protagonisten sind klar definiert gehalten, aber auch deren abstruse Beweggründe sind ausreichend ausgearbeitet, so dass sich eine Dynamik zwischen den Figuren entfaltet, die dem Werk eine gewisse Geschwindigkeit und Brisanz verleiht.

Interessant bei solcher Lektüre ist immer auch die Farbgebung. Kontraste ergeben sich durch die warmen Farben, wenn aus der Sicht etwa von Benny erzählt wird, und den eher dunkelblau gehaltenen Tönen, wenn von Hamid die Rede ist, der seine Gedanken mit sich herumträgt. Zudem sind auch hier die Zeichnungen innerhalb der Zeichnung zu erwähnen, da der Junge parallel zur Handlung das Erlebte selbst malerisch verarbeitet. Große Freistellen wechseln sich zudem ab mit witzigen Randbewegungen, so dass zwischen all dem Ernst es genug auflockernde Momente gibt.

Diese Graphic Novel behandelt all die Themen, die alle Schüler/innen in der einen oder anderen Form kennen, sei es, da sie selbst Betroffene sind oder in derer Umgebung bestimmte Dinge passieren, über die gesprochen werden muss. Dafür bietet das Werk eine Grundlage und kann sicher als Aufhänger und Diskussionsgegenstand im Unterricht genutzt werden. Der Vergleich zur Ringparabel in Lessings Werk “Nathan der Weise” drängt sich auf. Moderner kann man eine Thematik kaum aufbereiten.

Gerade in unserer Zeit, in der extreme Richtungen wieder Zulauf erhalten und Glaube immer noch zur Konfrontation missbraucht wird oder als Aufhänger, auszugrenzen, ist solch ein Werk gerade für Jüngere wichtig, um zu zeigen, dass es auch anders geht, dass Freundschaft, Mut und Zusammenhalt ideologische Grenzen überwinden können. Auch eine Botschaft, wie sie sich durch einige von Steinhöfels Werken zieht.

Dieses Werk, was junge Lesende ernst nimmt und in der Lage ist, neue Perspektiven zu geben, ist damit unbedingt empfehlenswert.

Autoren:

Andreas Steinhöfel wurde 1962 geboren und ist ein deutscher Schriftsteller. Nach dem Abitur begann er ein Studium der Biologie und Englisch auf Lehramt, bevor er zu Medienwissenschaften, Anglistik und Amerikanistik wechselte. 1991 erschien sein erstes Kinderbuch, seit 2016 ist er Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Er ist Autor mehrerer ausgezeichneter Kinder- und Jugendbücher, schreibt Drehbücher. Sein Werk wurde bereits mehrfach verfilmt.

Melanie Garanin wurde 1972 geboren und ist eine deutsche Illustratorin, Kinderbuchautorin und Comiczeichnerin. Zunächst studierte sie in Potsdam-Babelsberg Animationsfilm. Seit 1998 arbeitet sie als freiberufliche Animatorin und Illustratorin für eigene Werke und die anderer Titel. 2020 erschien ihre erste autobiografische Graphic Novel, in der sie den Tod ihres Sohnes verarbeitete. Sowohl eigene als auch die von ihr illustrierten Titel anderer Autoren wurden in mehrere Sprachen übertragen.

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Isabela Figueiredo: Die Dicke

Inhalt:

Maria Luisa ist jung, intelligent, eigensinnig, eine gute Schülerin, die auch später konsequent ihren eigenen Weg verfolgt. Doch sie ist dick. Hoffnungslos dick. Dieser Umstand überlagert und beschädigt alles: ihre sozialen Kontakte, ihr Gefühlsleben, ihren Wirklichkeitsbezug. Neben ihrer dominanten Freundin Toni – schlank, schön, umschwärmt – ist sie “das Monster”, “der Blauwal”. Im Studium lernt sie David kennen, der ihren Körper begehrt, sich für ihr Aussehen schämt und schließlich die Beziehung beendet. Von den eigenen Eltern fühlt sie sich eingeschränkt, dennoch werden sie ihr nach deren Tod fehlen. Als Erwachsene fasst Maria Luisa den Entschluss, ihren Magen operativ verkleinern zu lassen. (abgeänderter Klappentext)

