Kommunismus

Jens Mühling: Mein russisches Abenteuer

Inhalt:

Fast ein Jahr lang reist Jens Mühling durch Russland und porträtiert aus ganz persönlicher Perspektive eine Gesellschaft, deren Lebensgewohnheiten, Widersprüche, Absurditäten und Reize hierzulande nach wie vor wenigen vertraut sind. Auf seiner Reise erlebt er unglaubliche Begegnungen: Eine Einsiedlerin in der Taiga, die erst als Erwachsene erfahren hat, dass es jenseits der Wälder eine Welt gibt. Ein Mathematiker, der tausend Jahre der russischen Geschichte für erfunden hält. Ein Priester, der in der atomar verseuchten Sperrzone von Tschernobyl predigt. Ihre Lebensgeschichten fügen sich zu einem faszinierenden Porträt der russischen Seele. (Klappentext)

Rezension:

Land der Verheißung. Land der Verbannung. Sibirien. Faszinierend und erschreckend ist dieser Landstrich, der für sich allein genommen immer noch der größte Staat der Erde wäre und doch ist Russland so viel mehr als nur diese Region. Der Journalist Jens Mühling begab sich erstmals im Jahre 2010, der Konflikt mit der Ukraine noch in weiter Ferne, dorthin, um die russische Seele zu erkunden.

Dieses Russland – es ist eigentlich überhaupt kein Land!

Jens Mühling: Mein russisches Abenteuer, erschienen bei mairdumont/Dumont Reise.

Die erste Station Kiew, wo die historischen Ursprünge dieses fascettenreichen Landes liegen, Tschernobyl, Moskau, St. Petersburg und dann hinaus in die unergründliche Weite. Jens Mühling spürt den Geschichten nach, die sich in seiner Schreibtischschublade in Berlin, in Form von Zeitungsausschnitten und ausgedruckten Artikeln sammelten. Auf eine Antwort folgen tausend Fragen.

Dieser vielschichtige und sehr persönliche Reisebericht wurde geschrieben und erstmals veröffentlicht, als die heutigen Konflikte mit Russland noch weit weg waren und so beschreibt der Journalist und Autor mit Blick für’s Detail seinen Versuch, die russische Seele zu ergründen. Unglaubliche Geschichten tun sich ihm auf. Hätte diese jemand erfunden, so wären sie kaum glaubwürdig, doch in diesem riesigen Land gibt es viele Realitäten. Einfühlsam näherte sich Mühling den Menschen, die aus ihrem Leben erzählen und so einen anderen Blickwinkel bieten.

Die rätselhafte russische Seele gibt es nicht.

Die russische Seele ist nicht rätselhafter

als der morgendliche Kopfschmerz

nach einem Besäufnis.

Jens Mühling: Mein russisches Abentuer, erschienen bei mairdumont/Domont Reise.

Es gibt sie noch, die unendlichen Weiten, aber auch die Dramen, die wie aus einem Buch Tolstois zu stammen scheinen. Da können auch schon einmal Jahrhunderte Geschichtsschreibung erfunden sein oder andere längst vergangenen Zeiten nachtrauern. In kurzweiligen episodenhaften Kapiteln erzählt der Autor von seinen Begegnungen, seiner Suche nach den letzten Altgläubigen etwa und dem Spagat zwischen Tradition und Moderne.

In einem, der Neuauflage angefügten Nachwort, ein nachdenkliches Fazit. Vieles hat sich verändert. Vieles, auch solche Reisereportagen, nicht zuletzt der Zugang zu den Menschen, sind schwerer geworden. So bleibt dieses Porträt eine Momentaufnahme, eines Landes, welches starr in sich ruht und sich dennoch rasant bewegt. Unbedingt lesenswert.

Autor:

Jens Mühling wurde 1976 in Siegen geboren und ist ein deutscher Journalist und Autor. Zunächst studierte er Literatur in Norwich, England, und Berlin, bevor er für die Moskauer Deutsche Zeitung arbeitete. Als Redakteur des Berliner Tagesspiegels schreibt er seit 2005 regelmäßig über Russland und Osteuropa. 2012 erschien sein erstes Werk, welches für den Johann-Gottfried-Seume-Literaturpreis und in England für den Dolman Travel Book of the Year Award nominiert wurde. Es folgten mehrere Reisereportagen. 2020 erschien sein Bericht “Schwere See – Eine Reise rund ums Schwarze Meer”.

