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Wir haben die Helden so lange gern, so lange die Helden uns verzeihen, dass wir keine Helden sind.

Als Hitlers Wehrmacht Frankreich im Juni 1940 besiegt, finden sich Künstler und Intellektuelle, die aus Deutschland sich einst ins Exil geflüchtet hatten, plötzlich wieder in Gefahr, der sie glaubten, entronnen zu sein. Die Gestapo fahndet zu dieser Zeit nach Heinrich Mann, Hannah Arendt, Lion Feuchtwanger und anderen, die seit 1933 in Frankreich Asyl gefunden hatten. Uwe Wittstock erzählt in “Marseille 1940” die Geschichten ihrer Fluchten und die des Mannes, der sie ermöglichte. Varian Fry.

findosbuecher (fortan: NH): Am Anfang steht ein Schriftstellerkongress im Jahr 1935? Warum?

Uwe Wittstock (fortan UW): Ich habe mich für das Jahr 1935 interessiert, da Varian Fry in dieser Zeit zum ersten Mal in Deutschland war und dort diese Randale und Ausschreitungen auf dem Kurfürstendamm erlebte. Da war die Überlegung: Die Schriftsteller, die er später gerettet hat, was haben die eigentlich zu dieser Zeit gemacht? So kam ich auf lauter originelle Geschichten.

Das war der Tag, an dem die Ehefrau von Schuschnigg in Österreich beerdigt wurde. Es gibt aber auch das Tagebuch von Feuchtwanger. Da war vom Leben in der “traumhaften Villa in Sanary-sur-Mer mit Blick aufs Mittelmeer” die Rede, aber auch von diesem Schriftsteller-Kongress, wieder ein Treffen von Schriftstellern, und darüber habe mich genauer informiert und festgestellt, dass dort viele Diskussionen aufgebrochen sind.

Dort kam das Thema Victor Serge auf, der kommunistische Schriftsteller, der stalinfeindlich eingestellt war und der während des Kongresses zum Thema wurde, da er quasi schon in einer Art Gulag oder Lager saß. Ich wusste, dass Victor Serge später in der Villa Air Bel mit Varian Fry zusammenleben musste. An dieser Art von Beziehung konnte ich nicht vorbeigehen, das musste ich mit hineinbringen.

NH: Was war Varian Fry für ein Mensch?

UW: Das war kein einfacher Mensch. Fry war sicherlich ein schwieriger Charakter, jemand der mit einem hohen Idealismus versehen war, auch hohen Ansprüchen an sich selbst, aber diesen Idealismus auch von anderen Menschen erwartete. Das ist etwas für uns normale Menschen Unbehagliches.

Wir haben die Helden so lange gern, so lange die Helden uns verzeihen, dass wir keine Helden sind, dass wir in unserer normalen Alltagswelt leben wollen. Und das war in diesem Fall eben nicht so. Er hatte sehr hohe Ansprüche an seine Mitmenschen. Wenn die sagten, da mache ich nicht mit, waren die ihm unangenehm. Das hatte er sie spüren lassen.

NH: Er hat dann mit anderen zusammen die Rettung von Künstlern und Schriftstellern organisiert. Wie hat man ausgewählt, wer gerettet wird, wer außen vor bleiben muss?

UW: Varian Fry war vor allem begeistert von europäischer Avantgarde-Kunst. Er liebte Leute wie Andre Breton, den er später auch rettete, Heinrich Mann, Anna Seghers. Diese waren ihm alle bekannt. Er hatte in Harvard, wo er studiert hatte, eine Zeitschrift herausgegeben, in der er Texte dieser Menschen publiziert hatte. Nun erfuhr er in Amerika, dass viele von denen in Südfrankreich in Gefahr waren, von den Deutschen gefasst, in Konzentrationslager oder umgebracht zu werden.

Zusammen mit Freunden gründete Fry in New York eine Organisation, um Geld zu sammeln, diesen Leuten zu helfen. Dann ging es darum, welchen Intellektuellen, welchen Künstlern, welchen Schriftstellern und Schriftstellerinnen sollten wir helfen? Dafür wurden Menschen befragt, die sich in den verschiedenen Bereichen gut auskannten, in der Theaterwelt, in der Philosophie, in der Kunst, auch in den Naturwissenschaften. So wurden Listen erstellt, wer dringend gerettet werden musste.

Für die Literatur hatte diese Liste Thomas Mann aufgestellt, der natürlich Listen auch von anderen bekam, aber sich natürlich gut auskannte, da ihm viele Exilanten nach Amerika geschrieben und um Hilfe gebeten haben. Diese Leute wurden dann aufgelistet. Zusammen waren das schon über 200 Personen. Mit dieser Liste fuhr Varian Fry nach Marseille.

Anfänglich hatte er gedacht, er bliebe nur vier Wochen, um einige wichtige Menschen zu retten. Er wollte aber vor allem die Organisation aufbauen, die das übernimmt. Fry hatte dann erkannt, dass die Aufgabe zu groß war, aber auch, dass es gerade für ihn als Amerikaner möglich war, viele zu retten, da die Deutschen Amerikaner anfangs noch mit großem Respekt behandelten. So blieb er dann nicht einen, sondern dreizehn Monate geblieben, und rettete nicht 200, sondern fast 2.000 Menschen.

NH: Zunächst fand sich kein anderer, der das machen konnte oder wollte. Fry kommt in Marseille an. Was war das vor Ort für eine Situation?

UW: Im geteilten Frankreich war es so, dass auch in der unbesetzten Zone viele Deutsche, viele Wehrmachtsangehörige und andere unterwegs waren. Es gab z. B. die Kundt-Kommission, die in den Internierungslagern geschaut hat, was für Menschen dort interniert waren. Waren das reichsdeutsche Hitleranhänger, wurden diese befreit und nach Deutschland zurückgeschickt. Waren es aber Gegner, konnte die Kommission die Auslieferung vom Vichy-Regime verlangen und diese Menschen ins KZ verbringen.

Man hatte da sehr genau geschaut, aber es gab auch andere Gefahren für Juden, für Hitler-Feindliche. Oder für Dissidenten, die nicht die richtigen Papiere hatten, mit denen sie sich in Frankreich frei bewegen konnten, sodass sie wieder verhaftet und ins Lager geschickt wurden.

NH: Fry kannte die Situation in Frankreich vorher nicht. Wie fand er die Fluchtrouten? Wie hat er sichergestellt, dass diese funktionierten?

UW: Er konnte sich mit der Situation in Frankreich nicht auskennen, da der Waffenstillstand und die Teilung des Landes erst am 22. Juli vollzogen wurden. Nur zwei Monate später kam er in Marseille an. In der kurzen Zeit gab es keine gesicherten Informationen und auch die Situation in Frankreich hatte sich noch gar nicht geklärt. Fry ist in ein für ihn ziemlich “unbekanntes Gebiet” gefahren.

Das geteilte Frankreich im Juli 1940 (Foto: C. H. Beck)

Er setzte sich dort mit anderen in Verbindung, die ebenfalls versuchten, gefährdete Menschen herauszuholen oder ihnen wenigstens vor Ort zu helfen. Da gab es einen Gewerkschaftler namens Frank Bohn, ein deutschstämmiger Amerikaner, der sich für gewerkschaftlich organisierte und für die SPD-Leute stark verantwortlich fühlte.

Mit dem traf er sich, der hatte ihm gesagt: „mach das mit Schiffen“. Das scheiterte und so blieb nur der Weg über Land, zur spanischen Grenze. Von Frankreich nach Spanien, von dort aus nach Lissabon. Von dort fuhren Schiffe ab.

NH: Wie erfuhren die Exilanten und Flüchtenden von Fry?

Von einigen hatte er Adressen. An diese hatte er Briefe geschrieben, z. B. an Heinrich Mann. Nachdem er geschrieben hatte, sprach sich das innerhalb der Exilanten-Gemeinde blitzschnell herum.

NH: Marseille war aber schon zu diesem Zeitpunkt auch ein Schmelztiegel der Spione. Es gab Zensur, abgefangene Briefe. Warum ging es so lange gut, bei so vielen Menschen, die letztendlich davon wussten?

UW: Am Anfang war Varian Fry sicherlich sehr unvorsichtig gewesen, aber er hatet sehr bald Albert O. Hirschmann kennengelernt, einen Deutschen, der schon in Italien gegen Mussolini gekämpft hatte. Der hatte Erfahrung mit Untergrund-Arbeit und hat, sobald er mit Fry zusammenkam, das Schlimmste verhütet und darauf geachtet, dass der nicht zu unvorsichtig ist.

Varian Fry machte aber auch einen klugen Schachzug: Er hat eine Wohltätigkeitsorganisation gegründet, die er ganz offiziell bei der Präfektur in Frankreich angemeldet hat, und ein Büro eröffnet, das sog. Centre Americain de Secours, welches die Aufgabe hatte, Geld- und Sachspenden zu verteilen, also Kleider, Lebensmittel.

Damit hatte er eine Fassade, mit der er rechtfertigen konnte, warum so viele Menschen zu ihm kamen. Hinter dieser Fassade hat er aber mit den Leuten, die gefährdet waren, vertraulich gesprochen und versucht, diese aus Frankreich herauszuholen. Auf welchem Wege auch immer.

NH: Es kam dort auch zu Situationen, dass an ihn “Bedingungen” gestellt wurden wie: „Ich geh nicht ohne den oder nur unter diesen Umständen“. Sind das Kurzschlussreaktionen gewesen?

UW: Wenn man z. B. von Familien ausgeht, ist es ziemlich klar, dass man zusammenbleiben möchte. Dann gibt es Solidarität und Loyalitäten, die man auch auf der Flucht nicht verletzt. Das ist das eine. Das andere, wir sprechen z. B. von Rudolf Breitscheid und Rudolf Hilferding, der eine Fraktionsvorsitzender der SPD, der Andere Finanzminister zu Zeiten der Weimarer Republik, die waren europaweit bekannt.

