Ägypten

Nadja Tomoum: Das Geheimnis des Tutanchamun

Inhalt:

Tief ist der Brunnen der Vergangenheit – und manchmal birgt er “Wunderbare Dinge”: Mehr als 3300 Jahre hatte niemand gewagt, die Ruhe des Pharao im Tal der Könige zu stören. Dann – am 26. November 1922 – öffnete der britische Archäologe Howard Carter die Gruft des Tutanchamun. Die Schätze, die Carter ans Tageslicht brachte, machten aus seiner Entdeckung ein Jahrhundertereignis.

Sie lieferten Stoff für Schauermärchen über den Fluch des Pharao, Inspirationen für die Glamourwelt der Golden Twenties und Impulse für bahnbrechende wissenschaftliche Erkenntnisse. Dass sie nichts von ihrem Zauber verloren haben, wird in diesem spannenden Buch über die konfliktbeladene Welt des Tutanchamun, die Suche nach dem goldenen Pharao, die erste globale Mediensensation und die aktuelle Forschung deutlich. (Klappentext)

Rezension:

Das Tal der Könige, Grabstatt mächtiger Herrscher des Alten Ägypten. Seit Jahrhunderten graben hier die Menschen nach den Schätzen längst vergangener Zeiten. Im November 1922 stoßen Arbeiter bei Untersuchungen der Grabstädte Rhamses VI. auf in Stein gehauene Stufen einer mit Schutt verhüllten Treppe. Freigelegt, eine vermauerte Türöffnung mit intakten Siegel.

Der britische Archäologe telegraphiert sofort an seinen Geldgeber, der zuvor für die Finanzierung einer letzten Grabungssaison hatte überredet werden müssen: “Habe endlich wunderbare Entdeckung gemacht. […]” Ein Satz der in die Geschichte eingehen wird, übertroffen nur von den Funden selbst. Als Herrscher unbedeutend, für die Archäologie ist das Auffinden der Grabstätte des Tutanchamun und dessen Erforschung eine Sensation. Über den Kindkönig, die Entdeckung, deren Auswirkungen und der Erforschung, die bis heute anhält, liegt nun dieses sehr interessante Sachbuch vor.

In ihrer detaillierten Dokumentation beschäftigt sich die deutsche Ägyptologin Nadja Tomoum zunächst mit dem Zeitalter der Pharaonen selbst, bevor sie auf den eigentlichen Hauptgegenstand ihres Werks eingeht. Die Familie des jungen Pharaos wird ebenso beleuchtet, wie dessen kurzes Leben und die Frage, warum ein Grab so lange Zeit beinahe unentdeckt bleiben konnte, während andere Ruhestätten über die Jahrtausende hinweg fast vollständig geplündert wurden.

Danach beleuchtet sie das Leben derer, die diese letztendlich finden sollten, sowie die Auswirkungen auf die Menschen, die nach den Schrecken des Ersten Weltkrieges die Entdeckungen als willkommene Ablenkung aufnehmen würden. Ein kritischer Blick auf die nahezu erste globale Mediensensation wird ebenso geworfen, wie aufgezeigt, wie akribisch und sorgsam Howard Carter und sein Team mit den aufgefundenen Schätzen umgingen.

In ihrem Sachbuch beschreibt Nadja Tomoum die faszinierende Begeisterungsfähigkeit und nicht zuletzt Pionierarbeit Carters und dessen Team, die bis heute fortgesetzt wird, detailliert geht sie auch auf die Auswirkung dieser ersten globalen Mediensensation ein und den Umgang mit den Funden im Vergleich damals zu heute.

Etwa der Frage, ob es bei den sehr fragilen Funden und angesichts der Unwiederbringlichkeit der Schätze nicht besser ist, heuer einen täuschend echt aussehnenden Nachbau der Grabkammer zu besichtigen als das Original, dessen Wandmalereien durch die Feuchtigkeit und den Staub, den die Besuchermassen mit sich bringen, akut gefährdet sind? Müssen auch die Grabbeigaben um die halbe Welt reisen oder sollte man sie nicht besser in Ägypten selbst besichtigen und sich in New York und anderswo nicht mit Repliken begnügen?

