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Leipziger Buchmesse 2024: Alles außer flach

In wenigen Tagen steht die Messestadt wieder ganz im Zeichen der Literatur. Der traditionelle Frühjahrsauftakt der Buchbranche, in dem Verlage, Autorinnen und Autoren auf ihre Leserschaft treffen und nicht nur Cosplayer für ein buntes Innenleben sorgen, findet mit über 2500 Veranstaltungen und 2900 Mitwirkenden statt, und einer ganz besonderen Gastregion. Auch ich bin wieder mit dabei.

Im vergangenen Jahr waren gleich zu Beginn die Messehallen mehr als voll. (Quelle: Privatbesitz)

Bereits ohne Blog habe ich mir damals regelmäßig mehr Lesungen und Diskussionen aus dem Messeprogramm herausgeschrieben, als ich in der Lage gewesen wäre, diese zu verfolgen. Alles, was irgendwie interessant klang, wurde erst einmal notiert. Entschieden, welche Veranstaltungen ich mir tatsächlich ansehe, habe ich dann auf der Messe selbst, was bisher immer zu einem veritablen Chaos geführt hat. Das hat sich auch mit der Schreibarbeit nicht geändert, ist eher schlimmer geworden, da jetzt nebst den regulären Angeboten auch Presse- und Bloggertermine hinzukommen, zwischen denen ich auswählen muss. Kurz vor knapp aber steht die Planung und die Vorfreude steigt.

Damit auch euer Messe-Besuch gelingt, hier einige Tipps für euch:

In diesem Jahr hat die Messe wieder ihren angestammten Platz im Kalender bekommen und findet vom 21.-24. März statt, nicht nur auf dem Messegelände selbst, auch finden im gesamten Stadtgebiet verschiedenste Veranstaltungen unter dem Motto “Leipzig liest” statt. Einen Überblick über das Programm könnt ihr euch hier verschaffen (oder in der App der Leipziger Buchmesse), diesmal mit besseren Filter-Funktionen, die man verbessert hatte, nachdem es da 2023 so einige Kritikpunkte gab, die die Planung eher erschwerten als dass sie eine Hilfe waren.

Wie ihr zum Messegelände kommt, seht ihr hier, die besonderen Punkte der parallel verlaufenden Klimabuchmesse sind hier zu finden. Eine Übersicht über die Ticketpreise gibt es hier (wer vorher kauft, hat im Ticket die Fahrt von und zum Messegelände enthalten). Für die Anfahrt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln empfiehlt es sich, Stehvermögen mitzubringen, die eine oder andere Tram an sich vorbeifahren zu lassen und Wartezeiten einzukalkulieren. Wer eine Unterkunft in der Innenstadt hat, dem empfiehlt sich, nicht am Hauptbahnhof, sondern eine Haltestelle vorher, am Augustusplatz, in die Tram zu steigen.

Was das diesjährige Gastland Niederlande und die Region Flandern zu bieten haben, könnt ihr hier erfahren.

Nehmt euch etwas Essen wie Energieriegel oder Nüsse mit und unbedingt eine Flasche Wasser oder ähnliches mit. Zwar wird dort sicher wieder an vielen Ecken frisch gepresster Orangensaft angeboten, flüssiges Gold wäre jedoch günstiger.

Ihr könnt sowohl an den Ständen und in den von Hugendubel organisierten Messebuchhandlungen Bücher kaufen, vom ersten Messetag an.
Sogar Messe-Merch gibt es diesmal, an einem Stand in der Glashalle.

[Einklappen]

Eine Übersicht über die für den Preis der Leipziger Buchmesse nominierten Bücher findet ihr hier.

Ich werde einen Tag eher anreisen, um dann entspannt am nächsten in die Messe einzutauchen und erste Eindrücke sammeln, nachdem ich in der Innenstadt ein Interview geführt habe, welches ihr nach der Buchmesse auf den Blog lesen könnt. Mit wem, wird noch nicht verraten.

Bei verschiedenen Verlagstreffen und Bloggerveranstaltungen werde ich ebenso sein, wie auf Lesungen. Nur nicht ganz so überladen wie sonst, da ich diesmal mit etwas weniger Technik auskommen muss. Trotz zusammengestellten Programm dürfte es daher für mich etwas entspannter ablaufen als sonst. Sprecht mich also gerne an, wenn ihr mich seht. Ich beiße nicht. 🙂

Ich wünsche uns allen eine tolle Zeit auf der Buchmesse. Vielleicht sehen wir uns ja.

Euer Nick.

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Cecilia Sjögren: Die letzte Welle

Inhalt:

Im Altenheim “Ömheten” geschehen seltsame Dinge: Ein mysteriöser Einbruch, gefolgt von einem Todesfall wecken den Verdacht des pensionierten Polizisten Tore Lindahl: Ist sein Heimnachbar Viking wirklich auf natürliche Weise gestorben? Wer ist der Fremde, der vor dem Heim herumschleicht? Und warum will das Pflegepersonal all das geheim halten?

Bei der örtlichen Zeitung hofft Veronika Wiklund auf die große Story. Wenn sie nicht bald einen aufsehenerregenden Artikel abliefert, verliert sie den Job. Als sie von Tores Verdacht hört, sieht die Journalistin ihre Chance gekommen.

Gemeinsam beginnen die beiden zu ermitteln. Ihre Recherche deckt ein weit verzweigtes kriminelles Netzwerk auf. Musste Viking sterben, weil er davon wusste? Oder liegt die Wahrheit weiter zurück – im Inferno des Zweiten Weltkriegs, dem auch der kleine Fischerort Grisslehamn nicht entgehen konnte? (Klappentext)

Rezension:

Interviews im Umfeld des Altenheims sollen es sein, die die journalistische Praktikantin führen soll, fällt doch die Einrichtung im Zuge einer wirtschaftlichen Übernahme vor allem durch Ungereimtheiten in der Verwaltung auf. Routinearbeit, die nicht gerade genügend Stoff bietet, doch ereignet sich zeitgleich ein Todesfall, der den pensionierten Polizisten Tore Lindahl aufhorchen lässt. Der mag nicht so recht an einem natürlichen Ableben seines Zimmernachbarn glauben und begibt sich auf Spurensuche. Auch für Veronika stellen sich bald mehr Fragen als Antworten. Beide ziehen ihre Schlüsse, nicht ahnend, welche Geister der Vergangenheit sie da wecken.

