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Herbert Clyde Lewis: Gentleman über Bord

Inhalt:

Ein wohlsituierter New Yorker Geschäftsmann stürzt urplötzlich in eine mentale Krise. Um zu gesunden, so spürt er, muss er seinen von grauem erfolg geprägten Alltag hinter sich lassen, und kurzerhand tritt er eine Schiffsreise an. Doch nachdem der Aufenthalt an Bord des Frachters Arabella ihm zunächst tatsächlich Erleichterung verschafft, reicht ein einziger falscher Schritt, um all seine Gewissheiten infrage zu stellen … (Inhalt lt. Verlag)

Rezension:

Es wird sich schon alles im Guten auflösen, denkt sich der Protagonist zunächst, der noch nicht weiß, dass mit seinem eben gemachten Schritt all seine Gewissheiten in ihren Grundfesten erschüttert werden. Henry Preston Standish, gerade noch auf dem Boden des Frachters Arabella stehend, ist ausgerutscht, über Bord gegangen und muss nun mit ansehen, wie sich das Schiff langsam immer weiter von ihm entfernt.

Sie werden schon den fehlenden Passagier bemerken und zu seiner Rettung umkehren, denkt er sich, zu Beginn noch optimistisch gestimmt. In der Weite des Ozeans beginnen bald nicht nur seine Gedanken zu kreisen.

So beginnt der erstmals 1937 veröffentlichte Roman des amerikanischen Journalisten Herbert Clyde Lewis, dem Zeit seines Lebens eine gewisse Unruhe umtrieb und der seinen Protagonisten eben dieser zumindest gedanklich aussetzt, damit eine Dynamik sich entfalten lässt, die einem schaurigen Kammerspiel gleicht.

Mit kompakten Formulierungen hat der Autor Zeile für Zeile ein Szenario aufgebaut, welches mit wenigen Figuren und auf beschränkten Raum auskommt, dennoch über die gesamte Handlungslänge eine Spannung hält, die zwischen grausamer Faszination und fast angenehmen Nervenkitzel schwankt, ist doch das beschriebene Szenario einer der Alpträume schlechthin.

Getrieben wird die handlung hauptsächlich durch die Gedanken der Protagonisten. Wechseleitig erfahren wir die von Standish selbst, der ein Wechselbad seiner Gefühle durchleben und sich dabei über Wasser halten muss, dann die der Passagiere und Besatzung des Frachters, die die Abwesenheit von einem der ihren zunächst nicht bemerken.

Das alles wird sehr punktuell erzählt. Kein überflüssiges Wort zu viel. Man hofft und bangt mit dem Hauptprotagonisten. Der Kontrast zu den Nebenfiguren steigert sich. Die Handlung indes ist damit schnell erzählt, das Ende lässt sich dennoch nicht erahnen. Es sind die Gedankengänge der Figuren, die die Handlung am Leben und die Lesenden bei der Stange halten werden.

Nebenbei hat Lewis es geschafft, auf solch engen Raum auch eine gehörige Portion amerikanischer Gesellschaftskritik einzubauen, verkörpert durch die Gegensätzlichkeit der Protagonisten.

Da der vom Erfolg verwöhnte Geschäftsmann, der plötzlich den Boden unter seinen Füßen verliert, die Weltwirtschaftskrise ist so lang nicht her, der New Deal zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Romans noch nicht ganz durch, auf den Frachter selbst noch ein anderer Passagier, Farmer, der mit etwas Handfesten im Alltag hantiert, dennoch eine gewisse Faszination für Standish aufbringen kann, der die Zukunft des amerikanischen Wirtschaftssystems darstellt. Solche Anspielungen gibt es viele in diesem Roman, in allerhand Nebensätzen, zwischen den Zeilen. Manchmal nur ein Wort, welches da aufblitzt.

Immer dramatischer zeigt sich die Situation für den ins Wasser gefallenen. Der im Zeitraum von wenigen Stunden spielende Roman nimmt einem mit. Der Autor schafft es, einem selbst die Panikattacke, den versehentlichen Schluck salzwasser etwa spüren zu lassen, der den durst des Protagonisten nur noch vergrößern wird.