Dieses Buch wurde gelesen im Rahmen des Sachbuchmonats Januar 2021. #SachJan21 #sachjan2021

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Andreas Petersen: Die Moskauer

Die Moskauer Book Cover
Die Moskauer Andreas Petersen S. Fischer Erschienen am: 13.03.2019 Seiten: 361 ISBN: 978-3-397435-5

Inhalt:

Die DDR war vor allem in den ersten Jahrzehnten geprägt von Paranoia und Denunziation. Die Gründergeneration um Pieck und Ulbricht hatte einst in Moskau die Jahre des Terrors überlebt, in denen Stalin mehr Spitzenkader der KPD ermorden ließ als Hitler. Angst und Verrat wurden Normalität.

Ab 1945 setzten sich die “Moskauer” im Machtstreben um die Führung in der sowjetisch besetzten Zone durch. Zweifel und Fragen waren nicht erwünscht. Die “Moskauer” hätten sich sonst ihrer eigenen Verstrickung stellen müssen. Im neuen werdenden Staat setzten siee die gleichen Methoden ein, denen sie fast alle Jahre zuvor zum Opfer fielen. Das Stalintrauma und seine Folgen, analysiert von Andreas Petersen. (eigene Inhaltsangabe)

Rezension:

Die Geschichte der DDR begann schon Jahre vor der Gründung mit einer Gruppe von Kommunisten, die sich vor den Nazis in die Sowjetunion flüchten konnten und in den Jahren des Exils versuchten, eine Machtbasis für einen späteren Neuanfang zu schmieden. Mit Hilfe der Sowjets gelang dies auch später, doch der Weg zur Macht war für Ulbricht, Pieck und andere weder von vornherein klar vorgezeichnet, noch sicher.

Stalin, der im eigenen Land mit den Jahren unter immer größeren Verfolgungswahn litt, ließ Hunderttausende seiner Landsleute, offiziere des Militärs und selbst der Geheimdienste ermorden, schreckte auch nicht vor der Ermordung der Exilanten zurück.

Hunderte KPD-Mitglieder wurden deportiert, gefoltert und ermordet. So viel zur bekannten Geschichte. Doch, wie prägte das die Führungsriege der KPD und welche Auswirkungen hatte dies später auf das eigene Herrschaftsverhalten nach dem Krieg? Andreas Petersen hat Einblick genommen in Tagebücher, Archive und Berichte. Herausgekommen dabei ist ein minutiös gezeichnetes Sachbuch.

Leider auch ein schwer zu lesendes. Dieses Kapitel deutscher und auch russischer Geschichte ist alleine von der Thematik her sehr interessant, zumal noch nicht alle Archive geöffnet und ausgewertet sind und es noch ganz wenige Zeitzeugen gibt, die davon berichten können. In sofern hätten “Die Moskauer” interessant und spannend beschrieben werden können, das werden und das Formen der Gründergeneration der DDR.

Warum dieses absolute Machtstreben, Denunziation und Aushorchen selbst unter politischen Gleichgesinnten und die Schaffung eines Klimas der Angst, welches über den Tode Stalins noch hinaus wirkte? Warum löschte der Diktator selbst seine künftigen verbündeten einst beinahe selbst komplett aus? Weshalb setzten die DDR-Oberen diese Politik unter anderen Vorzeichen, obwohl selbst einst Betroffene, in ihrem eigenen Staat fort?

Ein Stoff, wie gemacht für einen Politkrimi, jedoch unglaublich reich an Fakten und Statistiken, die auch durch persönliche Geschichten fassbar gemacht werden können. Alleine mit letzteren geht der Autor jedoch allzu sparsum um, so dass am Ende ein schwer zu lesender, für den Laien kaum aufzunehmender Text übrig bleibt, der mehrmals gelesen werden muss, um verinnerlicht zu werden.

Was hängen bleibt, sind Längen und einzelne Fakten. Persönlichkeitsgeschichte, die sonst in solchen Werken den Leser bei Stange hält, ist rar gesät. das funktioniert nur ungenügend, zumal man praktisch gezwungen ist, Absätze wiederholend sich zu Gemüte zu führen und langsam zu lesen.