Kriminalromane aus Skandinavien sind eine sichere Bank, zumal wenn sie in modernen Gewand und ohne eine gehörige Portion Melancholie daherkommen, die sämtliche Handlungen zu ersticken vermag. Stattdessen macht die Autorin Celine Sjögren in ihrem Debüt viele Handlungsstränge auf, die hauptsächlich auf zwei zeitliche Ebenen verteilt werden. Diese kann man aufgrund der Struktur des Textes noch gut auseinander halten, doch ist hier mit der Detaillierung eindeutig zu viel gewollt.

Da wäre nicht nur die eigentliche Haupthandlung, sondern auch das Zwischenspiel im Miteinander von Charakteren, die zwar viel Inhalt bringen, bei denen man sich jedoch zu schnell fragen mag, wie am Ende diese zueinander geführt werden, zudem ein Handlungsstrang eher dem Genre Kriegsroman zugeneigt ist. Auch diese Gegensätze werden nach und nach miteinander verbunden.

Cecilia Sjögren kann schreiben und weiß wenige Spannungsmomente gekonnt einzuarbeiten, doch ergeben sich aus zwischenmenschlichen Zusammenspielen zwar die Konturen der mit zunehmender Seitenzahl auch immer zahlreicheren Protagonisten, aber eben auch Längen, die man kaum ignorieren wird können. Landschaftliche und Ortsbeschreibung sind dagegen positiv hervorzuheben. Bilder vor dem inneren Auge sind garantiert. Das zusammen funktioniert am besten, wenn sich die Handlung weg vom Ausgangspunkt bewegt, fast so als würde die Dynamik mit der Ferne zum Altenheim zunehmen. Apropos Altenheim, bis jetzt dort die trostloseste Beschreibung dessen innerhalb eines Buches, welche ich gelesen habe.

Die Figuren sind gekonnt ausgestaltet und bekommen im Verlauf ihre Ecken und Kanten. Manches ist nicht wie es scheint, auch wenn in das Kitsch-Näpfchen das eine oder andere Mal zumindest der Finger hineingetaucht wurde. Momente des Augenrollens hat man da durchaus, im Gegensatz zu einem gewissen Schauer, den man bei Kriminalromanen erwarten dürfte. Der fehlt komplett. Beim Lesen des Textes neigt man dazu, Mord und andere unausweichliche Konfrontationen mit Schulterzucken hinzunehmen, was sicher auch nicht das ursprüngliche Ziel gewesen sein dürfte. Man liest diesen Krimi wie einen normalen Roman, der kein Krimi ist.

Große Überraschungen bleiben aus, zumindest wenn man bereits einiges in diese Richtung gelesen hat, trotzdem erlaubt der Schreibstil ein schnelles Vorankommen, so dass man auch über die eindeutigen Schwächen hinwegkommen und die Lektüre fix beenden wird. Wen das ausreicht, sei “Die letzte Welle” zu empfehlen.

Autorin:
Cecilia Sjögren ist Wirtschaftswissenschaftlerin und Autorin. Zum vierzigsten Geburtstag bekam sie einen Schreibkurs geschenkt, seit dem schreibt sie vor allem Kriminalgeschichten. Ihr Roman “Die letzte Welle” gewann 2022 den Krimiwettbewerb von SAGA Egmont.

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Entengrütze und der Geruch von Erdbeeren

Mit den Fingern streiche ich vorsichtig über das Papier, erfahre Glätte und Unebenheiten, an einer Stelle ist das Papier rauh. Ich reibe vorsichtig zwei Finger aneinander, und verbinde fortan einen neuen Geruch mit Büchern, der so zuvor noch nicht mit ihnen in Verbindung stand. Der Duft von frischen Erdbeeren steigt mir in die Nase, ein Gefühl von Sommer kommt auf, doch schaue ich durch das Fenster sehe ich das Wetter unschlüssig, öffne ich das Fenster kommen mir die Gerüche (und der Lärm) der Straße entgegen. Ich wohne inmitten der Stadt.

Der Sommer existiert plötzlich nur noch auf den Papier.

Ein Kinderbuch aus Lettland ist es, was dieses Hin und Her auslöst. Geschrieben hat es die Autorin Lote Vilma Vitina, auch die liebevollen Illustrationen stammen von ihr. Erschienen ist “Der kleine Dichter und der Duft”, in der deutschen Übersetzung von Lil Reif bei Mirabilis. Der Dichter folgt einer Wolke nach draußen, Gerüche inspirieren ihn. Die mich in den Sommer versetzende Erdbeere duftet tatsächlich. Im Vorsatzpapier ist sie zu finden.

Im Frankfurter Ostpark geht es nicht ganz so idyllisch zu. Enten und Nilgänse sind sich nicht grün, da kann noch so viel Entengrütze für alle vorhanden sein. Missgunst bestimmt den Tag. Schnell geraten die schöne Gans Nilgül und der schlaue Enterich Hausen zwischen die Fronten ihrer Vogelscharen. Es wäre doch einfacher für alle, an einem Strang zu ziehen. Nur, wie zusammenfinden, wenn vermeintliche Unterschiede als kaum zu überwindende Barrieren erscheinen? Doch Freundschaft und Zusammenhalt können viel bewirken.

Liebevoll illustriert von Viktoria Wagner erleben “Nilgül und Hausen” in der Geschichte aus der Feder von Riccarda Gleichauf dieses große Abenteuer. Und alle kleinen Leser und Leserinnen (oder allen, denen diese wunderschöne Geschichte vorgelesen wird) können sich nicht nur an den Ententeich träumen, die beiden Hauptfiguren laden auch zum Singen ein. Drei Lieder, abrufbar bei Youtube oder per QR-Code runden Text und Bild ab. Dieses Kinderbuch ist interaktiv, im besten Sinne.