Rezension:

Melancholie und Wehmut ist den Portugiesen eigen. Diese Gefühle schwingen in sämtlichen Zeilen des Romans “Die Dicke” aus der Feder der Autorin Isabela Figueiredo mit, die in ihren Text so viele erzählerische Spielarten vereint, dass alle etwas daraus ziehen können. Tatsächlich ist dies ein Gesellschaftsroman, ein Text über und gegen Mobbing, gegen Perfektionismus und pro Nonkonformität. Es ist eine Geschichte von Selbstfindung, gegen das Stromlinienförmige, aus der Rolle der Außenseiterin, die sich behaupten und entdecken muss.

Erzählt wird sie aus der Sicht der jungen Maria Luisa, die zielstrebig ihren Weg zu gehen versucht, im Schatten der Eltern, später im Internat, im Berufsleben und Privatem jedoch auch immer den Blicken der anderen ausgesetzt sind. Das einzige Manko, Übergewicht, über das andere nicht hinwegsehen können, dieses kommentieren. Die Protagonistin härtet nach außen ab, um innerlich an den Blicken und Bemerkungen fast zu zerbrechen, um später dann selbst einen Schlusstrich zu setzen. Bis dahin ist der Weg steinig, voller Hindernisse. Eine Achterbahn der Gefühle ohnehin.

Sterben wäre vielleicht gar nicht so schwierig, wenn wir nicht Mitleid hätten mit uns selbst und mit dem, was wir zurücklassen, aber das Sterben zu überleben, dem wir lebend beiwohnen, das auf unseren Schultern lastet, erfordert Kaltblütigkeit und Mut.

Isabela Figueiredo: Die Dicke

Immer ist die Protagonistin zwar umgeben von anderen, doch steht sie im Zentrum der Erzählung, die gleich zu Beginn das Körperliche betont. Andere Figuren werden kaum fassbar, in jedem Falle mit Ecken und Kanten, wenn auch Maria Luisa nicht weniger schwierig wirkt. Es ist kompliziert, so könnte der nicht genannte Untertitel lauten. Wer vermeintliche Makel besitzt, für den stimmt das wahrscheinlich, doch sind diese Charaktere nicht dazu angetan, den Lesenden die Lektüre zu erleichtern. Es ist ein drückender Roman, zu Teilen sehr angestrengt. Wer nicht perfekt ist, leidet. Und wer liest, der leidet mit.

Die Erzählperspektive bleibt die gesamte Länge über unverändert, nur der Standpunkt der Protagonistin ändert sich. Gefühlswelten schwanken wie der Boden unter den Füßen oder die Wirkung der Einrichtungen einzelner Zimmer einer Wohnung. So ist der Roman dann auch unterteilt. Für die Protagonistin ist zunächst vor allem das Essen von zentraler Bedeutung und so stehen die Kapitel “Eßzimmer und Küche” auch im Mittelpunkt der Geschichte, die nach den Räumen einer Wohnung unterteilt ist.

Wer sieht den Schreibfehler? Ja, die Übersetzung orientiert sich nicht an der geübten Rechtschreibung. Jedes “daß” sticht heraus und stößt unangenehm auf. Darüber ärgert man sich mehr als über manche Eigenheit der Protagonistin. Solche Formalitäten lenken ab von der interessanten Gestaltung des inneren Konflikts, den auschweifenden Gedankengängen, die ansonsten so sprachlich schön formuliert sind.

Das geht einfach nicht in einem heute veröffentlichten Roman, zumal wenn selbst ältere Texte für Neuauflagen konsequent der gültigen Rechtschreibung angepasst werden. Es soll ja schließlich lesbar bleiben. Mit ganz viel guten Willen kann man damit der Übersetzerin unterstellen, dass sie genau das Konforme der Protagonistin zeigen wollte. Die sprachlichen Formulierungen wären dazu jedoch vollkommen ausreichend gewesen.

Der Roman hat das Tempo der Melancholie mit der ihr eigenen Längen, die immer in den Formulierungen von Gedankengängen als innere Monologe entstehen. Darin verliert man sich jedoch, so dass diese nicht weiter störend sind. Das sind die Momente, wo die Figur besonders nahbar wirkt, Höhepunkte der Erzählung. Höhepunkte anderer Natur gibt es übrigens schon innerhalb der ersten fünfzig Seiten, ohne dass das viel zur Geschichte beiträgt. Wer es nötig hat.

