diskriminierung

Celeste Ng: Unsre verschwundenen Herzen

Inhalt:
Der zwölfjährige Bird lebt mit seinem Vater in Harvard. Seit einem Jahrzehnt wird ihr Leben von Gesetzen bestimmt, die nach Jahren der wirtschaftlichen Instabilität und Gewalt die »amerikanische Kultur« bewahren sollen. Vor allem asiatisch aussehende Menschen werden diskriminiert, ihre Kinder zur Adoption freigegeben. Als Bird einen Brief von seiner Mutter erhält, macht er sich auf die Suche.

Er muss verstehen, warum sie ihn verlassen hat. Seine Reise führt ihn zu den Geschichten seiner Kindheit, in Büchereien, die der Hort des Widerstands sind, und zu seiner Mutter. Die Hoffnung auf ein besseres Leben scheint möglich. Eine genauso spannende wie berührende Geschichte über die Liebe in einer von Angst zerfressenen Welt. (Inhaltsangabe lt. Verlag)

Rezension:

Wenn es ein dystopischer Roman geschafft hat, mich in seinem Bann zu ziehen, ist es die Erzählung “Unsre verschwundenen Herzen” aus der Feder der amerikanischen Schriftstellerin Celeste Ng, gerade weil sie zahlreiche Parallelen zu Geschehnissen rund um den Globus aufweist, die bereits in Ansätzen brutale Realität geworden sind.

Ein Jahrzehnt nach einer die Wirtschaft erschütternden Krisensituation haben die Vereinigten Staaten ihr weltoffenes Gesicht gewandelt. Ein, abweichende Meinung unterdrückendes Land steht nun an dessen Stelle und es sind vor allem Menschen mit asiatischen Hintergrund, die für die wirtschaftlichen Spannungen verantwortlich gemacht und nun mit allen politischen Mitteln ausgegrenzt werden.

Schon ein von der Mehrheit abweichendes Aussehen reicht, um in Verdacht zu geraten, Aufrührer zu sein. Menschen verschwinden, nicht zuletzt Kinder werden von ihren Eltern getrennt. In dieser Welt nun wächst Bird auf, der zusammen mit seinem Vater auf dem Gelände des Harvard-campus lebt.

Der arbeitet in der dortigen Bibliothek und schärft seinem Sohn ein, nur ja nicht aufzufallen, denn auch Bird hat das asiatische Aussehen seiner Mutter geerbt, die kurz nach Beginn der Wirtschaftskrise die Familie verließ, um ihn zu schützen. Doch dem Jungen begegnen im Laufe der Zeit nicht nur eine Geschichte aus seiner frühen Kindheit, so dass dieser sich auf eine Suche begibt, die einem Lauf auf einem Drahtseil gleicht. Wohin wird sie führen?

Allmählich verstand sie, wie es ablief. Man sagte etwas, und jemanden gefiel es nicht. Man tat etwas, und jemanden gefiel es nicht, aber vielleicht tat man auch nichts, und jemanden gefiel auch das nicht.

Celeste Ng: Unsre verschwundenen Herzen

Dies ist das Grundgerüst der Geschichte, die zunächst etwas sperrig, fast unnahbar daherkommt und dann doch schnell zu fassen ist. Düster die Tonalität schon zu Beginn sehen wir ein Szenario, welches in Ansätzen bereits Wirklichkeit ist. Parallelen etwa zu Trumps Trennung von Eltern und Kindern, die illegal über die mexikanisch-amerikanische Grenze geflüchtet waren und dann aufgegriffen wurden, sind nicht rein zufällig. Auch anderswo auf der Welt passiert ähnliches.

So ist die Geschichte, die einen Zeitraum von wenigen Tagen umfasst, mit Rückblenden in die Vergangenheit, sehr greifbar. Tragende Hauptfigur ist der junge Protagonist, der zwischen den Stühlen der Erwachsenen steht, und nicht zuletzt seine eigene Geschichte verstehen möchte. Die Gegenseite bleibt dabei unscharf. Ein Nebel, der nicht zu fassen ist. Eine stets präsente Bedrohung, die kein Gesicht braucht, nur durch brutale Konsequenzen definiert wird.

