historischer Roman

Ian McEwan: Lektionen

Inhalt:

Roland Baines ist noch ein Kind, als er 1958 im Internat der Person begegnet, die sein Leben aus der Bahn werfen wird: der Klavierlehrerin Miriam Cornell. Roland ist junger Vater, als seine deutsche Frau Alissa ihn und das vier Monate alte Baby verlässt. Es ist das Jahr 1986. Während die Welt sich wegen Tschernobyl sorgt, beginnt Roland, nach Antworten zu suchen, zu seiner Herkunft, seinem rastlosen Leben und dem, was Alissa von ihm fortgetrieben hat. Sowohl episch als auch intim – ein bewegender, zutiefst menschlicher Roman über Liebe, Verlust, Kunst und Versöhnung. (Klappentext)

Rezension:

Wer sich in eine Geschichte hinein begibt, kommt darin um. Zumindest manchmal. Zumindest dann, wenn Erwartungshaltung und, in diesem Falle, Gelesenes weit auseinanderklaffen. Dabei beginnt diese Erzählung aus der Feder des britischen Schriftstellers Ian McEwan recht vielversprechend, beinhaltet sie doch alle Elemente, die für sich genommen und in mancherlei Zusammenspiel gut funktionieren.

Der Roman ist eine Mischung aus zunächst Coming of Age, im Rahmen einer Internatsgeschichte nach alter englischer Tradition, wandelt sich dann zu einer Geschichte über Missbrauch und Vereinnahmung, um zu einer fiktionalen Biografie, einem Familienepos vor zeithistorischer Kulisse, gewürzt mit einer gehörigen Portion Gesellschaftskritik, zu werden. Eingebettet in einem fast zu ruhigen Erzählstil passiert zu Beginn nicht viel, um dann jedoch unerwartet zu zuschlagen, womit in dieser sehr ausufernden Erzählung schon bald eine Kerbe eingeschlagen wird, die wir Lesenden für den Rest der Geschichte im Hinterkopf behalten und nicht wieder loswerden.

Das liegt nicht an der Ausgestaltung der wichtigen beiden Hauptprotagonisten. Diese ist dem Autor gelungen, weißt doch der zunächst Elfjährige Ecken und Kanten auf, die er die gesamte Handlung über behalten wird, verstärkt und noch stärker in den Fokus gerückt, durch seinem Gegenpart, deren Handeln Ursache für alles ist, was folgt. An diesen beiden Figuren hat Ian McEwan eine Missbrauchsgeschichte erarbeitet, wie man sie seltener liest. Hier ist das Opfer ein Junge, der Täter eine Frau, die so berechnend wie perfide ihren Schüler zuerst unsittlich berühren, dann vereinnahmen wird, was Auswirkungen auf das gesamte Leben von Roland.

Der erkennt den Missbrauch erst spät als solchen oder kann ihn nach Jahrzehnten erst als solchen benennen, hat die Chance, seine Peinigerin nach Jahrzehnten zur Rechenschaft zu ziehen und vertut diese Chance. Beide Protagonisten haben ja schließlich damit ihre Leben verpfuscht und dennoch gelebt, wozu also die Vergangenheit noch einmal aufrollen?

Das ist nur ein Teil dieser noch über mehrere hundert Seiten gehenden Erzählung, doch überdeckt er alles andere. Natürlich sind Geschichten mit dieser Thematik immer schwierig zu entwickeln und irgendjemanden wird, egal wie die Geschichte gedreht und gewendet wird, sich daran stoßen, aber alleine das Gefühl zu erzeugen, zu sagen, Missbrauch ist okay, wenn er von Frauen ausgeht, ist die Ahndung auch nach Jahrzehnten nicht wert, selbst wenn das nicht vom Schreibenden so beabsichtigt ist, schafft ein Geschmäckle. Wäre die Figurenkonstellation eine andere, der Missbrauchende ein Mann, das Opfer ein Mädchen, mit dieser Schlussfolgerung, der Aufschrei des Feuilletons wäre dem Roman sicher.