Geschichten für die Kleinsten, interaktiv oder haptisch erlebbar, so lieb, dass ich keine Sterne-Bewertung, sondern einfach nur beide Bücher allen ans Herz legen möchte, die gerne ihre oder andere Kinderbuchregale sinnvoll auffüllen möchten. Wer kann schon etwas gegen dönerfutternde Enten sagen oder Erdbeeren?

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Jeannette Gusko: Aufbrechen

Inhalt:
Transformationskompetenz ist die wohl größte ungehobene Ressource für unsere Zukunft. Wandlungserprobte Menschen, wie Wende-, Migrations- oder Arbeiterkinder, haben große Umbrüche erlebt und damit eine Kompetenz erworben, die unsere Gesellschaft für die Zukunft handlungsfähig machen kann. Wenn es uns gelingt, diese bislang unerkannte Superkraft freizusetzen, können wir endlich aufbrechen und die dringend nötigen Transformationen unserer Zeit gemeinsam angehen. (Klappentext)

Rezension:

Krisen sind wie Kreuzungen, heißt es gleich zu Beginn in diesem Buch. Einmal eine Abzweigung genommen, wird es mit zunehmender Wegstrecke schwerer zum Ausgangspunkt zurückzukehren, zumal ohne das Wissen, ob nicht ein anderer weg zu einem noch schlechteren Ergebnis führen würde. Verständlich, dass viele Menschen daher angesichts der derzeitigen Ereignisse und düsteren Zukunftsaussichten resignieren oder gar Angst haben, den Status quo zu verlassen, lieber diesen bewahren möchten, gleichwohl wissend, dass ein “Weiter so” ebenso falsch wie auf lange Sicht unpraktikabel wäre.

Vielfach ist bewusst, dass wir Änderungen, nicht nur in Bezug auf z. B. Klimawandel oder sozialen Fragestellungen vornehmen müssen, alleine die Ungewissheit ob der Auswirkungen lassen uns diese nicht oder gar zu zögerlich angehen.

Dabei könnte es schon helfen, Menschen, die selbst bereits Änderungsprozesse erlebt und bewältigen mussten, in die Lage zu versetzen, ihre Transformationskompetenz zu nutzen. Die Autorin Jeannette Gusko erläutert in ihrer Denkschrift “Aufbrechen”, wie dies funktionieren kann.

Transformationskompetente Menschen können sich jederzeit andere Systeme vorstellen. Sie arbeiten mit hoher Analytik sowie Mustererkennung, einer wichtigen Fähigkeit für Kreativität. Sie finden umfangreiche langfristige Antworten auf Systemstörungen […], weil sie die ihnen zugrundeliegenden Ursachen systematisch zurückführen können.

Jeannette Gusko: Aufbrechen

Über die hervorragende Qualität der Reihe -Zündstoff- aus dem Hause Atrium habe ich an anderer Stelle bereits geschrieben, doch sei hier noch einmal hervorgehoben, dass diese theoretisches Grundlagenwissen vielfältiger Themenbereiche so aufbereitet, dass diese kompakten Schriften geeignet sind, diskutiert zu werden und damit Debatten angestoßen werden können, die längst überfällig sind. Dabei greifen diese auch ineinander über, ein Werk ergänzt das andere und bleiben dabei jeder für sich verständlich für alle Lesenden.

Nach etwa z. B. Rassismus oder Klassismus nimmt sich mit “Aufbrechen” eine weitere Autorin einer weiteren Säule an, derer es dringend an Änderungen schon in unseren Ansichten bedarf und zeigt überlegt argumentierend, was Transformationskompetenz bedeutet und für unsere Gesellschaft bewirken kann.

Transformationskompetenz entwickelt sich dann, wenn man Neuem ausgesetzt ist und sich damit auseinandersetzen muss.

Jeannette Gusko: Aufbrechen

Entlang eines stringenten roten Fadens erläutert Jeannette Gusko zunächst ihren Hintergrund als praktisches Beispiel, bevor sie zu den theoretischen Grundlagen kommt. Was ist Transformation, die sich daraus ableitende Kompetenz, wie entsteht sie und welche Bausteine braucht es dafür, aber auch, was passieren mag, wenn diese vom Rest der Gesellschaft nicht genutzt wird und wie transformationskompetente Menschen mit Veränderungen umgehen, die von der Mehrheit kritisch bis ängstlich betrachtet werden.

Es gibt in allen Bevölkerungsgruppen Menschen, die aufgrund verschiedener Erlebnisse Transformationskompetenz entwickelt haben, und wir alle profitieren davon, wenn sie ihre Kompetenz entdecken und sie in den Diskurs und durch ihr Handeln einbringen.

Jeannette Gusko: Aufbrechen

Anhand von drei Gruppen von Menschen, Überschneidungen gibt es und sicherlich auch weitere, die diese Fähigkeit haben, erläutert sie Gemeinsamkeiten in Denk- und Herangehensweisen und was eine Gesellschaft für Voraussetzungen schaffen muss, damit diese zum Wohle aller ausgespielt werden können. Das auf so wenigen Seiten so präzise zu formulieren ist eine Stärke Jeannette Guskos, die damit einen Aspekt eröffnet, den wir noch viel zu selten sehen. Gleichzeitig gelingt anhand der im Werk erörterten Beispiele ein positiver Ausblick, was bereits heute durch Transformationskomponente Menschen möglich ist, die Entwicklung eines weltweit eingesetzten Impfstoffes in sehr kurzer Zeit etwa, um nur ein Beispiel zu nennen.