Trotzdem lässt die Erzählung die Lesenden nicht los, spielt mit den Gefühlen, wie die Autorin mit den Gefühlen der Protagonistin spielt. Wie begegnen wir Menschen, die fortwährend uns an unsere Makel erinnern und aufmerksam machen? Wie viel Beachtung schenken wir Bemerkungen, die uns verletzen? Was macht das mit uns? Und wie schauen wir selbst auf Makel der anderen, zumal in Zeiten, wo alles und jeder perfekt zu sein hat, wie uns die Mehrheit der Gesellschaft weißmachen möchte.Diese Fragestellungen bestimmen seit jeher den Alltag der Menschen. Gehen wir den Weg der Protagonistin oder nehmen wir einen anderen? Nicht nur wer Isabela Figueiredos “Die Dicke” gelesen hat, sollte sich diese Fragen stellen.

Autorin:

Isabela Figueiredo wurde 1963 in Mosambik geboren und ist eine portugiesische Schriftstellerin und Journalistin. Seit ihrem zwölften Lebensjahr lebt sie in Portugal und studierte Portugiesische Sprache und Literatur, bevor sie als Journalistin und Lehrerin tätig wurde. 1983 erschienen erste Texte von ihr, 1988 veröffentlichte sie ihren ersten Roman. In ihren Werken setzt sie sich mit Körper und Rassismus auseinander, zudem hinterfragt sie immer wieder den portugiesischen Kolonialismus.

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Mieko Kawakami: Heaven

Inhalt:

Sie sind beide Außenseiter und Opfer übler Mobbing-Attacken und haben doch noch kein Wort miteinander gewechselt: der vierzehnjährige namenlose Ich-Erzähler und seine Klassenkameradin Kojima. Als Kojima aber beginnt, Nachrichten zu schreiben, entwickelt sich ein Dialog zwischen den beiden, entsteht etwas Schönes, Zartes. Bald jedoch wird die gerade geschlossene Freundschaft auf eine harte Probe gestellt.

In ihrem packenden Roman erzählt Mieko Kawakami die Geschichte zweier Jugendlicher, die anders sind, in einer Gesellschaft, die kein Anderssein erträgt, und stellt damit abermals ihr schriftstellerisches Talent unter Beweis.
(Klappentext)

Rezension:

Mobbing wird definiert als fortgesetzte Handlung zumeist psychischer, aber auch körperliche Gewalt und Ausgrenzung gegenüber Schwächeren über einen längeren Zeitraum und das Ausnutzen überlegener Kräfte durch stärkere Personen. In zahlreichen Varianten kommt dies vor, verdeckt oder offen, und erstreckt sich auf Menschen aller Altersgruppen und sozialer Schichten. Wie gibt man einer solchen Thematik, die schon in der Realität kaum flächenwirksam diskutiert wird, fast immer nur dann, wenn sich die Opfer nicht anders zu helfen wissen, als zum Äußersten zu greifen, um sich dem zu entziehen, Raum, zumal in einer von Grund auf eher zurückhaltenden Gesellschaft?

Die japanische Autorin Mieko Kawakami hat dies versucht und erzählt die Geschichte zweier Schüler, wie sie wohl überall auf der Welt vorkommt. Aus der Perspektive eines namenlosen Ich-Erzählers erleben wir von Beginn an die Grausamkeiten, denen er sich ausgesetzt sieht, aufgrund einer Fehlstellung seiner Augen.

Er beschreibt die körperlichen Schmerzen und psychischen Quälereien, die ihm immer mehr verzweifeln und resignieren lassen, bis er eines Tages ein Brief von einer ebenso gequälten Mitschülerin erhält.

Zunächst nur wenige Worte, formen sich schließlich Säütze und ein reger Briefwechsel daraus. Kojima gibt dem Jungen Halt und wird selbst plötzlich gesehen. Zarte Bande, die von den Peinigern Beider nicht unbemerkt bleiben, was Konsequenzen haben wird. Dieses Zusteuern auf die Katastrophe, die Unausweichlichkeit, das Drama, man ahnt das schon zu Beginn, hofft und bangt, gerät gleichfalls der beiden Protagonisten in einem Sog, den man sich nicht entziehen kann.