Die Autorin stellt in ihrem Buch damit nicht nur das Leben eines Herrschers oder die Arbeiten dessen Entdeckern dar, sondern auch die Grundfragen, denen sich forscher und museale Institutionen auf der ganzen Welt gegenüber sehen. Wie umgehen mit in der Historie, unter welchen Umständen auch immer, außer Landes gebrachten Fundstücken, die zweifellos zum kulturellen Erbe ihrer Herkunftsorte gehören? Wie erhalten, was durch Beschädigungen unwiederbringlich verloren ginge? Welche Methoden damaliger archäologischer Arbeiten sind zu hinterfragen, welche wissenschaftlichen Leistungen gar nicht hoch genug zu honorieren? Zumal Ausgrabungen immer auch mit wissenschaftlicher Grundlagenarbeit verbunden sind und gerade in dieser Zeit ein Umbruch erfolgte, im Umgang mit den Funden.

Sehr kompakt ist die Darstellung, ohne wichtige Details aus den Blick zu verlieren, auch eine einseitige Betrachtung umgeht Tomoum, da viele Perspektiven beleuchtet werden. Hier dreht es sich eben nicht alleine um das Leben des Pharao selbst, oder die Perspektive seines Entdeckers, auch auf die historische und heutige Sicht Ägyptens auf sein kulturelles Erbe wird Bezug genommen. Der Umgang mit den Schätzen alter Herrscher, sie hatte schon immer auch eine politische Komponente. Das ist bis heute so.

Ergänzt wird das aufschlussreiche Sachbuch durch einen farbfototeil und einer Zeittafel, anhand derer sich die Regierungszeit von Tutanchamun einordnen lässt, was noch einmal die Brisanz des Fundes einordnen lässt. Ein umfangreiches Quellenverzeichnis rundet die sehr genaue, doch nicht emotionsfreie, Ausarbeitung an, die ein faszinierendes Stück Entdeckergeschichte einem breiten Publikum zugänglich macht.

Ausschnitt aus “100 Jahre – Der Countdown 1922 – Das Grab des Tutanchamun”

Autorin:

Dr. Nadja Tomoum ist Ägyptologie und Kunsthistorikerin und Ägyptologin. Sie hat viele Jahre in Kairo gearbeitet und war als Museums- und Projektleiterin in In- und Ausland tätig. Ihre langjährige Erfahrung nutzt sie heute als Kulturschaffende und Ausstellungsmacherin im interkulturellen Kontext.

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Irene Vallejo: Papyrus – Die Geschichte der Welt in Büchern

Inhalt:

Das Buch ist eine der schönsten Erfindungen der Menschheit. Bücher lassen Worte durch Zeit und Raum reisen und sorgen dafür, dass Ideen und Geschichten Generationen überdauern. Irene Vallejo nimmt uns mit auf eine abenteuerliche Reise durch die faszinierende Geschichte des Buches, von den Anfängen der Bibliothek von Alexandria bis zum Untergang des römischen Reiches.

Dabei treffen wir auf rebellische Nonnen, gewiefte Buchhändler, unermüdliche Geschichtenerzählerinnen und andere Menschen, die sich der Welt der Bücher verschrieben haben. (Klappentext)

Rezension:

Bücher sollten noch lange nicht in der uns bekannten Form existieren, da schon machten längst Legenden die Runde durch die damals bekannte Welt, die sich wie der Plot eines spannenden Kriminalromans lesen. Agenten des Pharaos waren unterwegs um für die Bibliothek ihres Herrschers Schriftstücke zu sammeln, für die Ägypter teils mehr wert als Gold.