Da war etwas. Man hatte etwas getan, man hatte etwas gesagt, man hatte nichts getan, man hatte nichts gesagt.

Celeste Ng: Unsre verschwundenen Herzen

Der Handlungsstrang wird dominiert durch den Blickpunkt des Protagonisten, während in Rückblicken die Perspektiven anderer Figuren dominieren. Erst daraus ergibt sich das Gesamtbild, welches in sich schlüssig erzählt wird.

Trotz der ruhigen Erzählweise gelingt es der Autorin ein interessanteres, da noch mehr zur Realität möglich werdendes Szenario aufzubauen, als zum Beispiel Margaret Atwood oder etwa, im Jugendbuch-Bereich, Suzanne Collins. Dabei passiert, über die Zeilen gepeilt, eigentlich nicht viel. Celeste Ng versteht es jedoch, Nadelstiche an der richtigen Stelle zu setzen, die es einem kalt über den Rücken laufen lassen. Auch funktioniert hier das Stilmittel des halboffenen Endes, ohne so zu wirken, als wüsste die Autorin sonst nicht, wie sie die Handlungsstränge hätte auslaufen lassen sollen.

Wahrscheinlich ist gar nichts, aber –
Ich dachte nur, ich sollte etwas sagen, falls –
Natürlich, ich bin sicher, dass alles in Ordnung ist aber –
Dann tauchten überall in der Stadt die ersten Plakate auf. Im ganzen Land.
Vereinte Nachbarn sind friedliche Nachbarn, wir passen aufeinander auf.

Celeste Ng: Unsre verschwundenen Herzen

Diese Dystopie, die in einigen Fascetten bereits an verschiedenen Schauplätzen Realität geworden ist, kommt sehr plastisch daher. Es ist zugleich eine Darstellung von Verbotskultur und dem, was Literatur in schweren Zeiten an Hoffnung geben kann, um zumindest eine aufhellende Komponente zu haben. Man kann sich das alles sehr gut vorstellen.

Auch die Recherche und Einarbeitung asiatischer Diskriminierungserfahrungen haben der Erzählung gut getan, zumal die Autorin eventuell sicher auch Beispiele aus eigenem Erleben bringen könnte. Diese Verflechtung wirkt und hat eine Erzählung geschaffen, die so schnell nicht loslässt und zugleich eine Warnung ist, sollte wieder einmal ein Bauernopfer für eine bestimmte Situation gesucht werden.

“Unsre verschwundenen Herzen”, sollten einen Platz auf jeder Leseliste haben.

Autorin:

Celeste Ng wurde 1980 in Pittsburgh geboren und ist eine US-amerikanische Schriftstellerin. Zunächst studierte sie Englisch und Kreatives Schreiben in Harvard und Michigan und gewann für eine Kurzgeschichte den Hopwood Award, sowie den Pushcart Prize, 2012. Ihr erster Roman erschien 2014, 2020 eine Miniserie basierend auf ihrem zweiten Werk, welches 2017 veröffentlicht wurde. Die Autorin lebt mit ihrer Familie in Cambridge.

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Francis Seeck: Zugang verwehrt

Inhalt:

Eine bislang weitgehend ignorierte Diskriminierungsform prägt das Leben vieler Menschen fundamental: Klassismus. Die Diskriminierung aufgrund von sozialer Herkunft und Position spaltet unsere Gesellschaft, in der die Schranken zwischen den Klassen immer unnachgiebiger werden. Soziale Unterschiede spitzen sich dramatisch zu. Und Francis Seeck zeigt ganz klar: Eine gerechte Gesellschaft können wir nur erreichen, wenn wir uns mit Klassismus auseinandersetzen! (Klappentext)

Rezension:

Eine der großen Gefahren für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft ist verglichen mit anderen Punkten, die ebenfalls zu deren Spaltung beitragen, vergleichsweise unsichtbar oder, genauer, vor allem sichtbar für jene, die es betrifft. Klassismus ist der Oberbegriff dieses Phänomens, welches das Leben einer immer größeren Gruppe von Menschen bestimmt und dies von Geburt an. Die Kulturanthropologin und Antidiskriminierungstrainerin Francis Seeck hat nun eine zugängliche Diskussionsgrundlage verfasst, die zum Anlass genommen werden darf, sich mit der Thematik auseinanderzusetzen.