Während die Figuren sich immer mehr voneinander entfernen, behält der Autor alles im Blick. Aus Mangel an Alternativen ist er es, der die Erzählerrolle einnimmt, damit Distanz aufbaut und doch so die Dramatik seiner Hauptfigur noch mehr herausstellt. Erzählerische Lücken, unlogische Brüche enfallen. Ob die Geschichte die erhoffte Wendung nimmt, bleibt bis zum Ende offen. Es bleibt spannend bis zuletzt.

Der Hauptprotagonist ist gezwungen, Bilanz zu ziehen, auch die sich in Sicherheit befindenden Figuren werden mit einer gewissen Unausweichlichkeit konfrontiert. Man mag sich dieses Szenario nicht in der Realität vorstellen, wohl wissend, dass es auch heute immer mal wieder vorkommt.

Lewis gelingt es, die Bilder vor dem inneren Auge aufzubauen, die zunächst ruhige Wasseroberfläche, das Nass, welches sich lauwarm anfühlt, die Sonne, deren Farben Standish in einer nie wahrgenommenen Intensität zu sehen bekommt. Welche Gedanken machen wir uns am Ende unserer Tage? Welche Bilanz ziehen wir? Wer denkt dann noch an uns und vor allem, wie? Fast philosophisch ist der Schriftsteller den Fragen mit diesem sehr punktuell gehaltenen Text begegnet, den man das Gefühl hat, langsam zu lesen und doch durch die Handlung rennt. Es geht ja schließlich ums Leben. Ums Überleben.

Der Roman bleibt im Gedächtnis, selbst wenn man nur die Erzählung selbst und nicht zwischen den Zeilen liest, die Anspielungen, auch die auf den Autoren, der seine Ruhelosigkeit in den Protganisten mit hinein geschrieben hat, gleichzeitig aber auch diesen zu sich selbst in Kontrast setzte, einmal unter die Wasseroberfläche sinken lässt. In diesem sehr reduzierten Stil erzielt der Autor dennoch eine enorme Wirkung. Vielleicht ist es daher der richtige Zeitpunkt, dass jetzt dieser Roman auch im deutschsprachigen Raum zugänglich ist.

Autor:

Herbert Clyde Lewis wurde 1909 in New York City, New York, geboren und war ein amerikanischer Journalist, Schriftsteller und Drehbuchautor. Zunächst arbeitete er als Reporter, und Redakteur bei verschiedenenen Zeitungen, zudem bei einer Werbeagentur. 1937 veröffentlichte er seinen ersten Roman, dem weitere folgten. Zwei Jahre später begann er als Drehbuchautor für Hollywood zu arbeiten, später für das Time Magazin. Lewis starb 1950 an Herzinfarkt.

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Isabel Bogdan: Mein Helgoland

Inhalt:

Mit Helgoland verbindet Isabel Bogdan eine innige Schreibbeziehung. Oft schon ist sie in Hamburg auf den Katamaran gestiegen, der sie zu “Deutschlands einziger Hochseeinsel” bringt. Denn dort, mit Rundumblick aufs Meer, schreibt es sich viel besser als am heimischen Schreibtisch (wo sie dafür problemlos übersetzen kann). Doch warum ist das so? Nähert man sich einer Geschichte auf dieselbe Weise, wie man eine Insel für sich entdeckt? Auf welcher Seite der Insel beginnt man – und wie findet man in einen Roman?

Isabel Bogdan erzählt nicht nur von den Besonderheiten kleiner Inselgemeinden, von Helgolands wechselvoller Historie, von seltenen Vögeln oder Geheimrezepten gegen Seekrankheit. Vielmehr spannt sie den Bogen vom Schaffen des berühmtesten Helgoländer Geschichtenerzählers James Krüss zu der Frage, was gutes Erzählen eigentlich ausmacht und ob man es erlernen kann.
(Inhalt lt. Verlag)

Rezension:

Wer zu Deutschlands einziger Hochseeinsel aufbricht, muss seefest sein. Die Nordsee ist rau und unerbittlich, alleine der Anblick der am Horizont auftauchenden rostroten Felsen und brachialen Brandungsmauern vermag zu entschädigen. Doch, Isabel Bogdan ist nicht hier wie so viele, um zollfrei einzukaufen, sondern die Abgeschiedenheit zu nutzen, um ungestört zu Papier zu bringen, was erzählt werden möchte.