Da schon hatte das geschriebene Wort einen langen Weg hinter sich, der bis zu den ersten gebundenen Büchern dennoch langwierig anmuten sollte. Irene Vallejo erzählt sie, die Geschichten von Herrschern, die um die Macht des Wortes wussten, vom beschwerlichen Weg von Papyrus zu Papier und von der Strahlkraft erster Bibliotheken der Antike.

Wenn er durch Alexandria streifte, sah er unter der realen Stadt die abwesende Stadt pulsieren. Obwohl die Große Bibliothek verschwunden war, hingen ihr Echo, ihr Flüstern und Wispern weiter in der Luft.

Irene Vallejo: Papyrus – Die Geschichte der Welt in Büchern

Die spanische Autorin und Literaturwissenschaftlerin Irene Vallejo reist mit uns in die Antike und erzählt von den Anfängen eines Gegenstandes, der sich unzählige Male gewandelt hat, heute gar als Hörbuch oder als elektronische Datei existiert und erst durch entsprechende Gerätschaften sichtbar gemacht werden muss.

Die Verbreitung des Lesens führte zu einem neuen Gleichgewicht der Sinne. Bisher hatte sich die Sprache ihren Weg durch die Ohren gebahnt, mit der Erfindung der Buchstaben aber wanderte ein Teil der Kommunikation zu den Augen ab.

Irene Vallejo: Papyrus – Die Geschichte der Welt in Büchern

„Papyrus“ liest sich dabei nicht wie eine wissenschaftliche Abhandlung, sondern wie ein Spannungsroman, zuweilen mit Krimi-Elementen. Wer liest, nimmt die Perspektive von erzählenden Philosophen ein, die um Worte rangen, und der Unveränderlichkeit dieser, waren sie einmal auf Papyrus oder Pergament festgehalten, misstrauten, von Herrschern im Größenwahn und vom Kampf der ersten Kopisten gegen den Verfall.

Von den meisten Werken gab es nur wenige Kopien, und dass ein bestimmter Text vollständig erlosch, war eine sehr reale Bedrohung. In der Antike konnte das letzte Exemplar eines Buchs jeden Augenblick aus einem Regal verschwinden, von Termiten zerfressen oder von der Feuchtigkeit unwiederbringlich beschädigt werden. Und während das Wasser oder die mahlenden Kiefer der Insekten ihre Arbeit taten, verstummte eine Stimme für immer.

Irene Vallejo: Papyrus – Die Geschichte der Welt in Büchern

Vallejo legt dabei zum einen ihren Fokus auf hervorstechende Einzelpersonen, lässt jedoch auch tief ins Innere antiker Gesellschaften schauen, zeigt die Dramatik der ersten Zensur, aber auch warum das Buch an sich, in welcher Form auch immer, schon damals eine Erfolgsgeschichte gewesen ist. In kurzweiligen Kapiteln, die sich jeweils schwerpunktmäßig auf eine Biografie oder ein Ereignis konzentrieren, eröffnet die Autorin uns einige neue Blickwinkel auf die Anfänge und der Schicksale des Buches.

So lohnt es sich durchaus, auch dieses zu lesen.

Autorin:

Irene Vallejo wurde 1979 in Saragossa geboren und ist eine spanische Literaturwissenschaftlerin und Schriftstellerin. Zunächst studierte sie klassische Literatur in Saragossa und Florenz und promovierte anschließend. Sie spezialisierte sich dabei auf die Antike. Für Tageszeitungen und Zeitschriften schreibt sie Kolumnen, veröffentlichte 2011 ihren ersten Roman.

2020 gewann sie den Literaturpreis Premio Nacional de Ensavo, 2021 den Premio Aragon, die höchste Auszeichnung, die die Regionalregierung der autonomen Region Aragon vergibt. „Papyrus – Die Geschichte der Welt in Büchern“ ist ihr erstes Sachbuch.