Staatsmänner, die sich im ersten Moment darauf verlassen hatten, dass die Vichy-Regierung ihnen Sicherheit zusichert, was diese auch getan hatte, dass sie nicht ausgeliefert werden. Das war ein Fehler. Im Nachhinein sehen wir das ganz deutlich. Schon nach einem Dreivierteljahr hatte das Vichy-Regime sein Wort gebrochen und sie ausgeliefert. Unser Wissen ist vom Nachhinein. Im Nachhinein ist man immer klüger. Ich kann schon verstehen, dass jemand von diesem Rang bleibt, wenn jemand ihm einen besonderen Schutz gewährt.

NH: Auf der anderen Seite ergibt sich der Eindruck, dass viele Schriftsteller wie Heinrich Mann diese Rettungsaktion als selbstverständlich angesehen haben und dann gerät Varian Fry ins Abseits des Vergessens.

UW: Leute wie Mann sind Menschen des 19. Jahrhunderts gewesen. Im 19. Jahrhundert geboren. Die konnten sich nicht wirklich vorstellen, wie sehr sich die Verhältnisse nach dem Ersten Weltkrieg und vor allem im Zuge des Beginns des Nazi-Regimes verändert hatten, mit welcher Brutalität und Rücksichtslosigkeit da vorgegangen wurde. Man dachte sich, wenn man sich wie ein guter Bürger verhält, dann kann einem nichts passieren.

NH: Die konnten sich nicht vorstellen, dass eine deutsche Regierung zu solchen Maßnahmen greift?

UW: Unbedingt. In diesen v. a. juristischen Dingen waren die Schriftsteller naiv und kannten sich nicht aus. Es gab natürlich manche, die waren exzellent und haben die Dinge sehr gut vorausgeahnt. Im vorangegangenen “Februar 33” beschreibe ich etwa Joseph Roth, der bereits am Morgen als Hitler zum Reichskanzler ernannt wurde, das Land verlässt. Hier kann ich nicht mehr leben. Das ist zu gefährlich.

NH: Beide Werke, sowohl “Marseille 1940” als auch “Februar 33” sind in einer kalenderartigen Form gehalten. Was bewirkt diese Form für die Brisanz?

Uwe Wittstock im Gespräch. (Foto: Privatarchiv)

UW: Wenn es zu solchen Umbrüchen kommt, wie im Februar 1933 oder in der Zeit um 1940, in der die Exilanten in Südfrankreich regelrecht gejagt wurden, dann passiert in solchen Situationen unglaublich viel gleichzeitig. Und wenn man das erzählen möchte, ich sehe mich bei diesen Büchern als Erzähler, dann braucht man ein Ordnungsinstrument, um dieses Chaos in irgendeiner Art und Weise zu ordnen. Das chronologische Prinzip ist da sehr naheliegend, da es sehr gut Kausalitäten erklärt. Was ist vorher passiert? Was passierte danach? Auf die eine folgt die nächste Aktion und so weiter.

Ein anderer Fakt ist der, wenn man von mehreren Perspektiven erzählt, nicht nur von einer. In “Februar 33” habe ich einen Tag erzählt, dann den nächsten, immer wieder mit Unterbrechungen. Wie sieht es jetzt bei Thomas Mann aus, am Schauplatz von Heinrich Mann oder Berthold Brecht? Bei “Marseille 1940” ist es ähnlich.

Da gibt es Ereignisse, die Folgen für die ganze Geschichte der Rettung der Exilanten haben, in New York, in Kalifornien, in Deutschland oder in Marseille.

Ich muss, wie mit einer Kamera da- und dorthin schwenken, um erzählen zu können, was dort zu dieser Zeit passierte. Damit wird die Sache auch spannender.

NH: Wie gleicht man verschiedene, auch verschwimmende Erinnerungen ab? Wie entscheidet man, was ist erzählenswert, wo sind “Rivalitäten”?

UW: Was ich mache in diesen Büchern ist keine Wissenschaft. Es geht darum, die Dinge zu erzählen, dadurch lebendig zu halten und anschaulich zu halten und ein großes Publikum für die Situation der Flüchtlinge in Südfrankreich zu interessieren.

Wenn man dies wissenschaftlich angeht, muss man versuchen, die historischen Tatsachen so genau wie möglich zu rekonstruieren, wobei immer sehr viele Unsicherheiten bleiben, bei denen man sagen muss, es kann sein, dass es so oder so passiert ist. Wenn Sie erzählen wollen, ist das außerordentlich schwierig. Ich richte mich nach den Erinnerungen der Betroffenen, die dabei waren, und halte mich daran und muss zugegeben, dass natürlich die Erinnerung nicht immer ganz stimmt, ein Unsicherheitselement, das ich hinnehmen muss.

Das Problem ist, die Wissenschaft kennt all diese Dinge. Es ist ihr aber nie gelungen, ein größeres Publikum zu interessieren.

NH: Varian Fry ist bei uns nahezu unbekannt? Wie sieht es in Amerika, in Frankreich aus? Erinnert man sich da an seine Person?

UW: Fry ist in Deutschland viel zu wenig bekannt. Er hat ganz große Verdienste, es gibt aber in Deutschland keine Biografie über sein Leben, in der man sich wirklich intensiv mit seiner Person auseinandergesetzt hat. Das wollte ich unbedingt ändern. Das ist eben auch eine Folge davon, dass wir uns in diesen Dingen sehr stark auf wissenschaftliche Arbeitsweisen zurückgezogen haben. Die liefern aber auch keine völlige Zuverlässigkeit liefern, sondern sagen, „wir wissen es nicht ganz genau, sondern nur so ungefähr“, was dem entgegensteht, dies lebendig darzustellen.

Im Ausland ist das anders. Dort gibt es zwei Biografien über ihn. Da er als Amerikaner große Konflikte mit dem Außenministerium, dem State Departement, hatte, gab es auch eine Aktion des State Departments in den 2000er Jahren, in der er ausdrücklich gewürdigt und wo betont wurde, welch großartige Arbeit er geleistet hat. Der damalige Außenminister persönlich hat ihm posthum einen Orden verliehen.

NH: Was war das für ein Konflikt?

UW: Ein Spiel mehrerer Faktoren. Frys Organisation war eine Art NGO, bevor es diesen Begriff überhaupt gab. Das Außenministerium war nicht daran interessiert, sehr viele Flüchtlinge aufzunehmen. Etwas, was uns heute nicht ganz unbekannt ist. Die USA waren leider sehr vorsichtig, vor allem bei Juden. Auch in Amerika gab es antisemitische Strömungen zu der Zeit. Zum anderen wollte man keine politischen Intellektuellen, Theaterleute, Künstler im Land haben, da immer der Verdacht nahelag, das sie eigentlich Sozialisten oder Kommunisten seien.

Die wollte man definitiv nicht haben. Wer ein amerikanisches Visum haben wollte, musste die Frage beantworte „Waren oder sind Sie Mitglied einer kommunistischen Partei?“ Wer das bejahte, für den war Schluss. Der kam nicht ins Land. Nicht gefragt wurde „Waren oder sind Sie Mitglied einer faschistischen Partei?“ Komischerweise. Da gab es klare politische Vorbehalte und gegen diese hatte Varian Fry immer angekämpft und sich natürlich auch unbeliebt gemacht. Gegen stalinistische Kommunisten hatte auch Fry was. Gegenüber Sozialdemokraten und anderen war er sehr offen.

NH: Er hat die Liste auch sehr weit gefasst.

UW: Wenn er mit einer Liste von 200 Personen angekommen war und nachher fast 2.000 Menschen gerettet hatte, ist das wohl so. Als er in Marseille ankam waren ein paar Leute, die auf dieser Liste standen, bereits umgekommen, andere schon fort. Es gab Menschen, gerade französische Intellektuelle, von denen man in Amerika angenommen hatte, dass sie sehr gefährdet wären, die aber selbst die Gefahr nicht sehr hoch einschätzten. Ich bleibe in Frankreich. Ich möchte mein Land nicht verlassen.

Das Ende war ein eigentlich sehr bitteres. Schon Ende 1941 hatte die amerikanische Botschaft, da sie Frys Arbeit nicht haben wollte, ihm den Pass weggenommen. Ausweislos war er damit nicht mehr durch den Status, Amerikaner zu sein, geschützt. Der amerikanische Botschafter in Vichy-Frankreich, hat Fry signalisiert, dass er nicht protestieren würde, wenn dieses Regime ihn verhaftet.

Marseille 1940/1941 (Foto: C. H. Beck)

Daraufhin wurde Fry vom Präfekten in Marseille vorgeladen, um ihn mitzuteilen, dass Fry verhaftet und so untergebracht werden würde, dass er nicht mehr für seine Organisation arbeiten könne.

Das war natürlich ein endgültiges Signal. Fry hat versucht, das noch vier Wochen zu verzögern, aber dann musste er das Land verlassen.

NH: Varian Fry als besonderer Mensch nur für besondere Zeiten?

UW: Er war schwierig in Bezug auf Autoritäten. Er war kein Gruppenmensch, aber offensichtlich ein genialer Teamchef. Die Größe, in Marseille innerhalb von ein bis zwei Wochen ein so großartiges Team aufzubauen, mit Menschen, die idealistisch waren, um andere außer Landes zu bringen, das muss man erstmal machen.

Viele von diesen Menschen, die für ihn gearbeitet haben, sind nach dem Zweiten Weltkrieg in wichtige Positionen gekommen. Das war kein Zufall. Er hatte einen Blick gehabt für begabte Leute und da hat er wunderbar gearbeitet. Ein schwieriger Mensch mit ganz außergewöhnlicher Begabung. Diese dreizehn Monate waren die Sternstunde seines Lebens.

NH: Vielen Dank für das Gespräch.

UW: Vielen Dank.

Leseprobe des Verlags: Hier klicken.

Wir danken Uwe Wittstock und C. H. Beck für die Gelegenheit, das Interview zu führen. Wie immer der Hinweis, dass das Interview Eigentum des Autoren, des Bloggers und des Verlages ist und nicht vervielfältigt, kopiert oder anderweitig verbreitet werden darf. Cover-Fotos werden nach Vorgaben des Verlags verwendet, Fotos des Autoren sind auf der Messe entstanden und gehören dem Fotografen. Das Interview erfolgte ohne Gewinnerzielungsabsicht.