Vielleicht dachte der Autor beim Schreiben eher an sein sonstiges Zielpublikum? Im Regelfall sind das Studenten. Für’s Fach sind “Die Moskauer” jedenfalls nach meinem dafürhalten mehr geeignet, als jetzt für den Laien, der sich mit Geschichte beschäftigen und sich diesem bestimmten Kapitel mal von einer etwas anderen Sicht aus nähern möchte.

Als populärwissenschaftliches Werk funktioniert es nicht, was schade ist, denn die zahlreichen Quellen, die auf eine intensive Recherchearbeit schließen lassen, verknüpft mit einzelner Personengeschichte, hätten anders aufbereitet interessanter wirken können. So aber ist die Thematik nicht greifbarer geworden. Schade.

Autor:

Andreas Petersen wurde 1961 in Köln geboren und ist ein deutscher Historiker. Nach der Schule studierte er Osteuropäische Geschichte an der Universität Zürich und war Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin. Als Dozent für Zeitgeschichte wirkt er an der Fachhochschule Nordwestschweiz und ist zudem Gründungspräsident des Forums für Zeitzeugen in Aarau. Er schreibt für Tageszeitungen und Zeitschriften, pendelt zwischen Berlin und Zürich. Er ist Herausgeber und Autor mehrerer sachgeschichtlicher Werke.

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Jan Gerber: Karl Marx in Paris

Karl Marx in Paris Book Cover
Karl Marx in Paris Jan Gerber Piper Erschienen am: 03.04.2018 Seiten: 239 ISBN: 978-3-492-05891-9

Inhalt:

Seitdem sich die Elendszonen des Weltmarkts erneut ausweiten und die westlichen Metropolen erreichen, wird auch dort wieder verstärkt von Arbeit und Kapital, der Klasse und ihrem Kampf gesprochen: Im 200. Jahr nach seiner Geburt hat Marx erneut Hochkonjunktur.

Jan Gerber legt auf der Grundlage neuester Forschungen eine auseinandersetzung mit dem Leben und dem Werk von karl Marx vor. Marx’ erster Paris-Aufenthalt von Oktober 1843 bis Februar 1845 wird dabei zum Dreh- und Angelpunkt.

Denn in dieser Zeit entwickelte er die zentralen Begriffe seines Denkens: Marx traf als Radikaldemokrat in Paris ein und verließ die Stadt als überzeugter Klassenkämpfer und Kommunist. (Klappentext)

Rezension:

Die Geburt eines der größten und umstrittensten Denker der Neuzeit jährt sich dieses Jahr zum 200. Mal und so ist es nicht verwunderlich, dass auf den Büchertischen zahlreiche Publikationen vorliegen, die sich mit Karl Marx, seinen Weggefährten und Ideen beschäftigen.

Doch, wer war dieser Mensch, Fabrikantensohn, den alle Türen der damaligen Zeit offenstanden, wie entwickelte er seine Ideen, die Jahrzehnte nach seinem Tod missbraucht und falsch verstanden, umgesetzt werden und zur Unterdrückung eines Großteils des Erdballs führen sollten?

Jan Gerber analysoert schonungslos die Entwicklung eines tönernen Kollosses an Theorien, die schon zu Entstehungszeiten Widersprüche aufwiesen, und kaum zu halten waren. Zumindest nicht, bei genauen Hinschauen.

Der promovierte Historiker nimmt das Theoriengespinst auseinander, zeigt die Begrifflichkeiten von Klasse bis Proletariat auf, stellt einen Zusammenhang mit einem entscheidenden Teil des Lebensweges eines Menschen auf, der mit seiner Freundschaft zu Friedrich Engels ein Indenkonstrukt entwickeln sollte, welches nie so ganz stimmig werden sollte.

Schonungslos, dennoch wohlwollend ist diese Analyse, auf die sich der Leser einlassen muss. Ohne Konzentration geht es nicht. Zu dicht folgen die Schlüsselereignisse in Marx’ Leben aufeinander, zu schwer wiegen die Begrifflichkeiten, die jeder für sich fragwürdig sind, zumal der große Philosoph und Autor zahlreicher Schriften am Anfang seines Lebens mit diesen etwas ganz anderes meinte, als in seinen letzten Lebensjahren.