Die Rezension wurde auf Grundlage eines Rezensionsexemplares geschrieben, welches ausgewählte Kapitel enthielt, um Übersicht und Eindruck von der Art des Textes zu geben.

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Thomas Reinertsen Berg: Auf einem Blatt die ganze Welt

Auf einem Blatt die ganze Welt Book Cover
Auf einem Blatt die ganze Welt Thomas Reinertsen Berg dtv Erschienen am: 23.10.2020 Seiten: 351 ISBN: 978-3-423-28246-8 Übersetzung: Frank Zuber, Günther Frauenlob

Inhalt:

Von den geheimnisvollen Symbolen der Steinzeit bis zu Google Earth: Thomas Reinertsen Berg nimmt uns mit auf eine spannende Reise durch die Geschichte der Landkarten. Etwa nach Antwerpen, dem Zentrum der Kartografie im 16. Jahrhundert, wo Abraham Ortelius 1570 den ersten modernen Atlas schuf.

Oder in die Arktis, wo Fridtjof Nansen während einer Expedition bislang unbekannte Gebiete kartierte. Er berichtet vom Versuch, den Meeresboden topografisch abzubilden, vom kampf um den Weltraum zwischen Amerikanern und Sowjets und von der Halbwertszeit digitaler Aufzeichnungen. Eine eindrückliche Erzählung über die menschliche Sehnsucht, den geografischen Raum zu erfassen und darzustellen. (Klappentext)

Rezension:

Der Erfolg des Menschen liegt in der Fähigkeit begründet, miteinander zu kommunizieren und sich zusammen zu schließen, jedoch auch mit anderen das Wissen um Nahrungsquellen, Gefahren oder Wasser zu teilen. Seit jeher spielte dabei die Verbildlichung, die Kartierung der Welt eine bedeutende Rolle, die bis heute anhält. Zunächst beschränkte sich die Visualisierung auf die unmittelbare Umgebung, die man auf Felswänden darstellte.

Von diesen ersten Karten bis zur Erweiterung des Radius’ durch die Satellitentechnologie war es jedoch ein langer, manchmal abenteuerlicher Weg. Thomas Reinertsen Berg wirft mit seinem Lesepublikum einen Blick in diesen Teil unserer Geschichte.

Nach intensiver Recherche nimmt der Autor uns mit auf eine erstaunliche Reise, die faszinierender kaums ein könnte. Das Interesse des Autoren für die Thematik überträgt sich Zeile für Zeile auf die Lesenden, die gleichsam in das abgebildete und erläuterte Kartenmaterial versinken.

Anhand diesem wird im Spannungsfeld zwischen Überblicks- und Detailwissen nach intensiver Recherche ein Horizont eröffnet, so wie es sein müsste, würde man als Mensch sämtliche Epochen unserer Geschichte selbst erleben.

Karten sind Weltbilder – Bilder der Welt. Alle Karten in diesem Buch repräsentieren verschiedene Blickwinkel auf unsere Welt, von den Spekulationen der Griechen bis zum religiösen Blick des Mittelalters, von der proto-wissnschaftlichen, objektivereren Kartierung der Renaissance bis zur enormen Datensammlung im digitalen Zeitalter. Gemeinsam ist allen, dass ihr Blick auf die Welt aufzeigt, was man zu ihrer Zeit wichtig fand und was damals möglich war.

Thomas Reinertsen Berg “Auf einem Blatt die ganze Welt”

Das ist kurzweilig beschrieben, zugleich spannend, spart Reinertsen Berg nicht am reichhaltigen Erzählen, wenn es um die großen Polarexpeditionen auf der Suche nach Seewegen geht oder aber auch, viel früher, um die Konkurrenzkämpfe der Kartografen und Drucker im Antwerpen des 16. Jahrhunderts.