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Leipziger Buchmesse 2023: Leipzig liest wieder

Vor den pandemiebedingten Ausfällen hat mich der Messe-Blues immer im Nachgang erwischt. Dieses Mal komme ich regelrecht euphorisch zurück, nachdem ich viele sehr besondere und erfrischende Eindrücke gesammelt, viele Gesichter zum ersten Mal nach drei Jahre bedingtem Ausfall, zudem im etwas kürzeren Ausfall, viele Mitglieder eines bestimmten Literaturforums (buechertreff.de) wieder treffen und zahlreiche Blog- und auch sonstigen Ideen sammeln konnte.  So ging es vielen.

Die rot verkleidete Treppe mit dem obligatorischen Buchmesse-Logo dürfte ein beliebtes Fotomotiv diesmal gewesen sein. (Foto: Privat-Archiv)

Einmal vorausgeschickt, die Verantwortlichen zählten 274.000 Besucher, was nur 12.000 Menschen weniger gewesen sind als im Jahr vor der Pandemie, dies bei nur etwas weniger Ausstellern und Lesungen, die sich nicht nur auf dem Gelände der Leipziger Messe, sondern auch wieder in der Innenstadt und auf der neu hinzugekommenen Klimabuchmesse verteilten, die im Studentenviertel Connewitz stattfand. Die Leipziger und alle anderen natürlich auch haben sich ihre Messe zurückerobert. Das konnte man schon am Donnerstag sehen.

Angereist bin ich einen Tag vorher. Gut vorbereitet, der Zug war pünktlich, meine ersten Online-Termine, ich hatte diesmal viel Blogger-Zeug geplant, fielen aus, so dass ich die Zeit nutzen und mich mit den ersten ebenfalls an diesem Tag eingetroffenen Buechertrefflern, nun ja, treffen konnte. Es war wirklich schön, auch wenn das für mich natürlich an den Grundfesten meiner Planungen gerüttelt hatte. Aber man soll ja seine Chancen durchaus nutzen. 

In jedem Fall war es das Richtige, um sich gemeinsam auf die kommenden Tage einzustimmen, von denen wir uns natürlich vorab gefragt haben, wie werden sie sein? Werden wirklich viele Menschen kommen? Werden wir durch leere Halle schlendern oder wird doch etwas Betrieb die Messe beleben? 

Ja, der tat es. Gleich am ersten Messetag kam ich, der sich wieder ziemlich nah dran einquartiert hatte, nicht in die erste Tram, aber in die zweite, um ins Pressezentrum zu gehen und dort die Garderobe abzulegen, einen Kaffee zu trinken. So beginnt für mich immer die Leipziger Messe. Das Pressezentrum füllte sich schnell, eine mir bekannte Literaturagentin habe ich auch getroffen und ich kam mit einem ZDF-Menschen ins Gespräch. Das ist das, was für mich Messe ausmacht, dass man eben auch von anderen Seiten Einblicke bekommt.

Draußen hat sich derweil der Vorplatz gefüllt, die Glashalle ebenso und dann endlich wurden auch schon die Messehallen geöffnet, die sich schnell belebten. Was war neu? Gänge von der Glashalle zu den eigentlichen Messehallen waren klarer aufgeteilt, die Hallen ebenso durch ein neues Konzept, welches man erst einmal verinnerlichen musste, genau so, wie zu realisieren, dass dies nun wieder eine reguläre Messe ist. Nur, wie macht man die? 

Volle Hallen nach drei Jahren Pause. (Foto: Privat-Archiv)

Die ersten drei Stunden haben sich etwas merkwürdig angefühlt. Wie wir abends festgestellt haben, ging es uns allen so. Eine Weile hat es also doch gebraucht, um wieder auf Betriebstemperatur zu kommen. Das ging aber dann wieder und für mich hieß das einen ersten Messerundgang zu verschiedenen Verlagsständen. Diese hatte ich mir vorher nptiert, aber natürlich noch zahlreiche andere mehr im Laufe der Tage entdeckt. Dafür ist eben Messe gut. Es gibt Verlage, von denen erfährt man eben nur so.

Die Gespräche an den Ständen empfand ich alle als freundlich, interessiert, was sich über die Tage fortsetzen sollte. Die Trennung zwischen althergebrachten Feuilleton und Blogs/Social Media/Booktube gibt es so wie vor ein paar Jahren noch in diesem Sinne nicht mehr, zumal manch kleiner Verlag nur durch die Aufmerksamkeit letzterer in den vergangenen Jahren überleben konnte. Das empfinde ich als angenehmen Wandel, mal so aus Bloggersicht heraus geschrieben. Am Ende können ja beide Seiten im Prinzip nur dabei gewinnen.

Mein Autoren-Interview mit Frank Vorpahl (“Aufbruch im Licht der Sterne“) fand als einer meiner ersten Termine gleich am Donnerstag statt. Ein sehr sympathischer und uinteressierter Mensch, der bei der Beantwortung meiner Fragen andere gleich vorweg genommen hat. Das hat es mir in der Interview-Situation durchaus leicht gemacht, aber ich fürchte mich schon vor der Aufbereitung. Ihr und andere sollen ja nicht nur Blocktext zu lesen bekommen. 

Weiter ging es dann zu einer Lesung mit Uwe Neumahr, der mir sein Buch “Nürnberg 46 – Das Schloss der Schriftsteller” im Anschluss signierte, sowie zu einer Bloggerveransdtaltung mit Sebastian Hotz (El Hotzo), der über sein Buch “Mindset“, viel mehr darum herum gesprochen hat. Ein sehr witziger Mensch ist das schon, nur weiß ich eigentlich immer noch nicht so richtig, worum es in diesem Roman eigentlich geht. Nun ja, man kann nicht alles haben.

Der Tag endete auf dem Messegelände mit einer Programm-Vorstellung bei Rowohlt, aus der ich sicher das eine oder andere euch künftig vorstellen werde. Nur ein Rezensionsexemplar habe ich mir gleich mitgenommen. Peter Urbans “On Air“, ich bin in jedem Fall gespannt. Im Anschluss habe ich noch ein paar Fotos allgemein in den Hallen geschossen, wie am frühen Morgen auch, z. B. von der Messetreppe, die dieses Jahr ein beliebtes Motiv gewesen sein dürfte. Ohne konnte man es ja zumindest am ersten Tag kaum glauben, dass wirklich wieder Messe ist. Den Abend habe ich dann zusammen mit Freunden im Pinguin (hießige Eisdiele, wo man aber auch wunderbar warm essen kann) und im Irish-Pub ausklingen lassen. Mein Kopf wusste davon jedenfalls im Anschluss zu erzählen. 

Am Freitag ging es weiter mit der Vorstellung des Gastlandes Slowenien der nächsten Frankfurter Messe, wofür ich mich bisher sehr ungünstig einquartiert habe, wie ein Frankfurt-Kennner am Vorabend klar gemacht hatte. Das muss ich in jedem Fall nochmal überdenken. Slowenien wird es auf der Frankfurter Buchmesse 2024 sein, wozu einige Reden gehalten wurden. In ähnlich vollen Hallen.

Da war im Prinzip schon klar, dass sich die Leipziger Veranstalter ziemlich verschätzt hatten. Man ist ja ursprünglich von einer Anzahl von Besuchern ausgegangen, die 60 Prozent der Besucherzahl von 2019 entsprochen hätte. Aus den Gesprächen mit Verlagsmitarbeitern, durch die Bank weg, von groß bis klein, ergab sich ein derart positiver Vibe, auch der Buchverkauf an den Ständen verlief offenbar sehr gut in diesen Tagen.

Danach traf ich eine Literaturagentin, die mich zu verschiedenen kleineren Verlagsständen führte. Dort hielt man sich eben darum mit Rezensionsexemplaren sehr zurück. Natürlich, man wollte ja verkaufen, wenn es schon mal so gut läuft. Das ist verständlich gewesen. Im Nachhinein bin ich auch froh darüber. Es wurden mit Rezensionsexemplaren und dazu gekauften Büchern am Ende übrigens 21 Bücher, die nun bei mir aufgestapelt liegen und dazu diverse Vorschauen und Messedevotionalien. Gelobt sei der zweite kleine Handkoffer.

Darum ging es mir nicht hauptsächlich, wobei es natürlich die Blog-Planung vorwegnimmt, eher um solche Sachen wie um eine Signatur von Sasha Filipenko. Dessen Verlag Diogenes war nicht selbst mit einem eigenen Stand vertreten (Ob die sich jetzt ärgern?), sondern nur im Rahmen des Schweizer Gemeinschaftsstandes.

Er selbst war aber da und hat natürlich die Bücher signiert und sich ehrlich über all die Interessierten gefreut, die sich um ihn herum getummelt haben. Danach ein Treffen mit dem Mitteldeutschen Verlag, die sich ebenso wie andere über viel Andrang an ihrem Stand freuen konnte, zuletzt dann eine Lesung über “Grenzschicksale – Als das grüne Band noch grau war”. Auch das war durchaus interessant.

Nach nur wenigen Stunden Schlaf, der Abend vorher im Pinguin, später Pub, endete, nun ja, spät, ging es am nächsten Tag nach einem ausgiebigen Bloggerfrühstück mit dem S. Fischer Verlag (Das klingt so, als würde ich die ganze Zeit nur essen und trinken, aber dem ist nicht so. Wirklich nicht.) mit integrierter Programmvorstellung und einer Spontanidee für Frankfurt ging es zum C. H. Beck Verlag, wo ich ebenfalls zum ersten Mal das Gesicht hinter der E-Mail-Adresse sehen durfte.

Im Anschluss zu kleineren Verlagen und schließlich ins ARD-Forum zu einem Gespräch von Sebastian Fitzek. Für sein neues Buch “Elternabend” hatte ich am Sonntag versucht, die Signierstunde zu besuchen, bei dem dortigen Andrang aber keine Chance gehabt.

Sebastian Fitzek im Interview im ARD-Forum (Foto: Privat-Archiv)

Danach habe ich meinen Messetag beendet, um auf dem Gespräch zwischen Giovanni di Lorenzo und Angela Merkel beizuwohnen. Dafür hatte ich eines von zwei letzten Tickets damals noch im Online-Verkauf bekommen. Die Veranstaltung selbst muss innerhalb von zwei Tagen ausverkauft gewesen sein. Vor dem Schauspielhaus, wo das stattfand, stand dann auch schon eine lange Schlange Wartender, ebenso wie Leute mit Pappschild, die noch ein Ticket kaufen wollten. Wie auf einem Konzert war das. Ging natürlich nicht.