Hier schreibt die Autorin am liebsten ihre Romane, ganz in der Tradition von Helgolands berühmtesten Geschichtenerzähler James Krüss und ist so ganz nebenbei dem Charme der Insel erlegen, der sich meist erst auf den zweiten Blick erschließt.

Isabel Bogdan hat, bis zu Veröffentlichung ihrer ersten eigenen Schreibarbeit, vor allem im Hintergrund gearbeitet. Sträflich vernachlässigt werden Übersetzende, in Besprechungen und Rezensionen kaum genannt, doch hat sie u. a. mit Jonathan Safran Foer ins Deutsche übertragen, bis sie zusätzlich begann, selbst Geschichten zu erzählen.

Ganz in der Tradition von Helgolands berühmtesten Geschichtenerzähler James Krüss ist auch für sie die Insel zum Dreh- und Angelpunkt ihrer Kreativität geworden, die sich oft genug erst auf den zweiten oder dritten Blick Außenstehenden erschließt. Hier verbringt sie die Tage mit dem Schreiben und erzählt in diesem kompakten Band davon und zugleich von den Geschichten, die diese Hochseeinsel zu bieten hat.

Rau und nüchtern wirken die Sätze zu Beginn, solch eine Überfahrt muss man ja auch erst einmal überstehen, bevor man wieder scheinbar festen Boden unter den Füßen hat, der an den Rändern stetig bröckelt. In den Erzählstil hat man jedoch bald hineingefunden. Alles Offensichtliche auf Helgoland lässt sich schnell erkunden. Zu Fuß natürlich. Kaum und nur offzielle Elektroautos gibt es, Fahrräder nur für Kinder bis zum Alter von 12 Jahren. Dafür um so mehr Vogelkundler und im Sommer zahlreiche Tagestouristen.

Isabel Bogdan erzählt davon, beobachtet, lässt sich ablenken und inspirieren, um dann wieder an ihrem Laptop eigene Geschichten zu Papier zu bringen. Das funktioniert besser als am heimischen Schreibtisch, doch warum ist das eigentlich so? So entsteht Seite für Seite eine Hommage an das Leben auf Helgoland, welches nicht nur für Trottellummen oder Robben unerbittlich sein kann, auch für die Menschen selbst. Der Friedhof der Namenlosen, er zeugt davon.

“Wanst und Phallus”. Auch das habe ich im Gespräch mit klugen Kollegen gelernt: Wanst und Phallus sind die beiden Pole, die im Menschen stecken. Der lange Dünne und der kleine Dicke, der eine will hinaus in die Welt, Abenteuer erleben, Neues entdecken, das Leben auskosten, gucken, was hinter der nächsten Ecke ist. Der andere möchte gemütlich zu Hause auf dem Sofa sitzen bleiben, wasSchönes kochen und sich unter der Decke einkuscheln.

Isabel Bogdan: Mein Helgoland

Zugleich ist für die Autorin die Insel jedoch auch eine Metapher für das Schreiben an sich. Isabel Bogdan sinniert über das Schreiben von Krüss und Kollegen, über Tipps, die nur für den Tippgeber selbst Gültigkeit besitzen, leere Blätter mit Figuren und Inhalten zu füllen. Überhaupt, was macht eine Figur aus? Was eine gute Geschichte? Unaufgeregt, mit einem Hauch von Melancholie, stellt Bogdan die Insel in Bezug zu ihrer Arbeit und berichtet vom wechselhaften Inselleben vergangener Jahrzehnte, Geheimnissen im Fels und Marathonläufen zwischen Ober- und Unterland. Mit kleinem Holzhammer knackt sie Krebsvorscher und lernt kleine graue Vögel zu unterscheiden. Entstehen so nicht gute Erzählungen? “Das Leben und das Schreiben”, kompakt und ganz anders.