Aber warum hatte ich Angst? Weil sie mich verletzten? Wenn ich fürchtete, verletzt zu werden, warum tat ich dann nichts? Was hieß das überhaupt: verletzt? Warum wehrte ich mich nicht? Warum ergab ich mich einfach? Was hieß das: sich ergeben? Wovor hatte ich Angst? was ist Angst? Doch so lange ich auch grübelte, zu einem Ergebnis kam ich nicht.

Mieko Kawakami: Heaven

Die Autorin schafft es die Verzweiflung des vierzehnjährigen Ich-Erzählers zwischen den Zeilen mit zunehmenden Seiten immer mehr einzustreuen, eindrucksvoll die inneren Monologe, die Erklärungsversuche des Protagonisten, ebeenso wird das Sinnfreie im Dialog mit einem der Mobber deutlich, dessen Sicht dem Opfer immer mehr die Luft zum Atmen nimmt. Kurze Sätze der Unausweichlichkeit wechseln mit ausufernden, die den Jungen immer mehr in die Tiefe ziehen. Der weg von Kojima nimmt einen anderen Verlauf.

Was bleibt da noch? Das Ende gibt kaum Antworten und bleibt halbwegs offen. So ist das auch im realen Leben. Ein Opfer findet keine einfachen Erklärungen, braucht sie auch nicht, da sie nicht helfen. Nur Hilfe von Außen schafft dies, was schwer genug ist. Wer vertraut sich von selbst schnell genug jemanden an? Das schaffen nur wenige sofort. So bleibt der Leidensweg meist lang. Im Land der Autorin ist die Quote von Fällen von Burnout sehr hoch, ebenso wie die Suizidrate derer, die mit den Konsequenzen einer Gesellschaft, in der jeder für sich bleibt, nicht mehr zurechtkommen. Mieko Kawakami gibt all jenen, nicht nur in Japan, eine Stimme, die so bitter nötig ist.

Autorin:

Mieko Kawakami wurde 1976 in Osaka geboren und ist eine japanische Schriftstellerin und Sängerin. Bekannt wurde sie mit einen Roman, der 2020 in mehreren Sprachen übersetzt wurde, im Deutschen unter den Titel “Brüste und Eier”. Das Buch wurde vom Time Magazine zu den zehn besten Büchern des Jahres gewählt. Doch bereits 2006 debütierte sie als Lyrikerin und veröffentlichte in Japan ihren ersten Roman. Für ihr Werk erhielt sie zahlreiche Literaturüpreise, darunter den Akutagawa-Preis und den Murasaki-Shikibu-Preis.

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Martina Borger: Wir holen alles nach

Wir holen alles nach Book Cover
Wir holen alles nach Martina Borger Erschienen am: 25.03.2020 Diogenes Seiten: 204 ISBN: 978-3-257-07130-6

Inhalt:

Job und Kind unter einen Hut – die alleinerziehende Sina jongliert damit seit Jahren. Seit kurzem wird sie von ihrem neuen Partner Torsten dabei unterstützt.

Und sie haben Ellen, Ende sechzig, die sich engagiert und liebevoll um Sinas Sohn Elvis kümmert und das hat, was er sich so wünscht: Zeit, Geduld – und einen Hund. Doch dann widerfährt dem sensiblen Jungen etwas Schlimmes. Da er sein Geheimnis nicht preisgibt, spinnt sich ein fatales Netz aus Gerüchten um die kleine Patchworkfamilie. (Klappentext)

Rezension:

Sobald man an der Oberfläche kratzt, zeigen sich erst kleine, dann immer größere Risse, die sich schnell zu tiefen unüberwindlichen Gräben ausweiten. Und das nicht einmal absichtlich. Grob könnte man damit die Handlung dieses, zu Beginn sehr betulichen Familienromans, beschreiben, wie sie so oft in den Regalen zu finden sind.