Umgesetzt wurde vieles davon später nochmals anders, so dass die Frage nach Entstehung des Kommunismus diskussionswert ist und vom Autoren jan Gerber dies auch angestoßen wird.

Was bedeuteten damals Begrifflichkeiten, wie Klasse oder Proletariat, weshalb waren Teile dieser Theorie schon damals zu Marx’ Lebzeiten schlicht und einfach falsch, und was ist davon heute noch übrig, kann möglich in anderer Form erneut als Ratgeber und richtungsweisend dienen?

In klarer Sprache ist dieses Essay geschrieben, man muss sich jedoch auf viele zu verfolgende Gedankengänge einlassen. Die Stationen der Biografie von Karl Marx sind da noch die einfachsten, jedoch wird man für den Rest des Inhalts seine gesamte Konzentration benötigen. Ohne die geht es schlicht und einfach nicht.

Zu komplex ist die Struktur des Marxchen Weltbildes, zu vielschichtig die prägenden Momente im Leben dieses Mannes. Der Autor stößt den Leser auf die Problemstellungen die sich aus den Theorien von Marx und Engels ergeben, stellt sie in einem historischen Zusammenhang dar, und stellt Fragen in den Raum, über die es sich zu nachdenken lohnt.

Haarscharf an der Form einer populärwissenschaftlichen Ausarbeitung vorbei, schadet Vorwissen nicht. Zumindest aber Interesse sollte man schon mitbringen. Ohne dieses wird man schnell aus der Lektüre aussteigen. Zum bloßen nebenher Informieren eigenet sich “Karl Marx in Paris” nicht.

Insgesamt stellt dieses Buch eine gute Grundlage für eine, zugegeben eher intellektuelle, Diskussion dar. Zumindest die biografischen Züge sind jedoch interessant genug, um am Ball zu bleiben. Auf alles andere muss man sich jedoch einlassen können, sonst funktioniert diese Lektüre kaum, und man wird ihr auch sonst nicht gerecht.

Dies gilt es zu vermeiden. Die dichte Quellenlage unterfüttert und regt zur weiteren Lektüre an, zeigt die Rechercheleistungen auf, die zur gar nicht so einfachen Ausarbeitung des vorliegenden Werkes nötig gewesen waren. Im 200. Marx-Jahr und nicht nur dann, ein wichtiges Diskussionsmaterial.

Autor:

Jan Gerber ist ein promovierter Politikwissenschaftler und habilitierter Historiker. Er lehrt an der Universität Leipzig und ist leitender Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Leibniz-Institut für jüdische Geschichte und Kultur – Simon Dubnow (seit 2010). Seit 2004 lehrt er zudem an der Universität Halle.

Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich von geschichte und Wirkung des Holocausts, sowie zur Arbeiterbewegung und der politischen Linken. Er veröffentlichte zahlreiche wissenswchaftliche und populärwissenschaftliche Ausarbeitungen zu Themen dieser Bereiche.

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Victor Sebestyen: Lenin – Ein Leben

Lenin - Ein Leben Book Cover
Lenin – Ein Leben Victor Sebestyen Rowohlt Erschienen am: 18.08.2017 Seiten: 702 ISBN: 978-3-87134-165-0 Übersetzer: (u.a.) Norbert Juraschitz, Karin Schuler

Inhalt:

Wladimir Uljanow wurde Lenin. Doch, wer war der Mensch, der als junger Erwachsener begann, den Zaren zu hassen und schließlich half, eine Jahrhunderte alte Dynastie zu stürzen, ihre Vertreter zu ermorden? Wer war der Machtmensch, der skrupellos all jene beseitigte, die sich ihn und seinen höeren Zielen in den Weg stellten, gleichzeitig aber auch Hypnotiseur der Massen und vor allem, der ihn umgebenden Frauen?

Wer war der Revolutionsführer, dessen Ideen und Gedanken auch heute noch eine Rolle im Wirken der Politiker des größten Landes der Erde spielen, dessen Leichnam aufgebahrt eine Nachricht aus einer anderen Epoche ist.