Und da nützt es auch nichts, dass dies nur ein, zumindest hier so empfundener, Aspekt dieser Erzählung ist und der Rest zähflüssig vor der Kulisse beinahe aller historischer Kulisse verläuft, die die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg zu bieten hat. Ian McEwan fährt von Kubakrise über Tschernobyl und Mauerfall bis hin zur Pandemie wirklich alles auf. Natürlich, ein langes Leben nimmt halt vieles mit, aber hier hätten noch mehr persönliche Spannungsformulier ausformuliert gereicht, um die Tragweite der Handlung voran zu bringen.

Die Stärke des Autoren liegt in der Ausarbeitung der Charaktere, wenn auch konsequent nur die Perspektive der Hauptfigur dominiert. Nebenfiguren nehmen diese Rolle immer dann ein, wenn es um Rückblenden und Zeitsprünge geht, diese zu verdeutlichen. Aber eben auch das hilft nicht gerade, wenn die ganze Zeit wirklich alles eben auf diesen Missbrauchsmoment heruntergebrochen werden kann und letztlich keine Konsequenzen folgen.

Schauplätze dagegen werden sehr plastisch beschrieben und für die Lesenden zum Leben erweckt. Auch sei zu erwähnen, dass der Autor einen winzig kleinen Teil seiner eigenen Biografie mit eingewoben hat. Die Antagonistin ist dies jedoch nicht.

Und so bleibt ein Werk, welches ich aufgrund eines Aspekts und wenn ich damit Geisterfahrer zu anderen Rezensenten bin oder ich das “falsch” verstanden habe (Wenn dem so ist, dann hätte man diesen Fallstrick beim Schreiben des Romans bemerken müssen.), einfach nicht empfehlen kann. Für Sprache und Figurenausarbeitung möchte ich hier jedoch die Pluspunkte sehen.

Autor:

Ian McEwan wurde 1948 geboren und ist ein britischer Schriftsteller. Zunächst studierte er englische und französische Philologie und schloss das Studium anschließend mit einem Bachelor of Arts in englischer Literatur ab. Während des Studiums besuchte er einen Kurs für Kreatives Schreiben und unterrichtete später selbst.

1975 veröffentlichte er eine Kurzgeschichtensammlung, danach weitere Erzählungen und Romane. Mehrere seiner Werke wurden verfilmt und vielfach übersetzt. Er wurde mehrfach ausgezeichnet, im deutschsprachigen Raum u. A. mit dem Deutschen Buchpreis und der Goethe-Medaille.

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Sir Walter Scott: Chrystal Croftangrys Geschichte

Inhalt:

Chrystal Croftangry versucht am Ende seines Lebens es zum Schriftsteller zu bringen, nachdem er einst reich, dann verarmt, sich aus dieser Armut mühsam herausgekämpft hat. Er berichtet von Freud und Leid des Erzählens, von der Begeisterung der Welt der Stoffe und Geschichten. Hoffen und Bangen eines angehenden Schriftstellers, verbunden mit Witz und Ironie. Sir Walter Scott schuf mit den Protagonisten seinen alten Ego und setzte sich und seinem Leben mit diesem Werk selbst ein Denkmal. (abgewandelte Inhaltsangabe)

Rezension:

Bis auf wenige Werke ist das Schaffen Walter Scotts hierzulande fast vergessen. Nur wenige würden einem spontan einfallen und das auch nur, wer sich wirklich intensiv auseinandersetzt. “Ivanhoe” vielleicht, könnte als erste Erzählung genannt werden, danach aber wird es schon schwierig. Im englischsprachigen Raum mag das anders aussehen, was aber als gesichert gelten kann, dass der zu seinen Lebzeiten durchaus auch hier bekannte Schriftsteller das Bild Schottlands in der Welt geprägt hat und bei Gelehrten wie Goethe Anklang fand.

Als einer der Begründer des historischen Romans schuf er Vorlagen, die noch heute Grundlage für zahlreiche Theaterstücke, Opern und Filme sind, aber vor allem zahlreiche Werke, die eng mit der Geschichte Englands und Schottlands verbunden sind. Auch seinem Leben und Werken setzte er ein Denkmal in Erzählform. Dieses liegt nun, neu übersetzt von Michael Klein, vor.