Doch hat die Geschichte aus der Feder Martina Borgers seine Berechtigung, mögen doch gerade die hier beschriebenen Szenen allzuoft in unserer Gesellschaft vorkommen.

In den Protagonisten mag man sich wiederfinden. Allesamt nachvollziehbare Charaktere. Die überarbeitete Mutter, deren berufliche Existenz zu wackeln beginnt, die ältere und hilfsbereite Dame aus der Nachbarschaft und der sensible Filius, Dreh- und Angelpunkt, zugleich Sorgenkind.

Dazu der neue Partner, auch Patchwork ist nichts Ungewohntes. Irgendwo findet man da seine Identifikationsfigur, die die Autorin behutsam ausgearbeitet hat. Der Erzählstil ist dabei von der ersten Zeile an sehr ruhig, um so erschütternder das Ereignis, welches einen Stein ins Rollen und Geschwindigkeit in die Handlung hineinbringt.

Kurzweilig und überschaubar sind die einzelnen Kapitel, beschrieben aus der Perspektive der jeweiligen Hauptperson, wobei hier die Sichtweise des Kindes nur aus der Beobachtung der Erwachsenen heraus, die ihre Schlüsse ziehen, wiedergegeben wird.

Martina Borger erzählt ohne Ausschweifungen von einem schrecklichen Verdacht und von Konsequenzen unseres Handelns, oder eben einer möglichen Nicht-Handlung. Zugleich bringt sie viele Probleme unter, die Gang und Gäbe sind, hier nicht im Detail auserzählt werden. Hier hätte manches Wort mehr geschrieben werden müssen, zumindest Elvis’ Perspektive ausformuliert, wäre wünschenswert gewesen.

Die Erzählung kommt relativ unscheinbar daher, was aber nicht über die Wucht hinwegtäuschen sollte, die der Roman im Verlauf entfaltet. Martina Borger durchbricht die Stadt- und Kleinfamilienidylle, konfrontiert sie mit ihren Sorgen und Ängsten, zeigt, welche Kraft, ein einmal geäußerter Verdacht haben kann.

Doch, ist zu wenig Aufmerksamkeit an der falschen Stelle nicht erst Recht fatal? Leser werden es herausfinden.

Autorin:

Martina Borger wurde 1956 in Gunzenhausen geboren und ist eine deutsche Schriftstellerin. Nach der Schule durchlief sie eine Ausbildung als Produktionsassistentin und besuchte die DeutscheJournalistenschule in München. Von 1985-1997 erarbeitete sie u.a. Drehbücher für die Fernsehserie “Lindenstraße”. Seit 2001 veröffentlichte sie mehrere Romane. 2002 wurde sie mit dem Wiesbadener Frauenkrimipreis ausgezeichnet.

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Viveca Sten: Mörderisches Ufer

Mörderisches Ufer Book Cover
Mörderisches Ufer Thomas-Andreasson-Reihe (8) Kriminalroman Kiepenheuer & Witsch Taschenbuch Seiten: 454 ISBN: 978-3-462-05190-2

Inhalt:

Jeden Sommer kommen Hunderte Kinder ins Segelcamp nach Lökholmen, der kleinen Insel gegenüber von Sandhamn, und verbringen dort ihre Ferien. Doch nicht alle, die am Camp teilnehmen, können ihre Zeit dort genießen, denn einige Kinder werden gemobbt und leiden unter den Gemeinheiten der anderen. Als eines von inen plötzlich verschwindet, beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit… (Klappentext)

Einordnung: Dies ist der achte Band der Thomas-Andreasson-Reihe.

Rezension:

Skandinavische Krimis kennzeichnen sich allzuoft durch Melancholie, die sich wie Mehltau durch die Bücher zieht, schönen Landschaftsbeschreibungen, aber gescheiterten Existenzen, denen man die Ermittlerrolle nur mit großem Wohlwollen abnehmen kann.

Nur hin und wieder sticht ein Fall, eine Geschichte oder gar eine Reihe wohltuend heraus und setzt ein Zeichen gegenüber dem Einerlei dieses sehr eigenen Genres. In diesem Sinne entführt Viveca Sten ihre Leser wieder einmal nach Lökholmen und Sandhamn, jener ländlichen idylle Schwedens, die tief im Inneren ihre Schattenseiten verbirgt. Zumindest, wenn man der feder der Autorin folgt.