Autorin:

Isabel Bogdan wurde 1968 in Köln geboren und studierte nach dem Abitur Anglistik und Japanologie in Heidelberg und Tokyo. Mit ihrer Familie lebt sie in Hamburg und arbeitet als freiberufliche Übersetzerin (u.a. Jonathan Safran Foer, Sophie Kinshalla und Megan Abbott), liest und schreibt selbst, hauptsächlich in Blogform aber auch in der Kolumne “Was machen die da?”, die Menschen beschreibt, die ihren gewöhnlichen und manchmal außergewöhnlichen Beruf leben und lieben. Sie ist Vorsitzende des Vereins zur Rettung des “anderthalb” und erhielt 2006 den Hamburger Förderpreis für literarische Übersetzung, 2011 den für Literatur.

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Till Hein: Crazy Horse

Inhalt:

Anmutige Tänzer, Meister der Tarnung und romantische Liebende, doch auch schwerhörige Vielfraße, launische Griesgrame und langsame Faulpelze: All das und noch viel mehr sind Seepferdchen. Man findet die kleinen Fische nicht nur in Seegraswiesen und Mangrovenwäldern, sondern ebenso im Schachspiel und in griechischen Sagen – und wie gelangen sie eigentlich auf Kinderbadeanzüge, Geldmünzen und Toilettenschüsseln aus dem alten Rom? Was macht sie trotz ihrer Trägheit zu erstklassigen Jägern, warum ist ein Hirnareal nach ihnen benannt, wie können sie und helfen, besser zu schlafen, und sogar die Robotik inspirieren?

Crazy Horse beleuchtet die schillernde Welt der Seepferdchen auf ebenso sachkundige wie unterhaltsame Weise, berichtet von kuriosen Erkenntnissen der aktuellen Forschung, geht zahlreichen Mythen auf den Grund und erklärt, was die Tiere zu liebenswerten Antihelden macht. (Inhaltsangabe lt. Verlag)

Rezension:

Unter der Oberfläche der Ozeane offenbart sich den Beobachtenden eine faszinierende Welt voller Kuriositäten. Faszinierende und bizarre Lebewesen finden sich dort, ein Großteil davon noch kaum erforscht und doch bereits stark vom Aussterben bedroht. Eine Sonderstellung nehmen dabei die Rosse der Meere ein, die eigentlich Fische sind und abgesehen von ihrer Form auch sonst zahlreiche Besonderheiten des Tierreiches in sich versammeln, nicht nur dass hier die Männchen schwanger werden.

Diese und andere kuriose Fakten vermittelt der Wissenschaftsjournalist Till Hein in seinem Buch und nimmt uns mit auf eine faszinierende Reise in die Welt der Seepferdchen.

Der Hochzeitstanz der Seepferdchen dauert bis zu neun Stunden.

Till Hein: Crazy Horse

Wer schon einmal diese wundersamen Gerschöpfe, etwa im Zoo beobachten konnte oder gar das Glück hatte, sie in der freien Wildbahn beobachten zu können, ist sofort von ihnen eingenommen. Schon seit der Antike wissen wir von ihrer Existenz und doch über sie selbst nur sehr wenig. Auch heute noch stellen Seepferdchen uns vor unzähligen Rätseln.

Till Hein versammelt den aktuellen Wissenstand rund um diese Fische, die nur auf den ersten Blick eine Fehlkonstruktion der Natur sind. Er beschreibt in kurzweiligen und kompakten Kapiteln die Besonderheiten ihrer Biologie und warum uns Seepferdchen in mancher Hinsicht gar ähnlich sind, was Ringelnatz mit den Rossen der Meere zu tun hatte und wie wir unsere Kenntnisse über diese Tierart etwa in Technik und Industrie einsetzen können.

Doch, der Autor sieht nicht nur das Schöne, auch die bedrohliche Lage wird beschrieben, derer die Tiere heute ausgesetzt sind und wie diverse Schutzprojekte versuchen, die Seepferdchen rund um den Globus zu schützen. Ein ungeschönter Bericht ist das, der zeigt, was wir verlieren, wenn wir diese faszinierenden Geschöpfe ausrotten, welche vielseitige Welt wir für immer verlieren würden.

Wie ein Kleinkind am Kuscheltier kann auch ein Seepferdchen emotional an einem Gegenstand hängen.