Nach kurzer Sicherheitskontrolle und dem Einlass in den Saal ging es los. Man kann von Merkels Politik und Entscheidungen halten, was man will, aber sie kann ironisch, witzig sein und di Lorenzo ist jetzt aber auch kein Journalist, der bei Ausweichversuchen locker lässt.

Angela Merkel beim Signieren. (Foto: Privat-Archiv)

In sofern habe ich eine interessante, wenn auch natürlich nicht alles beantwortende Diskussion erlebt. Die könnt ihr übrigens auf der Seite der Zeit und sicher auch in den ÖR-Mediatheken nachverfolgen, wenn ihr mögt. Signiert hat sie ihr Buch “Was also ist mein Land?“, in dem drei exemplarische Reden von ihr versammelt sind, danach auch.

Der letzte Messetag begann wieder mit Rundgängen. So viel Schritte laufe ich sonst nicht, der Veranstaltung “Druckfrisch” mit Denis Scheck und im Anschluss mit einem vereinbarten Treffen mit dtv. Auch hier gab es einen Einblick ins künftige Programm. So viel sei schon mal verraten, es werden wieder ganz tolle Bücher erscheinen. Nach einem letzten Rundgang, habe ich meine erste reguläre Messe nach drei Jahren dann ausklingen lassen. Mit schweren Gepäck. Mitgekommen sind:

– unzählige Bücher

– diverse Vorschauen

– interessante Gespräche und Kontakte

– die Erkenntnis, wie viel eigentlich in einem Koffer passt (und was danach nicht)

Es hat mich gefreut, vor allem euch wieder einmal zu sehen und gemeinsam Messeluft aufzunehmen, dazu diverse Aperol (nicht nur, glaube ich). Ein paar tolle Tage waren es. Natürlich gab es auch im Nachgang wieder die Artikel von wegen der Relevanz zweier Messen oder aber die, die das Nebeneinander von Cosplay und Buchmesse kritisierten, aber auch das gehört ja irgendwie zum Messe-Feeling mit dazu. Ich freue mich aufs nächste Jahr.

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Anne Goscinny: Der kleine Nick und das große Glück

Inhalt:

Es war einmal ein auf Papier gezeichneter Junge, der mit seinen Freunden den Schulhof unsicher macht und weltberühmt wurde. Zum Leben erweckt haben ihn zwei unzertrennliche Freunde: der Zeichner Jean-Jacques Sempe und der Comicautor Rene Goscinny, die es beide als Kinder nicht leicht hatten. Gemeinsam haben sie für den kleinen Nick eine Kindheit erfunden, die sie selbst nie haben konnten. (Klappentext)

Rezension:

Wie sieht sie aus, eine glückliche Kindheit? Wie stellt man sich eine solche vor, wenn man selbst keine hatte? Gelingt dies, anderen ohne Vorbild eben diese zu verschaffen? Der französische Comicautor Rene Goscinny und der im Jahr 2022 verstorbene Zeichner Jean-Jacques Sempe haben dies versucht und nicht nur, aber besonders einer Figur das Kinderleben zu geben, welches sie selbst nicht haben konnten. So erzählt “Der kleine Nick und das große Glück” einerseits vom werden einer der bekanntesten französischen Kinderbuchfiguren, aber auch von der darüber entstandenen Freundschaft und Arbeit zweier faszinierender Persönlichkeiten.

Das Werk der Tochter Anne Goscinny ist dabei ein Hybrid zwischen den Genres. Natürlich ist da der kecke zu Streichen aufgelegte Junge mit seinem Markenzeichen, dem roten Pullunder, der immer wieder Anekdoten anschneidet, die aus der Feder Goscinnys in die Geschichten der Buchreihe Eingang gefunden habe, zugleich ist der Text aber auch eine Art Biografie, Hommage an zwei große Künstler, welche zugleich Einblick in die Arbeitsweise beider gibt. Kaum vorstellbar, dass es anders gelaufen ist als die Autorin selbst, nun mit einem anderen Zeichner Fabrice Ascione, zusammenarbeitete, um das Werk ihres Vaters und dessen Freundes zu bewahren.

Prima!

Ausspruch der Kinderbuchfigur Le Petit Nicolas.

Eine schnöde Biografie zu entwerfen, wäre zu einfach gewesen, Geschichten vom kleinen Nick und seinen Freunden gibt es ohnehin zu Hauf’ (und noch nicht genug), warum also nicht einmal etwas Neues probieren? Schief gehen durfte solch ein Projekt nicht, was leicht hätte passieren können, hat man damit doch ein wenig am franzöischen Kulturerbe gerüttelt, doch wird man in die verschiedenen Welten, die nur zusammen eine in sich stimmige Erzählung ergeben, förmlich hineingesogen.

Den Zeichenstil Sempes hat man beibehalten, der nicht nur seine Figuren immer hat lebendig werden lassen, sondern ganze Szenarien erschaffen hat. Getreu dem Vorbild, wenn nicht Bilder der Originale genommen wurden, ist die feine Linienführung erhalten geblieben, in der einzelne Farbkleckse Akzente setzen. Die Autorin wiederum hat es geschafft, dem Stil ihres Vaters treu zu bleiben und eigene Punkte zu gestalten. Die Dynamik zwischen Freunden kommt dabei ebenso hervor, wie auch die Stimmung, die Goscinny und Sempe erfasst haben muss, wenn eine eigene Figur es schafft, sich in das Herz zu schleichen. Die erzählt die Geschichte übrigens selbst, abwechselnd zu den beiden anderen Perspektiven, die Goscinny und Sempe bilden.

Rene und Jean-Jacques, die haben mir erklärt, sie haben mich erfunden – ich, ich hab gar nichts gesagt, aber eigentlich wären sie doch ohne mich überhaupt gar nicht berühmt, also echt. Ich weiß schon, das klingt komisch und wenn ich das in einem Aufsatz schreibe, dann sagt meine Lehrerin, meine Mama darf mir nicht helfen.

Anne Goscinny: Der kleine Nick und das große Glück

Es ist ein Werk für große und kleine Comic-Fans, übrigens auch für die Leinwand adaptiert, welches einfach nur schön ist. In allen Punkten. Sind es die Zeichnungen, in die man sich verliebt? Der Text? Die in jeder Zeile mitschwingende Melancholie? Ist es die Perspektive eines kleinen Jungen oder zweier Herren, die es geschafft haben, ihr inneres Kind bis zu ihrem Tode zu bewahren? Oder ist es vielleicht etwas ganz anderes?

Für mich kann ich das nicht vollständig beantworten. Es sind solche Geschichten, weswegen ich lese.
Nicht nur, weil reale Namensgleichheit verpflichtet.

Autorin:

Anne Goscinny wurde 1968 geboren und ist eine französische Literaturkritikerin und Romanautorin. Nach der Schule studierte sie in Paris Vergleichende Literaturwissenschaften und schrieb anschließend für unterschiedliche Magazine. Parallel veröffentlichte sie mehrere Romane, die in verschiedenen Sprachen übersetzt wurden und veröffentlichte Kurzgeschichten für Jugendliche.

Als Tochter und alleinige Rechtsnachfolgerin für das Erbe ihres Vaters verwaltet Anne Goscinny dessen literarisches Werk und gründete im Jahr 2016 das Institut Rene-Goscinny, eine Stiftung. Für Werke, die in Zusammenarbeit mit anderen entstanden sind, arbeitet sie eng mit deren Nachfolgern zusammen, so z. B. mit Sylvie Uderzo, der Tochter von Albert Uderzo. Ihr 2004 gegründetes Unternehmen IMAV veröffentlicht alle Werke von “Der kleine Nick” und verwaltet die Merchandising- und Audiovisuellen-Rechte.

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Georgiens erste Republik – 1918-1921. Geschichte. Literatur. Kunst.

Vom 24.-27. Juni 2021 findet, veranstaltet vom Writers’ Hous of Georgia, in Kooperation mit dem Lettretage und dem Unesco-Project – Tiblisi World Book Capital 2021, ein Festival für Kunst, Literatur und Kultur statt. Gewidmet ist dies der ersten demokratischen Republik Georgiens von 1918-1921, dem 100. Jahrestag der sowjetischen Besatzung und dem 30. Jahrestag zur Wiederherstellung der Unabhängigkeit Georgiens 1991. Viel zu feiern, also. Auch zahlreiche Autoren nehmen an diesen vier Tagen daran teil.

Neben Musikbeiträgen und Einblicken in die georgische Küche wird es unterschiedliche Beiträge auch von vielen Schriftstellern geben, auf Deutsch und Georgisch, von u.a.
Nino Haratischwili, Aka Morchiladze, Anna Kordsaia-Samadaschwili, Abo Iashagashvili, Tamta Melashvili, Salome Benidze, Merab Ninidze, Kristiane Lichtenfeld, Katja Petrowskaja, Kat Menschik, Stephan Wackwitz, Zaal Andronikashvili, Lasha Bakradze, Cornelia Zetzsche, Doris Akrap und Tilman Spreckelsen.

Sprachen: Deutsch und Georgisch

Was könnt ihr erwarten?:
Beiträge über die Kultur, Geschichte, Politik, Kunst und Literatur aus dem Georgien von 1918-1921, Diskussionen über Wendezeiten, dem Erbe von Stalins Säuberungen und der Sowjetzeit sollen zur Sprache kommen, außerdem die Wahrnehmung und die Rolle der Frau seit der ersten Republik Georgiens.

Wo könnt ihr das Programm einsehen?: Hier klicken.

Wie könnt ihr die Diskussionsbeiträge verfolgen? Wo findet ihr den Stream?:
Alle Gespräche werden auf der Facebook-Seite des Literaturhauses Lettrétage live gestreamt. Hier klicken.