Wenn immer mehr Einkommen für Miete aufgewendet werden muss, Parkbänke so gestaltet werden, dass sich wohnungslose Menschen nicht länger dort aufhalten mögen und können, gleichzeitig die Lücke zwischen Arm und Reich immer unüberwindbarer wird, ein Aufstieg sowohl materiell als auch sonst gesellschaftlich kaum mehr möglich ist, ist dies nichts anderes als sich eine immer stetiger zeigende Festigung von Unterschieden. Damit ist dies Grundlage einer Ideologie, die nicht nur allein als Diskriminierungsform, sondern fast immer auch in Verbund mit anderen daherkommt.

Die Autorin, als Eine, die sich selbst durch Klassenschranken kämpfen musste, erklärt die Entstehung des Begriffs und seine Fascetten, die historische Dimension und ihre heutigen Ausprägungen, zugleich Verknüpfungspunkte und Lösungsmechanismen, über die zumindest nachgedacht werden sollte.

Dieses Buch soll zeigen, wie die oft ignorierte Diskriminierungskategorie Klassismus unsere Gesellschaft umfassend prägt. Mein Ziel ist, Menschen für Klassismus zu sensibilisieren, damit wir gemeinsam für eine sozial gerechtere Gesellschaft kämpfen. Es reicht nicht, über Klassismus zu reden und neue Theorien zu entwickeln, wir sollten auch ins klassismuskritische Handeln kommen.

Francis Seeck: Zugang verwehrt – Keine Chance in der Klassengesellschaft

Das klingt zunächst sehr technisch, doch anhand von Beispielen, die sie immer wieder einbringt, beleuchtet Seeck beide Seiten unserer und vergangener klassistischer Gesellschaften, derer die danach streben und derer, die dagegen ankämpfen. Gleichzeitig verliert sie jedoch nicht den Blick auf jene, die als Opfer dieses Systems so stark darin gefangen sind, dass sie Hilfe brauchen, um sich da raus zu kämpfen. Dies aus Perspektiven, die heute immer noch zu wenig eingenommen werden.

Wie auch den Schreibenden der bereits erschienenden Streitschriften der Reihe “Zündstoff” gelingt es ihr in kompakter Form Grundlagenwissen zu einer wenig bisher differenziert beleuchteten Thematik zu vermitteln, dass zwangsläufig neue Perspektiven gewonnen werden, ohne dass man zugleich mit allen genannten Lösungsvorschlägen einverstanden muss.

Schnell wird man jedoch feststellen, wie sehr man selbst vielleicht im klassistischen Denken verhaftet und wie schwer es angesichts unserer Gesellschaft ist, dauerhaft umzudenken. Diesen Prozess anzustoßen, ist ein Kraftakt, der mit dem Lesen der Denkschrift und der Diskussion die folgen sollte, der Francis Seeck gelungen ist.

Autorin:

Francis Seeck wurde 1987 geboren und ist eine deutsche Kulturantropologin und Antidiskriminierungstrainerin. Sie studierte zunächst Kulturwissenschaften an der Europa Universität Viadrina und Europäische Ethnologie an der Humboldt Universität Berlin, an der sie auch promovierte. Ihre Forschungsschwerpunkte sind u. a. Antidiskriminierung und Gender, qualitative Sozialforschung und soziale Gerechtigkeit.

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Marianne Zückler: Osteuropa Express

Osteuropaexpress Book Cover
Osteuropaexpress Rezensionsexemplar/Roman Europaverlag Taschenbuch Seiten: 240 ISBN: 978-3-95890-079-0

Inhalt:
Die Lebensfäden von acht Protagonisten verweben sich zu einem großen Teppich, in dem Einschüchterung und Ausgrenzung, aber auch Liebe und Freiheit ineinander gehen.

Sie gewähren uns Einblicke in eine Welt, in der viele Menschen wegen ihrer sexuellen Identität verfolgt werden und gegen Anfeindungen und Diskriminierung ankämpfen müssen. (Verlagstext)

Rezension:
Ein Junge stand einmal beim Bäcker vor mir und zeigt auf einen rosafarbenen Donut. Er wolle den, hieß es und die Verkäuferin fragte ihn noch einmal. Schließlich gäbe es ja auch blaue Donuts.