Till Hein: Crazy Horse

Forschende und Experten rund um den Globus hat Till Hein besucht und fragen können, Berichte gewälzt und eine Informationssammlung verfasst, nicht ganz so rührseelig, wie dies etwa Sy Montgomery mit ihrer Passion, den Oktopussen gemacht hat, aber mit der gleichen Liebe für das Besondere. Viel Wissenswertes erfährt man hier und bekommt zugleich eine Ahnung von der Komplexität der Fragen, die sich in Bezug auf die Tierart noch stellen, ohne hier in allzu trockene Ausführungen zu geraten.

Der Autor verliert sich nicht, vermittelt echtes Interesse und hat es dennoch geschafft, auf so wenigen Seiten von Biologie, über Evolutionsgeschichte, Leben und Erforschung der Welt der Seepferdchen die Faszination beim Lesenden zu wecken. Der nächste Blick unter Wasser oder durch die Scheiben eines Meerwasseraquariums mit den Rossen der Meere wird ein anderer sein.

Autor:

Till Hein wurde 1969 in Salzburg geboren und studierte zunächst Geschichte, Germanistik und Russistik in Basel und Wien, bevor er 1996 einen Redaktionslehrgang beim Österreichischen Nachrichtenmagazin “Profil” in Wien besuchte. Bis 2001 war er redaktioneller Mitarbeiter beim Magazin der Süddeutschen Zeitung in München. Seit dem arbeitet er für das Journalistenbüro textetage in Berlin. Für Magazine, Zeitungen und Zeitschriften schreibt er regelmäßig Reportagen, u. a. für Geo, Spiegel Wissen oder mare.

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Sy Montgomery: Rendezvous mit einem Oktopus

Rendezvous mit einem Oktopus Book Cover
Rendezvous mit einem Oktopus Sy Montgomery mare Verlag Erschienen am: 29.08.2017 Seiten: 336 ISBN: 978-3-86648-265-4 Übersetzerin: Heide Sommer

Inhalt: Er ist der heimliche Star der Meere: der Oktopus. Mit acht Armen und drei Herzen verfügt das Ausnahmetier über körperliche Superkräfte – vor allem aber ist es schlau.

Kraken können lernen, tricksen, spielen, und wenn sie etwas nicht können, ist es: Langeweile aushalten. Mit Witz, Sachkenntnis und Empathie erzählt Sy Montgomery von ihren Begegnungen mit diesen außergewöhnlichen Tieren und nimmt den Leser mit auf eine unvergessliche Reise. (Klappentext)

Rezension:

Abseits von den Tieren, die zum Orakel stilisiert werden, ist die erste Reaktion der meisten Menschen Unverständnis gegenüber den Weichtieren, die natürlich so ganz anders sind als wir. Ohne Wirbelsäule, ohne schützenden Panzer, eine klitschige Masse mit acht Armen, die jeder ein Eigenleben zu führen scheinen, drei Herzen und tatsächlich blauen Blut.

Und Tinte. Es sind hoch intelligente Tiere, die ihre Stimmung durch Farben signalisieren; wenn sie rot sind, sind sie sauer; und sich in jede noch so scheinbar unmögliche Öffnung quetschen können und doch, wissen wir so wenig über sie.

Die Autorin und Naturforscherin nimmt ihre Leser mit auf eine faszinierende Reise zu ebenso erstaunlichen, wie unergründlichen Geschöpfen. Durch Seefahrergeschichten von einst zu grausamen Ungeheuern geschriebenen Tieren entdeckt sie die wahre Seite eines faszinierenden Wesens.

Sie nähert sich den Tieren in Gefangenschaft und in der freien Natur, hilft mit bei der Feldforschung draußen, in der freien Natur und lässt sich, sprichwörtlich, fallen, in die Umarmung eines Oktopusses. Fakten- und kenntnisreich, unterstützt durch die Eindrücke und den Wissen vieler Experten auf den Gebiet der Mollusken, versucht Montgomery sich die Welt aus der Sicht ihrer achtarmigen Bewohner zu erschließen.