Ein Handlungsstrang verfolgt den Weg des kleinen elfjährigen Benjamin, der gegen seinen Willen in ein Segelcamp auf der Schäreninsel verfrachtet wird und dort schnell das Ziel von älteren Jugendlichen wird, die in ihm das ideale Mobbingopfer sehen.

Ein parallel geführter Erzählstrang verfolgt ein, mit diesem Protagonisten lose verbundenen Gerichtsprozess, ein anderer dritter ist der verbindende Klebstoff zwischen den Zeilen.

Dies führt bei manchen Autoren dazu, dass sie sich verlieren und es nicht schaffen, eine vernünftige Lösung zur zusammenführung zu schreiben, doch mit Hilfe eines kontinuierlichen Spannungsaufbaus, der wellenförmig mal die eine Handlung hervorhebt, dann wieder andere Protagonisten fordert, schafft es die Autorin, was nur bei wenig Krimis so überzeugend gelingt.

Dies, in einer vergleichsweise ruhigen und fast unbrutalen schreib- und Erzählweise, die einem dennoch einen kalten Schauer über den Rücken laufen lässt. Nicht umsonst wurde diese Geschichte, wie auch schon mehrere andere der Reihe, bereits für eine Miniserie verfilmt.

Man kann diesen Krimi ohne Kenntnis der Vorgängerbände lesen, sei jedoch gewarnt, wenn man den Trigger Kindesentführung vermeiden möchte. zwar gibt es gewalttätigere Geschichten in diesem Genre, jedoch selten so gut erzählt. Die Perspektivwechsel folgen logisch in kurzweiligen Kapiteln, die jeweils einem Protagonisten folgen, ohne unter den bereits erwähnten Krimi-Mehltau zu ersticken.

Der Handlungsstrang um die Mobber wurde zu Gunsten der Entführung und den entsprechenden Folgen wahrscheinlich vom Lektorat zusammengekürzt, doch liegt es nicht in der Natur der sache, dass man im Alltag einzelne Aspekte verfolgt und andere aus den Augen verliert? In diesem Sinne ist es dennoch ein gut abgerundeter Kriminalroman, der es sich zu lesen lohnt.

Autorin:

Viveca Sten wurde 1959 in Stockhilm, Schweden, geboren und ist eine skandinavische Schriftstellerin und Juristin. Nach der Schule entschied sie sich für ein Jura-Studium und arbeitete als Chefjuristin für die schwedische und dänische Post.

Nachdem sie mehrfach Fachliteratur und entsprechende Aufsätze publiziert hatte, veröffentlichte sie 2008 ihren ersten Kriminalroman, aus dem inzwischen eine mehrbändige Reihe geworden ist. Die Reihe wurde als Miniserie für’s Fernsehen verfilmt. Die Autorin verbringt mit ihrer Familie die Sommer weitestgehend in Sandhamn, Haupthandlungsort ihrer Bücher und lebt mit ihrer Familie bei Stockholm.

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Augustin Erba: Die auffällige Merkwürdigkeit des Lebens

Die auffällige Merkwürdigkeit des Lebens Book Cover
Die auffällige Merkwürdigkeit des Lebens Augustin Erba ullstein Erschienen am: 10.08.2018 Seiten: 436 ISBN: 978-3-550-05005-3

Inhalt:

Amadeus hat es von Anfang an schwer in der neuen Schule. Schon sein Name ist in Schweden ungewöhnlich und so wird der Junge von seinen Klassenkameraden hemmungslos gemobbt. Zu Hause ist es nicht besser, die Mutter krank und dysfunktional, der Vater, ein Mathematiker, interessiert sich nur für Zahlen und lässt die Kinder Schläge spüren. Später, der erwachsene Amadeus ist ein erfolgreicher Journalist, der eine eigen Familie gründet und hofft, nicht so zu werden, wie seine Eltern es waren. Doch, die Vergangenheit holt die Gegenwart ein. Eine Konfrontation ist unvermeidlich. (eigene Inhaltsangabe).