Die Erkenntnisse der Autorin, über sich selbst und durch ihre Arbeit in verschiedenen daran ausgerichteten Netzwerken und Organisationen, fließen hier ein, ebenso die Erfahrungen anderer, die diese Eigenschaft besitzen, und für sich und andere zu nutzen wissen. Das strukturierte Werk vermittelt dadurch dieses Denkmodell so nahbar, zugleich übrigens mit einer positiven Tonalität, dass wir gar nicht anders können als die dazu befähigten Menschen sich dergestalt einbringen zu lassen. Es wäre für uns alle ein Gewinn.

Autorin:

Jeannette Gusko wurde 1984 in Berlin geboren und studierte Wirtschaftskommunikation und Internationale Beziehungen, sowie Kommunikationsmanagement. Sie ist Sprecherin des Netzwerks 3te Generation Ost und hat verschiedene Plattformen für gesellschaftlichen Wandel mit aufgebaut. Sie ist Geschäftsführerin der Recherche-Organisation Correctiv und wurde für ihre Arbeit mehrfach ausgezeichnet.

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Patrick Burow: Inside Strafjustiz

Inhalt:
Täglich sollen sie den moralischen Verfall unserer Gesellschaft verhindern, doch wie finden Richter zu einem gerechten Urteil? Und mit welchen Herausforderungen sind sie dabei konfrontiert? Spiegel-Bestseller-Autor Patrick Burow ist Richter aus Leidenschaft. In seinem neuen Buch blickt er hinter die Kulissen deutscher Gerichte. Dabei erklärt er Methoden und Arbeitsweisen eines Richters und enthüllt die geheimen Regeln des Strafprozesses. Ein Insiderblick – erzählt in bester True-Crime-Manier. (Klappentext

Rezension:
Nervenkitzel, die Faszination für das Böse ist es, die uns zahlreich Krimis konsumieren lässt, doch bleibt bei aller Fiktion oft genug die Realität auf der Strecke. Tatsächlich ist diese oft genug erstaunlich trocken, zudem bleiben die Möglichkeiten von Ermittlungsbehörden und Gerichten im Gegensatz zu denen ihrer fiktiven Kollegen hintendran. Der Strafrichter Patrick Burow räumt in seinem neuen Buch mit Vorstellungswelten auf und erläutert, wie Gerichte und Richter arbeiten, welchen Zwängen sie unterworfen sind. wie Strafverfahren ablaufen und wo der einzelne Richter Handlungsspielräume hat.

Dieses Sachbuch, welches sich an juristische Laien richtet, die gerne einmal hinter die Türen von Gerichten schauen möchten, schildert in kurzen und handlichen Kapiteln zunächst, wie und warum man eigentlich Richter wird, um dann auf die Rolle der Gerichte für das Zusammenleben in unserer Gesellschaft einzugehen. Schließlich wird der Alltag am Gericht selbst geschildert, schon hier wird klar, dass (Wunsch-)Vorstellung und Realität auseinanderklaffen, wenn schon die Verwaltung solcher Institutionen chronisch unterfinanziert überlastet ihre Arbeit verrichten müssen. Gerichte ertrinken in Aktenberge, ihre Bearbeitung ist minutengenau getaktet.

Patrick Burow hat diese und andere Kapitel immer wieder mit anonymisierten Beispielen aus seinem Berufserleben unterfüttert, die das Geschriebene noch einmal verdeutlichen, wie dies in der Praxis aussieht, um dann auf die Rollen vor Gericht einzugehen. Wie wirken Schöffen, Staatsanwälte oder Geschäftsstellenkräfte, welche Unterschiede bei Anwälten gibt es und wie wirken diese im Zusammenspiel oder Gegeneinander in einer Hauptverhandlung. Und diese läuft, wie alles andere nach ungeschriebenen Regeln ab, bis hin zur Urteilsverkündung selbst. Auch diese erläutert der Autor mit einem halb zwinkernden Auge. Die Faszination und Liebe zu seinem Beruf spürt man, bei aller Verzweiflung über Bürokratie oder baufällige Gerichtsgebäude in jeder einzelnen Zeile.

Mit einfachen Worten macht Burow seiner Leserschaft den Gerichtsalltag zugänglich, ohne zu sehr ins Theoretische zu verfallen und macht damit nachvollziehbar, warum Urteile so ausgesprochen werden, wie es tagtäglich um uns herum passiert, warum Recht und Gerechtigkeit zwei verschiedene Paar Schuhe sind, wo Grenzen liegen und die Freiheiten der Justiz. An der einen oder anderen Stelle wären noch mehr Beispiele aus dem Berufsalltag wünschenswert gewesen, trotz allem Berufsethos scheint doch aus wenigen Abschnitten der Frust allzu deutlich hervor, was manchmal den Lesefluss in seiner Tonalität etwas stört. Alles in allem dennoch eine kurzweilige Lektüre.

Autor:
Patrick Burow wurde 1965 in Hamburg geboren und ist ein deutscher Jurist und Autor. Nach dem Jura-Studium promovierte Burow in Hamburg und arbeitete zunächst als Staatsanwalt, bevor er 1998 seine Tätigkeit als Richter begann, seit 1999 am Amtsgericht Dessau. Er ist Autor mehrerer humoristischer und kritischer Sachbücher über Juristik.

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Katherine Rundell: Warum die Giraffe nicht in Ohnmacht fällt

Inhalt:

Unsere Welt ist einzigartig und verblüffend. Es gibt Haie, die schon zu Shakespeares Zeiten gelebt haben, Giraffen, die durch Paris flanierten, verliebte Spinnen und Einsiedlerkrebse, die ihre Häuser renovieren. Mit einem bemerkenswerten Gespür für fesselnde Geschichten und kuriose Anekdoten eröffnet uns die preisgekrönte Autorin Katherine Rundell in diesen 22 eindrücklich recherchierten Porträts bedrohter Tierarten einen neuen Blick auf die hinreißend seltsame Schönheit unserer Erde. (Klappentext)

Rezension:

Unsere Faszination für sie kennt kaum Grenzen. Zu viele Kuriositäten hält die Tierwelt der Erde bereit. Doch diese Begeisterung hat bereits viele Tierarten von der Erde verschwinden lassen, die wir ihre Lebensräume beschneiden oder sie so sehr bejagen, bis sie schließlich aufhören zu existieren. Andere stehen heute am Rande des Abgrunds, viele bedroht, ihr Überleben in den kommenden Jahrzehnten keineswegs gesichert. Zeit also für eine Hommage an die Schätze der Erde, die es zu bewahren gilt.