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Leipzig liest extra 2021: So war die Ersatz-Buchmesse

Nachdem pandemiebedingt die Leipziger Buchmesse zuerst verschoben und dann ausfallen musste, fand sie nun an zum dafür vorgesehenen Zeitpunkt in kleineren Rahmen statt. Ganz wenige Veranstaltungen mit Publikum, die meisten Präsentationen und Diskussionen online, per Stream und zum späteren Schauen nochmals abrufbar, von den üblichen Verdächtigen der Öffentlich-Rechtlichen, Verlagen und AutorInnen.

Ein Format, welches sich auch für künftige Buchmessen als Ergänzung denken lässt. Natürlich kann das eine physische Buchmesse nicht vollständig ersetzen, aber die Wahl zu haben, noch mehr als bei den vergangenen Messen und bei dieser, ist schon etwas Wunderbares.

So können auch diejenigen, die kein bezahlbares Hotelzimmer finden, an der Buchmesse teilnehmen, ebenso jene, die sich nicht gerne unter Menschenmassen begeben oder irgendwie eingeschränkt sind. Von dieser Warte aus wäre zu wünschen, das ausgebaut wird, was die letzten Jahre so nebenher lief und dieses Jahr allen Literaturbegeisterten ein wenig Messe-Atmosphäre beschafft hat.

Im Rahmen des diesjährigen, so genannten „Leipzig liest extra“ gab es, neben der Verleihung der hiesigen Literaturpreise, zahlreiche Veranstaltungen und Diskussionen (allesamt online oder per Stream), die sicher nicht nur meine Wunschliste haben, wachsen lassen. Diese und Anregungen in diversen Gesprächen werden die kommenden Wochen bestimmen, nebst den ohnehin schon angefragten Werken, auf die ich mich schon freue, sie hier zu präsentieren.

Bleibt zu hoffen, dass sie sich dann auch genau so gut lesen lassen. Natürlich lässt sich auch das nicht immer vermeiden, zumal der Eindruck von einer direkten Messe fehlt, wo man mal eben schnell durch das Buch blättern kann. Für mich ist das ergiebiger als eine Leseprobe irgendwo online durchzusehen. Aber auch das wird sich zeigen.

Euer findo.

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Stephen King: Später

Inhalt:

Der kleine Jamie Conklin wächst in Manhattan als Sohn einer Literaturagentin auf und wirkt wie ein ganz normaler Junge. Doch der Junge hat ein Geheimnis, er kann die Geister kürzlich Verstorbener sehen und mit ihnen sprechen. Die Toten selbst müssen seine Fragen wahrheitsgemäß beantworten. Als der lukrativste Autor seiner Mutter Tia kurz vor Vollendung eines lang ersehnten Abschlussbandes stirbt, nutzen beide Jamies Gabe. Mit dem Befragen der Toten rufen sie jedoch ungewollte Dämonen hervor. (Inhaltsangabe lt. Verlag)

Rezension:

Gäbe es einen Preis für nichtssagende Klappentexte, der Heyne-Verlag hätte ihn diesmal bekommen und so muss hier die Inhaltsangabe der Umschlagseite herhalten, um einen Eindruck vom neuesten Werk aus der Feder Stephen Kings zu bekommen.

Wieder einmal konfrontiert der Großmeister der amerikanischen Horrrorliteratur ein Kind als Hauptprotagonisten mit dem Übernatürlichen. Wieder einmal beginnt ruhig, was mit fortschreitender Seitenzahl in immer tiefere Abgründe rutscht.

Aus der Ich-Perspektive des kleinen Hauptprotagonisten wird die Geschichte erzählt, die im Vergleich zu anderen Werken Stephen Kings regelrecht kompakt ausfällt. Das Grundgerüst ist, wie so oft, ein kindlicher Hauptprotagonist, der mit der Gabe des Übernatürlichen ausgestattet, eine Geschichte ins Rollen bringt und in immer höherem Erzähltempo diesen sämtliche Nerven abverlangen wird, die es zu behalten gilt.

Die Erzählung selbst liest sich flüssig und eignet sich für ungeübte King-Leser als Einstieg in die Welt der Horror-Literatur. Dazu notwendige Elemente sind nur sehr dossiert vorhanden. Gestandene Fans des Autors, die eine Geschichte im Stil von “Es” oder der Novelle “Die Leiche” erwarten, werden trotz gewisser Parallelen wahrscheinlich eher enttäuscht sein.

Eher Roman mit leichten Gruselelementen, benötigt King hier nicht lange, um gewisse Sympathieträger herauszuschälen und diese nicht nur mit Jamies Gabe zu konfrontieren. Tatsächlich bringt der Autor subtil Themen wie die Korruption innerhalb der amerikanischen Polizei, Alkoholismus. Drogen und Inzest unter, verlangt dabei seiner Leserschaft Einiges ab, zumal hier die Konzentration auf Weniger der Geschichte gut getan hätte.

Diese hätte ein paar hundert Seiten mehr vertragen können, gleichzeitig aber ist man dann doch froh, nur diese wenigen durchstehen zu müssen. Wahrscheinlich wäre hier ein Mittelweg angebracht gewesen. Hier wollte der Autor zu viel, auf zu geringer Seitenzahl. Themen werden nicht auserzählt, sind vielmehr Grundlagenelemente des Handlungsstrangs, der konsequent aus Jamies Perspektive fortgeführt wird. Das Ende wirkt gezwungen.

Ob das an der Übersetzung liegt, müssen Andere entscheiden. So aber wirkt die Erzählung halbgar. Lesbar? Ja. Aber nichts, was man nicht unbedingt muss.

Autor:

Stephen King wurde 1947 in Portland, Maine, geboren und ist ein US-amerikanischer Schriftsteller. Vor allem für seine Horror-Romane bekannt, gilt er als einer der kommerziell erfolgreichsten und meistgelesenen Gegenwartsautoren. Er studierte Englisch und arbeitete kurze Zeit als Lehrer, verkaufte bereits Kurzgeschichten und veröffentlichte 1973 seinen ersten Roman. Weitere folgten, die in mehreren Sprachen übersetzt und mehrfach verfilmt wurden. Stephen King wurde für sein Werk ausgezeichnet, u. a. mehrfach mit dem Bram Stoker Award.

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Anatol Regnier: Jeder schreibt für sich allein

Jeder schreibt für sich allein Book Cover
Jeder schreibt für sich allein Anatol Regnier C.H. Beck Erschienen am: 17.09.2020 Seiten: 366 ISBN: 978-3-406-75592-7

Inhalt:

Dieses Buch handelt von Schriftstellern im nationalsozialistischen Deutschland, ihrem Spagat zwischen Anpassung und künstlerischer Integrität unter den Bedingungen der Diktatur.

Opportunisten und Konjunkturritter sind dabei, aber auch Autoren, die nur ihrer Arbeit nachgehen wollten und versuchten, moralisch sauber zu bleiben. Mit leichter Hand verknüpft Anatol Regnier die Biografien von Hans Fallada und Erich Kästner, Agnes Miegel und Ina Seidel, Gottfried Benn, Hanns Johst und Will Vesper. Es sind Geschichten von überraschender Widersprüchlichkeit, die das ganze Spektrum menschlichen Verhaltens im Dritten Reich abbilden. (Klappentext)

Rezension:

Als im Jahr 1933 die Nationalsozialisten an die Macht im Deutschen Reich gelangten, begann gerade im kulturellen Bereich ein beispielloser Exodus. Schriftsteller, wie der Nobelpreisträger Thomas Mann oder Literaturkritiker, wie Alfred Kerr, flohen ins Ausland. Nur zu gut waren ihre Positionen zu den neuen Machthabern bekannt, die ihre Ziele kaum verheimlichten. Mit einem Schlag war Deutschland einem Großteil seines kulturellen Lebens beraubt. Doch, viele SchriftstellerInnen und DichterInnen blieben, da sie nicht fliehen wollten oder konnten. Dies ist ihre Geschichte.

Anatol Regnier, Enkel des im Jahr 1918 verstorbenen Dramatikers Frank Wedekind, hat mit “Jeder schreibt für sich allein” ein bemerkenswertes Porträt geschaffen, jener Zeit, in der man sich teilweise bis zur Unkenntlichkeit verbiegen musste, um bestehen zu bleiben und überleben zu können. Doch, wie weit musste man als Schriftsteller gehen, der ständig durch das Damoklesschwert Schreibverbot bedroht wurde, zudem, jede Zeile, sei sie auch noch so wohlwollend, kritisch beäugt sah.

Wie gingen Literaten, wie Erich Kästner, der bereits weltbekannt war, als die Nazis die Macht erlangten damit um, wie ein psychisch angeschlagener Hans Fallada und was erhofften sich Ina Seidel und Will Vesper? Anatol Regniers dokumentarischer Bericht zeigt anhand der Werke einer Auswahl von Autoren, was die Zwänge der Diktatur mit den Menschen machten, wozu diese teilweise durch das Regime getrieben wurden.

Hier wird detailliert auf einzelne Biografien Bezug genommen. Andere fallen dabei unter den Tisch. Teils, weil sie zu umfangreich wären für einen Gesamtüberblick, da dies nur eine Übersicht darstellen soll, aber auch, da die ganze Blut-und-Boden-Literatur nur gestreift wird. Vielmehr geht es Regnier, um die jenigen, die zwischen den Stühlen standen und sich nach dem Krieg vor Größen, wie Thomas Mann, verteidigen mussten. Für jede Zeile, die auch nur ansatzweise anrüchig klang.

Der Autor seziert einzelne Werke gründlich. Als Lesender kann man nur vermuten, welche Rechercheleistung dahinter steckt, aber auch die Liebe zur Literatur, die gerade aus dieser Zeit mehrdeutig betrachtet werden muss. Sachlich nüchtern präsentiert der Autor die schreibenden Kollegen jener Zeit, die sich hinterher rechtfertigen mussten und praktisch mit dem Rücken zur Wand standen.

Er zeigt, welchen Einfluss oder auch nicht, einzelne Kulturschaffende hatten, wie diese sich teilweise bei Behörden und Ministern für ihre Kollegen einsetzen und um jede Zeile kämpfen mussten. Mal mehr, mal weniger. Sehr kompakt geschrieben ist dies, trotzdem spürt man auch beim Lesen des Sachbuchs die ständige Bedrohung, der die Schriftsteller im Nationalsozialismus unterlagen.