Rezension:

Schweden ist ein wahrhafter Garant für gute melancholische und kühl strukturierte Krimis, immer öfter jedoch auch für die großen Romane. Einen solchen hat Augustin Erba mit “Die auffällige Merkwürdigkeit des Lebens” vorgelegt und erzählt autobiografisch gefärbt die Geschichte seiner Familie. Perspektivisch wechselnd lernt der Leser den Hauptprotagonisten zunächst als Kind und später als Erwachsenen kennen, in jeder Phase des Lebens vor einem wahrhaften Geröll von Problemen stehend.

Detailliert ausgearbeitet, durchlebt Amadeus die Hölle einer Kindheit zwischen dysfunktionalen Eltern; die Krankheit der Mutter und die Wut des Vaters, der den Sohn seinen Unmut durch Schläge spüren lässt, machen ihn ebenso zu schaffen, wie das hemmungslose Mobbing seiner Mitschüler. Später, schon längst erwachsen und ein erfolgreicher Journalist, hat er immer noch mit den Folgen zu kämpfen, die scheinbar unaufhaltsam ihn in eine Katastrophe steuern lassen.

So viel zum Inhalt, der zwar auf leisen Sohlen daher kommt, egal, welche Perspektive man betrachtet, aber handlungstechnisch einen kontinuierlichen Spannungsbogen entstehen lässt, dessen Wirkung man sich kaum entziehen kann.

Zu stark lässt der Autor seinen Protagonisten unter den eigenen Erfahrungen leiden. Schließlich ist dies ein autobiografisch gefärbter Roman, der zeigt, dass es hinter den Fassaden eines durchschnittlichen Familienhaushaltes nicht immer so zugeht, wie es scheint. Der Leser fiebert mit, zuckt zusammen, atmet auf, nur um dann wieder gleichsam eines Kleidungsstückes in einer Wäschetrommel hin und her geworfen zu werden.

Kaum jemand hat das Glück, nicht irgendwann in seinem Leben mit Mobbing in Berührung zu kommen und Familiengeschichten sind auch nicht selten ohne Tragödien zu erzählen. Dies zu verbindend zu erzählen, ist Erba gelungen. Nachhall garantiert.

Die raue Fassade des Erlebten kommt sehr schnell zum Vorschein, der eine oder andere Leser wird vielleicht irgendwann erahnen, worauf das alles hinausläuft, stört jedoch nicht beim Lesen selbst. Ruhig und behutsam zeigt der Autor, wie schnell uns unsere Vergangenheit zu fesseln vermag und wie wenig Verdrängung nützt. Erba stellt jedoch anhand seines Protagonisten dar, dass niemand gezwungen ist, so zu werden, wie die Eltern und selbst schlimm Erlebtes zwar nicht vergessen, aber überwunden werden kann.

Wenn dies die Quintessenz des Romans ist, dann ist schon viel gewonnen. Eine berührende Geschichte, die uns im Innersten trifft.

Autor:

Augustin Erba wurde 1968 geboren und ist ein schwedischer Journalist und Autor. Sein Vater stammt aus Ägypten, seine Mutter aus dem österreichischen Haus Habsburg-Lothringen. Er arbeitet derzeit für einen schwedischen Radiosender. “Die auffällige Merkwürdigkeit des Lebens” ist sein zweiter Roman.

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Raquel J. Palacio: Wunder – Julian, Christopher & Charlotte erzählen

Wunder - Julian, Christopher & Charlotte erzählen Book Cover
Wunder – Julian, Christopher & Charlotte erzählen Raquel J. Palacio Hanser Erschienen am: 13.03.2017 Seiten: 350 ISBN: 978-3-446-25528-9 Übersetzer: Andre Mumot

Inhalt:

Der Welterfolg „Wunder“ erzählt von Auggie, dem Außenseiter mit dem entstellten Gesicht. Nun kommen Julian, Christopher und Charlotte zu Wort. Julian, der Mobber: Eigentlich hat er keinen Grund, so gemein zu sein. Doch durch Auggies Ankunft kehren seine überwunden geglaubten Albträume zurück.

Christopher, der beste Freund: Nach seinem Umzug vermisst er Auggie, ist zugleich aber auch froh, Abstand zu haben. Und Charlotte, die empathische Willkommensfreundin: Weil sie sich für Gerechtigkeit einsetzt, soll sie sich um Auggie kümmern – und beginnt zum ersten Mal an sich zu zweifeln.