Die britische Autorin Katherine Rundell stellt in ihrem feinsinnig recherchierten Sachbuch, in dem kuriose Fakten und knallharte Informationen in einer bunten Mischung präsentiert werden, stellvertretend für alle bedrohten Tierarten, zweiundzwanzig mehr oder weniger bekannte vor und hat damit eine sehr abwechslungsreiche Lektüre geschaffen. In kurzen Kapiteln wird jede Tierart vorgestellt, ihre Besonderheiten, vermischt mit kuriosen Fakten.

So erfährt man u. a., dass in Paris einst eine Giraffe spazieren geführt wurde und auch einmal ein Elefant der gut betuchten Oberschicht zum Essen serviert wurde, dass das Alter einiger heutiger Grönlandhaie über 500 Jahre zählt oder mancher Mauersegler, einmal das elterliche Nest verlassend, nie wieder den Boden berührt. Nie verfällt die Autorin dabei in graue Theorie, jedes einzelne Kapitel ist durchtränkt von der Faszination für die beschriebenen Lebewesen. Wundervolle Illustrationen von Talya Baldwin komplettieren das kurzweilige Werk.

Vom Pangolin über dem Goldmull, der hellhörigen Fledermaus bis hin zu jenem Geschöpf, welches alle anderen heute an den Rand drängt, uns selbst, ist so eine Sammlung entstanden, die natürlich nur eine willkürliche Auswahl darstellen kann, aber den Zweck erfüllen sollte. Ein Teil der Autorinhonorare der Originalausgabe kommt zwei Wohltätigkeitsorganisationen zu Gute, die sich für die Eindämmung des Klimawandels und der Umweltzerstörung einsetzen. Wenn die Faszination für diese und andere Lebewesen zu der Lektüre und letztendlich den gesteckten Zielen zu Gute kommt, ist viel gewonnen.

Autorin:
Katherine Rundell wurde 1987 geboren und ist eine britische Autorin und Hochschullehrerin. Nach einer Kindheit in Simbabwe und England studierte sie zunächst in Oxford und erwarb danach ein Stipendiat für Englische Literatur. 2011 veröffentlichte sie ihr erstes Werk, dem weitere folgten. Die Autorin für Kinder- und Jugendbücher, sowie Sachbücher, steht regelmäßig auf den Bestsellerlisten und erhielt u. a. den Baillie Gifford Prize und den British Book Award. Ihre Bücher werden in über 30 Sprachen übersetzt. Zudem schreibt sie für Zeitungen und Magazine wie New York Times und dem Times Literary Supplement.

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Raquel J. Palacio: Pony

Inhalt:
Silas muss hilflos mit ansehen, wie eines Nachts drei Fremde auftauchen und seinen Vater entführen. Als am nächsten Tag ein geheimnisvolles Pony vor seiner Tür auftaucht, weiß Silas, was er zu tun hat: Er begibt sich auf eine abenteuerliche Reise, um seinen Pa zu finden – eine Reise, auf der er es mit unerwarteten Gefahren, gut gehüteten Familiengeheimnissen und den Geistern der Vergangenheit zu tun bekommt. (Klappentext)

Rezension:

Vieles ist besonders an Silas, der allein mit seinem erfinderischen Vater auf einer Farm lebt. Der intelligente, aber zurückhaltende Junge hat einst einen Blitzschlag überlebt. Seit dem ist das Abbild eines Baumes auf seinem Rücken zu sehen, bei dem er vor dem Gewitter Schutz suchte. Auch sein einziger Freund ist besonders.

Ein Geist, den nur Silas selbst sehen kann. Lange sind es glückliche Tage, in denen Vater und Sohn für einen Wettbewerb versuchen, das beste Foto vom Mond zu schießen, doch eines Tages wird Silas’ Vater von zwei Männern entführt. Der Junge nimmt all seinen Mut zusammen und begibt sich auf eine Reise, nach der nichts mehr so sein wird, wie zuvor.

Der neue Roman der Jugendbuchautorin Raquel J. Palacio entführt uns in eine Zeit voller Pioniergeist, jedoch auch kurz vor Ausbruch des amerikanischen Bürgerkriegs und in ein großes Abenteuer. Der mystisch angehauchte Roadtrip zu Pferde erzählt von einer Suche, auf der der kleine Protagonist nur eines finden wird. Sich selbst. Dabei verwebt die Schriftstellerin Fiktion und Realität, zusammen mit ihrer Liebe zur Fotografie. In spannend angehauchten Kapiteln erzählt die Autorin diese wundersame Geschichte, die eine gänzlich andere Tonalität anschlägt, als zuvor ihr fulminanter Debütroman.

Das muss man mögen, doch sind die Ansätze, in die Geschichte hineingezogen zu werden, von Beginn an vorhanden. Der kleine Hauptprotagonist, ein phantasiebegabtes und intelligentes Kind, hält sich nicht für mutig, wächst jedoch im Verlauf der Handlung immer wieder über sich hinaus. Palacio hat offenbar ein Händchen für sich wandelnde Kindercharaktere, mit denen sie ein Identifikationspotential schafft, welches über die gesamte Lektüre trägt.

Das ist auch notwendig. Immer wieder entstehen einzelne Längen, da Übergänge teilweise holprig wirken und die Verbindung zwischen Mystik und Realität, eingewoben in dieser fiktionalen Geschichte nicht immer stimmig daherkommt. Klar definierte Antagonisten stehen im Gegensatz zu Charakteren, die dem Zwölfjährigen im Verlauf der Handlung zu Verbündeten werden. Palacio hat mit dieser Mischung eine Geschichte geschaffen, die vom Über-sich-hinaus-wachsen ebenso erzählt, wie von der Verbindung zwischen Vergangenheit und Zukunft, was einem mit Silas, dessen Gefühlswelten umhergeworfen werden, mitfühlen lässt.