Was dabei herauskam, lässt sich heute noch anhand ihrer Werke nachvollziehen, wobei es Autoren wie Erich Kästner auch im Nachkriegsdeutschland gelang, wieder Fuß zu fassen. Anderen, berechtigterweise nicht. Der Zwist der Vielen, die dazwischen standen, ist heute fast vergessen. Um so wichtiger, dieses Buch, welches z.B auch parallel zu Volker Weidermanns “Buch der verbrannten Bücher” gelesen werden kann. Einige Autoren finden sich auch dort wieder.

Autor:

Anatol Regnier wurde 1945 in Sankt Heinrich geboren und ist ein deutscher Schriftsteller, Chansonsänger und Gitarrist. Sein Großvater ist der Dramatiker und Schriftsteller Frank Wedekind, über den er 2008 eine Biografie veröffentlichte.

Regnier selbst, studierte am Royal College of Music in London und dozierte selbst am Konservattorium in München. Mitte der 1980er Jahre lebte er in Australien. Im Jahre 2003 erschien seine Familienbiofie. Zwei Jahre später erhielt er den Ernst-Hoferichter-Preis der Stadt München, sowie den Schwabinger Kunstpreis, 2012. Er ist Mitglied des PEN-Zentrums Deutschland und lebt heute in München.

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Das Bloggen mit Büchern: Wie hältst du’s mit Rezensionsexemplaren?

Der Blog startete als kleines Privatvergnügen, zur Gedächtnisstütze nach der Lektüre. Mehr war es zu Beginn nicht, wollte ich doch aufschreiben, wie ich ein gelesenes Buch fand und warum das so ist, schließlich verdrängt man als Vielleser eine ganze Menge. Irgendwo muss ja der Platz für Gedanken zu neuen Büchern her. Da ist solch eine Schreibarbeit schon eine feine Sache.

Heute, lange nachdem ich mich auf’s Glatteis begeben habe, ohne auf mich zu vertrauen, dass es vielleicht noch jemanden gibt, der sichd afür interessiert, was ich zu sagen habe, mit größerem Selbstbewusstsein, ist aus dem persönlichen Archiv viel mehr geworden.

Inzwischen sehe ich es als meine Aufgabe an, Literatur vorzustellen und kritisch einzuordnen, auch einmal Bücher jenseits der obersten Schichten von Büchertischen und Bestsellerlisten zu zeigen. Gelesen wird das gerne, dafür bin ich unglaublich dankbar. Doch, auch ich muss mir als Blogger eine Frage gefallen lassen und die lohnt einer näheren Ausformulierung.

Wie hältst du’s mit den Rezensionsexemplaren?

Was der Mode-Bloggerin ihr Seidenschal oder ihre Handtasche ist, sind den Literaturbloggern die Rezensionsexemplare. Per se sind das Bücher, die in einer begrenzten Stückzahl von Verlagen und Autoren der Presse zur Verfügung gestellt werden, um diese unter die Menschen zu bringen, auf breiter Basis zu präsentieren und vorzustellen. Für die eine Seite nicht mehr und nicht weniger als kostengünstige Werbung, für uns Blogger Arbeitsmaterial, Content und Lohn zugleich.

Der Stapel ungelesener Bücher ist bei mir naturgemäß nicht klein.
Manchmal kommen aber auch Rezensionsexemplare hinzu.

Natürlich ist kein Schreiberling auf diese Art von Zuwendung angewiesen. Einige nutzen sie mehr, andere konzentrieren sich auf das, was sie ohnehin auf ihren Stapeln ungelesener Bücher finden. Persönlich stöbere ich gerne in den Vorschauen der Verlage, lasse mich auf Benachrichtigungen von Autoren und literarischen Agenturen ein.

Einige intensive Kontakte sind dadurch schon entstanden, mit einigen Schriftstellern hatte ich so die Grundlage für Interviews auf den Buchmessen geschaffen. Da ist die Frage nicht weit, wie kritisch man gerade dann sein darf. Schließlich hoffen die, die Rezensionsexemplare zur Verfügung stellen, auf eine positive Besprechung.

Gerade das ist nicht immer gegeben. Sei es, weil die Thematik nicht so von den AutorInnen verarbeitet oder umgesetzt wurde, wie man sich das als Leser erhofft hatte, weil man ganz andere Erwartungen an die Lektüre hatte oder das Buch zwar zeitnah gelesen hatte, aber in der falschen Stimmung dafür gewesen ist. Das und noch einige andere Punkte beeinflussen die Bewertung von Büchern und dies kann dann natürlich auch nach hinten losgehen.

Anfangs war ich noch vorsichtig. Zu Beginn ist man noch neu in dieser “Bubble”, fühlt sich geehrt, wenn man Rezensionsexemplare zugeschickt bekommt. An meinen ältteren Rezensionen merkt man das teilweise, doch mittlerweile neige ich dazu, zu sezieren, wie ein Rechtsmediziner eine Leiche. Gott sei Dank fühle ich mich nach dem Lesen der meisten Bücher weniger tot als viel mehr erfüllt.

Der Glücksgriff nach guter Lektüre gelingt mir häufiger, auch bei Anfragen an die Verlage, als dass er mir misslingt. Das erklärt viele positive Bewertungen. Ich kenne meine Lesevorlieben, meine Stimmung genau, begründe jedoch auch, wenn dies einmal nicht so funktioniert.

So schreibe ich dann auch negative Rezensionen. Um ehrlich zu sein, auch Verrisse zu formulieren, macht Spaß. Einige Verlage können davon bei mir leidgeprüft ein Lied singen. Doch, mein Anspruch ist es, jede Kritik, die ich äußer, sachlich zu formulieren und ausführlich zu begründen.

Es braucht auch einmal eine negative Meinung, doch letztendlich gilt das, was Marcel Reich-Ranicki einst in einem Interview formulierte. Hauptsache ein Buch wird erwähnt. Auch von ihm verrissene Lektüre verkaufte sich sehr gut. Schließlich wollten viele wissen, was an der Kritik des großen Kritikers dran ist. Inzwischen halte ich das ebenso.

Jeder kann hier sehen, welche Rezensionen auf einem Rezensionsexemplar beruhen. Das schreibe ich entweder in die Datenbox oben hinein, oder bei älteren Rezensionen, die noch nicht überarbeitet wurden, steht diese Information als Kennzeichnung im Verzeichnis. Es ist ersichtlich, transparent. Um so wichtiger dann auch, welches Fazit ich aus der Lektüre für mich gezogen habe.

Wenn das ausführlich und begründet ist, haben alle was davon. Leser, Autoren und Verlage. Es soll ja auch die jenigen geben, die genau wissen, was nicht für den Rezensenten funktioniert hat, könnte es für einem selbst sein. Das ist dann auch eine Hilfe. Vielleicht ist mir eine Handlung zu ruhig und langwierig, andere suchen genau dies. So kann auch eine negative Bewertung zu etwas Positiven führen. Damit ist dann viel gewonnen.

Drei Rezensionsexemplare von drei Verlagen.
Zwei davon funktionierten für mich gut, eines weniger.

Ja, es braucht auch negative Rezensionen und davon sind die von Verlagen zur Verfügung gestellten Werke nicht ausgenommen. Nur einmal hatte ich bisher eine etwas unprofeessionelle Reaktion darauf, ein anderes Mal habe ich auf Nachfrage hin, eine Kritik noch einmal etwas mehr ausformuliert. Relativ selten kommt es auch vor, dass ich mich gar nicht in der Lage sehe, eine Rezension zu schreiben. Dann bekommen Verlag und Autoren darüber eine Nachricht mit Begründung. Ansonsten gilt, was nun geschrieben steht.

Egal, ob die Rezension in die positive oder negative Richtung ausschlägt, begründet muss sie sein und mittlerweile gelingt mir zumindest das ganz gut. Für mich und meine LeserInnen die Lektüre einzuordnen, vielleicht eine Vorauswahl zu treffen, ist eine Hauptaufgabe inzwischen, die ich ernst nehme. Ausformulierte Kritik können Verlage und Autoren aushalten, letztendlich entscheidet ohnehin der Gang in die Buchläden und Bibliotheken. Wer danach anderer Meinung ist als ich, hat vielleicht etwas gefunden, was mir verschlossen geblieben ist. Das ist doch auch ganz schön.

Egal, ob positiv oder negativ. Das ist auch bei Rezensionsexemplaren nicht unbedingt wichtig. Hauptsache, begründet und sachlich muss die Kritik sein. Nur dann funktioniert es.

Mit einigen Verlagen und Autoren verbindet mich eine längere Zusammenarbeit, trotz mancher negativer Kritik oder vielleicht auch deswegen. Fast alle Werke, die ich anfrage, bekomme ich zumeist, zusammen mit den Büchern, die an mich sonst noch herangetragen werden.

Mittlerweile kennt man die Genre, die Themen, in denen ich mich bewege, was auch dazu führt, dass totale Fehlgriffe relativ selten sind. In letzter Zeit frage ich weniger an. Ich habe mich da in der Vergangenheit etwas übernommen, doch bin ich jedes Mal gespannt darauf, was mich erwartet. Heute frage ich gewählter nach.

Oft funktioniert das, manchmal leider nicht. Vielleicht kommt es am Ende auch nicht darauf an, welche Sternebewertung dabei herauskommt. Das Wie und Warum ist wichtiger. Für meine LeserInnen, für die Verlage und schreibende Zunft. Für die Statik meines Bücherregals. Auch, für mich. Dazu gehören dann auch negative Rezensionen.

Letztlich muss sich ein jeder seine eigene Meinung bilden.

Euer findo.

Die Fotos entstammen meinem Instagram-Account.

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Das Bloggen mit Büchern: Wie machst Du das?

Über das Schreiben. Über das Bloggen.

Es ist egal, über welche Themen man in einem Blog schreibt. Ein interessierter Mensch wird immer nur die veröffentlichten Beiträge sehen, lesen und kommentieren. Vielleicht teilt jemand den Artikel auch in den sozialen Netzwerken oder jemand fühlt sich inspiriert, ebenfalls seine Gedanken dazu niederzuschreiben? Alleine, die Hintergrundarbeit bleibt zumeist im Dunkeln.