Neben der persönlichen Bekanntschaft mit den Kraken des New England Aquariums in Boston gewinnt sie interessante Einsichten in ein Leben, welches den meisten von uns verschlossen bleibt.

Ein besonderes Sachbuch, welches nicht ohne Grund in der deutschen Ausgabe bei mare zu finden ist. Nach dem erzählerischen Sachbuch “Die Polarfahrt” von Hampton Sides, ist dies der nächste Knüller, der mich ebenso begeistern konnte.

Detailliert beschreibt die Autorin ihre Faszination, die Versuche der Annäherung an eine so weit entfernt entwickelte Spezies, vergisst jedoch nicht die fachliche Komponente, so dass all die Leser auf ihre Kosten kommen werden, die ihr Wissen mal auf einem ganz ungewöhnlichen Gebiet erweitern, dabei jedoch die literarische Komponente nicht zu kurz kommen lassen möchten.

Tatsächlich vergisst man von Zeile zu Zeile manchmal, dass es sich um ein Sachbuch, nur eben der anderen Art handelt.

Wenn man der Autorin etwas vorwerfen möchte, und das ist jetzt Jammern auf hohen Niveau und führt zu einer eher philosophischen Diskussion, die tatsächlich an anderer Stelle zu führen ist, ist es die Gefahr der Nähe zu den Tieren.

Nicht im Sinne, dass diese extrem gefährlich wären. Diese bedenken schafft Montgomery schnell beiseite. Aber diese starke manchmal doch zu vermenschlichte Beziehung, die sie zu einigen der Exemplare aufbaut, denen sie begegnet, könnten falsche Schlüsse folgen.

Wir sprechen hier immerhin von Wildtieren, auch wenn sie teilweise in Gefangenschaft, d.h. in Aquarien gehalten und studiert werden. Diese Art und Weise, auf die Kraken zu zugehen, macht jedoch nur einen kleinen Teil dieses detaillierten Sachbuches aus.

Hat ein Oktopus Gefühle? Wie löst dieses Tier ihm gestellte Aufgaben? Kann er planen und wofür stehen all die farben, die er zeigen, all die Formen, die er sich aufgrund körperlicher Veränderungen zu Eigen machen kann?

Wie viel Kraft kann ein Oktopus mit einem einzelnen Saugnapf aufwenden, und weshalb ist ein Bostoner Krake regelmäßig des Nachts ausgebrochen? Amüsante Geschichten und erstaunliche Fakten versammelt die Autorin mit dem Ziel, verstehen zu wollen. Und am Ende wird man nie wieder Tintenfischringe essen können. Das hat auch etwas.

Autorin:

Sy Montgomery wurde 1958 in Frankfurt/Main geboren und ist eine Naturforscherin, Schriftstellerin und Drehbuchautorin. 1979 schloss sie ihr Studium an der Syracuse University in den Fächern Journalismus, Französisch und Literatur ab, sowie in Psychologie. Ihr wurden zwei Ehrendoktortitel verlieren.

Ihre Bücher, sowohl für Kinder als auch für Erwachsene, wurden für verschiedene Preise nominiert, u,.a. den National Book Award im Bereich Sachbuch. Sie schreibt Drehbücher u.a. für National Geographic TV und beteiligt sich an wissenschaftlichen Studien und Expeditionen im Bereich der Naturforschung.

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Hampton Sides: Die Polarfahrt

Die Polarfahrt Book Cover
Die Polarfahrt Hampton Sides mare Erschienen am: 01.10.2019 Seiten. 576 ISBN: 978-3-86648-243-2 Übersetzer: Rudolf Mast

Inhalt:

Der Nordpol galt als Problem, als Ende der Welt und ungelöstes Geheimnis. Ein blinder Fleck auf den Landkarten. Ein verrückter Zeitungsverleger, auf der Jagd nach Sensationsgeschichten, kaufte ein Schiff, erkor einen Kapitän und schickte 1879 dreiunddreißig Männer ins Eis, die die Theorie eines offenen Polarmeeres überprüfen sollten.