Im Gegensatz zu “Wunder” behalten wir die Perspektive des Hauptprotagonisten bei, sein für die anderen Charaktere unsichtbarer Freund Mittenwool dient sowohl als Rat- als auch Impulsgeber. Natürlich ist, abgesehen von den mystischen Elementen, die Geschichte insgesamt sehr generisch erzählt. Wendungen wirken aus der erwachsenen Sicht heraus sehr gewollt, funktionieren jedoch im jüngeren Lesealter sicher besser. Trotzdem schafft es die Autorin sowohl Protagonisten als auch Schauplätze vor dem inneren Auge entstehen zu lassen. Eine Pferdegeschichte für Jungen hat man zudem ja auch nicht so häufig.

Sprachlich gibt es keinerlei Besonderheiten, dafür ganz viele Anspielungen auf Literatur oder die Geschichte der Fotografie, die die Autorin selbst im Nachwort erläutert. Jedes Kapitel wird zudem mit einem Foto eingeläutet, was das Ganze abrundet. Palacio hat mit ihrem Roman nicht das Level ihres Debüts halten können. Zu schnell verflüchtigt sich diese Geschichte, auch fehlt es diesem Western für Kinder etwas zu sehr an Tempo. Für die Zielgruppe ist dies jedoch vielleicht ausreichend.

Autorin:
Raquel J. Palacio ist das Pseudonym von Raquel Jaramillo, einer amerikanischen Verlegerin und Autorin. Sie wurde 1963 geboren und arbeitete zunächst als Art-Direktorin, Illustratorin und Buchcover Design und veröffentlichte verschiedene Kinder- und Jugendbücher, seit 2006 beim New Yorker Verlag Workman, für den sie seit dem in verschiedenen Positionen tätig war. 2013 war sie Jurymitglied des Kinder- und Jugendprogramms des Internationalen Literaturfestivals Berlin. Ein Jahr zuvor veröffentlichte sie ihr erstes eigenes Werk “Wunder”, welches in mehreren Sprachen übersetzt und verfilmt wurde. 2014 wurde sie mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet.

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Uwe Wittstock: Marseille 1940 – Die große Flucht der Literatur

Inhalt:
Juni 1940: Hitlers Wehrmacht hat Frankreich besiegt. Die Gestapo fahndet nach Heinrich Mann und Franz Werfel, nach Hannah Arendt, Lion Feuchtwanger und unzähligen anderen, die seit 1933 in Frankreich Asyl gefunden haben. Derweil kommt der Amerikaner Varian Fry nach Marseille, um so viele von ihnen wie möglich zu retten. Uwe Wittstock erzählt die aufwühlende Geschichte ihrer Flucht unter tödlichen Gefahren. (Klappentext)

Rezension:

In letzter Minute hat Heinrich Mann es geschafft, die Grenze ohne Aufsehen zu überqueren, Teil des kulturellen Exodus’, der das Deutsche Reich mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten, erfasste. Auch andere, die sich politisch mit Werk und Worten gegen die neuen Machthaber positionierten, mussten fliehen. Viele Intellektuelle und Schriftsteller fanden sich darauf hin in Frankreich wieder.

Doch auch hier holt der Krieg jene, die sich in Sicherheit glaubten, ein. 1940 ist Frankreich besiegt, zerstückelt. Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt, Leib und Leben zu riskieren, sich außer Reichweite der Häscher zu bringen. In der unbesetzten Zone wird die Stadt Marseille zum Schicksalsort, an dem sich alles entscheidet.

Nach seinem Werk “Februar 33 – Der Winter der Literatur” nimmt sich der Autor Uwe Wittstock nun erneut einen kulturellen Wendepunkt an, der der Erzählung des Exodus des intellektuellen Lebens nach der Machtergreifung Hitlers in nichts nachsteht. Spannend, erzählt er die Geschichte derer, die sich versuchen, in Sicherheit vor den Zugriff der Nazis zu bringen, und derer, die dies ermöglichen. Biografien werden verwoben, wie Wege, die sich kreuzen. Ausgangspunkte sind ein Schriftsteller-Kongress im Exil, die Beobachtung ausbrechender Gewalt, Tatendrang und unermüdliche Hilfsbereitschaft.

Im Mittelpunkt der Journalist Varian Fry, der es mit seinen Mitstreitern schafft, in aller Kürze ein kleines aber effektives Netzwerk aufzubauen, in Frankreich später selbst die Fäden in den Händen halten muss, welche nicht nur durch das dortige Vichy-Regime unter Druck geraten. Akribisch folgen wir seinen Spuren und derer, denen er die Flucht verhilft.

Alma Mahler Werfel und Franz Werfel, Heinrich Mann, Anna Seghers und viele andere werden so gerettet. Fry und seine Unterstützer werden für einen entscheidenden Moment der Geschichte zu besonderen Menschen in einer besonderen Zeit.

Wie bereits in seinem vorangegangenen Werk werden die dicht gedrängten Ereignisse in Tagebuchform aufgefächert, welche das Drängen, die Eile und nicht selten die Ungewissheiten der Akteure herausstellt, deren Schicksale sich von einem auf dem anderen Tage ändern konnte.

Wieder sind es ausgewählte Personen, deren Wege hier beschrieben werden, stellvertretend für viele, die zwangsweise namenlos bleiben müssen, da wir zu wenig wissen, um von ihnen zu erzählen. Gleich zu Beginn wird dies vom Autoren selbst herausgestellt, dem der Spagat gelungen ist, ein zweites Mal ein literarisches, zudem in unseren Zeiten hoch nachdenklich machendes, Sachbuch zu schaffen.