Er zeigt, welchen Einfluss Menschen von Beginn auf die Kartierung, damit die Wahrnehmung der Welt nahmen, spart jedoch auch die Eindrücke nicht aus, denen die Kartografen von Ortelius bis Blaeu unterlagen, sowie, was dies bis heute mit uns macht und wohin sich unsere Wahrnehmung der Karten in Zukunft entwickeln wird.

Kleinteilig ist dies zuweilen, jedoch so vielschichtig, wie die Männer und Frauen, die den Horizont der Karten durch ihre Theorien, Forschungen und Expeditionen und manchmal durch schieres Glück erweiterten, so dass hiermit ein spannendes Stück Geschichte gesammelt vorliegt, in welcher es sich lohnt, einzutauchen.

Die Herausforderungen der Kartierer vergangener Zeiten waren andere als die unsrigen, doch um Möglichkeiten und Nutzen der Kartografie für die Problemstellungen unserer Welt zu begreifen, lohnt der Blick zurück. So ist dieses kurzweilige und informativ gut recherchierte Werk nur zu empfehlen.

Leseprobe: Hier klicken. (Quelle: dtv)

Autor:

Thomas Reinertsen Berg wurde 1971 geboren und ist ein norwegischer Journalist und Autor für Sachbücher. Er studierte Literaturwissenschaften, sowie nahöstliche und nordafrikanische Kultur. Im Jahr 2003 war er Mitbegründer der zeitschrift “Babylon – nordische Zeitschrift für Nahost-Studien”, der er noch immer als Redakteur angehört. Seit 2007 schreibt er Kolumnen für die norwegische Zeitung Morgenbladet. Sein Buch “Verdensteater” veröffentlichte er in seinem Heimatland 2017. Dafür erhielt er den Brage-Preis der Kategorie Sachbuch.

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Julia Gerlach: Der verpasste Frühling

Der verpasste Frühling Book Cover
Der verpasste Frühling Julia Gerlach Rezensionsexemplar/Sachbuch Erschienen am: 01.05.2016 Seiten: 248 ISBN: 978-3-86153-868-4

Inhalt:

2011 schien in der arabischen Welt eine neue, demokratische Zeit anzubrechen. Der ägyptische Aufstand gegen Mubarak auf dem Kairoer Tahrir-Platz war dafür ein besonders starkes Signal.

Heute sitzen viele der damaligen Aktivisten im Gefängnis, alte und neue Diktatoren sind an der Macht, Millionen Menschen fliehen vor Bürgerkrieg, Hoffnungslosigkeit und den Mördern des sogenannten Islamischen Staates. Julia Gerlach hat Aktivisten der Revolution, Islamisten, Politiker und ganz normale Menschen in der Region über Jahre begleitet und befragt.

So gelingt ihr eine ebenso persönliche wie informative Beschreibung der Ereignisse, die zum Scheitern der hoffnungsvollen Anfänge führten. Ein spannender, differenzierter Einblick in die jüngste arabische Geschichte, die uns mehr denn je betrifft. (Klappentext)

Rezension:

Die arabische Welt ist für den Durchschnittsbürger Europas schwer zu fassen, zumal nach den Umwälzungen im Jahr 2011, die die Staaten Nordafrikas, den Jemen und Syrien und ihre Menschen vollkommen verändert haben.

Julia Gerlach gibt uns einen Einblick in diese, mittlerweile abschreckende, Welt aus Angst und Hoffnungslosigkeit, welche Freude und Tatendrang in Bezug auf die gestürzten Diktaturen Tunesiens, Ägyptens, Libyens, des Jemen und Syriens abgelöst haben.

Seit Jahren reist sie zwischen den in Chaos, Korruption und Machtkämpfen versinkenden Ländern hin und her, trifft Menschen aller politischer und beruflicher Coleur und Glaubensrichtungen, unterhält sich und hört zu.

Herausgekommen ist ein faszinierendes Portrait einer Region, ein festgehaltenes Stück Zeitgeschichte und vor allem das Festhalten von menschlichen Empfindungen.