Und so möchte auch ich, inspiriert von lesestunden.de in dieser Kategorie über das Buch-bloggen schreiben und meine Gedanken mit euch teilen. Für den ersten Beitrag hierfür, habe ich mich an den Fragen von Tobias orientiert.

Angefangen habe ich mit einer Homepage aus dem Baukastenprinzip, da ich mich zunächst weder mit den technischen, noch mit den rechtlichen Hintergründen auseinandersetzen wollte. Ich wollte einfach nur über mein liebstes Hobby schreiben. Das Lesen. Freunde und Arbeitskollegen hatten mir das ans Herz gelegt, zumal man mich praktisch immer mit einem Buch sieht. Irgendetwas lese ich immer, warum also nicht meine Gedanken mit Interessierten teilen?

Nur, was bringt das mir? Was bringt es den Lesern? Gibt es nicht schon genug Schreiber im Netz und auch sonst? Sicher, gerade im Internet herrscht eine Vielfalt, wie es sie vor Jahrzehnten vielleicht in der Presse gab, aber gerade das macht es spannend.

Gelesen habe ich dort schon länger, in Foren wie buechertreff.de, dem größten deutschsprachigen Literaturforum im Netz und erste Versuche beim Verfassen von Rezensionen gewagt. So war es dann nur noch ein kleiner Schritt bist zum wirklich eigenen Blog, der natürlich zu Beginn noch nicht einmal halb so professionell war, wie heute. Mittlerweile macht mir sogar auch die Hintergrundarbeit Spaß.

Veit Etzold und Ich auf der Leipziger Buchmesse 2019.

Ich schreibe grundsätzlich zu jedem Buch, welches ich lese, eine Rezension. Ausnahmen gibt es natürlich, z.B. Mangas oder Bücher, die ich, was sehr selten vorkommt, abbreche. Über erstere schreibe ich nicht, da mir dazu noch Vergleichsmöglichkeiten fehlen. Zu wenig habe ich in diesem Bereich bisher gelesen. Über letztere will ich es mir nicht anmaßen. Wie soll man bitte ein ausgewogenes Urteil über ein Buch fällen, von dem man vielleicht nur die Hälfte des Inhalts kennt?

Ansonsten wird alles verschriftlicht. Nachdem Lesen ist das Schreiben ein schöner Abschluss. Die Inspiration zum Lesestoff geben mir Verlage, literarische Agenturen, Freunde, Blogger, Instagram und Booktuber, sowie Mitglieder des besagten Literaturforums. Der eine oder andere Gang in die heimischen Buchläden schadet natürlich auch nicht.

Mein Blog dient mir für mich als Gedankenstütze. Ich freue mich aber über jeden Leser, den es interessiert, was andere schmökern und auf die Meinung von uns Bloggern wert legt. Literaturblogs können Filter sein für all jene, die sich nicht durch Vorschauen der Verlage wühlen und herausfinden möchten, was außerhalb der Bestsellerlisten und Buchpreise zu finden ist.

Manchmal werden auch Buchläden im Urlaub zu Fundgruppen. Dieses Kleinod entdeckte ich am Rand von Rhetymnon auf Kreta.

Wobei mich persönlich auch manche Werke davon begeistern.

Ansonsten ist der Blog für mich Archiv, Filter, Ausgleich, in jedem Fall mehr als ein bloßes Hobby. Vielleicht kompensiere ich auch damit, dass ich nicht Journalist geworden bin? Das bleibt jedoch mein kleines Geheimnis. Vorerst.

Nachdem Lesen schreibe ich direkt drauf los. Vielleicht lasse ich mir einen Tag oder zwei Zeit, aber dann muss ich meine Gedanken in Worte fassen, sonst gehen sie mir verloren. Wie schwer das Schreiben im Nachhinein ist, merke ich immer dann, wenn ich im Urlaub gelesen habe und mit einer Woche Abstand darüber schreiben möchte.

Das funktioniert dann mehr schlecht als recht.

Das eigentliche Verfassen einer Rezension dauert dann zumeist nicht mehr als eine Stunde. Zusammen mit der Aktualisierung des Blogs und den Social Media Posts, gehen noch mal weitere zwei Stunden auf das Zeitkonto. Für das Lesen selbst nehme ich mir am Tag mindestens eine Stunde, meist mehr, Zeit. So erscheinen mehrere Beiträge pro Monat, in unregelmäßigen Abständen. Ich schreibe so, wie ich lese. Unbeständig. Nur im Urlaub setze ich länger aus.

Manchmal viel, manchmal wenig. Feste Zeiten gibt es da nicht, wobei ich oft abends schreibe. An freien Tagen kann es jedoch durchaus mal eine morgendliche Aktion werden. Die meisten Beiträge werden sofort danach veröffentlicht, jedoch immer erst, wenn ich wirklich zufrieden bin. Ein Artikel erfährt also durchaus mehrere Updates. Fehler korrigiere ich, wenn ich sie entdecke. Genau so unregelmäßig kümmere ich mich um die technische Hintergrundarbeit, z.B. die Aktualisierung von Plugins oder WordPress. Technik, sehr wichtig und Social Media, für mich weniger, sind leider große Zeitfresser. Das hätte ich gerne etwas weniger.

https://www.instagram.com/p/B-lwv3aK1tq/
Technische Updates am Blog. Immer wieder eine zweifelhafte Freude.

Bloggen ist für mich zunächst wie das Lesen eine einsame Tätigkeit. Ich mach das ja zunächst für mich, doch die Kommunikation im Hintergrund durch E-Mails, Rückmeldungen und Feedback belebt dies, auch wenn man das hier, wie auch in vielen anderen Blogs nicht unbedingt an der Anzahl von veröffentlichten Kommentaren sieht. Die könnten mehr sein.

Zudem tausche ich mich aber über mehrere Plattformen mit anderen Lesern aus. Eine kurze Zeit lang habe ich auch Youtube ausprobiert. Dort geht man jedoch als Einzelgänger schnell unter. Daher diese Variante. Hier bin ich Leser, Schreiber, Mensch. Hier darf ich sein. Und das funktioniert gut. Mich mit jemanden über Blogbeiträge abstimmen, kann ich mir nicht vorstellen.

Nur als Teil einer Aktion (z.B. #ComicMärz), aber doch bitte nicht mehrere Autoren auf einem Blog. Nein, ich weiß, wie ich ticke. Das ist manchmal schlimm genug. Blogbeiträge entstehen dabei am Schreibtisch oder, wenn ich unterwegs bin, am kleinen Laptop. Fotos nutze ich entweder eigene oder, bei Buchcover, die der Verlage.

Wo Verlage erwähnt werden, ist die Frage nach Rezensionsexemplaren und mein Umgang damit nicht weit. Über meine Zusammenarbeit in diesem Sinne mit Verlagen, Autor/innen und literarischen Agenturen werde ich vielleicht in einem anderen Beitrag eingehen. Dieser Artikel sprengt schon jetzt den Rahmen. Dazu dann vielleicht auch etwas über den Einfluss dieser und anderer Faktoren (auch Blogger) auf mein Schreiben.

Der Austausch mit Verlagen und Autoren ist wichtig. Hier z.B., beim Sommerfest von Kiepenheuer & Witsch (LCB Berlin 2018) und Galiani Berlin oder auch auf den Buchmessen.

Zuletzt möchte ich noch Tobias‘ Frage nach der Aktualität der Bücher beantworten, die ich lese. Fangen wir vielleicht jedoch mit dem Genre an oder den Themen. Mich interessieren vor allem Sachbücher, Romane und Coming-of-age-Geschichten, wobei ich durchaus für Neues zu haben bin. Jagen kann man mich mit New Adult, High Fantasy, Chick-Lit und Esoterik. Damit kann ich nichts anfangen.

Ein Sachbuch muss zudem ausgewogen und gut recherchiert, darf sehr ausführlich sein. Bei Romanen sind mir Spannungsbögen und die Vielschichtigkeit von Protagonisten wichtig. Themen in Sachbüchern können biografische sein, geschichtliche oder geografische. Wichtig für mich ist auch, dass, wenn ich hier etwas vorstelle, jeder, der Interesse hat, es auch bekommen kann.

Was nützt die Vorstellung eines vergriffenen Romans, der nicht wieder aufgelegt oder nur noch zu Mondpreisen zu bekommen ist? Was nützt auch die Vorstellung eines längst veralteten Sachbuches, welches sich durch die Entwicklungen da draußen überholt hat? So habe ich auch schon Beiträge zu Büchern über die Entwicklung von arabischen Ländern gelöscht, da diese nicht mehr haltbar waren.

Im Großen und Ganzen halte ich mich jedoch für beständig, genau so wie meine Spleens immer mehr ausufern. Und das ist doch sehr schön, oder?

Euer findo.

P.s. Und wie bloggt ihr?

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Autoren-Interview auf der Leipziger Buchmesse 2019: Michael Tsokos und die Abgründe der Gerichtsmedizin

Michael Tsokos = MT, ich = NH

Das Interview enthält einen Spoiler, den ich als einen solchen gekennzeichnet habe. Dieser kann jedoch übersprungen werden; man muss ihn aufklappen, um ihn zu lesen. Wer dies nicht tut, bleibt spoilerfrei. Das Interview kann auch ohne diesen gelesen werden.

NH: In Ihrem neuen Thriller „Abgeschlagen“ geht es um einen Fall innerhalb der Kieler Rechtsmedizin und den Protagonisten Dr. Herzfeld. Wie viel Herzfeld steckt in Ihnen persönlich?

MT: Es steckt einiges Persönliches drinnen, dass ich natürlich, wie mein Protagonist das Problem habe, zu viel zu arbeiten, zu wenig zu Hause bin und zu wenig Zeit für die Familie zu haben. Das klingt ja immer wieder durch, sowie dass ich von Berufs wegen neugierig bin und es mir keine Ruhe lässt, wenn sich mir etwas nicht erschließt.

Was nicht auf mich zutrifft ist, dass ich nie diese Risiken eingehen und Alleingänge machen würde, die Herzfeld macht. Das muss man aber, der Dramaturgie geschuldet, machen. Wenn Sie jemanden haben, der 16 Uhr nach Hause kommt und bei jeder Kleinigkeit die Polizei ruft, haben Sie keine Hauptfigur.