Dieses berührende Kinderbuch erzählt von echter Freundschaft und davon, wie die Begegnung mit Auggie jeden verändert. (Verlagstext)

Rezension:

Der Wunsch nach einer Fortsetzung ist die Bestätigung für Autoren, zeigt er doch, wie sehr eine Geschichte und ihre Protagonisten geliebt werden, doch ist der Wunsch zugleich auch Fluch.

Die Fortsetzung muss zwangsläufig besser werden oder wenigstens genau so gut wie der Vorgänger, anderenfalls ist die Enttäuschung groß. Raquel J. Palacio weiß, vor allem um die Einzigkeit ihres Erstlings “Wunder”, das und legt mit ihrem neuen Buch bewusst keine zweite Geschichte um August auf. Den Jungen mit dem entstellten Gesicht.

Natürlich dürsten die Fans nach weiteren Informationen über den kämpferischen Jungen, der sich Anerkennung und Akzeptanz erst erstreiten musste, doch “Julian, Christopher & Charlotte erzählen” ist eine ebenso wertvolle Parallelerzählung. Die Autorin schafft das Kunststück, obwohl die vormalige Hauptfigur hier nur Statist ist, eine facettenreiche Ergänzung vorzulegen, die Augusts Geschichte aus drei Blickwinkeln beleuchtet.

Und da wird sogar der Mobber sympathisch, der in “Wunder” den hass sämtlicher Fans auf sich gezogen hat. Nicht umsonst geistert seit dem im Internet ein Plakat mit dem Spruch herum: “Keep calm and don’t be a Julian” (“Bleib ruhig und sei kein Julian”).

Julian hat eine eigene Geschichte zu erzählen, genau so wie zwei seiner besten Freunde, die ebenfalls zu Wort kommen und so hält Palacio ihren jungen Lesern den Spiegel vor. Ohne den sonst üblich erhobenen Zeigefinger.

Auch die anderen zwei Geschichten, deren Figuren sich zwischen dem was richtig ist und dem was der leichte Weg wäre entscheiden müssen, sind einfühlsam zu lesen. Ein Buch, was einem nachdenklich, aber mit einem Lächeln zurücklässt.

Die Menschen unterteilen sich nicht in Gut und Böse. Dazwischen liegen viele Grauzonen und oft ist es hilfreich, hinter die Fassaden zu schauen. Viele sind auf dem zweiten Blick oft ganz anders, auf den ersten Eindruck sollte man sich nicht verlassen.

In kurzen einprägsamen Kapiteln, die ursprünglich als zusätzliches E-Book entstanden und nun hiermit in gebundener Form vorliegen, lässt es sich leicht in die Geschichte eintauchen und erneut stellt sich die Frage, dieses Mal aus der Sicht der damit Konfrontierten, wie weit Inklusion schon ist oder ob sie überhaupt gelingt?

Was ist eine Behinderung, was ein bloßer Makel und was eine Bereicherung für unsere Gesellschaft. Kinder und Jugendliche einfühlsam an ein schwieriges Thema heranzuführen, gelingt Palacio hier ein zweites Mal überragend.

Es bleibt zu hoffen, dass diese drei Erzählungen genau so erfolgreich werden und die Autorin weitere solche Werke schreiben wird.

Autorin:

Raquel J. Palacio ist eine US-amerikanische Verlegerin, Schriftstellerin und Gestalterin für Buchcover. Der Name dabei ist ein Pseudonym ihres eigentlichen Namens Raquel Jaramillo, mit dem sie bis 2012 veröffentlichte.

Die Autorin lebt mit ihrer Familie und arbeitet in New York. 2012 erschien ihr Buch “Wonder”, welches ein Jahr später ins Deutsche übersetzt wurde.

Seit 2006 arbeitet sie in verschiedenen Positionen für den Verlag Workman und war 2013 Jurymitglied beim Internationalen Literaturfestival in Berlin für die Auszeichnung des außergwöhnlichsten Buches des Kinder- und Jugendprogramms. Ihr Jugendbuch “Wunder” wurde verfilmt.

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