Anhand von Tagebuchaufzeichnungen, nach dem Krieg niedergeschriebenen Erinnerungen oder Briefen, auf denen sich eine puzzleartige Recherche, die auch nach Marseille selbst führte, stützt, ist damit ein kulturelles Portrait entstanden. Kurzbiografien am Ende des Buches geben über das weitere Schicksal Aufschluss. Aufgelockert wird die Lektüre durch Kartenmaterial in den Innenseiten und zahlreichen Abbildungen, welche im Zusammenspiel diese Tage lebendig werden lassen.

Auch hier hat man, wie in “Februar 33” erneut das Gefühl, allen Personen so nahe zu sein, als würde man daneben stehen, gegen alle Widrigkeiten Fluchten zu organisieren oder zu bestreiten. Diese Chronologie geht unter die Haut, mit einem sogar noch etwas flüssiger wirkenden Schreibstil als beim Vorgänger. Ein Buch über Menschlichkeit und Mut, über unwägbare Faktoren und Sekunden, die über Gelingen oder Scheitern entschieden.

Eine unbedingte Leseempfehlung.

Autor:

Uwe Wittstock wurde 1955 in Leipzig geboren und ist ein deutscher Literaturkritiker, Lektor und Autor. Zunächst arbeitete er als Journalist der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, wo er von 1980 bis 1989 der Literaturredaktion angehörte, danach wirkte er als Lektor beim S. Fischer Verlag.

Zur gleichen Zeit war er Mitherausgeber der Literaturzeitschrift Neue Rundschau. Im Jahr 2000 wurde er stellvertretender Feuilletonchef der Tageszeitung Die Welt, zwei Jahre später Kulturkorrespondent in Frankfurt/Main. Bis 2017 arbeitete er als Literaturchef des Magazins Focus. Zu seinen Werken zählen mehrere Sachbücher. 1989 erhielt er den Theodor-Wolff-Preis für Journalismus.

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Manfred Görtemaker: Rudolf Hess – Der Stellvertreter

Inhalt:
“Welch ein Anblick für die Welt”, notiert Joseph Goebbels geschockt in seinem Tagebuch. “Ein geistig zerrütteter zweiter Mann nach dem Führer. Grauenhaft und unausdenkbar.” Da war Rudolf Hess soeben zu seinem mysteriösen Flug nach England aufgebrochen, um im Alleingang Frieden zu stiften. Wer war dieser von Rätseln umgebene Mann, der wie ein Schatten Hitlers wirkte, in Nürnberg zu lebenslanger Haft verurteilt wurde und nach seinem Tod in Spandau zu einer Ikone der Neonazis werden sollte? Manfred Görtemaker legt die erste grundlegende Biographie vor, die mit neuen Quellen einen außergewöhnlich präzisen Einblick in die Chefetage des NS-Regimes ermöglicht. (Klappentext)

Rezension:

Am Tag der Machtübernahme Hitlers trafen sich führende Nationalsozialisten im Hotel Kaiserhof. Ein Foto zeigt Adolf Hitler zwischen den Ministern seiner Partei, Frick und Göring. Der Rest des Kabinetts war mit Mitgliedern anderer konservativer Parteien besetzt. Dabei blieb es nicht. Einmal an den Schaltstellen der Macht arbeiteten die Nationalsozialisten auf die Errichtung einer absoluten Diktatur hin, die das Deutsche Reich in den Abgrund stürzen sollte und mit ihm Millionen von Menschen Tod, Zerstörung und unerträgliches Leid.

Fast unscheinbar, in der zweiten Reihe zu sehen, Rudolf Hess. Der Stellvertreter des Führers, der vor allem nach seinen mysteriösen Flug nach England viele Rätsel aufgab. Doch bis dahin machten sich seine Rivalen keine Illusionen über die stetig wachsende Machtfülle und den Einfluss auf Hitler. Der war beträchtlich und auch vorher schon vorhanden. Nun ist aufgrund der Öffnung der Archive und intensiver Einblicke in Privatbestände und Schriftwechsel ein erstes umfassendes Grundlagenwerk erschienen. Ein Sachbuch, welches eine sinnvolle Ergänzung zur bereits bestehenden Literatur ergibt.

Der Historiker Manfred Görtemaker hat in über zwanzigjähriger Kleinarbeit das hier vorliegende Werk zusammengestellt, welches gleichsam Biografie wie Psychogram darstellt und die Lebensstationen eines Mannes darstellt, der auf den ersten Blick schon für manchen Zeitgenossen so unscheinbar wirkte, wie es der Titel des Buchs ist.

Begonnen bei Kindheits- und Jugendjahren stellt der Historiker die einzelnen Stationen dar, sofort werden Unterschiede zwischen Hess und anderem künftigen Führungspersonal des NS-Regimes deutlich. Hess war gebildet, weltgewandt, beherrschte mehrere Fremdsprachen, bis er sich nach dem ersten Weltkrieg unter Einfluss seiner Mutter und seiner späteren Frau radikalisierte und zu einem der Mitglieder der NSDAP der ersten Stunde wurde.

Sachlich und detailliert ist die Darstellung stets, Wendepunkte werden dabei fesselnd beschrieben, wie auch das Werk sich nicht wie eine wissenschaftliche Abhandlung liest und sowohl von jenen zur Hand genommen werden kann, die ihrem Wissen eine neue Perspektive hinzufügen, aber auch vor allem eine Facette von Zeitgeschichte verstehen möchten, die bisher, eben weil manches Quellenmaterial bisher noch nicht zugänglich gewesen ist, so noch nicht möglich war.

Eine klare Unterteilung der gut recherchierten Biografie trägt ihr Übriges zur Lesbarkeit bei. Nicht nur bekommt man Einblick in den inneren Kreis des Machtzirkel um Hitler, in dem Hess bis zu seinem Flug 1941 immer entscheidende Fäden in seinen Händen hielt, aber auch, wie es dieser schaffte, eine gewisse Distanz zu waren, was Fragestellungen nach den Beweggründen von Rudolf Hess aufwirft.