Doch, die USS Jeanette blieb im Packeis stecken. Fortan kämpfte die Besatzung des Schiffes um ihr Überleben. Meilenweite Märsche über das gefrorene Meer, Schneeblindheit, Erfrierungen, Stürme und Hunger brachten die Mannschaft an ihre physischen und psychischen Grenzen. Hampton Sides erzählt ihre Geschichte. (abgewandelter Klappentext)

Rezension:

So unscheinbar, wie sie wirkt, diese Welt aus Schnee, Fels und Eis, so unverzeihlich geht sie mit begangenen Fehlern um. Es ist eine scheinbar endlose und abweisende Gegend, die Nordpolarregion, gerade deswegen ungeheuer fasznierend.

Hampton Sides ist eingetaucht in die Gegend umbarmherziger Kälte und hat sich auf Spurensuche begeben. Herausgekommen dabei ist ein faszinierender und facettenreicher Bericht über die wohl eindrücklichste und vom grausigen Schicksal verfolgte Erkundungsexpedition, die es in diese Gegend verschlagen hat.

Vor wenigen Jahrhunderten noch war gänzlich wenig über die kälteste Region des Erdballs bekannt, und der Drang sich zu beweisen war besonders bei den Männern der damals noch jungen Vereinigten Staaten von Amerika besonders groß.

Es ist hier die Geschichte junger Offiziere und Naturforscher, Ärzte und Meteorologen, aber auch eine Erzählung unglaublicher menschlicher Kraft und großer Pionierleistungen, die der Autor zu Tage gefördert und dicht recherchiert eine geeignete Plattform gibt.

Eindrückklich wird geschildert, wie groß das Verlangen bei den Männern dieser Generation, die in Zeiten kurz vor der Elektrifizierung der Infrastruktur, der Erfindung der Glühbirne und wegweisenden Maschinen, wie die Dampfmaschine, sich zu beweisen und welche Bedeutung die Erkundung der letzten weißen Flecken auf den Landkarten für die Menschen hatte.

Intensiv begleitet der Leser auf Grundlage von Briefen und Tagebuchaufzeichnungen, ausführlich geschildert, die Vorbereitungen zu einer Expedition, die dann doch sprichwörtlich im Eis stecken bleiben musste.

Geschildert wird die Auswirkungen von Sensationsgier, schon damals als es noch keine anderen Medien als Zeitungen gab, und welche fatalen Folgen kleinste Fehler schon bei der Planung haben konnten, zudem welchen Gefahren Entdecker damals auf noch unbekannten Terrain ausgesetzt waren.

Das alles wird klar und deutlich, kurzweilig und über die Maßen so spannend geschildert, wie nur wahre Geschichte sein kann. Hier merkt man in jeder einzelnen Zeile, die intensive Rechercheleistung von Hampton Sides, der den Weg in die Katastrophe und für zu wenige Teilnehmer der Expedition wieder hinaus, beschreibt.

Durchsetzt und aufgelockert wird dieses Sachbuch mit den Fotos aller Teilnehmer dieser Polarfahrt und Karten auf den Innenseiten des Buchdeckels.

Die hochwertige Aufmachung und die erzählte, gut recherchierte Geschichte, deren Expeditionsmitglieder für die künftige Kartographie und Naturforschung trotz Scheiterns wichtige Erkenntnisse brachten, ist es wert, erfahren und weiter verbreitet zu werden.

Der Leser wird dem Leid der Besatzung der USS Jeanette so nachempfinden können, als wäre er selbst Mitglied dessen, auf das es einem kalt den Rücken hinunter laufe. Eine unbedingte Empfehlung, die außerhalb des Eisschrankes gelesen und gut sichtbar in jedes Regal gehört.

Autor:

Hampton Sides wurde 1962 in Memphis/Tennessee geboren und ist ein US-amerikanischer Historiker, Autor und Journalist. Er schloss sein Geschichtsstudium an der Yale University ab und hielt danach Gastvorlesungen an verschiedenen Institutionen der USA.

Er ist Berichterstatter für die Zeitschrift “Outside” und arbeitet für das “National Geographic Magazine”, sowie verschiedenen großen Zeitungen, u.a. die “The Washington Post”. Er ist Autor mehrerer Bücher mit geschichtlichen Themen und lebt mit seiner Familie in Santa Fe/New Mexico.

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