Der Mann, der in Zeiten des Exils viele Namen hatte und schließlich mit Arbeitermütze bekannt, geliebt und gefürchtet wurde. Ein beeindruckendes Portrait, geschrieben von Victor Sebestyen. (eigene Inhaltsbeschreibung)

Rezension:

Nur wenigen ist es vergönnt, die politische Landschaft nachhaltig zu gestalten. Zum Glück, möchte man meinen. Für einige Protagonisten des vergangenen Jahrhunderts gilt dies ganz besonders. Lenin, was ursprünglich nur der Deckname von Wladimir Uljanow gewesen ist, gehört ganz sicher dazu. Doch, wer war er eigentlich?

Ein besonderer Mensch, nur für besondere Zeiten oder schon vohrer, bevor er eine entscheidende Rolle in der russischen und der Weltpolitik spielte, ein großer, genialer aber auch brutaler Kopf?

Victor Sebestyen hat sich auf Spurensuche begeben. In der Schweiz, in Frankreich, den USA und Russland, hat er den Menschen zu ergründen versucht, dem es gelungen ist, die Welt poltiisch für lange Zeit zu prägen. Bis über seinen Tod hinaus.

Herausgekommen dabei ist ein eindrucksvolles Portraits eines konsequenten Menschens, ebenso genial wie erschreckend brutal in seinem Denken und seinen Entscheidungen.

Beginnend von der Kindheit an, verfolgt der Leser das Werden des Revolutionsführers und Diktators, dem ein noch schlimmerer folgen sollte, der Zehntausende auf den Gewissen hatte, der dennoch geistig hoch gebildet und Sinn für das Schöne hatte. Von Literatur, über Frauen bis hin zu Katzen.

Dicht recherchiert, bassierend auf unzähligen Tagebucheinträgen, Berichten von Zeitzeugen, die ihre Erinnerungen festgehalten hatten, Brief- und Schriftwechsel ist mit “Lenin – Ein Leben” ein sehr gutes ausgewogenes Sachbuch erschienen, welches das Zeug hat, zur Standardliteratur im Bereich der Leninschen Personengeschichte zu werden.

Wenn schon nicht in Russland, dann zumindest in Europa.

Historische Zusammenhänge werden so einfach wie nötig, so detailreich wie möglich geschildert, so dass auch noch nicht Informierte damit beginnen können, sich mit diesem Teil der Geschichte zu beschäftigen.

Vorwissen oder zumindest Interesse sei aber empfohlen, anderenfalls erfordert die Lektüre sonst eine zu hohe Konzentration. Wobei davon abzuraten ist, weitere (auch verschiedene) Literatur parallel zu lesen. Doch, der Autor lädt dazu ein, sein Wissen zu erweitern.

Den Laptop oder das Handy sollte man vielleicht griffbereit haben, um verschiedenen Ereignissen näher auf die Spur zu kommen, Personengeschichte dort zu sichten, wo das dennoch sehr ausführliche Personenregister mit den hilfreichen Kurzbiografien nicht weiterhelfen kann.

Klar strukturiert, sind die Kapitel sehr faktenreich, dennoch kurzwelig, so dies in einem ernstzunehmenden Sachbuch möglich ist, und sehr dicht geschrieben. Vom Informationsgehalt und der Schrift her (besonders auf die Zitate, Übersetzungshinweise und Fußnoten bezogen).

Wer Probleme damit hat, sollte zum E-Book greifen. Alle anderen werden sich eine ansehnliche und lesenswerte Biografie ins Regal stellen können, die in jeder Hinsicht beeindruckt. Die Recherchearbeit des Autoren merkt man in jedem Satz.

Am Ende jedenfalls ist man schlauer als vorher, geht mit einer sehr viel kritischeren aber auch differenzierteren Sichtweise aus der Lektüre und mag spätere geschichtliche Abläufe in Russland bzw. das noch immer vorhandene Denken mancher Moskauer Politiker und auch sonst, besser nachvollziehen. Victor Sebestyen schafft dies bravourös.

Autor:

Victor Sebestyen wurde 1956 in Budapest geboren und ist ein britischer Journalist und Historiker. Seine Eltern emigrierten nach der Niederschlagung des Ungarischen Volksaufstandes nach England.