Der Historiker Manfred Görtemaker greift diese Fäden auf, hat sie gebündelt, herausgekommen ist ein vielschichtiges Porträt, welches erklärt und entmystifiziert. Damit erscheint das Sachbuch zudem sinnvoller als die nächste und jede weitere Hitler-Biografie. Der Blick in die zweite Reihe der Führungsriege lohnt sich, um die Mechanismen des Funktionierens, überhaupt erst einmal des Erringens der Macht und des Errichtens der brutalen Diktatur zu verstehen. Auch die Verurteilung in Nürnberg, die Haftzeit bis zum Tode Hess’ wird vielschichtig dargestellt, dessen Bedeutung vielfach verkannt wurde. Bis heute.

Das Porträt eines Mannes, beleuchtet im Blick auf seine Zeit, welches vorhandenem Wissen neue Details hinzufügt, zudem wird auch der Gerichtsprozess und die Zeit danach neu betrachtet. Alleine deshalb schon ist die Lektüre unbedingt zu empfehlen.

Buchpräsentation und Gespräch:
Veranstaltung des Dokumentationszentrums Topographie des Terrors gemeinsam mit C. H. Beck / Prof. Dr. Manfred Görtemaker und Dr. Andrea Riedle

Quelle: Dokumentationszentrum Topographie des Terrors

Autor:
Manfred Görtemaker wurde 1951 geboren und ist ein deutscher Historiker. Zunächst studierte er ab 1969 Geschichte, Politikwissenschaft und Publizistik in Münster und Berlin, parallel dazu absolvierte er ein journalistisches Volontariat bei der Siegener Zeit. Von 1975 bis 1980 war er wissenschaftlicher Assistent an verschiedenen Instituten, bevor er 1977 promovierte.

Nach Stationen in Harvard und Stanford, wurde er 1992 ordentlicher Professor für Neuere Geschichte an der Universität Potsdam, nachdem er Mitte der 1980er Jahre als Hochschulassistent in Berlin tätig war. Gastprofessuren führten ihn u. a. nach Bologna und Oxford. In verschiedenen Funktionen wirkte er in Potsdam, bevor er Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats Memorium Nürnberger Prozesse wurde und an der Einrichtung eines Museums im Justizpalast in Nürnberg mitwirkte, er ist Mitglied zudem im Kuratorium der Stiftung Ernst-Reuter-Archiv im Landesarchiv Berlin.

2016 erhielt Görtemaker das Ehrenkreuz der Bundeswehr in Gold. Er ist Verfasser mehrerer geschichtlicher Standardwerke.

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Sabrina Imbler: So weit das Licht reicht

Inhalt:
So weit das Licht reicht ist Naturbuch, poetisches Memoir und Coming-of-Age-Geschichte in einem – ein faszinierender Tauchgang von der Oberfläche bis zum Meeresgrund. (Klappentext)

Rezension:

Nature Writing ist ein schwieriges Genre, werden doch Naturbeziehungen oft genug romantisiert, Tiere manchmal gar vermenschlicht. Wird dieses jedoch in Kombination mit etwas völlig Gegensätzlichen gebracht, dazu noch Einsprengsel anderer Bereiche der Literatur, insbesondere des Sachbuchs, ist es schwierig ein passendes Zusammenspiel zu erzeugen, da alle Lesende mit unterschiedlicher Erwartungshaltung an die Lektüre herangehen und wahrscheinlich selten diese vollkommen getroffen finden werden.

Genau dies ist der Autorin Sabrina Imbler mit dem hier vorliegenden Werk passiert, welches zwischen Nature Writing, den Versuch eines Sachbuchs und einem Selbstfindungsprozess schwangt, der einer Nabelschau gleichkommt. Der beschworene Blick auf die Kreaturen der Tiefsee, welcher der Untertitel zunächst vorgibt, kommt jedenfalls zu kurz.

Diese Abschnitte sind interessant, wie auch die Abschnitte, das Nachdenken der Autorin über sich selbst, sich faszinierend lesen, doch hätte es hier bereits der Qualität der Lektüre gut getan, wenn man aus einem tatsächlich zwei Bücher gemacht hätte.

So kommen an der einen Stelle wirklich spannende Ausführungen zu Meereslebewesen viel zu kurz, an anderer die zum Thema Gender, durchaus gespickt mit interessanten psychologischen Ausführungen, am Beispiel Imblers selbst, welche ich einmal positiv hervorheben möchte. Zusammengestellt jedoch wirken Übergänge nicht so, wie sie es könnten, hat man zwei unterschiedliche Werke, die nichts Halbes und nichts Ganzes ergeben.

Ein anderer Kritikpunkt ist da nur noch augenrollend zur Kenntnis zu nehmen, den die Autorin als Wissenschaftsjournalistin eigentlich aus sich heraus beherzigen müsste. Man vermenschlicht keine wilden Tiere. Spätestens damit ist für mich die gesamte Lektüre gefallen.

Die kompakte Form der Ausführungen bringt es mit sich, dass dort, wo Ausführungen wünschenswert wären, diese zu kurz kommen, anderswo derer zu viele sind, so dass man ein permanentes Ungleichgewicht vor Augen hat. Auf Dauer ist dies sehr anstrengend, da man geneigt ist, zu den für sich selbst interessanteren Stellen zu springen. Das kann man häufig tun, da Abschnitte gut übersichtlich gehalten werden, was man jedoch eher der Formatierung des Verlags anrechnen dürfte. Positiv erwähnenswert bleiben noch die liebevollen Illustrationen von Simon Ban zu Beginn jedes Kapitels.

Möchte ich Nature Writing, Coming of Age, populärwissenschaftliches oder Gedanken zum Ich und zum Gender lesen, kann ich das hier alles bekommen, jedoch hätte hier eine eindeutige Entscheidung, gleich wofür, der Lektüre gut getan.

Autorin:

Sabrina Imbler ist Wissenschaftsjournalistin und Autorin. Sie lebt in Brooklyn und veröffentlicht regelmäßig Essays und Reportagen in verschiedenen Zeitungen und Magazinen. Ihr Debüt “So weit das Licht reicht” wurde zu den zehn besten Nonfiction-Büchern des Jahres 2022 gewählt.

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