Der Junge erwiderte nur, er wolle den essen und nicht damit spielen und bekam schließlich das Gebäck in der gewünschten Farbe.
Diese von mir gemachte Alltagsbeobachtung ist noch relativ harmlos, zeigt aber dennoch wie selbst hier in den Köpfen der Menschen noch das traditionelle Bild von Jungen und Mädchen, Männern und Frauen vorherrscht, wenn auch die Toleranzgrenze der Mehrheit der Bevölkerung hierzulande sich in den letzten Jahren zu Gunsten Andersfühlender und -denkender verschoben hat.

In unseren östlichen Nachbarländern sieht dies teilweise noch anders aus. althergebrachte Werte dominieren das Selbstbildnis der Familien, quer über alle Altersgrenzen und die Kirche dominiert immer noch das Privatleben der Menschen mit ihren mittelalterlichen Vorstellungen.
Für Schwule, Lesben, Transsexuelle eine schwere Last, kaum zu ertragen. Zwar hat auch in Polen, in den baltischen Staaten oder in der Ukraine langsam ein Wandel eingesetzt, doch auch heute wird die Andersartigkeit kritisch beäugt, teilweise als Krankheit betrachtet.

In Familien kommt es zu Auseinandersetzungen, im beruflichen Alltag verbaut ein Outing jedes Fortkommen.
Marianne Zücker hat Gespräche, vermittelt über osteuropäische LGTB-Organisationen, mit den von Ausgrenzung und Alltags-Diskriminierungen Betroffenen geführt und deren Schilderungen in einer einfühlsamen Erzählung verarbeitet.

Verpackt in Romanform kommen die Menschen zu Wort, deren Orientierung zur Zerreißprobe für die Gesellschaft wurde. Zumal nach dem Zusammenbruch des Ostblocks, nachdem die Bevölkerungen der Länder mit mehreren Problemen wie etwa steigender Arbeitslosigkeit und wachseneder Armut zu kämpfen hatten.
Die Autorin portraitiert die unterschiedlichen Menschen unter der Regenbogenflagge und wirbt mit ihrer Erzählung für Akzeptanz und Anerkennung.

Dass “anders sein” eine Bereicherung für unsere Gesellschaft sein kann, die sich daran messen lassen musste und immer noch muss, wie weit Gleichberechtigung umgesetzt werden kann ohne den Zusammenhalt in der Bevölkerung zu verlieren.
In kleinen Schritten, auf unterschiedlichsten Wegen. Den einen LGBT gibt es nicht, sondern viele verschiedene Spielarten. Sie alle sind menschlich.

Die Ausarbeitung der Protagonisten ist hier sehr feinfühlig. Jede Person kommt abwechselnd in den recht kurzen Kapiteln zu Wort. Die Ich-Erzählerstimme bringt die Nähe zu dem Leser. Das Thema durchweg interessant, die Protagonisten glaubwürdig.

Hier merkt man die Vorabrecherche der Autorin sehr schön, sie hat Ahnung von den Dingen, über die sie schreibt. Es ist ein stiller Roman, der aufrüttelt und den Horizont erweitert, dem aber zum Ende hin ein wenig Tempo fehlt, welches in den ersten zwei Dritteln der Geschichte noch zu finden ist. Alles in allem aber ein gelungener Beitrag für die Debatte, die nicht nur in Osteuropa geführt wird sondern auch hier noch kein Ende gefunden hat.

Autorin:
Marianne Zückler wurde 1960 in Berlin geboren und studierte nach der Schule Germanistik, Erziehungswissenschaft und Theaterpädagogik. Seit 1994 arbeitet sie als freie Autorin und Dozentin für dokumentarisch-biografische Theaterarbeit. Für ihre Arbeit an verschiedenen Hörspielen wurde sie mehrfach ausgezeichnet.
Ihr erster Roman erschien 2015. Zückler beschäftigt sich vor allem mit der Verschränkung von Erfahrungs- und Erinnerungsräumen sowie für die transgenerationelle Weitergabe von Gewalttraumatisierungen. Ihr neuestes Werk “Osteuropa Express” wurde gefördert durch die Robert Bosch Stiftung “Grenzgänger” und der akademie Schloss Solitude.

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