Hauptprotagonist ist der verarmte Adel Chrystal Croftangry, der das Vermögen seiner altehrwürdigen Familie durchgebracht hat und sich nur langsam, mit Hilfe einiger Weniger, aus den Sumpf ziehen kann, mit ein wenig Glück wieder Fuß fasst und dann beginnt Erzählstoff zu sammeln, mit dem Ziel ein eigenes Buch zu veröffentlichen. Nebenbei erzählt er selbst im Verlauf der Handlung aus seinem Leben, so dass wir hier ein Roman in Roman in Roman lesen dürfen. Zahlreiche Anspielungen auf die schottische Geschichte inbegriffen.

Ebene Eins ist die Rahmenhandlung, in der Walter Scott sich mit dem Hauptprotagonisten eine Figur alten Egos schuf und so diese praktisch im Autoren selbst übergeht, Ebene Zwei ist die Einbindung und Abwandlung schottischer Geschichte und Legenden, die widerum selbst eigenständig gelesen werden können und wen das noch nicht zu chaotisch wirkt, kann nebenbei auch über die Tragik Walter Scotts etwas erfahren, die in seinen letzten Schaffensjahren ihren Höhepunkt fand.

Das ist viel zu viel, zumindest für die heutige Zeit, in der die Aufmerksamkeitsspanne kaum mehr in den Raum zwischen Wand und Tapete passt. Unterschiedliche Erzähltempo und Stile fügen sich nicht zu einem harmonischen Ganzen, abrupte Übergänge erschweren das Lesen. Kaum zu glauben, dass das damals funktioniert hat.

Über manche Literatur legt sich mit der Zeit jedoch zurecht ein Mantel des Vergessens. Vielleicht ist dieses Werk eher als Beispiel für das Studium der Geschichte englischer Literatur geeignet, denn als Historien-Schmöker funktioniert es nicht. Zu viele Themen werden auf so wenigen Seiten aufgegriffen, kaum ausgeführt, zudem wirkt die Ausschmückung der tatsächlichen Geschichte doch sehr gewollt.

Positiv ist genau eine Erzählung innerhalb der Erzählung hervorzuheben. Das reicht nicht.

Autor:

Walter Scott wurde 1771 in Edinbirgh geboren und war ein schottischer Schriftsteller, Dichter, Verleger und Literaturkritiker und gilt als traditioneller Begründer des Geschichtsromans. Viele seiner Werke dienen bis heute als Grundlage für Schauspiele, Opern und Filme. er prägte das Bild der öffentlichen Wahrnehmung Schottland und war einer der meistgelesenen Schriftsteller seiner Zeit.. Er starb 1832 in Abbotsford.

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Olli Jalonen: Die Himmelskugel

Inhalt:

Eine außergewöhnliche Geschichte über die Anfänge der Aufklärung – erzählt mit der Stimme des Jungen Angus, der von der abgelegenen Insel St. Helena auf abenteuerlichen Wegen nach London reist, um bei dem berühmten Sternenforscher Edmond Halley in die Lehre zu gehen und sich seinen Traum von Wissen zu erfüllen. (Klappentext)

Rezension:

Kaum ein Ort könnte abgelegener sein als St. Helena, diese Insel inmitten des Atlantiks zwischen Afrika und Südamerika, auf der Stand heute, ein paar tausend Menschen leben. Der finnische Autor Olli Jalonen nimmt uns mit, dorthin auf eine Zeitreise und einem großen Abenteuer, im Zeitalter des Beginns der Aufklärung, der Hinwendung zu den Wissenschaften und großer Namen.

Hauptprotagonist, aus dessen Sicht die gesamte Geschichte erzählt wird, ist der zu Beginn achtjährige Angus’, dessen Faszination dem Sternenhimmel gilt, den er im Auftrag des Astronoms Edmond Halley beobachtet. Dessen Reise durch den Atlantik , um an verschiedenen Punkten der Erde die Position der Magnetnadel zu bestimmen, ist historisch verbürgt und Grundlage dieses historischen Romans, der im 17. Jahrhundert angesiedelt ist und sofort den Lesenden das schon damals beschwerliche Inselleben jener Zeit vor Augen führt. Zudem ist da die politische Gemengenlage, in der sich selbst dieser kleine englische Vorposten befand. Hier in Gestalt des gegenspielenden Protagonisten, eines nicht näher benannten Gouverneurs, der die Inselbewohner traktiert.