NH: Sie können für sich auch das Dramaturgische und das, was fachlich vielleicht notwendig wäre, trennen?

MT: Das kann ich. Das ist der Vorteil der Belletristik. Im Sachbuch kann man das nicht, dort muss man bei den Fällen genau dranbleiben. In der Belletristik habe ich die Möglichkeit, einen echten Fall mehr auszuschmücken, mehrere Fälle zusammenfließen zu lassen und den Protagonisten Dinge tun lassen, die man sonst als Rechtsmediziner nicht machen würde. Die Möglichkeiten habe und nutze ich auch.

Autor: Michael Tsokos
Titel: Abgeschlagen
Seiten: 414
ISBN: 978-3-ä426-52438-1
Dromer Knaur

NH: Ist das Schreiben eines Thrillers für Sie eine Art „Ausgleich“ zur Wirklichkeit?

MT: Irgendjemand hat mich einmal gefragt, ob es eine Art „Therapie“ wäre. Vielleicht ist es das auch. Einmal macht es natürlich Spaß. Ich habe ansonsten relativ wenige Hobbys, aufgrund der fehlenden Zeit. Ich habe früher auch sehr viel Wissenschaftliches publiziert, in Fachzeitschriften überall auf der Welt, von der Idee bis zur Druckfahne und dem Erscheinen.

Das ist auch das, was bei einem Buch Spaß macht. Es ist sicherlich eine Art „Therapie“ zu wissen, ich schreibe etwas und irgendwann gibt es Leute, die lesen das, die finden es gut und es gibt Feedback. Das ist Erfolg, der einem auch positiv bestätigt.

NH: Wie war das Feedback zum neuen Thriller von Kollegen der Rechtsmedizin? Gab es da welches?

MT: Nein, bisher nicht. Das ist jedoch auch nichts, was ich jetzt erwarten würde. Ich habe einigen Arbeitskollegen das Buch geschenkt, da diese mich beraten und als Probeleser fungiert haben. Ansonsten gibt es da fachlich kein Feedback. Es macht jeder seines. Es interessiert einen Rechtsmediziner in Hamburg nicht, ob ich Rechtsmediziner in Berlin ein Buch schreibe.

https://www.instagram.com/p/BSETeWdFf_f/
Das war 2017. Michael Tsokos stellte damals einen anderen True-Crim-Thriller vor.

NH: Wie erklären Sie sich bei den einfachen Publikum und Lesern die Faszination für Thriller und Krimis?

MT: Der Tod als zentraler Bestandteil von Krimis und Thriller übt natürlich eine große Faszination auf die Menschen aus. Das ist etwas, was ich aus meinem Leben als normaler Bürger ausklammern möchte. Ich kann mir als Normalbürger nicht vorstellen, dass ich jeden Tag früh ins Büro gehe, zwölf Leichen auf den Tisch liegen habe, so wie ich, die aufgeschnitten und untersucht werden…

NH: Sind das so viele?

MT: Ja, wir machen jeden Tag so viele Obduktionen. Ich bin auch bei allen Obduktionen in Berlin dabei. Wir machen ca. 2200 Obduktionen pro Jahr. An regulären Arbeitstagen sind das schon zwölf.

NH: Auch der Thriller „Abgeschlagen“ hat einen wahren Hintergrund. Wo genau liegt der „wahre Kern“ hinter der Geschichte?

Spoiler

MT: Vor ungefähr 25 Jahren hat mein damaliger Chef in der Hamburger Rechtsmedizin mir erzählt, dass es einmal einen skandinavischen Rechtsmediziner gab, der Prostituierte getötet, zerstückelt und die Leichenteile in den Park versteckt hat. Als sie dann gefunden wurden, hat er die obduziert. Über diese Geschichte findet man so gut wie nichts im Internet, da das in den 70er und 80er Jahren passiert ist, aber sie hat mich fasziniert.

Das ist das zentrale Thema. Was ist, wenn ein Rechtsmediziner tatsächlich selbst der Täter ist? Wenn er sein spezielles Wissen ausnutzt, um der Polizei immer einen Schritt voraus zu sein. Im Buch ist relativ schnell klar, um wen es sich handelt, aber der Weg bis zu seiner Überführung und zum Showdown ist sehr spannend. Das ist entscheidend bei „Abgeschlagen“.

[Einklappen]

NH: Der Weg ist das Ziel. Kann man ja durchaus auf Ihre Arbeit übertragen. Wie kommt man zu diesen medizinischen Bereich? Gibt es so etwas wie Freude an dieser Arbeit?

MT: Mein Beruf bereitet mir auch Freude und Spaß. Ich freue mich jeden Tag, wenn ich morgens zur Arbeit fahre, ob dem, was mich erwartet. Es gibt in der Medizin vieles, was ich nicht machen könnte. Wenn ich z.B. auf einer Kinderkrebsstation arbeiten würde und die kleinen Patienten sterben oder ich in einer Dialyse-Station, wo die Menschen zunehmend ins Nierenversagen rutschen, da sie keine Spenderniere bekommen, das wäre eine Sache, die ich nicht machen könnte.

Freude an beiden Berufen. Schriftsteller und Gerichtsmediziner Michael Tsokos.

MT: Ich weiß, dass es für viele unvorstellbar ist, den Job zu machen, den ich habe. Es gibt für mich jedoch genug andere, die ich nicht machen wollen würde. Ich war im Studium von der Rechtsmedizin total fasziniert. Das hat angehalten und deshalb habe ich mich auch dafür entschieden.

NH: Der Protagonist Dr. Herzfeld deckt im Laufe der Ermittlungen die Hintergründe der Tat auf. Wäre dies heute, in Anbetracht der Entwicklung von kriminalistischer Untersuchungsmethoden überhaupt noch so möglich? Ein unaufgeklärter und inszenierter Mord, dieses Schauspiel als Folge?

MT: Absolut. Das ist möglich, da wir natürlich genau wissen, wie Spuren verändert werden können. Wie legen wir falsche und verändern eigene Spuren? Das wäre absolut möglich.

NH: Gibt es den perfekten Mord?

MT: Den gibt es. Ich kann natürlich keine Beispiele nennen, jedoch gibt es gerade in Berlin den Fall eines verschwundenen Mädchens, dass sehr wahrscheinlich Opfer eines Tötungsdeliktes geworden ist. Die Polizei hat nicht den geringsten Anhaltspunkt, was passiert ist.

NH: Wenn Sie im „Schreibprozess“ sind, wie gehen Sie vor? Steht die Geschichte fest oder beginnen Sie zu schreiben und schauen, wohin dies führt?

MT: Der Grundblock steht von Anfang bis Ende fest. Man macht sonst den Fehler, sich zu verzetteln und nicht dort anzukommen, wo man hin möchte. Der Weg dahin ist flexibel. Ich habe den Protagonisten und habe die Rollen verteilt; bei dem, was dazwischen passiert, bin ich flexibel.

Zwischendurch kommen ja auch neue Ideen hinzu. Was von vornherein klar ist, ich brauch einen großen Showdown, ein Finale. Es ist jedoch zum Beginn des Schreibprozesses nicht unbedingt klar, wie das aussieht. In „Abgeschlagen“ war es das auch noch nicht, nur, dass es einen großen Abgang haben und quasi filmische Sequenzen haben muss.

NH: Wie gehen Sie mit der Realität in ihren Büchern um, z.B. im Gegensatz zu Sebastian Fitzek? (Die Frage habe ich ursprünglich anders gestellt, so dass es weder zum damaligen Interview mit Fitzek selbst gepasst hätte, noch hier zielführend gewesen wäre. Michael Tsokos hat jedoch, unbewusst, so geantwortet, dass ich nachträglich in der Abschrift die Frage umformulieren konnte. Jetzt passt es.)

MT: Im Gegensatz zu Fitzek muss ich die Realität abmildern, da sonst niemand das Buch lesen würde. Das würde kein Verlag drucken. Bei mir sind die Fälle aus dem wahren Leben.

Michael Tsokos und “Abgeschlagen”.

NH: Ihre Arbeit ist sehr zeitintensiv, in Berlin und auch im Ausland, wo Sie zu vielen Fällen hinzugezogen werden? Woher nehmen Sie die Zeit, zusätzlich Thriller zu schreiben?

MT: Ich habe es sehr komfortabel, da ich mir keine Fälle ausdenken muss. Die Geschichten kommen zu mir. Ich bearbeite so viele Fälle mit unfassbaren Details und Wendungen. Die Story zu bekommen, ist nicht schwierig. Eher noch die Umsetzung, ein Buch daraus zu formen, neben den sonstigen Pensum. Man muss sehr diszipliniert sein und seine freie Zeit nutzen, zu schreiben.

NH: Zuletzt wurde die Serie „Charite“ ausgestrahlt. Es gibt zwei neue Bücher über einen der prägenden Ärzte, Ferdinand Sauerbuch. Welchen Eindruck haben Sie davon?

MT: Ich bin selbst immer wieder erstaunt, wie sich Ärzte im Nationalsozialismus verhalten, zu Handlangern und willfährigen Henkern dieses Systems gemacht haben. Für mich erstaunlich, aber es ist natürlich ein Punkt, den ich für mich selbst kritisch hinterfrage. Wie würde ich mich in solch einer Situation verhalten? Mich hat die Serie total fasziniert.

NH: Wie wird es denn auch weitergehen mit Paul Herzfeld?

MT: Es wird eine Trilogie werden. Das nächste Buch heißt „Abgebrüht, um eben in dieser „Ab-“-Reihe zu bleiben. Es geht weiter.

NH: In diesem Sinne, vielen Dank für das Gespräch.

MT: Vielen Dank.

Wir danken Michael Tsokos und DroemerKnaur für die Gelegenheit, das Interview zu führen. Wie immer der Hinweis, dass das Interview Eigentum des Autoren, des Bloggers und des Verlages ist und nicht vervielfältigt, kopiert oder andersweitig verbreitet werden darf. Cover-Fotos werden nach Vorgaben des Verlags verwendet, Fotos des Autoren sind auf der Messe entstanden und gehören den Fotografen. Das Interview erfolgte ohne Gewinnerzielungsabsicht.

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