Mittlerweile muss man suchen. Zwischen schwarzmalerischen Berichten und einseitigen Lektüren, die nicht einmal ansatzweise als ausgewogen zu bezeichnen sind, wirkt dieses Sachbuch sehr wohltuend.

Reflektiert und möglichst alle Seiten der Medaille “friedlicher Revolution in der arabischen Welt” beleuchtend, stellt die Journalistin eine schonungslos ehrliche, jedoch keineswegs nüchtern kalte Analyse der Ereignisse dar, die zu den Umbrüchen in einer Region führten, die man dort nicht erwartet hätte.

Quasi Alleinherrscher wie Mubarak oder Ben Ali wurden gestürzt, die Menschen kosteten für einen kurzen Moment den Geschmack der Freiheit, doch woran scheiterte, was so hoffnungsvoll began?

Weshalb ließen sich die Studenten, einfachen Menschen die Zügel des Umschwungs aus der Hand nehmen, weshalb gibt es heute mehr alt-neue Regierungen als wirklich bleibende Neuerungen und welche Errungenschaften des Volkswillens haben es geschafft, bis in die heutige Zeitz herüber gerettet zu werden?

Anhand von Personen sich durch die Chronik der Ereignisse zu hangeln, könnte man der Autorin zum Vorwurf machen. Sie bleibt nicht neutral, sondern bezieht standpunkte, in dem sie alle Seiten zu Wort kommen lässt und damit alte Machtstrukturen entlarvt, die mit blauen Auge als Sieger aus der Revolution in Arabien hervorgegangen sind. Vielleicht ein letztes Mal?

Julia Gerlach nimmt Position ein, öffnet sich aber auch für andere Meinungen und beobachtet ihren Freudneskreis, ihre Kontaktpersonen genau.

Herausgekommen ist ein Zeitdokument, welches es in sich hat und gerade heute gelesen werden sollte. Hier finden sich die Ursachen, warum so viele junge Araber ihre Länder verlassen und den Blick auf das Mittelmeer gen Norden richten.

Hier wird der Kampf und Selbstfindungsprozess von Nationen beschrieben, deren mehrheitliche Bevölkerungen sich wieder die alten vorrevolutionären Zustände zurücksehnt und eine junge Generation portraitiert, die die Hoffnung auf eine bessere Zukunft innerhalb ihrer eigenen Länder noch nicht aufgegeben hat.

Flüssig zu lesen und aufgrund kurzer übersichtlicher Kapitel, vielen Erklärungen, keinesfalls schwere Sachbuchlektüre, die ungewöhnlich gut recherchiert und fassbar ist. Nicht zuletzt durch die schiere Zahl der interviewten Personen und der Beachtung verschiedener Positionen.

Keine absichtliche Schwarzmalerei, nur nüchterne Betrachtungen, kein erhobener Zeigefinger. So ausgewogen sollte Sachbuchliteratur, gerade zu sensiblen Themen sein und dies hat Julia Gerlach hervorragend hinbekommen.

Ein Spagat, der hätte schiefgehen können, hier hervorragend funktioniert. Pflichtlektüre für alle, die sich einen Überblick über die Gesamtsituation, insbesondere die in Ägypten, verschaffen und sich eine eigene Meinung bilden wollen. Unabhängig von der Hetze, die uns von vielen Bildschirmen und Zeitungen ins Gesicht springt.

Autorin:

Julia Gerlach wurde 1969 geboren und studierte Politik- und Islamwissenschaften, begann eine Ausbildung an der Berliner Journalisten-Schule und arbeitete für das ZDF-Studio in Kairo und beim heute journal. Sie hospitierte beim arabischen sender al-Dschasira und war von 2008-2015 als Korrespondentin für verschiedene deutsche Tages- und Wochenzeitungen tätig. 2006 erschien ihr erstes Buch.

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