Sämtliche Angelegenheiten der Erwachsenen sind voller Windungen und Schatten. Wenn man einen normalen Schatten sieht und woran er hängt, dass er zum Beispiel von einem Baum als Schatten des Baums auf die Erde geowrfen wird, dann weiß man Bescheid, aber wenn man nicht sieht, woran er hängt, weiß man nichts.

Olli Jalonen: Die Himmelskugel

Diese Ausgangslage benutzt Jalonen um eine Geschichte zu erzählen, so ausschweifend wie die Himmelsbeobachtungen Halley sebst. Die handlungstragenden Protagonisten sind sofort sympathisch, auch spürt man sofort die schwierige Lage, in der die Inselbewohner sich befinden, auch wenn nur grob die Auswirkungen beschrieben werden. Details gehen in der Melancholie des Schreibstils unter, Längen entstehen, durch die sich die Lesenden kämpfen müssen, gleichsam, auch führt der Klappentext in die Irre. Zumindest, was die Gründe für Angus’ beschwerliche Reise angeht.

Der Handlungsstrang, der per Text verfolgt wird, wird dennoch stringent erzählt, leider nicht zu Ende, und zumindest die Hauptprotagonisten werden vielschichtig beschrieben, auch wenn so mancher Beweggrund für die handelnden Personen unerwähnt bleibt.

Alles ist anders als es daheim jemals war. Ich bin hier, inmitten von alldem. Ich bin Angus, und Angus ist ich, und Ich-der-Totholz-Angus ist auf dem Weg zu den verschneiten Bergen.

Olli Jalonen: Die Himmelskugel

Zudem ist es eine große Schwäche, dass sich nach Ende des Romans nicht die Mühe gemacht wurde, historische Hintergründe, Wahrheiten und Tatsächliches aufzuführen, was als Grundlage der Geschichte gedient hat und was zwangsläufig dazu erfunden werden musste. Diese Recherchearbeit obliegt allein den Lesenden, trotzdem reiht sich “Die Himmelskugel” in die Reihe großer Expeditionsbücher ein, die bei dem Verlag erschienen sind, ohne den Vergleich mit diesen scheuen zu müssen.

Das melancholische Erzählen hemmt den Lesefluss, an einigen Stellen hätten es zudem ein paar Seiten weniger gebraucht und die fehlende Aufstellung am Ende sind die großen Kritikpunte, denen gut ausgestaltete Protagonisten gegenüber stehen, eine über weite Strecken tragende gute Grundidee, die von einer Welt im Wandel erzählt, von Mut und Vertrauen, großen Forschergeist.

Autor:

Olli Jalonen wurde 1954 geboren und ist ein finnischer Schriftsteller. Er studierte zunächst Sozial- und Literaturwissenschaften und promovierte 2006 an der Universität von Tampere. 1978 erschien sein Erstlingswerk, eine Novellensammlung, die ausgezeichnet wurde. 1990 erhielt er für sein Werk den Finlandia-Preis, 2018 zum zweiten Mal. Er zählt zu den bedeutendsten Autoren Finnlands. Seine Werke wurden in die skandinavischen Sprachen übersetzt, einige wenige in weitere. Neben Romanen schreibt er Hörspiele, Theaterstücke und führt Regie beim Fernsehen.

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Laurent Binet: Eroberung

Inhalt:

Eine freimütige Wikingerin führt ihre Männer bis nach Südamerika. Mit ihnen gelangt ein Virus dorthin, dass die indigene Bevölkerung dezimiert. Die Wikinger müssen fliehen. Viel später ist Kolumbus nach Amerika unterwegs. Keiner seiner Männer kehrt nach Europa zurück. So kommt es, dass die Inka im 16. Jahrhundert in Portugal landen und Europa erobern. Sie besiegen in Frankreich Karl V. und in Spanien die Anhänger der Inquisition. In Deutschland machen sie Geschäfte mit den Fuggern und nach Luthers Tod werden die “95 Thesen der Sonne” in Wittenberg angeschlagen. In Mitten der Pestwirren treffen sich der Maler El Greco, der Schriftsteller Cervantes und der Philosoph Montaigne. (Inhaltsangabe nach Verlag)

Rezension:

Die Was-wäre-wenn-Frage gehört zu einer der schwierigsten unter den Historikern, da diese nicht falsch beantwortet werden kann und zu viele Faktoren berücksichtigt werden müssen, dennoch ist sie eine der spannendsten, so man sich mit geschichtlichen Themen beschäftigt. Wir wissen um den Ausgang historischer Ereignisse, um so interessanter sind diese Gedankenspiele. Aus Geschichte muss man ja im besten Falle etwas lernen und mitnehmen können.