Sebestyen arbeitete als poltischer Journalist für verschiedene britische und amerikanische Zeitungen, bevor er 2006 sein erstes Buch veröffentlichte. Der Autor ist Mitglied des Think Tank Wilton Park. Er lebt in London.

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Douglas Smith: Der letzte Tanz

Der letzte Tanz Book Cover
Der letzte Tanz Douglas Smith S. Fischer Erschienen am: 23.10.2014 Seiten: 528 ISBN: 978-3-10-077203-9 Übersetzer: Bernd Rulkötter

Inhalt:

Es ist das brutale Ende einer glanzvollen Epoche, der Untergang einer prachtvollen Ära: Ab 1917 wird die russische Aristrokratie im Mahlstrom der bolschewistischen Revolution vernichtet. Packend schildert der renommierte Historiker Douglas Smith erstmals die berührenden Schicksale und menschlichen Dramen, die sich dahinter verbergen. (Klappentext)

Rezension:

Praktisch über Nacht wurde der russische Adel hinweggefegt, doch der Fall auf dem Kehrrichthaufen der Geschichte dauerte viel länger und war vor allem eines, brutal.

Der amerkanische Historiker zeichnet mit “Der letzte Tanz” ein faszinierendes Portrait einer unwirklichen Zeit, in der eine ganze Gesellschaft umgekrempelt wurde und der neue “rote Adel” unbarmherzig gegen alles vorging, was die frühere gesellschaft symbolisierte.

Am Schicksal der einst mächtigen Familien Golizyn, Scheremetjew und Trobezkoy zeigt Douglas Smith den Gang der russischen Aristrokratie in den Abgrund auf und verfolt detailliert das Schicksal der einzelnen Familienmitglieder.

Douglas Smith hat damit erstmalig die Menschen in den Fokus genommen, die dem Zaren und seiner Familie in hohen Positionen am kaiserlichen Hof etwa, in der Armee oder auch sonst in der Gesellschaft dienten und zeigt, dass Geschichte vom Sieger geschrieben und ihr Verlauf bestimmt wird.

Kleinteilig genau portraitiert er die einzelnen Schicksale, die Repressionen, den Terror und die Verzweiflung aber auch immer wieder kleine Momente des Glücks, der Hoffnung, die dann jäh zerstört werden.

Der Autor beschreibt ausführlich, warum die einen die Wirren von Revolution und Bürgerkrieg mehr oder weniger überstanden, andere entrechtet, verfolgt und sytematisch umgebracht wurden.

Gestützt auf eine umfangreiche Quellenlage, basierend auf Dokumenten und Akten russischer Archive, die erstmalig gesichtet wurden, Tagebuch-Aufzeichnungen, Foto-Sammlungen und Gesprächen, Zeitungsberichte jener Zeit und Regierungsdokumenten der Zaren- als auch der danach folgenden Zeit sowie Geheimdienstberichten, entstand ein wertvoller und umfassender Bericht, welcher zu einem Standardwerk im Studium der russischen Geschichte werden könnte.

Ausführliche Beschreibungen, Zitate und Ausführungen lassen das Große und Ganze begreifen und gleichzeitig Details nicht aus den Augen verlieren. Der Schreibstil flüssig, lässt zwar manchen Schachtelsatz zu aber die sind nicht schlimmer als in meiner Rezension.

Man kann es also gut lesen, muss sich dennoch konzentrieren. Insbesondere die Namen in ihren zahlreichen russischen Formen und der während der Zeit stattfindende Wechsel des Kalendersystems sind dabei zu beachten.

Dies gelingt Douglas Smith, der zudem sehr darauf geachtet hat, verschwommene Erinnerungen und wirklich Geschehenes zu trennen und ein wahrhaftgemäßes Bild zu zeichnen, des Untergangs einer vielschichtigen Epoche.

Autor:

Douglas Smith wurde 1962 geboren und arbeitete als Historiker für das U.S. State Department in der Sowjetunion und als Russisch-Dolmetscher für Ronald Reagan. Für Radio Liberty/Free Europe war er als Russland-Spezialist in München tätig.

Zahlreiche Auszeichnungen erhielt er für seine Arbeit, u.a. das renommierte Fullbright-Stipendium für Wissenschaftler. Er lebt in Seattle/USA.

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