Eine dieser Fragen ist diese, was wäre, wenn nicht Kolumbus auf den amerikanischen Kontinent gestoßen wäre, sondern umgekehrt die Urvölker Amerikas Europa angelandet hätten? Hätten sie die Oberhand im gesellschaftlichen Gefüge der damaligen Zeit gewinnen können? Wenn ja, wie lange hätten sie sich halten können und wie sähe unsere Welt heute aus?

Wir wissen, dass es anders kam, doch der Historiker Laurent Binet hat dieses Planspiel zu einem erstaunlichen Roman gewoben, der jedoch viel weiter ausholt. Wissenschaftler sind sich heute einig, dass der Erfolg der Europäer in Amerika u.a. damit zusammenhängt, dass sie Tiere wie Pferde nutzten, das Rad um Dinge über weite Strecken zu transportieren und schon Feuerwaffen kannten. Hier gibt der Autor den indigenen Völkern Amerikas diese Errungenschaften an die Hand, und beginnt so zumindest in seinem Roman einmal die Erfolgsgeschichte umzudrehen.

Der Roman alleine ist am stärksten im Hauptteil dieser aus vier Abschnitten bestehenden Geschichte. Sehr schwach ist der letzte Teil. Durch die beiden zu Beginn stehenden Teile muss man sich einfach durchkämpfen, dann jedoch eröffnet sich ein historisches Szenario, in dem der Autor mit seinem Wissen glänzt, welches er zu Gunsten der Geschichte dem Volk der Inka in die Hände gibt. Die Protagonisten sind zumindest hier feinfühlig ausgebaut, während in den anderen Abschnitten der Entwicklung der Figuren nicht genug Raum gegeben wird. Zu blass bleiben da einige Charaktere, woanders ist das Szenario sehr lückenhaft beschrieben.

Im Hauptteil jedoch entdeckt die Leserschaft Atahualpa und seine Mitstreiter als feinfühlige Entdecker deren vergleichsweise sanfte Eroberung sehr konträr zu den tatsächlichen Geschehnissen in Europa steht und damit zeigt, wie die Geschichte hätte verlaufen können, wenn sie auf Seiten der indigenen Bevölkerung Südamerikas gewesen wäre. Hier versinkt man völlig, was einem in den Seiten zuvor und auch im danach folgenden fast eintönig wirkenden Abschnitt um Cervantes nicht gelingen mag.

Den letzten Abschnitt vollkommen gestrichen, den ersten Abschnitte noch ein wenig mehr Tiefe gegeben und der Hauptgeschichte noch mehr Detailliertheit, wäre dies ein Roman, der im oberen Wertungsbereich anzusiedeln ist. So jedoch ist trotz des sehr interessanten Szenarios nicht viel aus der Geschichte herauszuholen.

Autor:

Laurent Binet wurde 1972 in Paris geboren und ist ein französischer Schriftsteller. Zunächst arbeitete er als Französischlehrer, publizierte im Jahr 2000 sein erstes Buch. Vier Jahre erschien sein zweites, in dem er von seinen Erfahrungen an Pariser Schulen berichtet. Oftmals spielen in seinen Werken historische Szenarien eine Rolle. Für sein Werk über die Eroberung Europas durch das Volk der Inka wurde er 2019 mit dem Grand Prix du Roman der Academie francaise ausgezeichnet.

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Samantha Harvey: Westwind

Westwind Book Cover
Westwind Samantha Harvey Atrium Verlag Erschienen am: 18.09.2020 Seiten: 383 ISBN: 978-3-85535-077-3 Übersetzer: Steffen Jacobs

Inhalt:

England, 1491. In dem kleinen, abgelegenen Dorf Oakham bereitet man sich gerade auf die bevorstehende Fastenzeit vor, als eines Nachts ein Unglück geschieht. Thomas Newman, der wohlhabendste und einflussreichste Mann im Ort, wurde von der Strömung des Flusses mitgerissen.

Ein paar Tage später taucht seine Leiche auf. War es ein Unfall, Mord oder Selbstmord? Dies herauszufinden, obliegt dem örtlichen Priester John Reve. Während sich durch die Beichten der Dorfbewohner langsam ein Porträt der Gemeinde zusammensetzt, kommen immer dunklere Geheimnisse ans Licht. Die Schuldfrage wird immer dringlicher. (abgeänderte Inhaltsangabe)

Rezension:

Szenarien bietet die Epoche des finsteren Mittelalters genug, so dass Fans historischer Romane sicher genug Auswahl haben. Die Themen sind so vielfältig, wie die historischen Figuren, selbst, wenn man frei schreibend, sich nicht an tatsächliche Geschehnisse orientiert.

So oder ähnlich hätte es ablaufen, die Stimmung unter den Protagonisten sein können. Dieses Gefühl mit einer Geschichte bei der Leserschaft zu wecken, dabei zu unterhalten, sollte das Ziel sein. Gelingt das, ist alles gut. Und dann gibt es noch Romane, wie den vorliegenden von Samantha Harvey.

Historische Romane bieten Platz für das ganz große Kino, was man rein, den Klappentext betrachtend, erwarten darf. Ein Priester in Konfrontation mit dem Glauben, die Dorfbewohner durch den Tod eines Menschen verunsichert, der am wenigsten dafür prädestiniert zu sein schien.

Ausufernde Intrigen, temporeiche, sich überschlagende Spannungsmomente und die Düsternis der Zeit. Auf diese freut man sich, nach dem Lesen der Inhaltsangabe, der ersten Zeilen, die aus der Sicht des Hauptprotagonisten geschrieben sind. “Westwind”, bietet jedoch allenfalls nur Schmalspur.

Gleichsam wie das beschriebene Dorf ist auch in dieser Erzählung alles mehrere Nummern kleiner. Spannungsmomente können ihre Wirkung kaum eine Seite lang halten, so dass das Tempo dem eines vor sich hin plätschernden Baches gleicht.

Das ist auf der Strecke ermüdend, zumal nur die Hauptprotagonisten einigermaßen vielschichtig sind, während der Rest der Figuren relativ farblos erscheint. Die Stimmung, die Samantha Harvey erzeugen wollte, kommt hier nicht auf, zudem das Ende mich unbefriedigt zurückgelassen hat.

Liegt es am Hintergrund des gestalteten Protagonisten, dem Szenario, der Idee dahinter? Nein, aber Sprache bedingt Wirkung, Spannungsbögen halten Lesende bei der Stange. Beides setzt die Autorin auf’s Spiel, zudem hier mehr Zwiespalt innerhalb der Figurenkonstellationen gepasst hätte und vielleicht noch die eine oder andere Verwicklung mehr.

Mit dem vorliegenden hätte man weniger Seiten besser füllen können. Unter historischer Spannungsliteratur stelle ich mir anderes vor, auch als detektivischer Roman, angesiedelt im Mittelalter, ist mir das zu dünn. Leider.

Autorin:

Samantha Harvey wurde 1975 geboren und ist eine englische Autorin. Zunächst studierte sie Kreatives Schreiben und Philosophie, bevor sie ihren ersten Roman im Jahr 2009 veröffentlichte. Kreatives Schreiben unterrichtet sie zudem an der Bath Spa University, wo sie als Dozentin tätig ist.

Harvey wurde mehrfach ausgezeichnet und erhielt u.a. den AMI Literature Award. Im Jahr 2010 wurde sie von The Culture Show zu einer der zwölf besten neuen britischen Schriftstellerinnen ernannt.

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Luca di Fulvio: Das Kind, das nachts die Sonne fand

Das Kind, das nachts die Sonne fand Book Cover
Das Kind, das nachts die Sonne fand Luca Di Fulvio bastei Lübbe Erschienen am: 12.03.2015 Seiten: 830 ISBN: 978-3404-17180-4

Handlung:

Raühnval, ein opulentes Herrschaftsgebiet in den Ostalpen. Dort führt der junge Marcus ein priviligiertes Leben als Sohn des Landesfürsten. Bis zu dem Tag, als bei einem Massaker seine Familie und alle übrigen Burgbewohner ermordet werden. Marcus überlebt dank der Hilfe Eloisas, der Tochter der Hebamme, und findet Aufnahme bei den Dorfbewohnern. Doch die Herrschaft eines grausamen neuen Fürsten lässt bald einen kühnen Plan in ihm reifen: Marcus will für ein Leben in Freiheit und Gerechtigkeit kämpfen, für sich und für die übrigen Leibeigenen des Reichs.

Ein Vorhaben, das ihn erneut mit den dunkelsten Seiten des menschlichen Seins konfrontiert. Und ihm abermals das Kostbarste zu entreißen droht… (Klappentext)

Rezension:

Wenn ich Geschichte lesen möchte, greife ich meistens zu Sachbüchern, da ich nicht möchte, dass historische Fakten allzu sehr verdreht werden. Dann nämlich besteht die Gefahr, nicht mehr zwischen geschehenes und erfundenem unterscheiden zu können. Doch, habe ich mich dieses Mal an das neueste Werk von Luca di Fulvio gewagt, dessen andere Bestseller ich bisher unbeachtet gelassen hatte. Der italienische Autor nimmt den Leser mit auf eine Zeitreise ins tiefste Mittelalter, genauer 1407, wo der 9-jährige Marcus als Sohn des Landesfürsten von Raühnval ein umsorgtes Leben führt.

Er schläft in einem echten Bett, ist nie hungrig und wird von seinen Eltern nach allen Regeln erzogen, die ihn später zum Nachfolger seines Vaters werden lassen sollen. Marcus ahnt nichts von der Welt da draußen, wo die Bewohner der Dörfer in Armut leben und mit den einfachsten Mitteln zurechtkommen und von dem leben müssen, was Feld, Wald und Tiere hergeben.

Doch, der Fürst ist gerecht und das Leben einigermaßen erträglich. Doch, auf einmal ändert sich alles. Die Herrscherfamilie fällt einem Massaker zum Opfer und nur Markus wird gerettet durch die mutige Tat von Eloisa, einem kleinen Mädchen seines Alters.

Doch nun, aller Privilegien beraubt, muss er ums Überleben kämpfen. Für ihn heißt das, lernen, wie ein einfacher Mensch zu leben und zu arbeiten. Die Vergangenheit lässt ihn jedoch keine Ruhe. Der grausame neue Fürst hat, ohne von der wahren Identität des Jungen zu ahnen, im ständig in Blick, wie alle anderen Leibeigenen auch. Marcus lernt sich zu behaupten und in seinem Inneren entwickelt er einen kühnen Plan.

Ein atemraubendes Historienstück, Abenteuer und Krimi zugleich und eine beeindruckende Zeitreise. Auch, wenn es Raühnval nicht wirklich gegeben hat. Doch, so oder ähnlich hätte es sich durchaus abspeielen können als in Mitteleuropa noch das Heilige Römische Reich Deutscher Nation existierte und unzählige Fürsten um die Vormachtstellung im Reich kämpften und Komplotte mit- und gegeneinander schmiedeten. Der Unterschied zwischen Landbevölkerung und herrschenden Adel wird hier sehr schön und detailliert dargestellt, die Charaktere sind vielschichtig und nicht statisch. Tatsächlich ist die Wandlung, die Luca di Fulvio vor allem Marcus/Mikhail zuschreibt, beeindruckend beschrieben, was auch für die übrigen Protagonisten gilt. Tatsächlich versinkt man in diese Welt, leidet mit, hofft und bangt, so dass die über 800 Seiten schnell verfliegen. Ein sehr guter Historienroman, über einen Jungen, der nachts die Sonne fand.

Autor:

Luca di Fulvio wurde 1957 geboren und studierte nach der Schule Dramaturgie. Anschließend war er Mitglied des Livingf Theatre in London, bevor er 1996 seinen ersten Roman in Italien veröffentlichte. Der in Rom lebende Schriftsteller, dessen Werk “Der Junge, der Träume schenkte” 2011 ins Deutsche übersetzt wurde, beschäftigt sich dabei immer wieder mit Problematiken wie Gewalt gegen Frauen oder das Leben der Emigranten im Noew York der 20er Jahre. “Das Kind, das nachts die Sonne fand” ist sein dritter Roman, der im deutschsprachigen Raum erscheint.

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